Die Entstehung des Fronleichnamsfestes durch die heilige Jungfrau Juliana
Die Apostel haben das Fronleichnamsfest gefeiert
In der katholischen Kirche ist das hochheilige Fronleichnamsfest eines der jüngsten und zugleich der ältesten Feste. Es ist eines der ältesten, denn Christus, unser Herr und Heiland, hat es am Abend vor seinem Leiden selbst zum ersten Male gefeiert, als er in Gegenwart seiner Apostel das heilige, unblutige Opfer des neuen Testamentes und das heiligste Altarsakrament eingesetzt, in welchem er wahrhaft, wirklich und wesentlich mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit seiner Gottheit und Menschheit unter Brotsgestalten gegenwärtig ist.
Getreu dem Befehl ihres göttlichen Meisters, das geheimnisvolle Opfer des Abendmahls zu erneuern und es zu seinem Andenken zu feiern, haben die Apostel mit dem Beginn der Verkündigung des Evangeliums auch das Fest des allerheiligsten Sakramentes oder Fronleichnams gefeiert, und seit dieser Zeit hat sich diese Feier alle Tage wiederholt und wird sich wiederholen bis zum Ende der Welt.
Denn, was ist das heilige Messopfer, in welchem durch die Wandlung das hochheilige Sakrament vollbracht wird, anders, als ein Fest zur Verherrlichung der heiligen Dreifaltigkeit, zur Wonne und Freude der Engel und Heiligen, zum Trost und Heil der ganzen Welt. In jeder heiligen Messe wird Jesus, der Sohn Gottes, der auf dem Altar gegenwärtig ist, angebetet, und ihm, dem König der Glorie, jene Huldigung dargebracht, die seiner göttlichen Majestät gebührt. Jede heilige Messe ist ein Dankfest für die unendlichen Gnaden, die Jesus am Kreuz erworben hat und uns mitteilt im Genuss seines heiligsten Fleisches und Blutes.
Aber nicht immer wird unserm göttlichen Heiland im heiligsten Sakrament seiner Liebe jene Anbetung, Huldigung und Danksagung zuteil, welche ihm gebührt; viele Gläubige machen sich hierin oft großer Nachlässigkeit schuldig; ja sie erwidern die unendliche Liebe Jesu gar oft mit Kälte und Undank und fügen zu der Unehrerbietigkeit, womit sie vor dem Allerheiligsten erscheinen, sogar noch die Schmach des unwürdigen Genusses des heiligsten Sakramentes und die Lästerung desselben. –
Deshalb hat es denn Gott gefallen, in seiner heiligen Kirche ein Fest anzuordnen, wo, wie der heilige Vater Urban IV. sagt, durch frommen Eifer ergänzt und gut gemacht werden kann, was bei den übrigen heiligen Messopfern unterlassen wird; wo die Gläubigen sich ihrer dabei begangenen Fehler erinnern und in Demut und vom ganzen Herzen Gott für die Unehrerbietigkeit oder Nachlässigkeit, mit welcher sie dem heiligen Messopfer beiwohnen, um Vergebung bitten können. Dieses Fest, welches seit 800 Jahren in der Kirche alljährlich mit größter Pracht gefeiert wird, ist das hochheilige Fronleichnamsfest.
Erste Veranlassung zur Einsetzung des Festes
Die erste Veranlassung zur Einsetzung desselben gaben die Schmähungen und Lästerungen jener Ketzer im elften und zwölften Jahrhundert, welche die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im heiligsten Altarsakrament leugneten, und folglich das Herz des heiligen, katholischen Glaubens angreifen und töten wollten. Ihren Entweihungen wollte Gott eine feierliche Sühnung, ihren frevelhaften Lästerungen die höchste Verherrlichung entgegensetzen, und den Glauben an die wirkliche Gegenwart Christi in den Herzen der Gläubigen aufs Neue wecken und beleben.
Das Werkzeug, dessen er sich zur Ausführung seines Planes bedienen wollte, war eine schwache, der Welt unbekannte Jungfrau, Juliana mit Namen. Wie es der Weisheit Gottes immer eigen war und ist, das Schwache auszuwählen und das Starke zu beschämen, und wie er sich immer der geringsten, oft unscheinbarsten Mittel bedient, um Großes auszuführen, so auch hier. Nicht einen mächtigen Fürsten, nicht einen weisen Bischof, auch nicht den Papst wählte er zur Einführung des hochheiligen Fronleichnamsfestes aus, sondern eine arme, demütige Jungfrau, damit man erkenne, dass seine Hand es war, die dies Werk vollbrachte.
… Erschöpft schlief sie ein und nun vernahm sie eine himmlische Stimme, die also zu ihr sprach: „Was dich so sehr beunruhigt, ist, dass die streitende Kirche eines Festes ermangelt, welches Gott eingeführt haben wolle. Dieses ist das Fest des erhabensten und allerheiligsten Fronleichnams. Zur Feier dieses Festes ist eigentlich der Karfreitag bestimmt, da aber dieser Tag sich nicht dazu eignet, so möge ein anderer Tag dafür ausersehen werden, an welchem dasselbe in der ganzen Christenheit gefeiert werde und zwar aus folgenden Gründen:
1) „Dass der Glaube an die göttlichen Geheimnisse, welcher anfange, lauer zu werden und in Folge der Zeit es noch mehr zu werden drohe, mehr bestätigt und befestigt werde.
2) Dass die Gläubigen, welche die Wahrheit lieben und suchen, davon vollkommen unterrichtet und überzeugt würden, und aus dieser Quelle des Lebens neue Kräfte schöpfen könnten, auf dem Wege der Tugend fort zu wandeln.
3) Dass die Unehrerbietigkeit und das ruchlose Wesen gegen die göttliche Majestät dieses Sakramentes durch eine aufrichtige und tiefe Verehrung desselben ausgerottet und wieder gutgemacht werde.“
Die hl. Juliana soll die Einführung des Festes bewerkstelligen
Zugleich wurde Juliana gesagt, dass sie die Einführung dieses Festes bewerkstelligen müsse. Einesteils war die fromme Jungfrau hoch erfreut über diese Offenbarung, aber andererseits wurde sie tief betrübt, als sie vernahm, dass sie die Einführung dieses Festes veranlassen sollte. Sie hielt sich für zu armselig, schwach und niedrig, als dass sie es wagen sollte, ein solches Werk zu unternehmen; schon der Gedanke daran machte sie zittern. Tag und Nacht flehte sie daher zu Gott, ihr diese Last abzunehmen.
Von Zweifeln, Ängsten und Befürchtungen, wie umrungen, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Niemand getraute sie sich zu entdecken, selbst, als man sie nach dem Tode ihrer frommen Erzieherin Sapientia zur Priorin gewählt hatte, ließ sie das Geheimnis verschlossen in ihrer Brust. Immer drängte sie eine innere Stimme, den Willen Gottes auszuführen, aber immer hielt ihre allzu große Demut und die Furcht, getäuscht zu sein, und andere zu täuschen, sie davon ab.
Zu dieser inneren Qual kamen auch Verfolgungen von Außen. Da sie auf die genaue Haltung der Klosterregeln drang, widersetzten sich ihr mehrere laue Ordensschwestern. Sie wurde getadelt, verleumdet und mit Schmach überhäuft. Zudem setzte ihr der Teufel mit allerlei Versuchungen zu, so dass sie nimmer wusste, wohin sie um Trost, Rat und Hilfe sich wenden sollte.
Zwanzig Jahre dauerte dieser Kampf, und wiewohl der liebe Gott seine treue Dienerin nicht verließ, ihr sogar die Gabe der Wunder und Weissagungen verlieh, und sie aller Gefahr entriss, so versagte er doch die Erhörung ihrer Bitte, mit der sie ihn immer anflehte, ihr doch diese Aufgabe, ein so hohes Fest in seiner Kirche zu veranlassen, abzunehmen und die Sorge hierfür einer andern Person zu übertragen.
Vergeblich suchte sie ihr Widerstreben durch die Glut ihrer Andacht vor dem Allerheiligsten zu ersetzen, vergeblich lag sie Tag und Nacht vor dem Tabernakel, um dort dem geliebten Bräutigam ihrer Seele mit den heiligen Engeln ihre Huldigung darzubringen, um von ihm die Erhörung zu erlangen; sie musste endlich ihren Mund öffnen, und das Geheimnis offenbaren…
Eucharistische Vision Julianas von Lüttich, Evas von Lüttich und Isabelles de Huy
Zustimmung und Widerstand
Einige Zeit danach wollte Juliana ihre Offenbarungen (…) einer andern gottseligen Jungfrau, Isabella mit Namen entdecken, die schon von zartester Kindheit an im Kloster zu Hug Gott dem Herrn diente, und mit großer Einsicht in die geistlichen Wege begabt war. Sie kannte dieselbe schon länger und glaubte sich ihrer zur Ausführung des Willens Gottes bedienen zu können. Zu dem Ende bewog sie Isabella, in das Kloster von Kornillon einzutreten, was auch mit Bewilligung der Obern geschah. Als Juliana mit ihr von der Einführung eines neuen Festes zu Ehren des allerheiligsten Sakramentes sprach, wollte sie nichts davon wissen, bat aber ihre Gott begeisterte Freundin um ihr Gebet, auf dass auch ihr Herz von gleicher Liebe zu dem heiligsten Sakrament entflammt werde.
Ein Jahr verging derweilen, ohne dass Isabella etwas Näheres erfuhr, als sie eines Tages, da sie in die Kirche von St. Martin eintrat, und sich zum Gebet vor ein Kruzifix niedergeworfen hatte, plötzlich in Entzückung geriet. Sie sah den Himmel offen und die Scharen der Auserwählten vor den Thron des Allerheiligsten versammelt. Sie hörte sie mit lauter Stimme Gott bitten, der Welt, die ihrem Untergang zueile, beizustehen, die streitende Kirche, welche von allen Seiten durch Irr- und Unglauben angegriffen werde, zu unterstützen und dass es höchste Zeit sei, das wirksamste Mittel anzuwenden, um den Triumph des Glaubens herbeizuführen.
Als sie diese einmütige Bitte der Heiligen gehört hatte, vernahm sie eine vom göttlichen Thron ausgehende Stimme, welche sprach: „Dass ihre Wünsche erfüllt werden sollten und dass das Fest des allerheiligsten Fronleichnams, für welches sie sich so eifrig verwendeten, in der ganzen Christenheit werde gefeiert werden.“
Unterstützung für das Fronleichnamsfest durch gelehrte Geistliche
Als die gottselige Jungfrau von ihrer Entzückung zu sich gekommen war, fühlte sie sich zugleich von einem solchen himmlischen Feuereifer entflammt, dass sie nur mehr den Gedanken hatte, das Fest des allerheiligsten Fronleichnams aller Welt zu verkünden, ohne sich durch ein Hindernis davon abschrecken zu lassen. Alsbald entdeckte sie der heiligen Juliana, was ihr begegnet, und beide kamen nun überein, sich mit erfahrenen Personen zuvor zu beraten.
Der Erste, welchem sie das Geheimnis mitteilten, war Johann von Lausanne, Stiftsherr von St. Martin, ein Mann von großer Gelehrsamkeit und großer Heiligkeit. Dieser besprach sich mit mehreren andern gelehrten Männern, namentlich mit dem Archidiakon von Lüttich, Jakob Pantaleon, und nachdem dieselben die Sache wohl erwogen hatten, sprachen sie sich aus, dass das neue Fest den Lehren der Kirche nicht entgegen sei und auch eingeführt werden möchte.
Man kann sich leicht denken, von welcher Freude das Herz der heiligen Juliana erfüllt wurde, als sie diesen Ausspruch vernahm. Sie ließ durch einen jungen, gelehrten Geistlichen das Messgebet oder Offizium des heiligsten Altarsakramentes verfassen, prüfte und änderte es selbst an mehreren Stellen und legte es den ersten Gottesgelehrten des Landes zur Bestätigung vor. Diese stimmten bei und belobten das schöne Werk; dadurch aber wurde die Sache auch unter dem Volk bekannt. Viele hielten für ungereimt, dass eine geringe Jungfrau sich beigehen lasse, ein neues Fest in der Kirche einzuführen, andere aber behaupteten laut, dass es eine göttliche Offenbarung sei, der man folgen müsse.
Hass und Drohungen gegen die hl. Juliana
Unter diese gehörte der Dominikaner-Provinzial Hugo von St. Cher, der sogar öffentlich auf der Kanzel von diesem Fest predigte und so den ersten Samen hierzu ausstreute. Aber nun erhob sich ein heftiger Sturm gegen Juliana und die heilige Sache, welche sie verfocht. Gott aber ließ es zu, damit die Welt erkenne, wie vergeblich aller Widerstand sei gegen ein Werk, das sein mächtiger Arm vollbringen wolle.
Geistliche und Weltliche, Hohe und Niedere spotteten darüber und lästerten Juliana. Überall schrie man sie als eine Närrin und Träumerin aus, und zeigte mit Fingern auf sie. Doch Juliana duldete schweigend und stützte sich fest auf den starken Arm Gottes ohne zu wanken. Je heftiger der Sturm brauste, desto inniger, desto vertrauensvoller betete sie, und siehe da, endlich hatte sie den Trost, dass gerade die heftigsten Feinde sich nun am eifrigsten bemühten, das Fest einzuführen.
Allein nun erhob sich ein neuer, noch größerer Widerstand im Innern des Klosters Kornillon selbst. Der Prior Rüdiger, welcher die Oberaufsicht über das Kloster führte, war ein Gott vergessener Mensch, der seine Stelle um Geld gekauft hatte. Er mochte Juliana, die ihm öfters wegen seines bösen Lebens gute Mahnungen gegeben, nicht leiden, und vom unversöhnlichen Hass gegen sie aufgestachelt, erregte er mit andern ehrlosen Personen einen Aufruhr in der Stadt. Das wütende Volk drang in das Hospital und forderte die Auslieferung der Priorin Juliana. Diese war jedoch bereits in Sicherheit. –
Dafür aber zertrümmerten sie das Oratorium, in welchem die Dienerin Gottes so viel geweint und gebetet hatte, und drohte zuletzt noch mit Mord und Totschlag, so dass Juliana gezwungen war, zu fliehen und bei ihrer Freundin Eva Schutz und Hilfe zu suchen. Dorf fand sie auch mit mehreren Schwestern liebevolle Aufnahme; da aber die Zelle zu klein war, nahm sie der Stiftsherr Johann von Lausanne in sein Haus auf und sorgte für ihren Unterhalt. Damit noch nicht zufrieden, suchte er die Heilige zu rechtfertigen und brachte ihre Sache vor das bischöfliche Gericht.
Der Bischof Robert von Lüttich selbst, der ihr sehr zugetan war, nahm die Untersuchung in die Hand, Julianas Unschuld kam hell zu Tage, der Prior Rüdiger wurde abgesetzt und die heilige Dienerin Gottes kehrte in ihr liebes Kloster zurück, wo bereits durch die Fürsorge des Stiftsherrn Johann und der Klausnerin Eva das zerstörte Oratorium wieder hergestellt und eingerichtet war. Jetzt war ihr Name in aller Munde, überall hörte man ihre Tugenden, ihre Seelenstärke, ihren Mut loben, und ihre Gegner machten sich nun eine Ehre daraus, alles mögliche Gute von ihr zu verbreiten und sie öffentlich zu verteidigen.
Einführung des Fronleichnamsfestes in der Diözese Lüttich
Dadurch erhielten ihre Offenbarungen neues Gewicht und die Einführung des Fronleichnamsfestes wurde beschleunigt. Der Bischof Robert von Lüttich hatte sie schon seit längerer Zeit heimlich geprüft, aber noch immer, obwohl gedrängt von mehreren ausgezeichneten Gottesgelehrten, konnte er sich nicht entschließen, das Fest in seinem Bistum zu feiern. Juliana besprach sich öfters mit ihm und stellte ihm alles vor, was nur immer die Liebe zum allerheiligsten Sakrament ihr eingeben konnte: sie suchte ihm bemerklich zu machen, welche Ehre unserm Heiland und welche Gnade für seine eifrigen Anbeter erwachse und welchen neuen Triumph dasselbe über die Feinde der Wahrheit herbeiführen würde.
Allein der Bischof ließ sich nicht eher bewegen, als bis er selbst endlich durch eine besondere wunderbare Ermahnung vom Himmel dazu bewogen wurde. Er erließ endlich einen feierlichen Hirtenbrief an seine Geistlichen und gebot, dass das Fest am fünften Wochentag nach dem Dreifaltigkeitsfest feierlichst nach vorgeschriebener Ordnung begangen werden sollte. Er erlebte aber die erste Feier desselben nicht mehr. –
Das Fronleichnamsfest findet in Lüttich keinen Anklang
Die ersten, welche seinen Willen befolgten, waren die Stiftsherren von St. Martin. Sie feierten das Fest zur größten Freude Julianas und ihrer beiden Freundinnen Eva und Isabella im Jahre 1274 mit aller möglichen Pracht. Allein sie waren leider die einzigen unter den Brüdern des Bistums, welche dies taten. Es erhob sich sogar nach dem Tode des frommen Bischofs ein neuer Sturm gegen Juliana, die dies schon ihrer Freundin Eva vorher gesagt hatte.
Sie musste, um dem Tode zu entgehen, das Hospital von Kornillon verlassen und ganz arm mit ihren treuen Ordensschwestern von einem Ort zum andern ziehen, überall verhöhnt und verfolgt, misskannt und verachtet, bis endlich der Archidiakon, Jakob Pantaleon, sich ihrer annahm, und das Hospital zu Namur ihr einräumte. Mittlerweile kam der Kardinal von St. Sabina, der frühere Ordensprovinzial Hugo von St. Cher, als Legat nach Lüttich, um dort die Ordnung herzustellen. Kaum hatte er von der Verordnung des verstorbenen Bischofs Robert gehört, als er dieselbe sogleich erneuerte.
Das Gleiche tat sein Nachfolger Peter von Kapoch; allein trotz dessen hatte die Feier keinen Anklang. Nur die Stiftsherren von St. Martin ließen sich nicht irre machen, auch Juliana blieb bei ihrer Aussage stehen, dass gegen alle Widersprüche Gott doch noch ein Mittel habe, seinen Willen auszuführen. Mehrere Gegner des Festes wurden mit jähem Tode bestraft und so fand endlich die Feier des Festes in vielen Kirchen statt, wenigstens so lange als die beiden Legaten in Lüttich sich befanden. Nach ihrer Entfernung aber unterblieb sie wieder und es hatte den Anschein, als sollte das Verlangen der heiligen Dienerin Gottes nie zur Ausführung kommen.
Juliana fand endlich nach vielen schmerzlichen Leiden Ruhe in einer Zelle zu Fosses, welche ihr eine Klausnerin abgetreten hatte. Hier verlebte sie mit der treuen Schwester Ermentrude ihre letzten Lebenstage. Sie hätte gerne gewünscht, vor ihrem Hinscheiden ihre guten Freunde aus Lüttich, namentlich den Stiftsherrn Johannes, noch bei sich zu sehen, aber wie sie vorhergesagt, so geschah es.
Niemand kam, sie sollte ohne diesen Trost sterben. Für diese Welt war sie bereits erstorben; die großen Seelenleiden, mit denen sie Gott prüfte, hatten ihre Kräfte verzehrt. Von Tag zu Tag wurde sie schwächer und ohne Unterlass wiederholte sie die Worte: „Herr! Wann wirst du mich von diesem Leib befreien? Wann wirst du mich von diesem Jammertal erlösen? Wann wird mir die Gnade werden, dich von Angesicht zu Angesicht zu schauen?“ …
Sie hatte (…) vorausgesagt, dass dieses Fest nicht bloß in der Stiftskirche zu Lüttich, sondern auf dem ganzen Erdkreis gefeiert werde. „Die ganze Christenheit“, sprach sie eines Tages zu ihrer Freundin Eva, gerade zu der Zeit, wo alles gegen ihre Offenbarungen sich erhob, „die ganze Christenheit wird es aufnehmen, alle Gläubigen werden es zum Zweck ihres Triumphes und die ganze Kirche zum Gegenstand ihrer Anbetung machen. Es ist wahr, es wird sich noch manches entgegenstellen, aber wer ist wider Gott?“ Und was sie vorhergesagt, ist eingetroffen. Nach ihrem Tode schien der Eifer für das Fest so erkaltet, dass man hätte glauben sollen, es hatte noch gar nicht stattgefunden.
Papst Urban IV. bestätigt die Einführung des Festes in Lüttich
Da geschah es, dass der ehemalige Archidiakon Jakob Pantaleon unter dem Namen Urban IV. den päpstlichen Thron bestieg. Noch lebte die fromme Klausnerin Eva, die Erbin der Tugenden und des Eifers der heiligen Juliana, und noch befand sich der ehrwürdige Greis Johannes von Lausanne in Lüttich, und beide glühten noch immer für die Einführung des Festes, wofür Juliana so viel geduldet hatte.
Als die gottselige Eva hörte, dass der ehemalige Archidiakon Jakob Pantaleon Papst geworden, wandte sie sich, erleuchtet von oben, an mehrere Stiftsherren und ihren frommen und eifrigen Beschützer Johannes von Lausanne mit der Bitte, den Bischof von Lüttich, Heinrich von Geldern, zu bestimmen, dass er von dem neuen Papst die Bestätigung des heiligen Fronleichnamsfestes erlangen möchte. Johannes begab sich wirklich zum Bischof, und dieser ließ sich auch herbei, den Papst zu bitten: kraft seiner apostolischen Gewalt anzuordnen, dass in der ganzen Diözese Lüttich das von seinem Vorfahrer bereits angeordnete Fronleichnamsfest sollte gefeiert werden.
Urban IV. war darüber sehr erfreut; er erinnerte sich noch der frommen Dulderin Juliana und war im Herzen ihrem sehnlichen Verlangen, dieses Fest eingeführt zu sehen, schon lange zugetan. – Er gewährte die Bitte, und nun wurde das Fest im Jahre 1262 im ganzen Bistum Lüttich allgemein eingeführt.
Noch aber war die Weissagung der heiligen Juliana nicht erfüllt; die ganze heilige Kirche sollte das Fest begehen. Da tat Gott seinen Willen durch neue Wunder kund. Das größte davon ist das Wunder zu Bolsena, welches unter dem Namen „Messe von Bolsena“, bekannt ist.
Das Wunder von Bolsena
Papst Urban war wohl geneigt, die bereits im Bistum Lüttich übliche Feier für die gesamte Kirche einzuführen; bereits hatte er sich mit dem heiligen Thomas von Aquin beraten, dem er die Kardinalswürde anbot, der aber diese Würde ausschlug und dafür keine andere Gnade verlangte, als die, dass das Fest des Fronleichnams allgemein eingeführt werde; allein er war noch unschlüssig, ob er die Bulle hierüber erlassen sollte.
Er befand sich im Jahre 1264 zu Orvieto, als im nahen Städtchen Bolsena ein Priester während der heiligen Messe einen Tropfen des heiligen Blutes verschüttete, und nun sein Vergehen dadurch zu verbergen suchte, dass er das Tuch (Korporale), worauf der Tropfen gefallen war, zusammenlegte. Aber zu seinem größten Schrecken schlug das verschüttete heilige Blut durch das ganze Tuch hindurch, und ließ überall runde, blutrote Flecken in unverkennbarer Gestalt einer Hostie zurück. Der Priester konnte das Wunder nicht mehr verbergen; es wurde ruchbar und kam auch dem heiligen Vater zu Ohren.
Überzeugt von diesem offenbaren Wunder, wollte der Papst nun nicht länger zögern, die Bulle bezüglich der Einführung des hochheiligen Fronleichnamsfestes an die ganze Kirche zu erlassen. Zugleich beauftrage er den heiligen Bonaventura und den heiligen Thomas von Aquin, das göttliche Offizium zur gleichförmigen Feier des Festes zu verfassen. Beide heiligen Männer machten sich mit möglichem Fleiß an die Arbeit.
Als sie fertig geworden, bat der heilige Bonaventura den heiligen Thomas, seine Ausarbeitung vorzulesen. Während des Lesens wurde der heilige Bonaventura von der wundervollen Salbung und Kraft der Worte, die er vernahm, so ergriffen, dass er in der Stille seine Ausarbeitung, welche er geschrieben unter seinem Kleide verborgen trug, in Stücke zerriss, und als die Reihe des Vorlesens an ihn kam, die Stücklein Papier zeigte, und sagte: „Thomas war glücklicher als ich.“
Allgemeine Anerkennung seit dem Konzil von Vienne
Nachdem der heilige Vater die Bulle erlassen, wendete er all sein Ansehen an, um das Fest überallhin zu verbreiten. Er selbst feierte es in Gegenwart der Erzbischöfe, Bischöfe und anderer Prälaten der Kirche, und tat dieses der gottseligen Jungfrau Eva in einem eigenen Brief kund, den er an sie erlassen hatte. Diese heilige Klausnerin, welche so viele Jahre unablässig zum Herrn gefleht, dass die Offenbarung ihrer heiligen Freundin Juliana in Erfüllung gehen möchte, erlebte nun die Freude, das Fest im ganzen Bistum Lüttich gefeiert zu sehen, und zu hören, wie auch in andern Ländern dasselbe Eingang finde.
Bald nach Empfang des päpstlichen Briefes rief der Herr, nach einem Leben der strengsten Buße, zu sich, um ihr den Lohn ihrer Treue zu geben. Nicht lange danach starb auch Papst Urban IV. Gott ließ es zu, dass sein Nachfolger Klemens IV. wegen bejammernswerten Unruhen und Partei-Kämpfen in Italien nicht mit gleichem Eifer, wie seine Vorgänger, sich um die Feier des hochheiligen Fronleichnamsfestes annahm.
Vierzig Jahre lang gab es wenige Kirchen, außer Lüttich, wo es gefeiert wurde. So blieb es vernachlässigt bis zur Zeit des allgemeinen Konzils von Vienne, das im Jahre 1311 abgehalten wurde, und in welchem dreihundert Bischöfe, zwei Patriarchen, drei Könige und eine Menge Äbte und Gottesgelehrte versammelt waren. Hier ließ Papst Klemens V. die vom Papst Urban IV. gegebene Einsetzungs-Bulle wieder aufnehmen und bestätigen. Von nun an wurde das Fest allgemein gefeiert. Die feierliche Prozession aber, welche damit verbunden ist, ordnete Papst Johannes XXII. an.
Die Päpste unterließen auch nicht, den Eifer der Geistlichen und des Volkes durch Erteilung heiliger Ablässe anzuregen und bestätigten freudig die Bruderschaften, welche aller Orten zu Ehren des allerheiligsten Sakramentes entstanden. So hob sich dieses Fest, dessen Einsetzung Gott durch den Mund einer schwachen Jungfrau der Welt verkünden ließ, trotz der heftigsten Widersprüche von Jahrhundert zu Jahrhundert bis auf unsere Zeit zur höchsten Würde, und der Eifer des gläubigen Volkes auf der ganzen Welt in der feierlichsten Begehung derselben gibt laut Zeugnis, dass Gottes Hand hier sichtbar wirkte, und seine unaussprechliche Liebe das menschliche Geschlecht mit gleicher Zärtlichkeit umfasst. –
aus: Georg Ott, Legende von den lieben Heiligen Gottes, Bd. 1, 1904, S. 867 – S. 879