Erasmus von Rotterdam und sein Leben

Die jüngeren Humanisten

Erasmus von Rotterdam

und sein Leben

Der jüngere deutsche Humanismus, in Wesen und Wirksamkeit grundverschieden von dem älteren, war der Urheber einer folgenschweren Revolution auf geistigem Gebiet.
… Ihr wesentlichster Gründer und ihr höchstes Vorbild war Erasmus von Rotterdam.

Gründer: Erasmus von Rotterdam

Desiderius Erasmus von Rotterdam, unter den unglücklichsten Verhältnissen geboren (1), in früher Jugend verwaist, von habsüchtigen Vormündern in seinem Erbe übervorteilt, hatte ohne allen inneren Beruf bei den Augustinern zu Stein, in der Nähe von Gouda, die klösterlichen Gelübde abgelegt. Er hegte seitdem zeitlebens einen tiefen Groll gegen das Ordenswesen der Kirche. Im Jahre 1491 verließ er sein Kloster (2) und zog Jahrzehnte hindurch ruhelos und unbefriedigt in der Welt umher: bald erklärte er, in England dauernd sich niederlassen zu wollen, bald in Frankreich, bald in Italien, bald in den Niederlanden, bald in Burgund; sogar Polen und Spanien kamen als die Länder zur Sprache, wo er seine Tage beschließen wollte.

(1) In einem bei Vischer, Erasmiana 26 abgedruckten Schreiben des Papstes Leo X. vom 26. Januar 1517 heißt es über Erasmus: „Ex illicito, et, ut timet, incesto (vielleicht incestuoso?) damnatoque coitu genitus.“ Daß sein Vater Geistlicher gewesen, folgt daraus nicht, sondern nur, daß die nicht verehelichten Eltern in einem nach kirchlichem Recht zu nahen Verwandtschafts-Grade gestanden. Der Familienname des Erasmus war wahrscheinlich Roger oder Rogers, wie Vischer 30 aus der Aufschrift eines päpstlichen Breve folgert; aber dieser Name war wohl nicht der des Vaters, sondern der der Mutter, nach welcher der Sohn benannt wurde.
(2) Eigenmächtig hatte er später sein Ordensgewand abgelegt und war dadurch der Exkommunikation verfallen. Auf seine „demütige Bitte“ an Papst Leo X. erhielt er, in dessen Auftrag, Absolution durch Andreas Ammonius, päpstlichenLegaten in England. Vischer 28. Er erhielt die Erlaubnis, inskünftig als Weltgeistlicher zu leben und sich zu kleiden.

Das Verhältnis von Erasmus zum Priestertum

Frühzeitig schon begegnet man der Klage, daß der so gelehrte Erasmus, obgleich Priester, fast niemals die heilige Messe lese, sie selten höre; das Breviergebet lächerlich finde und über die Fasten- und Abstinenzgebote der Kirche wie über ein unerträgliches Joch sich öffentlich und ohne Scheu hinwegsetze“. Er gebe dadurch „ein um so größeres Ärgernis, weil er so wissenschaftlich gebildet und so einflußreich auf die Jugend sei und durch sein Beispiel gleichsam den Grundsatz predige: für die Gelehrten seien die kirchlichen Gebote überflüssig oder gar verächtlich. Als ihn einmal sein Ordensprior dringend zur Rückkehr ins Kloster aufforderte, gab Erasmus in einem fast höhnenden Ton zur Antwort: „er sei weder körperlich noch geistig zum Klosterleben geeignet; die Klöster hätten früher der Welt zum Heile gereicht, jetzt dagegen sei ihr Bestehen Ursprung und Grund des herrschenden Verderbens; Christentum und Frömmigkeit seien weder an irgend einen Orden noch an irgend eine Lebensart gebunden; die ganze Welt sei nach Christi Lehre für Eine Familie, gleichsam für Ein Kloster zu halten. Lobe man doch die Wanderfahrten eines Solon, Pythagoras und Plato; auch die Apostel, besonders Paulus, seien in der Welt umher gezogen; er, Erasmus, werde in jedem Lande willkommen geheißen, jedes Land lade ihn gastfreundlich sein.“ Über seinen sittlichen Wandel hegte er sehr günstige Vorstellungen. „Der vertraute Umgang mit weisen Männern“, schrieb er dem Prior, „habe ihn besser gemacht; Geldgeiz sei seine Sache nicht; von Ruhmsucht besitze er auch nicht ein Fünkchen; von sinnlichen Lüsten sei er allerdings angesteckt gewesen, doch habe er denselben niemals als Sklave gedient; Trunkenheit und Schwelgerei seien seiner Natur zuwider.“

Der Broterwerb von Erasmus

An Lastern letzterer Art hinderte ihn schon, hätte er auch nicht überhaupt alles Rohe im äußeren Leben gemieden, sein fein gebauter, schwächlicher Körper; ernste Aszese aber hat ihm keiner seiner Verehrer nachgerühmt, vielmehr glaubten manche derselben, daß der Genuß schwerer Weine, die er liebte, Schuld trage an seinen häufigen Steinschmerzen. Was seine „Verachtung des Geldes“, mit welcher er so häufig prunkte, anbelangt, so suchte er allerdings keineswegs Geld um des Geldes willen, aber er hielt fest an dem Grundsatz, daß ein kluger und umsichtiger Mann so viel erwerben und bewahren müsse, um jeglichen Unfall des Glückes und jegliche Beschwerlichkeit leicht ertragen zu können. Den Erwerb machte er sich so leicht wie möglich. Das Almosensammeln der Bettelmönche erachtete er „für unwürdig eines freien Mannes“; die Übernahme irgend eines Amtes, welches ihm mit bestimmten Pflichten auch einen bestimmten Unterhalt geboten hätte, wies er als „unverträglich mit seiner Unabhängigkeit“ weit von sich.

Dagegen fand er es keineswegs unter seiner Würde, Prälaten, Fürsten, Grafen und Herren, oft unter Schmeicheleien niedrigster Art, um Jahrgehälter und Geldgeschenke anzubetteln und sich durch lobspendende Zueignungs-Schriften den klingenden Dank reicher Leute zu verdienen. Derbe Zurechtweisungen, die er wegen „gehässiger Bettelhaftigkeit“ sich zuzog, taten seinem Erwerbseifer keinen Eintrag. Schließlich waren seine Vermögens-Verhältnisse so günstig gestellt, daß er jährlich die nach damaligem Geldwert außerordentliche Summe von 600 Dukaten verausgaben konnte und außer einem „fast königlichen Schatz“ an goldenen und silbernen Bechern und kostbaren Münzen nicht weniger als 7000 Dukaten hinterließ. „Meine Schränke“, schrieb er, „sind gefüllt mit Geschenken an schön gearbeiteten Pokalen, Flaschen, Löffeln, Uhren, deren einige aus gediegenem Gold, die Ringe lassen sich kaum zählen.“

Das „literarische Schweifwedeln“ vor Fürsten und Vornehmen, um Gunst und Gaben zu erwerben, das Unwesen der widerlich schmeichlerischen Zueignungen auch der unbedeutendsten Schriften an hohe Gönner kam durch Erasmus bei dem jüngeren Geschlecht der Humanisten ziemlich allgemein in Gebrauch. Nicht minder aber vererbte sich auf dasselbe jene Eitelkeit und Selbstüberschätzung, die bei Erasmus schon in früher Jugend hervor tritt und bis ins Alter ihm eigen blieb.

Eitelkeit und Selbstüberschätzung

Diese Selbstüberschätzung wurde durch die Lobeserhebungen genährt, welche ihm ebenfalls schon in früher Jugend zu teil wurden und ihn derart verblendeten, daß er sein Urteil in allen Dingen für maßgebend hielt und in einer oft seltsamen Reizbarkeit und Empfindlichkeit aufbrauste, wenn dasselbe irgendwie angefochten wurde oder wenn seine Schriften gar Tadel und Widerlegung erfuhren…

Unter den italienischen Humanisten war die Lästersucht längst Mode geworden; Erasmus trug durch sein Vorgehen viel dazu bei, daß sie auch in Deutschland in Aufnahme kam und als selbstverständlich und ehrbar angesehen wurde. Man handelte nach dem Wahlspruch des Laurentius Valla: „Der Streit mag schändlich sein, aber dem Gegner zu weichen, erscheint noch schändlicher.“ Nur in einem Punkt übertraf Erasmus seine italienischen Vorbilder. Diese schimpften und lästerten, aber sie hielten sich frei von jenen frömmelnden Redensarten, in die Erasmus sich nicht selten einhüllte, nachdem er dem Gegner den Dolch ins Herz gestoßen hatte.

Erasmus übte auf seine Zeit eine große Einwirkung aus (1).

(1) Man kann diese nur vergleichen mit derjenigen Voltaires im 18. Jahrhundert. Man hat Erasmus wohl den Voltaire der Renaissance genannt; die Schattenseiten seines Nachbildes waren freilich viel düsterer.

Widerwille gegen Volkstümlichkeit

… Um nicht die Reinheit und Feinheit der guten Latinität zu verlieren und um sein ganzes Denken zu latinisieren, wies er jede lebende Sprache als verderblich oder als zu gemein zurück.

Auch hierin wurde er Vorbild der jüngeren deutschen Humanisten, welche, im Gegensatz zu der älteren Schule, ihre Muttersprache als eine altfränkische, barbarische verachteten und verspotteten und deshalb dem Volk als eine eigene abgesonderte Kaste gegenüber traten.

Während aber Erasmus in selbst gefälliger und gespreizter Stuben-Gelehrsamkeit mit seinem ganzen Leben, Sinnen und Denken dem Volk gänzlich fern stand, trug er doch keine Scheu, die fromme Andacht des Volkes in liebloser und unedler Weise zu bespötteln, zu verhöhnen und zu verzerren. Die seinem zweifelsüchtigen und leichtfertigen Sinn ganz unverständliche Volksandacht gab er für Aberglauben aus, über den ein „frei denkender Geist“ erhaben sei. Dabei aber war er selbst so abergläubisch, daß er aus astrologischen Wahngebilden die Gründe kennen lernen wollte, weshalb seine Zeit so reich an Streitigkeiten sei. –
aus: Johannes Janssen, Zustände des deutschen Volkes, Bd. 2, Die Revolutionspartei und ihre Erfolge bis zum Wormser Reichstage von 1521, besorgt von Ludwig von Pastor 1915, S. 8 – S. 16

siehe auch den Beitrag: Erasmus von Rotterdam und seine Theologie

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