Wer der Vernunft und Wahrheit nachgeht muss glauben
Wir kannten einen Priester von nicht geringem Wissen und von noch größerer Schlagfertigkeit. Dieser fuhr einst auf dem Dampfschiff über den Bodensee. Es war an einem Feiertag, und das Schiff war überfüllt. Zwei Herren aus der Gesellschaft wollten die Gelegenheit benutzen, um ihn und seinen Köhlerglauben vor der ganzen Menge lächerlich zu machen. Sie kamen aber an den Unrechten. Sie sprachen absichtlich laut, damit sich alles herbei dränge, um bei der Niederlage des Glaubens Zeuge zu sein. Da sprang der Herausgeforderte, rasch entschlossen, um besser verstanden zu werden, auf ein Faß, das eben da stand, und ging von der Verteidigung zum Angriff über. Wir sind hier auf einem Schiff, nicht wahr? Ja. Das Schiff bewegt sich, nicht wahr? Natürlich. Das Schiff bewegt sich aber nicht selber, sondern durch die Maschine, nicht wahr? Ja, wollte zum dritten Mal der eine der Herausforderer antworten. Sag nein, rief ihm voll Angst sein Begleiter zu, sonst fängt er dich, du wirst es sehen. Dem andern kam das aber doch gar zu unvernünftig vor, und er sagte ja. Nun gut, die Maschine ist aber nicht von selber entstanden, sondern ein denkender, ein sehr verständiger Geist hat sie gemacht, nicht wahr? Ja. Und obschon sie gemacht ist, würde sie sich nicht bewegen, wenn sie nicht ein denkender, ein sehr überlegener Geist in Bewegung setzte, nicht wahr? Ja. Und auch wenn sie in Bewegung ist, würde sie das Schiff nicht an das beabsichtigte Ziel führen, wenn nicht wieder ein denkender, ein mächtiger Geist die Maschine leitete, nicht wahr? Ja freilich. Nun gut, auch dieses Weltall ist eine Maschine, nur viel großartiger und verwickelter als diese kleine Nussschale hier im See, nicht wahr? Ja. Geben Sie dann zu, daß auch über diese große Maschine ein sehr überlegener, ein sehr denkender, ein sehr mächtiger Geist herrschen muss, ohne den sie nicht wäre, ohne den sie nicht in Bewegung käme, ohne den sie nie und nimmer ihr Ziel erreichte? Ja allerdings. Siehst du, was ich dir gesagt habe? Fiel ihm da abermals sein Freund ins Wort. Jetzt bist du gefangen. Da hast du`s. Warum hast du zuerst ja gesagt? Wer diesem Pfaffen einmal nachgibt, der ist verloren. Und zornig ging er hinweg.
Er war einer von denen, über die der Geist Gottes das harte Wort spricht: Er verzichtet auf den Verstand, um nicht danach handeln zu müssen. (Ps. 35, 4) Es fehlt bei diesen Leuten an der Liebe zur Wahrheit. (2. Thess. 2, 10). Der arme Mann ärgerte sich über seinen Freund, daß dieser dem Pfaffen, wie er sagte, auch nur in einem einzigen Stück recht gegeben hatte. Sein Zorn traf aber in Wirklichkeit nicht den Freund und nicht den Pfaffen, sondern die Wahrheit und die Vernunft. Was er mit seinem rohen Ausdruck sagen wollte, war dies: Wer der Vernunft nachgeht und der Wahrheit aufrichtig Zeugnis gibt, der muss sich zuletzt dem Glauben ergeben und die Offenbarung anerkennen, vorausgesetzt, daß er konsequent und treu bleibt und daß er sich der Wahrheit und der Vernunft bei jeder neuen Anforderung, die sie an ihn stellt, ebenso unumwunden unterwirft wie dass erste Mal. Die beste Vorschule für den Glauben ist, mit einem Wort, der gute Gebrauch der Vernunft. –
aus: Albert M. Weiß, Apologetik, Bd. 1, 1905, S. 85 -86