Heiligenkalender
12. August
Seliger Papst Innozenz XI., Kämpfer für das Recht der Kirche
(19. Mai 1611 – 12. August 1689)
Selig gesprochen am 7. Oktober 1956
Das Leben und Wirken des Papstes Innozenz XI. ist durch Papst Pius XII. selbst ausführlich erläutert worden, der – nach seinen eigenen Worten – „immer tiefe Verehrung gehegt hat“ für diesen seinen Vorgänger auf dem päpstlichen Thron. War doch gerade diese Seligsprechung in einem Maß, wie es sonst kaum einmal der Fall war, auf das persönliche Eingreifen des Papstes zurückzuführen.
Der äußere Lebensrahmen.
Benedetto Odescalchi erblickte das Licht der Welt am 19. Mai 1611 im Schoß einer angesehenen und wohlhabenden Familie in Como (Norditalien). Mit elf Jahren schon verlor er seinen Vater, und mit fünfzehn Jahren wurde er zur Mitarbeit im Bankgeschäft eines Onkels in Genua herangezogen. Durch den Tod seiner Mutter während der Pest des Jahres 1630 – die Manzoni in seinem berühmten Werk beschrieben hat – war Benedetto mit neunzehn Jahren Doppelwaise.
Durch verschiedene, scheinbar „zufällige“ Fügungen der göttlichen Vorsehung kam er im Jahr 1636 zu einem Besuch nach Rom, nahm auf den Rat des spanischen Kardinals de la Cueva seine zehn Jahre zuvor unterbrochenen Studien wieder auf und erwarb 1639 in Neapel den Doktorgrad beider Rechte. In der gleichen Stadt ließ er sich am 18. Februar 1640 die Tonsur geben und wurde damit „Kleriker“, scheint aber damals nicht die Absicht gehabt zu haben, einmal Priester zu werden, sondern sich Gott in einem jungfräulichen und den Werken der Mildtätigkeit hingegebenen Leben zu weihen.
Nach Rom zurückgekehrt, nahm er – auf Drängen seines Bruders Karl und in der Notwendigkeit, sich für einen Lebensweg zu entscheiden – ein Amt in der päpstlichen Verwaltung an und wurde somit römischer Prälat. Schon bald darauf betraute ihn der damalige Papst Urban VIII. (Barberini, 16 23 bis 1644) mit einer heiklen und schwierigen Aufgabe: er sollte als päpstlicher Kommissar in der „Mark“ vor allem für die Eintreibung der Steuern sorgen, deren Auflage der leidige Krieg um das Herzogtum Castro, ein päpstliches Lehen, notwendig machte.
Schon in dieser Stellung war er nicht bloß ein unbestechlicher und unbeugsamer Hüter des Rechts, sondern machte sich auch zum Diener der anderen, zumal der Armen, indem er für sie in manchen Fällen die vom Gesetz geforderten Abgaben aus seiner eigenen Tasche bezahlte.
Nach Friedensschluss wurde er dann Statthalter in Macerata. Der im Jahr 1644 gewählte Papst Innozenz X. (Pamphili, † 1655) war selbst Römer und kannte den Prälaten Odescalchi schon seit langem; und da er seine Art und Arbeit schätzte, ernannte er ihn, der erst 34 Jahre zählte, zum Kardinal (1645). Dies brachte für Benedetto Odescalchi als erste Folge mit sich, dass er sich – wie Papst Sixtus V. es vorgeschrieben hatte – zum Diakon weihen ließ.
Eine ähnliche Aufgabe wie seinerzeit in der „Mark“ erwartete ihn dann, als er 1648 als päpstlicher Legat nach Ferrara gesandt wurde, wo Hungersnot und damit die Gefahr des Aufruhrs herrschte. Auf dem Wege dorthin besprach sich Kardinal Odescalchi in Assisi mit dem durch außergewöhnliche Gnadengaben bekannten (nunmehr heilig gesprochenen) Franziskanerpater Joseph von Copertino. Dieser teilte ihm mit, dass die vom päpstlichen Legaten bestellten Schiffsladungen mit Getreide für Ferrara schon unterwegs seien. Tatsächlich kamen sie zu gleicher Zeit wie er selbst in Ferrara an und bestärkten seinen Ruf als eines „Vaters der Armen“, den er schon in Rom herhatte.
Es bedeutetet sicher eine besondere Anerkennung für sein Wirken, dass er 1650 die Mitteilung von seiner Ernennung als Bischof von Novara erhielt. Dazu war aber notwendig, dass er zuerst die Weihe zum Priester und dann zum Bischof erhalte. Da er den diesbezüglichen Willen Gottes in der spontanen Wahl und Berufung durch dessen Stellvertreter erblickte, empfing er, in mehr privater Form, am 20. November 1650 im bischöflichen Palast in Ferrara die Priesterweihe, der dann am 30. Januar 1651 im Dom zu Ferrara die Bischofsweihe folgte.
Anfangs Februar 1652 zog er „mit der seinem Purpur geschuldeten Feierlichkeit“ in seine Bischofsstadt Novara ein. Als er zwei Jahre später seinen ersten Besuch als Bischof in der Ewigen Stadt machte, konnte er keine Entscheidungen entgegennehmen, denn Papst Innozenz X. wurde krank und starb dann am 7. Januar 1655. Kardinal Odescalchi begleitete also das Begräbnis seines hohen Gönners und nahm dann am ersten der vier Konklaven teil, in denen er – im Verlauf von elf Jahren – seine Stimme zur Wahl eines neuen Papstes abzugeben hatte.
Der am 7. April 1655 gewählte Papst Alexander VII. (Fabio Chigi aus Siena) wünschte, dass Kardinal Odescalchi in Rom bleibe. Er nahm auch dessen Verzicht auf das Bistum Novara an und war einverstanden damit, dass der ausgezeichnete Benediktiner-Pater Julius Odescalchi, ein Bruder des Kardinals, sein Nachfolger in der Diözese werde, nachdem dieser ihn am 19. März zum Bischof geweiht hatte.
Der Selige verbrachte also die Jahre 1654 bis 1676 als Kardinal der römischen Kurie mit stiller Arbeit für die römischen Kongregationen, denen er angehörte, mit Übungen der Frömmigkeit, die ihn jeden Freitag zur Andacht um einen guten Tod mit Aussetzung des Allerheiligsten in die Kirche Gesù führten, und mit Werken der Liebe und Wohltätigkeit, wozu ihm der Wohlstand der Familie Odescalchi reiche Möglichkeiten bot. –
Im Jahre 1667 hatte er Anteil an der Wahl von Klemens IX. (Rospigliosi), der aber nur zwei Jahre regierte und nach seinem Tod wie ein Heiliger verehrt wurde. Im nächsten Konklave (1670) war Kardinal Odescalchi selbst wider seinen Willen einer der Kandidaten für die Wahl zum Papst; dies war ihm voraus bekannt, denn er hatte zu seinem Verwandten Monsignore Tommaso Odescalchi, dem Leiter eines Armenhospizes, gesagt: „Lass deine Armen Gott bitten, dass ich aus dem Konklave lieber als toter Kardinal denn als lebender Papst herauskomme.“
Die Mehrzahl der Stimmen fiel auch nicht auf den noch nicht ganz sechzigjährigen Kardinal Odescalchi, sondern auf den achtzigjährigen Kardinal Altieri, einen Römer, der den Namen Klemens X. annahm und sechs Jahre regierte. Er starb am 22. Juli 1676, und anfangs August begann das Konklave, in dem die Kardinäle sich schließlich, allerdings erst am 21. September 1676, auf den Namen des Kardinals Odescalchi einigten, der sich sodann dreizehn Jahre lang Papst Innozenz XI. nannte.
Seine priesterliche Haltung und Ehrfurcht
Wenn wir nun daran gehen, die innere und vor allem die priesterliche Haltung des Seligen ins Auge zu fassen, so mag es zunächst befremden, dass er erst mit 39 Jahren die Priesterweihe empfing und dass ausdrücklich festgestellt wird, er habe als Papst nicht jeden Tag die heilige Messe zelebriert.
Der Grund, weshalb er zögerte, sich zum Priester weihen zu lassen, war jedoch nicht Gleichgültigkeit und noch weniger Geringschätzung, sondern eine ähnliche Ehrfurcht vor der Würde des Priestertums und vor allem Göttlichen, wie sie den heiligen Franz von Assisi erfüllte; eine Ehrfurcht, die ihm auch als Bischof von Novara wenige, aber gute Priester als weit wertvoller erscheinen ließ als viele mittelmäßige Priester, so dass bei seinem Weggang aus der Diözese etwa zweihundert kirchliche Stellen nicht besetzt waren. –
So groß war auch seine Ehrfurcht vor dem Geheimnis des eucharistischen Opfers, dass er nicht nur jedes Mal, bevor er an den Altar ging, erst beichten wollte, sondern auch bei der heiligen Messe selbst bis zu Tränen ergriffen war, wie alle Augenzeugen im Prozess erwähnten. Er verwandte deshalb fast eine ganze Stunde auf die heilige Messe selbst, wozu eine Stunde der Vorbereitung und eine Stunde der Danksagung kamen.
Nimmt man hinzu, dass ihn dabei vielfach ein starkes Zittern der Hände befiel und dass er in all den Jahren an den Folgen einer schmerzlichen Krankheit litt, von der er zwar niemals sprach, die aber nach seinem Tod festgestellt wurde, als die Ärzte die beiden Nieren sozusagen in faustgroße Steine verwandelt fanden, die heute noch im Palast Odeslachi zu sehen sind, so begreift man, dass die Darbringung des heiligen Opfers für Papst Innozenz XI. eine heroische Anstrengung bedeuten musste, die er nicht jeden Tag auf sich nehmen konnte, noch durfte, wenn er seine schweren Amtspflichten erfüllen wollte.
Die Zeugen berichten aber auch, dass fast seine einzige und liebste Erholung darin bestand, in seine Privatkapelle zu gehen und dort im Gebet zu verweilen, während er sich niemals einen Spaziergang in den Garten erlaubte und wirklich wahr machte, was er beim Einzug in seine von ihm gewählte, bescheidene Wohnung im Quirinal zu seinem Beichtvater gesagt hatte: diese Zimmer sollten sein Grab sein, in denen er die ihm noch verbleibenden Jahre ganz verbringen wolle, denn das Entscheidende sei, sich auf einen guten Tod vorzubereiten.
So bescheiden und anspruchslos er auch in seinem privaten Leben war, so machte ihn doch das Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und für die Kirche und die Seelen unbeugsam und unerschütterlich gegenüber den Forderungen und Ansprüchen des damals beinahe für allmächtig gehaltenen „Sonnenkönig“ Ludwigs XIV. von Frankreich und seines willfährigen Parlamentes, das, einschließlich der Bischöfe, die „gallikanischen Freiheiten“ beschloss.
Den offenen Drohungen des französischen Königs und ebenso der noch größeren Gefahr der Türken gegenüber wies Innozenz XI. in unerschütterlichem Vertrauen nur hin auf das Kreuz und erklärte: „Er, der Herr, wird uns beschützen.“
Auffallend ist hierin die Ähnlichkeit zwischen dem ernsten, zur Melancholie neigenden und bis zur Ängstlichkeit gewissenhaften und strengen Innozenz XI. und dem ebenfalls durch Pius XII. selig und dann heilig gesprochenen Papst Pius X., dessen Charakter voll geistreicher Heiterkeit und gewinnender Lebhaftigkeit und Freundlichkeit an sich von jenem des neuen Seligen ganz verschieden war: Als man Pius X. gegenüber Bedenken aussprach wegen seines unnachgiebigen Vorgehens gegen eine kirchenfeindliche Regierung in Frankreich, da schaute und wies auch er auf ein Kruzifix hin mit den Worten: „Das Kreuz allein ist meine Politik.“
So war auch Innozenz XI. ein „homo Dei“, ein Mann, der alles im Licht Gottes und des übernatürlichen Glaubens sah und beurteilte, der alle Entscheidungen erst im Gebet mit Gott besprach, in allem nur nach Gottes Willen und Wohlgefallen fragte und, einmal darüber klar, unerschütterlich daran festhielt; der allen Erfolg nur vom Geber alles Guten erwartete, in unablässigem Gebet darum anhielt und ihn darum auch in ungewöhnlichem Maß erfuhr.
In den Jahrzehnten und Jahrhunderten vor Innozenz XI. hatten Päpste den Stuhl Petri innegehabt, die wohl größere politische Geschicklichkeit und glänzendere Anlagen besaßen als er, aber keinem war jemals gelungen, was der Selige in vielleicht noch schwierigeren Verhältnissen erreichte: dass er nämlich einen Zusammenschluss christlicher Fürsten und Völker und damit die Befreiung von Wien und Buda und die Abwendung der Türkengefahr herbeiführte. Er selbst hatte Tag und Nacht darum gebetet, hatte in allen Konventen dafür beten lassen und hatte den heiligmäßigen Kapuzinerpater Marco d`Aviano zu den christlichen Heeren entsandt.
In den entscheidenden Tagen hatte er das Allerheiligste in St. Peter, Santa Maria Maggiore, St. Johann im Lateran, in der deutschen Nationalkirche „Anima“ und in der des Deutschen Kollegs aussetzen lassen und die Gläubigen zum Gebet aufgefordert. Er vergaß aber auch nicht, Gott, und ihm allein, die Ehre zu geben und zu danken.
Bei der Nachricht vom Sieg vor Wien warf er sich sofort auf Knie nieder, dankte Gott dem Herrn unter Tränen und forderte auch die Umstehenden zum Dank auf. Vor den Kardinälen erklärte er in einem Konsistorium: „Anerkennen und verkünden wir das Werk des Allerhöchsten, der wahrlich wunderbare Dinge gewirkt… und Unsere flehentlichen Bitten um seine Hilfe erhört hat… Alle Hoffnung und alle Zuversicht hatten Wir auf den Herrn gesetzt, denn er allein, nicht unsere Waffen, hat alles dies erreicht.“
Mit Recht bemerkt der jüngste Biograph des Seligen (Giorgio Papasogli, Innocenzo XI., Roma 1956): „Man kann sagen, dass bei ihm auch die Politik das wurde, was sie tatsächlich bei allen sein sollte: eine höhere und umfassendere Form der Liebe und des Apostolats. Und die Erklärung seines vollständigen Einsatzes für das erstrebte Ziel liegt darin, dass es sich im Herzen und im Denken des Papstes nicht mehr um ein Spiel vorübergehender und eigensüchtiger Interessen handelte, sondern wirklich um die Liebe zu Christus und um den Glauben, der Berge versetzt.“ –
Im gleichen Geist priesterlicher Selbstlosigkeit und vollkommenen Einsatzes für das als recht erkannte hat Papst Innozenz XI. es auch fertiggebracht, in erstaunlich kurzer Zeit die Fehlbeträge im Haushalt des Kirchenstaates nicht bloß auszugleichen, sondern darüber hinaus ungeheure Summen einzusparen und für den Krieg gegen die Türken zur Verfügung zu stellen. Dabei hat aber in erster Linie er selbst das persönliche Beispiel äußerster Anspruchslosigkeit und Sparsamkeit gegeben.
Die ganze Seelengröße und priesterliche Haltung des Papstes zeigte sich nochmals in besonderer Weise in den Tagen des Verfalls und der Auflösung seiner letzten physischen Kräfte, als sein Leben zu Ende ging. Beharrlich wiederholte er noch inmitten ärgster Schmerzen die Schlussworte des Psalms 4, die eine unerschütterliche Hoffnung zum Ausdruck bringen und dann immer wieder die auch dem heiligen Pius V. teure Anrufung: „Herr, vermehre den Schmerz, aber mehre auch die Geduld!“
Noch kurz vor dem Verlust des Bewusstseins sprach er vom Leiden Christi und von seinem Vertrauen auf die seligste Jungfrau; und während seine Stimme am Erlöschen war, wollte er noch, dass die Anwesenden das Credo beten sollten. Währenddessen begann die Agonie, die sich sechs Stunden lang hinzog. Es war am 12. August 1689.
Als dann der Leichnam des Papstes vom Quirinal nach dem Vatikan getragen wurde, zogen trotz strömenden Regens große Scharen des Volkes mit, die den „heiligen Papst“ ehren wollten. Noch manche Jahre später wurde berichtet, wie groß der Andrang betender Pilger am Grab des Dieners Gottes war. Nicht wenige „Wunder“ scheinen eingetreten zu sein, besonders durch die von Innozenz XI. geweihten „Agnus Dei“, durch die Brände gelöscht, Krankheiten geheilt und Stürme beschwichtigt wurden. Zwei dieser „Wunder“ aus jener Zeit wurden ausgewählt und trugen bei zur Seligsprechung des Papstes, die seinerzeit durch den Einspruch Frankreichs hinausgeschoben worden war. –
aus: Ferdinand Baumann SJ, Pius XII. erhob sie auf die Altäre, S. 357 – S. 362
Bildquellen
- Jacob_Ferdinand_Voet_-_Portrait_of_Innocenzo_XI_Odescalchi_(cropped): wikimedia