Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Pragmatismus
Pragmatismus, eine moderne philosophische Richtung, zwischen 1878 und 1920 vor allem in angelsächsischen Ländern verbreitet, besonders von Charles Sanders Peirce, William James, John Dewey und dem Oxforder Professor F.C.S. Schiller vertreten. Der Pragmatismus behauptet, in der praktischen Anwendbarkeit oder Bewährung eines Satzes, einer Idee oder Wahrheit das wichtigste philosophische Prinzip gefunden zu haben. James nennt den Pragmatismus in erster Linie eine Methode, in zweiter Linie ein Wahrheits-Kriterium. Die Methode besteht darin, daß durch die praktischen Folgen der Sinn eines Satzes als möglich oder unmöglich erwiesen wird. Dies setzt in Wirklichkeit bereits ein Wahrheits-Kriterium voraus, das den Pragmatismus von allen andern philosophischenRichtungen am meisten abhebt. Die Wahrheit wird in einen außerlogischen Bereich hinein verlegt, nämlich in die Wirkung der psychologischen Erfassung eines Satzes. Wahrheit ist also nicht mehr Qualität des Urteils oder Urteilssinnes, sondern praktische Wirkung oder Folge des menschlichen Denkens der Wahrheit. Damit ist die Objektivität der Wahrheit zu Gunsten eines extremen Subjektivismus aufgegeben. Das Hereintragen der Teleologie in den Wahrheits-Begriff führt zu allerlei Unklarheiten, da die praktische Folge eines Satzes sowohl im Fortschritt der Gedanken-Arbeit (Fiktion, Semifiktion, Hypothese als Hilfsmittel der Wissenschaft) als auch in der Vollendung des systematischen Aufbaues einer Wissenschaft, aber ebenso in der Lebensförderung im allgemeinen bestehen kann (daher die Geistes-Verwandtschaft zur Lebensphilosophie). Vulgarisiert erscheint die pragmatische Wahrheits-Theorie heute in der Ablehnung letzter ethischer Normen für das Leben des Staates und in der Behauptung, alles diene nur diesem Leben und das Erkennen habe daher sein „entscheidendes Kriterium“ in der Förderung und Steigerung des Rasse-Volkstums. – Der Pragmatismus ist radikal empiristisch und positivistisch. Er ist die konsequenteste Folgerung aus der im 19. Jahrhundert sich immer mehr heraus bildenden Ablehnung der Objektivität der Wahrheit. Wissenschaftliche Sätze und wissenschaftliche Systeme haben nach dem Pragmatismus nur Instrumentalwert, bestenfalls einen Symbolcharakter (Fiktion), um das Leben zu ermöglichen oder zu erleichtern (Deutung der Religion als Leben fördernder Symbolsprache; Verwandtschaft mit Vaihingers Als-Ob-Philosophie). Vorläufer des Pragmatismus ist Nietzsche mit seiner Abhandlung „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“. Der Pragmatismus hat vor allem auf den Wissenschafts-Begriff in den europäischen Ländern stark eingewirkt. Auch in dem Kampf um das Wesen der Theologie zeigte sich seine Wirkung bei englischen und französischen Theologen.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VIII, 1936, S. 425-426