Heiligenkalender
11. Mai
Der heilige Mamertus Bischof von Vienne
Stifter der Bittage
Über fünfzig Jahre lang wurden zwei Provinzen Frankreichs, Dauphine und Savoyen, besonders aber die Stadt Vienne, fast alljährlich von immer neuen Unglücksfällen heimgesucht. Die Erdbeben waren beinahe täglich; Feuersbrünste verheerten die schönsten Wohnungen, und die wilden Tiere wurden so zahlreich und kühn, daß sie am hellen Tage mitten in die Stadt drangen, ohne die Einwohner zu fürchten. Der Schrecken erreichte den höchsten Grad, als in der Osternacht des Jahres 469, während das Volk in der großen Kirche der Stadt mit seinem Bischof, dem heiligen Mamertus, die heiligen Geheimnisse feierte, das Feuer ein Stadthaus, ein prächtiges Gebäude auf einer Anhöhe, ergriff. Man glaubte, die ganze Stadt würde in Asche gelegt werden. Alle Gläubigen verließen die Kirche, um sich und ihre Habe zu retten; nur der heilige Bischof blieb allein vor dem Altar, vertrauend auf den Schutz Gottes. Er war ein Mann des Glaubens und des Gebetes. Unter einemStrom von Tränen flehte er zu Gott, er möge sich des Volkes erbarmen und so vielen und großen Drangsalen Einhalt tun. Die ganze Nacht harrte er so in der Kirche im Gebet aus, und siehe da, kaum war der tag angebrochen, da erlosch plötzlich der große Brand. Jetzt eilte das Volk voll Freude und Dank gegen Gott wieder in die Kirche zurück, um den heiligen Gottesdienst fortzusetzen. Nachdem der heilige Bischof die hochheiligen Geheimnisse vollendet hatte, wandte er sich an das versammelte Volk und mahnte es mit den eindringlichsten Worten zur Buße und Besserung des Lebens, denn nur dadurch würde der Zorn des Himmels besänftigt und sein Segen wieder erlangt werden. Seine Rede schloss er mit den Worten, daß er während der Nacht am Altar stehend, Gott versprochen habe, mit seiner Herde drei Tage nacheinander öffentliche Bittgänge zu halten und alle sollten sich durch Fasten, Almosengeben und reumütiges Sündenbekenntnis darauf vorbereiten. Das ganze Volk stimmte dem heiligen Bischof bei und mit allgemeiner Zustimmung der Geistlichkeit wählte man zur Erfüllung des Gelübdes die drei Tage vor Christi Himmelfahrt. Als die Zeit erschienen war, bezeichnete der heilige Bischof eine Kirche außerhalb der Stadt als das Ziel der Prozession. Hierher zog nun das Volk in schönster Ordnung unter Anrufung aller Heiligen, weinend und betend. Als der heilige Bischof den Eifer des Volkes sah, bestimmte er noch zwei andere weitere Kirchen, wohin das Volk eben so andächtig wallfahrtete. Das bußfertige Flehen fand bei Gott Erhörung, die Drangsale hörten auf, und Friede und Ruhe kehrten wieder ein in der Stadt und im Lande.
Als nun die französischen Bischöfe von dieser heilsamen Übung gehört, führten sie dieselbe auch in ihren Bistümern ein und von da verbreitete sie sich dann unter Zustimmung des Papstes über die ganze Kirche.
Der heilige Mamertus lebte nach diesem Ereignis nur mehr sieben Jahre; aber er hatte die Freude, noch vor seinem Tode zu sehen, wie seine vielen Gebete und Arbeiten für das heil seiner Herde endlich doch noch Früchte brachten. Das Volk bekehrte sich, und Tugend und Frömmigkeit fingen an, in den Herzen der Gläubigen Platz zu greifen. Hoch betagt starb er gottselig im Jahre 477. –
aus: Georg Ott, Legende von den lieben Heiligen Gottes, Bd. 1, 1904, S. 743 – S. 744