Eroberungen der Türken seit 1453

Die Eroberungen der Türken seit 1453 im christlichen Abendland

Solange das Kaisertum inmitten Europas unerschüttert fortbestand und die Reichsgrenzen unantastbar waren für jeden äußeren Feind, konnten die christlichen Völker ihre gemeinsame Aufgabe nach außer erfüllen. Sie drängten im Zeitalter der Kreuzzüge den Islam zurück, der ganz Europa zu verschlingen drohte, und pflanzten die christliche Fahne inmitten des Gebietes der Mohammedaner auf; sie gründeten ihre für die Entwicklung der europäischen Kultur so folgenreiche Machtstellung im Orient. Dem unmittelbaren Eingreifen des Kaiserreiches können allerdings die dort errungenen Erfolge nicht vorzugsweise zugeschrieben werden, allein die Kreuzzüge wären unmöglich gewesen, wenn nicht während derselben das Kaisertum für die Aufrechterhaltung der europäischen Staatenordnung eine sichere Bürgschaft geboten hätte.

Der Grundgedanke der Kreuzzugspolitik gegen die Türken

Der Grundgedanke der ganzen Kreuzzugs-Politik: ‚Friede und Einigkeit unter den christlichen Völkern behufs Vereinigung ihrer Gesamtstärke zum Kampf gegen den gemeinsamen Glaubensfeind‘, war nur durchführbar, weil die Macht und Festigkeit des Kaisertums jeden eroberungsgierigen Staat des Abendlandes daran hinderte, die durch die auswärtigen Unternehmungen in Anspruch genommenen christlichen Völker in der Heimat zu bedrängen. Frankreich stand im Orient in erster Reihe gegen den Glaubensfeind, solange das Kaisertum seiner Eroberungslust im Abendland einen festen Damm entgegen setzte. Später, als der Verfall der kaiserlichen Macht ihnen in der Heimat Gebietserweiterungen und Übergriffe mannigfacher Art ermöglichte, wußten die französischen Könige oft genug die Bedrängung der christlichen Welt durch den Halbmond für ihre Sonderzwecke auszubeuten. Mit dem Verfall des Kaisertums erlahmten gleichzeitig die Anstrengungen der Christenheit zur Behauptung ihrer Stellung im Orient. (1)

(1) Ernste Geister betrachteten die Türkengefahr als eine Strafe und Heimsuchung für die Schäden in der Christenheit und hofften davon für eine Läuterung der Kirche; vgl. über die Visionen Dionysius‘ des Kartäusers vom Jahre 1461 Rohr, Die Prophetie 39.

Zerfall des Kaisertums und Schwächung der päpstlichen Macht

Was der Zerfall des Kaisertums und die Schwächung der päpstlichen Macht für die christlichen Völker bedeutete, lernte man besonders im 15. Jahrhundert kennen, seitdem die Türken im Jahre 1453 Konstantinopel erobert und mit dem byzantinischen Reich das stärkste christliche Bollwerk umgestürzt hatten. (siehe den Beitrag: Die türkische Herrschaft unter Mohammed II.) Während Sultan Mohammed ‚als Beherrscher zweier Meere und zweier Erdteile‘ den ganzen Bestand der europäischen Zivilisation in Frage stellte, war der Kaiser, ‚der geborene Schutzherr der Christenheit gegen den gemeinsamen Glaubensfeind‘, an Macht so lahm gelegt, daß er, auch wenn er kräftigeren Willen und Mut gehabt hätte, als Friedrich III. besaß, gegen die wütenden Einbrüche der Türken keinen dauernden Widerstand leisten konnte. Weil ‚mit dem Kaisertum der zusammen haltende Eckstein des gemeinen Wesens gebrochen war‘, und die europäischen Machthaber, von Sonderansprüchen geleitet, taub gegen die Mahnungen des Heiligen Stuhles sich gegenseitig bekämpften, so waren alle heldenmütigen Anstrengungen der Päpste Nikolaus V., Calixtus III. und Pius II. zur Befreiung Europas von der Schmach türkischer Herrschaft ohne Erfolg.

Was Papst Pius II. eindringlich sagte

„Wir haben Konstantinopel von den Türken erobern lassen“, mahnte Pius II., „und die Waffen dieser Barbaren dringen bis an die Donau und Save. Unter uns selbst können wir kämpfen, nur die Türken lassen wir schalten und walten. Um kleiner Ursachen willen ergreifen Christen gegen einander die Waffen und schlagen blutige Schlachten; gegen die Türken, die unsern Gott lästern, unsere Kirchen zerstören, den christlichen Namen ganz auszurotten trachten, will niemand die Hand erheben. Man meint wohl: das seien geschehene, nicht mehr zu ändernde Dinge; von nun an werde man Ruhe haben: als ob von einem Volk, welches nach unserem Blut dürstet, welches nach Unterwerfung Griechenlands das Schwert schon in die Seite Ungarns gesetzt hat, Ruhe zu hoffen, von einem Gegner wie Sultan Mohammed Friede zu erwarten wäre! Gebt doch diesen Glauben auf! Mohammed wird nie anders denn als Sieger oder gänzlich Besiegter die Waffen nieder legen. Jeder Sieg wird ihm die Stufe zu einem zweiten sein, bis er nach Bezwingung aller Könige des Abendlandes das Evangelium gestürzt und aller Welt das Gesetz seines falschen Propheten auferlegt haben wird.“

Serbien war bereits im Jahre 1458 eine türkische Provinz geworden; im Jahre 1460 wurde der Peloponnes unterworfen; im Jahre 1461 dem trapezuntischen Kaiserreich ein Ende gemacht; im Jahre 1463 wurde Bosnien und Slawonien unterjocht, und die Türken fochten siegreich gegen die Venetianer.

Pius II. predigte nochmals das Kreuz gegen die Türken

Da predigte Pius noch einmal das Kreuz und wollte sich, obgleich kränklich und altersschwach, persönlich an die Spitze der Kreuzfahrer stellen.

„Jedes Jahr“, sagte er, „verheeren die Türken irgend ein christliches Land. Sollen wir die Herrscher ermuntern, unsern bedrängten Kindern zu helfen und den Feind von unsern Grenzen zu treiben? Wir haben es schon oft genug, aber immer fruchtlos getan. Umsonst ist unser Zuruf: Geht! Erschollen vielleicht bringt der Ruf: Kommt! Bessere Wirkung hervor. Daher bin ich willens, in Person gegen die Türken zu ziehen und die christlichen Fürsten durch die Tat und mit Worten zur Befolgung meines Beispiels aufzufordern. Wenn sie ihren Lehrer und Vater, den römischen Papst und Stellvertreter Christi, einen kranken und hinfälligen Greis, in diesen Krieg ziehen sehen, so schämen sie sich vielleicht, zu Hause zu bleiben.“

„Rüstet euch doch endlich“, rief er den Machthabern zu, „und weil ihr nicht ohne uns habt gehen wollen, so geht mit uns! Ergreift Schwert und Schild und helft uns, oder vielmehr euch selbst und der ganzen Christenheit!“

Er forderte jeden Christen zum Heerzug auf.

„Denke an deine Nächsten und deine christlichen Brüder, die entweder schon in der türkischen Gefangenschaft sind oder in dieselbe zu geraten täglich fürchten müssen. Wenn du ein Mensch bist, so lasse dich durch das menschliche Gefühl bestimmen, denjenigen Hilfe zu bringen, die das Unwürdigste erdulden müssen; wenn du ein Christ bist, so gehorche der evangelischen Wahrheit, die dir den Bruder wie dich selbst zu lieben befiehlt! Betrachte das Elend der Gläubigen, gegen welche die Türken wüten: Söhne sind aus den Armen der Väter, Kinder vom Schoß der Mutter entrissen, Gattinnen vor den Augen ihrer Männer entehrt, Jünglinge gleich dem Vieh vor die Pflugschar gespannt! Erbarme dich deiner Brüder, und wenn du dich ihrer nicht erbarmst, erbarme dich deiner selbst: denn dich selbst kann ein ähnliches Los treffen, und wenn du dich derer nicht annimmst, die vor dir wohnen, so werden dich auch die verlassen, welche hinter dir wohnen. Ihr Deutsche, die ihr den Ungarn nicht beisteht, hofft nicht auf die Hilfe der Franzosen, und ihr Franzosen rechnet nicht auf die Hilfe der Spanier, wofern ihr den Deutschen nicht helft! Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man wieder messen. Was das Zusehen und Warten fruchtet, haben die Kaiser von Konstantinopel und Trapezunt, die Könige von Bosnien, von Rascien und andere Fürsten erfahren, die alle, einer nach dem andern, überwältigt und umgekommen sind. Nachdem Mohammed die Herrschaft des Orients erlangt hat, will er die des Okzidents erringen.“ (Raynaldi Annales ad a. 1463 nr. 29-40.)

Endlich geriet das Abendland in Bewegung

Das ganze Abendland geriet durch die Kreuzpredigt des Papstes in Bewegung. Aber es waren nur ungeordnete Haufen, meist ohne Waffen, nicht selten ohne Mittel, welche aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich zum Zuge herbei eilten; die Fürsten blieben untätig und zwieträchtig. Das ganze Unternehmen löste sich auf mit dem Tod des Papstes, der allein dessen Seele gewesen war.

Der Vorstoß der Türken in Kroatien und Kärnten

Die Angriffszeit verblieb dem Osmanentum. Im Jahre 1469 brachen die Türken zuerst in Kroatien und in die österreichische Landschaft Krain ein; im Jahre 1473 wurde Kärnten heimgesucht. Allenthalben im Lande wurden die Dörfer ausgeraubt und angezündet, die Felder verwüstet, die Menschen erwürgt. ‚Man sah überall zerhackte Körper, die Zäune voll angespießter Kinder, das Erdreich strömend von Christenblut.‘ türkische Heereshaufen, welche der Pascha von Bosnien aussandte, durchzogen alljährlich raubend und mordend die deutschen Grenzländer bis Salzburg. Im Jahre 1478 machten solche einen Einbruch in Italien und verwüsteten die Ebene zwischen dem Isonzo, dem Tagliamento und der Piave. Schon traten christliche Mächte mit den Türken in Verbindung und bedienten sich derselben gegen ihre Feinde. Schon wurden türkische Scharen durch den König Ferdinand von Neapel im Jahre 1478 ins venetianische Gebiet gewiesen, und zwei Jahre später gaben die Venetianer aus Hass gegen Ferdinand dem Sultan einen Entwurf an die Hand, um das Königreich Neapel zu erobern. Sie geleiteten mit ihrer Flotte türkische Schiffe, welche im Juli 1480 ein großes Heer bei Otranto in Apulien ans Land setzten. Von den 22000 Einwohnern Otrantos wurden 12000 nieder gemetzelt, die anderen in die Sklaverei geschleppt; der Erzbischof, der mit dem Kreuz in der Hand die Bürger zur Beharrlichkeit im Glauben ermuntert hatte, wurde entzwei gehauen. ‚Wir werden aus allen Christen‘, rühmte Mohammed, ‚Sklaven machen zur Ehre des Propheten.‘ Feierlich hatte er gelobt: Rom, die Hauptstadt des Abendlandes, ‚unter seine Füße zu bringen‘, aber sein im Jahre 1481 erfolgter Tod und die in seiner Familie ausbrechende Uneinigkeit verhinderten für die nächste Zeit weitere Eroberungen. ‚Die ganze Christenheit‘, sagt ein Annalist, ‚wäre in Mohammeds Gewalt geraten, hätte Gott nicht geholfen.‘

Papst Sixtus IV. und die Wiedereroberung von Otranto

Papst Sixtus IV. erließ, als die Türken ihm auf der Ferse saßen, Friedens-Ermahnungen an alle christlichen Fürsten, insbesondere an die italienischen Staaten, und söhnte sich mit den Florentinern, mit welchen er im Streit lag, zum guten Beispiel für andere aus; päpstliche Schiffe halfen bei der Wiedereroberung Otrantos. Unter seinen Nachfolgern Innozenz VIII. und Alexander VI. hatte aber die Christenheit ‚vom päpstlichen Stuhl wenig Hilfe gegen den Glaubensfeind‘. Denn die in Italien herrschende eigensüchtige Kabinettspolitik, die üppige Weltlust und Verdorbenheit hatte unter diesen Päpsten ‚auch den römischen Hof erobert‘.

Deutschland war während der letzten Jahrzehnte der Regierung Friedrich III. ‚immer größeren Bedrängnissen von Seiten der Türken ausgesetzt.‘ Bis zum Jahre 1492 drangen diese fünfmal in Steiermark, sechsmal in Kärnten, siebenmal in Krain ein, und im Jahre 1493, in demselben Monat, in welchem Friedrich aus dem Leben schied, überzogen sie von neuem Steier und Krain und schleppten 10000 Christen als Sklaven fort. –
aus: Johannes Janssen, Zustände des deutschen Volkes, Bd. 1, Die Revolutionspartei und ihre Erfolge bis zum Wormser Reichstage von 1521, besorgt von Ludwig von Pastor 1913, S. 614 -S. 619

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