Das römische Recht in der Wirtschaftslehre

Unsegen des römischen Rechts in der Wirtschaftslehre

Der Kampf gegen die christlich-germanische Wirtschaftslehre ging von allen denjenigen aus, welche sich durch dieselbe in einer schrankenlosen Erwerbstätigkeit zum eigenem Genuss und zur Ausbeutung des Volkes behindert fanden.

Die mächtigste Waffe in diesem Kampf lieferte das neu geführte römische Recht, dessen volkswirtschaftliche Lehre im entschiedenen Gegensatz zu der christlich-germanischen stand. (1)

Nach römischer Auffassung hat jeder einzelne die Freiheit und die Berechtigung, ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl und den Nutzen der Nebenmenschen ausschließlich seinen eigenen Vorteil zu suchen, unbekümmert darum, ob andere dadurch zu Grunde gerichtet werden. Die Grundlage und der Rechtsgrund des Eigentums ist nicht, wie nach christlich-germanischer Auffassung, eine sittliche Herrschaft über die Sache zum Gebrauch für sittliche Zwecke, sondern einzig und allein die physische Herrschaft, deren Inhalt und Umfang lediglich durch den Willen des Eigentümers bestimmt wird. (2) Diese unsittliche Eigentumslehre des römischen Rechtes zerstörte das Gefühl der Gemeinschaft und hatte eine maßlose Entwicklung der Gewinnsucht zur Folge.

Nirgends gilt im römischen Recht die Arbeit als Erwerbsgrund des Eigentums; der Wert der freien Arbeit, die Unterordnung des einzelnen unter die Lebensaufgabe der Arbeit ist ihm gänzlich unbekannt, und darum ist nie die Rede von irgend einer freien Organisation der Arbeit und einer gerechten Verteilung des Arbeitsertrages. Die mühevolle Arbeit fällt den unterdrückten Sklaven zu, während die machthabenden Klassen besitzen und genießen. Das unbeschränkte Eigentumsrecht, die schrankenlose Verkehrsfreiheit und die alles überwuchernde Geldmacht führten zur Unterjochung der Besitzlosen durch die Besitzenden.

Je tiefer diese Rechtslehre des altheidnischen Sklavenstaates im Verlauf des 16. Jahrhunderts im deutschen Boden sich einwurzelte, desto größer wurden der Missbrauch des Eigentums, der Verfall der arbeitenden Klassen, der wirtschaftliche Rückschritt des ganzen Volkes. Nicht allein das gewerbliche Leben, sondern auch der Entwicklungsgang der bäuerlichen Verhältnisse wurde gewaltsam gestört. (3)

Aber weit über das Gebiet der Volkswirtschaft hinaus erstreckten sich die schädlichen Wirkungen des neu eingeführten Rechtes. Auch in das kirchliche und in das politische Leben griff dieses der deutschen Denkungsart in wesentlichen Grundzügen widerstreitende Recht störend und zerstörend ein. Überall der Eigenmacht Vorschub leistend und die Unterdrückung des Volkes durch fürstlichen Absolutismus begünstigend, untergrub es im Reich die Grundfesten des deutschen Rechtes und der deutschen Verfassung.

Anmerkungen:

(1) Dem römischen Recht ‚dient die Anerkennung des vollständigsten Geoismus zur Grundlage‘. So Endemann, Nationalökonomische Grundsätze 196.
(2) Vermöge der unbeschränkten und ausschließlichen Herrschaft kann der Eigentümer sein Eigentum nach Willkür gebrauchen oder auch zwecklos liegen lassen, selbst zerstören; nicht einmal gegen Bedürftige hat er irgend eine rechtliche Verpflichtung.
(3) Zur näheren Erläuterung fügen wir noch einige Sätze neuerer Juristen an. ‚Das römische Recht kennt nirgends die Hingabe der Person an einen wirtschaftlichen Zweck. Die materiellen Güter, vor allem das Geld, der Inbegriff aller Güter, sind Gegenstände des Besitzes und des Genusses. Rastloses Streben nach Geld und Gut drängt sich überall hervor, aber nur um des Besitzes und des Genusses willen. Das Eine aber fehlt bei der übermäßigen Wertschätzung der objektiven Güter: der Sinn, darin zu erkennen und zu achten, was die materiellen Güter schafft. Der sittliche und rechtliche Begriff wirtschaftlicher Arbeit mangelt ganz und gar‘. Endemann 196. Wie das Volk, so das Recht. ‚Der Geist des Volkes und der Geist der Zeit ist auch der Geist des rechtes.‘ Ihering, Geist des römischen rechtes 1, 45. ‚Hinsichtlich des faktischen und sittlichen Elementes enthält das römische Recht nur einen genauen Ausdruck der römischen Kultur überhaupt: es ist um kein Haar breit besser oder schlechter als diese selbst. Den Lebensverhältnissen ist es auf dem Fuß nachgegangen und hat ihnen trotz feiner Abstraktion doch nur eine präzise juristische Form gegeben.‘ Arnold, Cultur und Recht der Römer 464. Das römische Volk war seit den punischen Kriegen ‚ein Geld- und Handelsvolk‘, sein Leben ging ‚in Geldgeschäften, Spekulation und Bankwesen auf‘. S. 257. ‚Alles ging auf Erwerb und Gewinn aus, der Eigennutz verdrängt den Gemeinsinn, die individuelle Freiheit löst die Bande der Familie auf.‘ S. 258.

‚Das ganze Volk war ein Handelsvolk geworden, und darum musste auch sein recht dem Handel dienstbar werden.‘ ‚Der Verkehr zog das ganze Privatrecht ins eine Bahnen und drückte ihm ein handelsrechtliches Gepräge auf.‘ S: 287. Die großartige Ausdehnung des Handels half ’nur das Missverhältnis von Reich und Arm vergrößern‘. S. 38. ‚Mochte der Reichtum ins Ungeheure steigen, sein Anwachsen beschleunigte nur das allgemeine Verderben; einzelne wenige schwelgten, die Menge musste darben.‘ S. 36. ‚Wie die römische Geschichte mit der Geldwirtschaft beginnt, so hat sie auch damit aufgehört: bares Geld und nur bares Geld – das ist der Anfang und Ende der römischen Kultur.‘ S. 38. ‚Das Kapital führte in Rom einen ähnlichen Krieg gegen die Arbeit wie heutzutage.‘ S. 34. ‚Der kleine Bauer war ausgekauft, die alten Erbgüter verschwanden, und die früheren Eigentümer sanken zu verschuldeten Pächtern oder Tagelöhnern der Kapitalisten herab.‘ S. 34. –

Je mehr in den deutschen Städten der Handel und die Kapitalwirtschaft ähnliche Verhältnisse schufen, wie sie in Rom bestanden, ums o mehr musste man ein ‚tief gefühltes Bedürfnis‘ nach der Einführung des römischen Rechtes empfinden. Vgl. bei Bruder 33, 702-724 das Kapitel über ‚das Receptions-Phänomen in ökonomischer Hinsicht‘. Man gewann eine besondere Vorliebe für das römische Recht auch deshalb, weil es dunkel widersprechend und wenig bekannt war, so daß man mit Hilfe eines feilen, schlauen Advokaten alle Aussicht hatte, unter Berufung auf das römische Recht Unrecht stets in Recht verdrehen zu können. In den Städten bildete sich, sagt Hagen, Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse 1, 17, durch den Handel, die zunehmenden Bedürfnisse und die Befriedigung von Genüssen aller Art ‚eine ganz andere Ansicht vom Leben und von der Welt, als es die rigorose Moral des Mittelalters verlangte‘. Kiesselbach, Social-politische Studien 124; betont: ‚Es wäre ein großes Verdienst der historischen Rechtsgelehrsamkeit, wenn einmal ein befähigter Kopf es im Einzelnen nachweisen wollte, wie das Herüberziehen des römischen Rechtes in die ganz anders geartete deutsche Welt nicht nur die Entwicklung des selbständigen deutschen Privatrechtes zersetzt, sondern auch nach und nach den bisherigen Bau der Gesellschaft und damit des Staates selbst gewaltsam zerstört hat.‘ –
aus: Johannes Janssen, Zustände des deutschen Volkes, Bd. 1, Deutschlands allgemeine Zustände beim Ausgang des Mittelalters, besorgt von Ludwig von Pastor 1913, S. 513 – S. 516

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