Der Untergang des griechischen Reiches (1453) – Teil 2: Die türkische Herrschaft unter Mohammed II. (1451-1453)
Mohammed II., grausamer Beherrscher des Osmanenreiches
Murad II. Sohn, Mohammed II., war zweiundzwanzig Jahre alt, als der Tod seines Vaters, dem er zweimal den Thron wieder hatte einräumen müssen, ihn zum unbestrittenen Beherrscher des Osmanenreiches machte… seine ungewöhnliche Geisteskraft und Willensstärke dienten nur der maßlosesten Herrschbegierde und Eroberungssucht; dabei war er grausam, blutdürstig, arglistig und treulos, von ungezügelter Leidenschaft verzehrt und in schmachvolle Wollust versunken.
Hatte sein Vater, dem mit Johann VII. geschlossenen Vertrag getreu, sich mit der Vasallenschaft des griechischen Kaisers begnügt und nach Johanns Tod (1448) dessen Bruder und rechtmäßigen Nachfolger Konstantin XII., dem Johann das sogenannte Despotat von Lakonien hatte überlassen müssen, willig als Kaiser anerkannt, so war Mohammed II. entschlossen, der Scheinexistenz des byzantinischen Reiches ein Ende zu machen und seinen Herrschersitz in Konstantinopel aufzuschlagen.
Um die Schifffahrt auf dem schwarzen Meer sperren zu können und einem Heer aus Asien den Übergang zu erleichtern, ließ er dicht bei Konstantinopel eine starke Festung bauen, und nachdem dadurch, wie er voraus gesehen und gewünscht, Reibungen zwischen ihm und dem byzantinischen Hof entstanden waren, erklärte er im September 1452 dem Kaiser Konstantin den Krieg und erschien im März 1453 mit einem Heer von zweimal 160.000 Mann vor den Mauern von Konstantinopel.
So wenig Konstantin XII. auch hoffen durfte, den Sturz des Reiches aufhalten zu können, so war er doch entschlossen, den Kampf um dasselbe aufzunehmen und lieber als Kaiser in mutvoller Verteidigung seiner Hauptstadt zu sterben, als feige zu weichen. Um durch die Vermittlung des Papstes die Hilfe des Abendlandes zu erlangen, erklärte er sich bereit, die von seinem Vorgänger aufgegebene Union vollziehen zu lassen, und trotz aller Täuschungen, deren sich das byzantinische Hof gegen den römischen Stuhl schuldig gemacht, sandte Papst Nikolaus V. zu diesem Zweck einen Legaten nach Konstantinopel.
Als derselbe jedoch am 12. Dezember 1452 das Fest der Union in der Sophienkirche in Gegenwart des Kaisers, vieler Großen und von nahezu dreihundert Geistlichen feierte, erwachte der alte Hass der Griechen gegen das abendländische Kirchentum in seiner vollen Stärke. Die hauptsächlich durch die schismatischen Mönche fanatisierte Menge durchzog schreiend und tobend unter Verwünschungen gegen die Anhänger Roms die Straßen, während die Gegner der Union unter der Geistlichkeit und den Vornehmen die Sophienkirche als entweiht nicht mehr besuchten und laut erklärten: sie verzichteten auf die Hilfe des Abendlandes und wollten lieber türkisch als lateinisch sein.
Die verblendete Bevölkerung von Konstantinopel
Mit der gleichen Verblendung, mit welcher die Bevölkerung von Konstantinopel sich der Aussöhnung mit dem Papst widersetzte, entzog sie auch dem bedrängten Kaiser ihre Mitwirkung in der Verteidigung seiner Hauptstadt. Die Reichen versteckten ihre angesammelten Schätze, statt sie dem Kaiser zur Anwerbung von Truppen zur Verfügung zu stellen, und unter den dreimal 100.000 Bewohnern, die Konstantinopel damals zählte, fanden sich kaum 5.000 waffenfähige Bürger. Mit dieser kleinen Schar und etwa zweitausend Söldnern sollte Konstantin die ausgedehnte Stadt, deren Befestigungswerke man überdies längst in sträflichster Sorglosigkeit gänzlich hatte verfallen lassen, gegen eine mehr als zwanzigfache Übermacht verteidigen.
Zum Glück hatte die Republik Genua dem Kaiser den edlen Johann de Giustiniani mit neunhundert Mann zu Hilfe gesandt, und der kriegserfahrene Genuese bot alles auf, um die geringen Verteidigungsmittel der Stadt bestmöglich zu verwerten. Das einzige, was den Griechen zu statten kam, war der Umstand, dass die Erstürmung von Konstantinopel auch einen Angriff von der Seeseite erforderte und die türkischen Schiffe von äußerst schlechter Beschaffenheit und mit ungetrübter Mannschaft besetzt waren.
Die Eroberung von Konstantinopel durch Mohammed II.
Nachdem Mohammed die Einschließung der Stadt von der Landseite her beendigt hatte, begann am 6. April 1453 die eigentliche Belagerung derselben, worauf achtzehn Batterien zehn Tage lang unausgesetzt ihre Geschosse gegen die Mauern der Stadt entsandten. Ganz besonders setzte Mohammed sein Vertrauen auf ein Wurfgeschütz von riesenhaften Dimensionen, das ein ungarischer Stückgießer, der in Konstantinopel nicht genügend bezahlt worden, für ihn gegossen hatte. Diese Riesenkanone, die von hundert Ochsen gezogen werden musste, soll zu einer einzigen Ladung fünfhundert Pfund Pulver gebraucht haben; sie konnte jedoch nur siebenmal im Tage abgefeuert werden und zerplatzte am achten Tage, wobei der Meister selbst getötet und seine Leiche in die Stadt geschleudert wurde.
Schon hatten die türkischen Geschütze die Mauern von Konstantinopel schwer geschädigt, als am zehnten Tag nach der Eröffnung der Belagerung fünf genuesische Schiffe zur Unterstützung der Belagerten heran nahten. Vergebens suchten hundertfünfzig türkische Schiffe denselben Weg zu versperren: die tapferen, kriegserfahrenen genuesischen Seeleute blieben in dem sich entspinnenden Gefecht siegreich, und unter dem Jubel der Belagerten lieferten die fünf Schiffe in den Hafen von Konstantinopel ein.
Da Mohammed erkannt hatte, dass es ihm unmöglich sein werde, in den Besitz der Stadt zu gelangen, so lange der Hafen derselben ihm versperrt blieb, verfiel er auf den Gedanken, seine Schiffe vom Bosporus her zu Lande in denselben zu bringen. Zu diesem Ende ließ er den unebenen, hügeligen Raum, der sich zwischen Konstantinopel und der Vorstadt Galata befand, mit Balken und Brettern belegen und dieselben mit Fett bestreichen, und auf dieser Rutschbahn gelangten in der Tat in einer Nacht siebzig zweiruderige Schiffe und einige kleineren glücklich in den Hafen.
Das Gelingen dieses kühnen Unternehmens steigerte die Siegeszuversicht der Türken in dem gleichen Grad, in welchem es den Mut der Griechen nieder schlug. Guistiniani wollte die türkischen Schiffe während der Nacht in Brand stecken lassen; aber der wohl berechnete Plan wurde durch die genuesischen Bewohner von Galata, die während der ganzen Belagerung sich gegen beide Teile treulos bewiesen, den Türken verraten und Guistiniani`s Schiff mit hundertfünfzig tapferen Italienern durch das feindliche Geschütz in den Grund gebohrt.
Obgleich seit dem Einlaufen der türkischen Flotte in den Hafen von Konstantinopel das Schicksal der unglücklichen Stadt unwiderruflich besiegelt war, da die Mauern bereits zahlreiche Breschen zeigten und die spärlichen Verteidigungsmittel mehr und mehr zusammen schmolzen, ohne dass irgend welche Aussicht auf Entsatz durch fremde Hilfe vorhanden war, hörte der unheilvolle innere Zwist nicht auf.
Während einerseits die vornehmen Griechen, von Neid über Guistiniani`s Verdienste erfüllt, den unermüdlichen Verteidiger der Stadt auf das Bitterste anfeindeten, dauerte andererseits der Hass gegen die römische Kirche in unverminderter Stärke fort. „Sie waren“, sagt der griechische Geschichtsschreiber Phranzes, der die Eroberung Konstantinopels mit erlebte, „derart von der Theologie verblendet, dass sie, selbst wenn ein Engel ihnen geboten hätte, durch Aussöhnung mit dem Abendland die Hauptstadt zu retten, den Untergang vorgezogen haben würden.“
Inzwischen hatte Mohammed aus astrologischen Grillen den allgemeinen Sturm auf den 29. Mai festgesetzt. Einen goldenen Streitkolben in der Hand haltend, durchritt er am Vorabend sein Heer und entflammte die Kampflust seiner Scharen durch die Zusage, dass nach der Erstürmung der griechischen Hauptstadt Gefangene und Beute ihnen gehören sollten, da er für sich nur die Gebäude in Anspruch nehme. Zugleich verhieß er demjenigen seiner Soldaten, welcher zuerst die Mauern der Stadt ersteigen werde, die Statthalterschaft der reichsten seiner Provinzen. Als die Nacht herein gebrochen, wurde das türkische Lager festlich erleuchtet und unter weithin schallenden Jubelliedern zum Sturm gerüstet.
Kaiser Konstantin II. erhält die Todesweihe
Ein anderes Schauspiel bot das Innere von Konstantinopel dar. Während das Volk, das in der Verteidigung der Stadt so wenig geleistet, jammernd und wehklagend durch die Straßen irrte und in den Kirchen verzweiflungsvoll das göttliche Erbarmen anrief, begab sich Konstantin, nachdem er selbst, allen an Mut und Entschlossenheit voran leuchtend, mit Guistiniani die Ausbesserung der Mauerwerke geleitet, in die Sophienkirche, um an den Stufen des Altares die Todesweihe zu empfangen.
Dort bat er alle, die er je beleidigt haben könne, um Verzeihung, legte das Bekenntnis seiner Sünden ab und empfing das Abendmahl. Hierauf kehrte er in seinen Palast zurück, um von den Seinigen Abschied zu nehmen; denn er war entschlossen, das Reich zu retten oder in der Verteidigung desselben zu sterben, und bei der nahezu fünfzigfachen Überlegenheit des Feindes schien ihm der Tod gewiss. Einen Augenblick drohte der Schmerz ihn zu übermannen; doch gewann er schnell die Fassung wieder, schwang sich auf sein Ross und sprengte zu seinen Tapferen zurück, um die letzten Anstalten zur Verteidigung zu treffen.
Beim ersten Morgengrauen gab Mohammed das Zeichen zum Angriff, und unter dem Donner der Geschütze brauste, einem Sturm gleich, da feindliche Heer von allen Seiten gegen das kleine Häuflein der Verteidiger heran. Bald waren die Sturmleitern am Fuß der Wälle aufgerichtet, und die Türken begannen an denselben hinauf zu klettern; aber an der besonnenen, todesmutigen Verteidigung der Griechen brachen sich zwei Stunden lang alle ihre Anstrengungen. Die Kugeln der Christen rissen ganze türkische Reihen nieder, und das griechische Feuer richtete furchtbare Verheerungen an.
Schon begann Mohammed selbst zu schwanken, und die Christen schöpften neue Hoffnung; doch in diesem Augenblick wurde Giustiniani, der mit dem Kaiser an dem St. Romanstor die Verteidigung leitete, durch eine feindliche Kugel verwundet, und den von den Anstrengungen der Nacht und dem schweren Kampf Erschöpften verließ die Besonnenheit: er bat den Kaiser um die Erlaubnis, sich zurück zu ziehen, und kein Bitten und Drängen Konstantins vermochte, ihn zum Bleiben zu bewegen. In vollständiger Fassungslosigkeit eilte er nach Galata und von da nach Chios, wo er seinen Wunden erlag.
Die Bestürzung, welche Giustinianis`s plötzliche Entfernung unter den Belagerten hervorgerufen, entflammte die Türken zu verdoppelten Anstrengungen, und um zehn Uhr waren die Mauern erstiegen. Nur von einer kleinen Zahl unerschrockener Gefährten begleitet, eilt Konstantin nach der Porta Kaligria, wo die Türken in die Stadt eindringen und Christen und Moslemin einander mit den Händen erwürgen. Bald sind alle seine Begleiter gefallen, und seinem Wort getreu, dass er sie nicht überleben werde, wirft er seinen Purpurmantel ab und stürzt sich, den Tod suchend, mitten unter die Feinde. Ein Janitschar spaltet ihm das Haupt, und unbeachtet bleibt sein Leichnam unter den übrigen Opfern des blutigen Kampfes liegen.
Die Entweihung der Sophienkirche
Unterdessen hatten sich die Türken in wildem Siegesjubel durch die Straßen der Stadt ergossen und mit blinder Wut alles nieder gemetzelt, was ihren Streichen sich dargeboten. Zu vielen Tausenden drängte sich das entsetzte Volk Schutz suchend in die Sophienkirche; aber die Tore derselben wurden mit Axtschlägen zertrümmert und von den hereinstürmenden Türken an den Wehrlosen die schmachvollsten Gräuel verübt, die heiligen Stätten geschändet und die Kirchenschätze fort geschleppt. Ein herunter gerissenes Kruzifix wurde mit einer Janitscharen-Mütze bedeckt und unter den höhnenden Rufe: „Seht, das ist der Gott der Christen!“ durch die Straßen getragen.
Am Nachmittag hielt Mohammed seinen prunkvollen Einzug in die eroberte Stadt, über deren Schönheit er staunte. Nachdem er in der Sophienkirche, die fortan als Moschee dienen sollte, sein Dankgebet verrichtet und von dem kaiserlichen Palast Besitz genommen, befahl er, Konstantins Leiche aufzusuchen. Man erkannte dieselbe an den goldgestickten Adlern auf den roten Halbstiefeln. Ein Türke trennte das blutbedeckte Haupt von dem Rumpf, um es dem Sultan zu bringen. Mohammed betrachtete es mit grausamer Freude und gab Befehl, es auf einer Porphorsäule zur Schau auszustellen; später sandte er es den moslemischen Statthaltern seiner asiatischen und thrakischen Provinzen als Trophäe seines Sieges zu. Die Leiche des Kaisers gewährte er eine ehrenvolle Bestattung.
Die Christen gelangen in die Sklaverei
Seine Zusage gemäß überließ Mohammed die Stadt der Plünderung seines Heeres, doch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß die Gebäude geschont blieben, da er die griechische Kaiserstadt zu seiner Residenz auserkoren. Von den christlichen Einwohnern wurden an zweitausend niedergemetzelt; die übrigen blieben aus Habsucht verschont; denn alle Bewohner der Stadt galten als Kriegsgefangene, und wer sich nicht auslösen konnte, wurde in die Sklaverei verkauft.
Indessen gelang es vielen Griechen, die im goldenen Horn und im Bosporus vor Anker liegenden christlichen Galeeren zu erreichen und auf diese Weise nach Italien zu entkommen, wohin sie viele kostbaren Manuskripte der Schriftsteller des griechischen Altertums und der Kirchenväter brachten, die sie aus den Flammen gerettet hatten und die, zum größten Teil in den Besitz der Medici gelangt, noch jetzt die Bibliotheken von Florenz schmücken. So trieb, nach dem schönen Ausspruch von Weiß, der Sturm, der die griechische Hauptstadt verheerte, ihre edleren Lebenskeime nach dem Westen, wo sie einen empfänglicheren Boden fanden.
Die Kunde von der Erstürmung Konstantinopels erfüllte ganz Europa mit Trauer und Schrecken; denn es unterlag keinem Zweifel, dass Mohammeds Ehrgeiz sich mit der Besitzergreifung der letzten Reste des griechischen Reiches nicht begnügen werde.
Vergebens boten sowohl Papst Nikolaus V. als sein Nachfolger Calixtus III. alles auf, um einen Kreuzzug gegen den furchtbaren Eroberer zu Stande zu bringen, der bereits zu neuen kriegerischen Unternehmungen rüstete: ihre ernsten Mahnungen fanden bei den Fürsten des Abendlandes kein Gehör. Kaiser Friedrich III. hielt zwar mehrere Reichstage zur Beratung über die zum Schutz der Reichsgrenzen zu treffenden Maßregeln; aber wie er selbst kein Mann der Tat war, so ließ auch die Schwerfälligkeit des deutschen Staatswesens keinen energischen Entschluss zur Reife kommen. –
aus: F. J. Holzwarth, Weltgeschichte, 4. Bd., 1886, S. 512 – S. 517
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