Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Petrus von Amiens
Petrus von Amiens, auch der Eremit genannt, berühmter Kreuzzugs-Prediger, stammte, wenn nicht aus Amiens selbst, so doch jedenfalls aus der Diözese Amiens. Das Jahr seiner Geburt ist unbekannt. Der Zuname Eremita, den ihm seine Zeitgenossen,, namentlich solche, die ihn selbst gesehen hatten, gaben (vgl. Guib. Abb. De Novig. Gesta Dei per Francos 2, 4, bei Migne, PP. Lat. CL VI, 704), bezeichnet einfach seinen Stand und Lebensberuf.
Die Nachricht, dass Petrus, ehe er Einsiedler wurde, den Soldatenstand erwählt habe, und die Angaben über seine Heirat und seine Nachkommen sind fingiert. Vor seiner Kreuzzugs-Predigt hatte er eine Pilgerreise nach dem Morgenland unternommen, aber nach dem Bericht der Anna Comnena die heilige Stadt nicht einmal betreten.
Sagenhaft sind daher auch die Berichte über eine Vision, welche er in Jerusalem gehabt, und einen ihm vom Patriarchen erteilten Auftrag an den Papst. Die ursprünglichen Quellen beweisen, dass nicht Petrus, sondern der Papst in Frankreich den Anstoß zum Kreuzzug gegeben hat (vgl. d. Art. Kreuzzüge VII, 1143 ff.)
Petrus von Amiens als Kreuzzugs-Prediger
Erst nach der Versammlung zu Clermont erscheint Petrus als Kreuzzugs-Prediger. Barfuß, mit grober Mönchskutte bedeckt, einen dicken Strick um die Lenden, durchzog er auf einem Esel reitend das nördliche und mittlere Frankreich und regte als gewandter Volksredner die Massen zum Kreuzzug an. Sein Erfolg war nicht gering. Guibert von Nogent bekennt, er könne sich nicht erinnern, dass er je einen Menschen gesehen habe, dem größere Ehre zuteil geworden sei; überall habe Petrus Streitigkeiten beschlichtet, Frieden gestiftet, gefallene Mädchen ausgestattet und durch eine ehrbare Ehe gerettet, sei mit Geschenke überhäuft und für einen Heiligen gehalten worden, dessen Worte für Aussprüche des Himmels galten (I. c. 705).
Noch mehrte sich die Schar, welche sich unter Petrus‘ Führung stellte, und bei seinem Anhang waren die Zurüstungen zur Abreise nach dem Morgenland am frühesten vollendet.
Der zu frühe Aufbruch von Petrus von Amiens nach Konstantinopel
Nach Orderich (H. E. 3, 9, 4, bei Migne, PP. Lat. CLXXXVIII, 657) war Petrus bereits am Ostersamstag, den 12. April 1096, mit 15.000 Mann nach Köln gekommen, wo er sich acht Tage aufhielt. Dort schlossen sich 15.000 Deutsche seinem Zuge an. Dagegen war ein Teil des Heeres durch Deutschland und Ungarn vorausgegangen, erlitt aber wegen Plünderungen mehrere Niederlagen vor Belgrad; der Rest vereinigte sich später unter den Mauern von Konstantinopel mit dem nachrückenden Heer.
Dieses war den Rhein herauf, dann den Neckar entlang nach Ulm gezogen und hatte sich unterwegs von Tag zu Tag gemehrt. Ruhig und unangefochten kamen die Wallfahrer unter dem Eremiten nach Ungarn bis Semlin. Falsche Gerüchte drängten zur Eroberung der Stadt, wobei ein furchtbares Blutbad angerichtet ward, während das Heer des Petrus nur 100 Mann verlor.
Beim Zug durch Bulgarien benahm sich der Fürst Nichita anfangs freundlich. Allein Zuchtlosigkeit und Raubsucht Einzelner verursachten, als das Hauptheer bereits eine Tagreise weitergezogen war, einen ernstlichen Kampf vor Nisch und eine Verfolgung der letzten Pilgerscharen, wobei die mitgeführten Lebensmittel in die Hände der Bulgaren fielen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Heeres ward aufgerieben, der übrige zersprengt. Indes sammelten sich wieder viele der Zerstreuten bei Petrus.
Aber nun gebrach es an Lebensmitteln, und Kaiser Alexius riss die Kreuzfahrer aus der Not nur unter der Bedingung, dass sie während ihres Zuges durch sein Reich bis Konstantinopel sich nirgends länger als drei Tage aufhalten dürften.
Der byzantinische Kaiser Alexius nötigt zur Überfahrt nach Kleinasien
Am 30. Juli 1096 langte Petrus in Konstantinopel an. Als der Kaiser nur ungeordnete Scharen vor sich sah, die keine Kriegszucht kannten, nötigte er sie zur schnellen Überfahrt auf das jenseitige Ufer des Bosporus (5. August 1096). Gleich zogen die Pilger dann weiter über Nikomedien, das damals zerstört und unbewohnt war, nach Helenopolis (Civitot), wo Petrus sein Lager aufschlug. Dorthin kamen auch Gesandte des Kaisers Alexius, welche dem Einsiedler rieten, nicht weiter und nicht eher gegen Nicäa vorzurücken, bis die Menge der Pilger durch die nachfolgenden Fürsten und deren Heer verstärkt wäre.
Ohne Zweifel unterließ Petrus nicht, diesen weisen Rat mit Nachdruck zu befürworten, allein vergeblich. Die Pilger begannen kleinere Beutezüge in die Umgegend; eine Abteilung von 3.000 Mann nahm sogar das Kastell von Xerigordon, vier Tagereisen von Nicäa, in Besitz, wurde aber dort überfallen und niedergemacht.
Während dessen war Petrus aus Überdruss über die Zuchtlosigkeit der Seinigen nach Konstantinopel gegangen, um mit dem Kaiser Rat zu pflegen, was zu tun sei. In Konstantinopel traf ihn die Nachricht von der Niederlage der Seinigen am Drakofluss; nur ein Teil derselben war entkommen. Einige der Geretteten kehrten in die Heimat zurück, andere erwarteten mit Petrus das Hauptheer der Kreuzfahrer. Petrus rechtfertigte sich vor dem Kaiser, dass nicht er schuld am Unglück gewesen sei, sondern die, welche ihm nicht gehorcht und nach ihrer Willkür und ihrem Eigendünkel gehandelt hätten. –
Petrus von Amiens als Sachwalter der Armen
Von da an bekleidete Petrus keine Befehlshaberstelle mehr, blieb aber in Ansehen trotz der Schwachheit, die er 1098 bei der Belagerung von Antiochien zeigte. Dort ergriff er nämlich mit Wilhelm Carpentarius heimlich die Flucht, wurde aber von Tankred eingeholt und musste zurückkehren.
Gleichwohl wurde er alsbald zum Gesandten an Korboga, König von Mossul, erwählt und vollzog diesen schwierigen Auftrag mit großem Mut. Nach dem Sieg der Kreuzfahrer über Korboga (28. Juni 1098) war Petrus wohl ein Hauptagitator für den Fortgang des Unternehmens, das im Winter 1098/99 sehr ins Stocken geraten war.
Namentlich war er den eigennützigen Bestrebungen der Fürsten gegenüber ein Sachwalter der Armen, wofür ihm um diese Zeit die Stellung eines Verwalters der Armenkasse zuerkannt wurde. Nach der Ankunft vor Jerusalem (7. Juni 1099) hielt Petrus bei einer Prozession um die Stadt am 8. Juli auf dem Ölberg eine Rede an die Pilger. Als nach Eroberung der heiligen Stadt (15. Juli 1099) die Kreuzfahrer gegen die Ägypter bei Askalon zogen, weilte Petrus in Jerusalem, wo die Kampfunfähigen sowie die Alten und Schwachen seiner Sorge anvertraut blieben. Zugleich besorgte er, da der Patriarch Arnulf und viele andere Kleriker mit in den Kampf gezogen waren, während dieser Zeit den Gottesdienst.
Nach der Besiegung der Ägypter bei Askalon kehrte Petrus wahrscheinlich mit den ersten Pilgern in die Heimat zurück. Er wurde dann Mönch und Prior zu Neufmoustier bei Huy im Bistum Lüttich, wo er am 8. Juli 115 starb.
Würdigung des Predigers Petrus von Amiens
Zu einer richtigen Beurteilung dieses Mannes muss vor allem das Sagenhafte von seiner Person abgestreift werden. Nach dem Bild, welches sich aus den ursprünglichen Quellen zeichnen lässt, bleibt der Einsiedler noch immerfort eine große historische Persönlichkeit. Er war der Erste, welcher die auf dem Clermonter Konzil ausgesprochene Idee des Papstes mit Begeisterung ergriff; er brachte sie am wirksamsten zum Ausdruck und förderte damit das großartige Unternehmen nicht wenig.
Dass Petrus die von ihm angeworbene Truppe anführte und nach Konstantinopel, dem vom päpstlichen Legaten bestimmten Sammelort der einzelnen Gruppen, leitete, verstand sich eigentlich von selbst. Freilich brach er zu früh auf, ehe die Fürsten mit ihren Rüstungen fertig waren. Allein man darf zu seiner Entschuldigung wohl annehmen, dass er dem Drängen seiner Scharen nachgeben musste: wenn nicht er, so hätte ein anderer an deren Spitze treten müssen, wie ja auch schon vor ihm eine Schar aufgebrochen war, denen der achttägige Aufenthalt in Köln schon zu lang sein mochte.
Für die Fähigkeit des Einsiedlers als Pilgeranführers sprachen die glänzenden Proben, die er in Frankreich und am Rhein abgelegt hatte. Der Erfolg, den er auf der Weiterreise hatte, ist ein Beweis für seinen Beruf zu dem erhabenen Werk. Nach und nach wuchs sein Heer bis zu wenigstens 200.000 Mann, und es gelang ihm diese größtenteils ungeordnete Masse im Ganzen glücklich bis Konstantinopel zu bringen.
Für die folgenden Unglücksfälle trifft die Schuld den Kaiser Alexius, der zur Überfahrt zwang, und die Unbotmäßigkeit der Pilger selbst. Jedenfalls stand Petrus vor den abendländischen Fürsten entschuldigt da, denn er blieb immerfort in Ansehen, obgleich man einen strengen Maßstab an ihn anlegte. Nach seinem Fluchtversuch bei Antiochien zweifelten freilich einige an der Redlichkeit seiner Absichten und nannten ihn einen Heuchler (Ekkehard, Chron. Ad a. 1096, bei Migne, PP. Lat. CLIV, 958).
Allein diese Schwäche, wenn man sein Benehmen so nennen kann, findet in den tatsächlichen Verhältnissen eine ausreichende Erklärung und kann die anderweitigen Verdienste des Einsiedlers nicht schmälern. (Vgl. h. v. Sybel, Geschichte des ersten Kreuzzuges, 2. Aufl., Leipzig 1881; Hagenmeyer, Peter der Eremit, Leipzig 1879 [daselbst S. 8 ff. die Hauptquellen, welche größtenteils schon 1611 von Jac. Bongarsius unter dem Titel Gesta Dei per Francos etc. herausgegeben, dann von P. d`Oultreman in seiner Vie du Vénérable Pierre l`Hermite [1632] kritiklos mit anderen späteren Angaben verschmolzen wurden]; H. Franz, Peter von Amiens, Hofgeismar 1891. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 9, 1895, Sp. 1887– Sp. 1890
Bildquellen
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