Der Gang nach Canossa
Papst Gregor VII im Kampf mit König Heinrich IV
Kaiser Heinrich III. starb im Jahre 1056, nachdem er noch seinen sechsjährigen Sohn dem frommen Papst Viktor II. warm empfohlen hatte. Papst Viktor aber starb schon im folgenden Jahre. Zu dieser Zeit lebten in Deutschland zwei Erzbischöfe, Anno von Köln und Adalbert von Bremen. Der letztere war, was damals sehr oft vorkam, mehr weltlicher Fürst als Bischof. Sein Ehrgeiz trieb ihn an, durch den jungen König eine größere Macht zu erhalten, und wo möglich den Einfluß des frommen Anno zu vermindern. Zu diesem Zweck schmeichelte er dem jungen Fürsten ungewöhnlich. So kam es, daß dessen hervorragende Eigenschaften und geistige Anlagen eine sehr schlimme Ausbildung bekamen. Der junge König fing an, die geistliche Gewalt zu verachten und dafür die königliche übermäßig zu erheben.
So war der Fürst beschaffen, der auf dem ersten Fürstenthron Europas saß. Wie im Morgenland die anmaßenden Kaiser den nächst besten Günstling zum Patriarchen erhoben, so wollte König Heinrich die Gefährten seiner Verirrungen auf die bischöflichen Stühle setzen. Durfte in Deutschland der Fürst die Bischöfe ernennen, ohne auf die Stimme des Papstes zu achten, so durften die Regenten anderer Länder es auch tun. Daher konnten die Päpste dem König Heinrich IV. gegenüber nicht schweigen. Schon Papst Alexander II. hatte ihn nach Rom vorgeladen, um ihm sein sündhaftes Leben und seine Grausamkeit, womit er die Untertanen behandelte, vorzuhalten, und ihm zu verbieten, die unwürdigsten Menschen für teures Geld zu Bischöfen zu ernennen. Da aber dieser Papst vom Tode überrascht wurde, ehe er seine Aufgabe vollenden konnte, musste der heilige Gregor dem König entgegen treten.
Die Milde des Papstes Gregor gegen den König
Anfangs wendete Gregor die größte Milde an. König Heinrich war noch jung und hatte, wie gesagt, eine verkehrte Erziehung genossen. Um ihn zu gewinnen, schrieb der edle Papst zuerst an einflußreiche Personen, daß sie ihm denselben günstig stimmen möchten.
Papst Gregor wollte den unglücklichen König von den Schmeichlern befreien, die sich um den jungen Fürsten drängten und ihn ins Verderben zogen. Aber König Heinrich trotzte nicht bloß dem Papst, sondern bedrückte auch seine armen Untertanen. Er glaubte nämlich, daß einem König alles gestattet wäre und er auf niemand zu hören bräuchte. Die Folge davon war, daß die Sachsen sich empörten und König Heinrich zwangen, im August des Jahres 1073 aus dem Sachsenland zu fliehen. Da auch mehrere Grafen und Barone in Deutschland mit ihrem König unzufrieden wurden, so kam Heinrich in große Gefahr. Auf das hin näherte er sich dem Papst Gregor und schrieb ihm Briefe voll der besten Versprechungen, bekannte sein Unrecht und bat um Verzeihung, Rat und Hilfe. Allein kaum war durch die Vermittlung des Papstes die Gefahr abgewendet, als der König wieder seine alten Wege einschlug. Der heilige Gregor aber verlor die Geduld nicht. Er übersendete dem König und den Bischöfen die päpstlichen Bestimmungen, in denen er unter der Strafe der Ausschließung aus der Kirche verbot, Kirchenämter zu kaufen und zu verkaufen. Anfangs war Heinrich mit den Bestrebungen des Papstes vollständig einverstanden. Er empfing die päpstlichen Boten zu Nürnberg um Ostern des Jahres 1074 freundlichst und versprach, den Papst in allem unterstützen zu wollen. Der Papst sagte ihm in einem Schreiben dafür aufrichtigen Dank. Aber Heinrich war zu wankelmütig, um sein ernstlich gegebenes Versprechen auch zu halten. Kaum hatte er über die Sachsen im Juli des folgenden Jahres einen Sieg errungen, als er wissentlich und absichtlich die päpstlichen Vorschriften übertrat. Auf dieses hin war der heilige Gregor genötigt, dem König die ernstesten Strafen anzukündigen. Darüber geriet der König in Zorn und berief eine Versammlung nach Worms. Die Bischöfe stellten sich auf seine Seite, der alles Unheil verschuldet hatte und nicht auf die Seite des Papstes, der es mit Deutschland gut meinte.
Die Versammlung in Worms artete so aus, daß sie im Januar des Jahres 1076 die Absetzung des Papstes beschloß. König Heinrich unterzeichnete das unerhörte Schriftstück zuerst, die Bischöfe folgten seinem Beispiel. Zudem schrieb Heinrich an den Papst: „Steige herab vom Throne, oder sei im Banne. Steige hernieder vom widerrechtlich bestiegenen Stuhl. Ich, König Heinrich, und alle Bischöfe gebieten es dir!“
Dieser Brief des jungen Fürsten an den greisen Statthalter Jesu Christi in Rom ist ein Beweis, in welch verdorbener Umgebung Heinrich sich befunden hat. Nur Leute ohne Überlegung, ohne Gefühl für Ehre und Würde, konnten den König bereden, einen solchen Brief dem Papst zu schicken. Doch es kam noch ärger.
Heinrich schrieb an die Lombarden, sie sollen Gregor nicht mehr als Papst anerkennen. Dieser Brief gefiel in Mailand und dessen Umgebung allen, welche sich die kirchlichen Ämter für Geld erkauft oder sonst einen nicht lobenswerten Lebenswandel geführt hatten. Auch an die Römer wendete sich der verblendete Herrscher, um sie aufzufordern, dem Papst den Gehorsam aufzukündigen.
Der Kirchenbann über Heinrich IV.
Der heilige Gregor feierte im Februar des Jahres 1076 eben eine Kirchenversammlung, als der Brief des Königs Heinrich ankam. Der Papst hätte vielleicht nochmals den Versuch gemacht, den irre geleiteten Fürsten auf dem deutschen Königsthron zu bessern: allein die Bischöfe verlangten die Bestrafung Heinrichs, der einen solchen Frevel am Statthalter Christi verübt hatte. Umgeben von einhundertzehn Bischöfen, in Gegenwart der tief betrübten Kaiserin-Mutter Agnes, verkündete nun der Papst folgendes Urteil: „In Rücksicht auf das Wohl der heiligen Kirche und im Namen des allmächtigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, gestützt auf die Gewalt der heiligen Apostel, verbiete ich dem König Heinrich Deutschland und Italien zu regieren und entbinde die Untertanen vom Eid der Treue.“
Der Kirchenbann war in jener Zeit eine furchtbare Strafe. Der Gebannte war von der heiligen Kommunion und von dem Gottesdienst der Gläubigen ausgeschlossen. Es war untersagt, ihn zu segnen, mit ihm zu wohnen, zu essen und zu reden. Folglich konnte Heinrich auch nach den bestehenden Landesgesetzen nicht mehr König sein. Viele angesehene Männer verließen auch sogleich die Partei des Königs, unterwarfen sich dem Papst und erhielten Gnade und Vergebung, während andere in ihrer Verkehrtheit verharrten. Mehr und mehr überzeugte man sich in Deutschland, daß der Papst im Recht sei. In dem plötzlichen Tod vieler Anhänger Heinrichs sah das Volk ein Gottesurteil.
Der unglückliche König hatte durch seine tyrannische Regierung auch seine Untertanen gereizt. Diese sahen nun im Kirchenbann eine willkommene Gelegenheit, den Grausamkeiten ihres Fürsten ein Ende zu machen und schrieben an den heiligen Gregor. Allein dieser ermahnte sie zur Milde und wollte versuchen, ob nicht etwa der verhärtete und übelberatene König sich noch bessern würde. Doch die deutschen Reichsfürsten waren zu erbittert. Die bestehenden Gesetze erlaubten ihnen nicht ohne Weiteres, den König abzusetzen und einen neuen zu wählen. Sie traten daher im Oktober des Jahres 1076 in Tribur zusammen und beschlossen, den Papst für eine Versammlung auf den 2. Februar folgenden Jahres in Augsburg zum Schiedsrichter zu ernennen. Nur infolge eines päpstlichen Schreibens wurde die Absetzung Heinrichs noch verhindert. Heinrich fürchtete seine Gegner in Deutschland viel mehr als den Papst. Daher trat er einen Schritt, der in der Weltgeschichte denkwürdig geworden ist.
Es siegte die Milde über die Strenge des Richters
Zur Zeit des heiligen Papstes Gregor lebte in Italien eine sehr reiche und angesehene Gräfin, namens Mathilde, die von ihrem Vater ausgedehnte Besitzungen geerbt hatte. Sie war eine Verwandte des König Heinrich, teilte aber nicht seine Gesinnung, sondern blieb eine treue Tochter der römischen Kirche und eine Beschützerin des Papstes Gregor. Es ist soeben gesagt worden, daß König Heinrich in Augsburg vom Papst in Gegenwart der deutschen Reichsstände sollte gerichtet werden. Der Papst war schon auf der Reise dorthin.
König Heinrich hatte aber inzwischen Deutschland heimlich verlassen und machte sich im härtesten Winter auf den Weg nach Italien. Er war entschlossen, um jeden Preis die Befreiung vom Banne zu erwirken. Der Papst erfuhr dies in Vercelli und eilte auf das Schloß Canossa, das der edlen Gräfin Mathilde gehörte. Dahin kamen alsbald mehrere deutsche Bischöfe, um beim Papst für sich Gnade und Verzeihung zu erbitten, die ihnen bereitwillig gewährt wurde.
Endlich erschien auch König Heinrich. Doch der heilige Gregor wies ihn ab, indem er ihm sagen ließ, daß er nach dem Willen der Reichsfürsten in Augsburg gerichtet würde. Allein Heinrich fürchtete Augsburg und flehte den Papst an, ihn vom Bann zu befreien. Die Lage des Statthalters Christi war dadurch eine sehr schwierige geworden. Einerseits empfand er das größte Mitleid mit dem Fürsten, den sein jugendlicher Leichtsinn und die schlechten Ratgeber in diese traurige Lage gebracht hatten; anderseits verfeindete er sich mit den deutschen Reichsfürsten, wenn er Heinrich begnadigte.
Allein es siegte die Milde des Vaters über die Strenge des Richters. Heinrich hatte nämlich alle seine königlichen Abzeichen abgelegt und stand drei Tage im Hofe des Schlosses von Canossa. Diese Reue bewog den Papst, dem König zu gestatten, daß er vor ihm erscheine. Der heilige Gregor erteilte ihm am 28. Januar des Jahres 1077 die Absolution vom Banne, nachdem der König gelobt hatte, sich zu bessern. Durch diese Lossprechung sollten aber dem König nur seine Vergehungen gegen den Papst und die Kirche verziehen sein, nicht aber über die Klagen der deutschen Fürsten über ihren König ein Urteil gefällt werden.
Diese Handlung des Papstes wird von vielen Geschichtsschreibern bitter getadelt. Sie sagen, der Papst hat den deutschen König so erniedrigt, daß er wie ein öffentlicher Sünder die schwere Demütigung in Canossa auf sich nahm. Doch hat Heinrich durch seine dreitägige Buße nicht etwas getan, was in damaliger Zeit unerhört gewesen wäre. Solche öffentliche Bußen bestanden auch andere Fürsten und zwar bessere als Heinrich. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden 1907, S. 414 – S. 418