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Akkommodation

Lexikon für Theologie und Kirche

Stichwort: Akkommodation

Bedeutung des Begriffes Akkommodation

Akkommodation, biblische. Akkommodation bedeutet bei den lateinischen Schriftstellern sowohl das Anpassen einer Sache an etwas, das Einrichten einer Sache nach etwas (objektive Akkommodation), als auch das Sichrichten nach etwas, das Sicanbequemen an etwas (subjektive Akkommodation). Diesen beiden Bedeutungen des Wortes entsprechend bedient man sich auch in der biblischen Hermeneutik des Ausdrucks Akkommodation. Man redet von einer Akkommodation von Schriftstellen und von einer Akkommodation der Verkünder der göttlichen Offenbarung im Alten und Neuen Testament, insbesondere Jesu und der Apostel, an ihre Zuhörer oder Leser.

Biblische Akkommodation

1. Bezüglich der Akkommodation von Schriftstellen ist zu unterscheiden die der Form und die dem Inhalt nach. Der Form nach wird eine Stelle akkommodiert, wenn sie für den Zweck, zu dem sie gebraucht wird, ihrem Wortlaut nach mehr oder minder verändert wird. Derartige Akkommodationen begegnen uns auch öfter bei den im Neuen Testament vorkommenden alt-testamentlichen Stellen (…. Dem Inhalt nach wird eine Stelle akkommodiert, wenn man sich ihrer bedient, um durch sie etwas Anderes auszudrücken, als was der Verfasser durch sie ausgedrückt hat. Eine derartige Akkommodation ist es z. B., wenn man die Worte Luk. 10, 42: Maria optimam partem elegit, quae non auferetur ab ea („Maria hat den besten Teil erwählt, der ihr nicht wird genommen werden“), auf die heilige Mutter Gottes und die ihr gewordene himmlische Herrlichkeit bezieht, oder wenn man die Worte Job 19, 21: Miseremini mei, miseremini mei, saltem vos amici mei („Erbarmet euch mein, erbarmet euch mein, wenigstens ihr meine Freunde“), den armen Seelen in den Mund legt. Der durch Akkommodation einer Stelle beigelegte Sinn wird sensus accomodatus, accomodatitius, auch sensus transsumptivus und sensus (…) genannt.

Zuweilen ist die Akkommodation des Inhaltes und die Akkommodation der Form mit einander verbunden; gewöhnlich aber tritt die erstere ohne die letztere auf. Die Akkommodation des Inhaltes ist zulässig, so lange es sich nicht darum handelt, aus einer Schriftstelle als solcher einen Beweis zu führen. Auch sind ihr, wenn sie nicht in ein maßloses und mitunter geradezu unwürdiges Spiel mit den heiligen Worten sich verlieren soll, gewisse Grenzen gezogen (…). So lange sie aber innerhalb der rechten Grenzen sich bewegt, hat sie ganz unzweifelhaft ihre große Bedeutung und Berechtigung. Sie begegnet uns vielfach bei den Vätern, bei Predigern, bei aszetischen, homiletischen und mystischen Schriftstellern, die es lieben, ihre Gedanken in Worte der heiligen Schrift zu kleiden, um dadurch ihrer Rede größere Anschaulichkeit und Eindringlichkeit und höhere Weihe und Salbung zu geben. Nicht minder begegnet sie uns in der Liturgie der Kirche, in dem Missale, Brevier und Rituale, und in dem Gebrauch, welchen die Kirche hier von der Akkommodation macht, spiegelt sich sowohl die Mannigfaltigkeit und der unerschöpfliche Reichtum des Wortes Gottes, wie der göttliche Tiefsinn der Kirche.

Auch in der heiligen Schrift selbst begegnet uns zuweilen Akkommodation von Schriftstellen; so z. B.: 1. Mach. 1, 41 vgl. mit Am. 8, 10; Matth. 7, 24 vgl. mit Ps. 6, 9; Matth. 10, 36 vgl. mit Mich. 7, 6; Luk. 23, 30 vgl. mit Os. 10, 8; Eph. 4, 25 vgl. Zach. 8, 16; Offenb. 11, 4 vgl. mit Zach. 4, 11 (vgl. Patricius 1. c. 112. 286). Ganz unrichtig aber ist es, wenn rationalistische Ausleger behaupten, die im N. T. als Beweise für die Messianität und Gottheit Christi und die Göttlichkeit des Christentums angeführten alt-testamentlichen Weissagungen würden nur durch Akkommodation auf Christus und das Christentum bezogen; vielmehr gehen jene Weissagungen schon in den Büchern des A. T., teils ihrem von dem heiligen Geist in sie hinein gelegten höheren Sinne nach, auf Christus und das Christentum.

Drei Akkommodationen

2. Zur Beantwortung der Frage, ob Jesus und die Apostel sich ihren Zeitgenossen, ihren Zuhörern und Lesern akkommodiert, müssen wir unterscheiden zwischen pädagogischer, moralischer und dogmatischer Akkommodation. Die pädagogische und moralische werden auch mitunter einfach als negative, die dogmatische als positive Akkommodation bezeichnet.

Die pädagogische Akkommodation

Die pädagogische Akkommodation besteht darin, daß der Lehrer und Erzieher sich der Fassungskraft, dem Bildungsgrad und den geistigen und sittlichen Bedürfnissen seiner Schüler anbequemt. Sie ist eine wesentliche Bedingung alles Unterrichts und aller Erziehung und begegnet uns darum auch bei Jesus, dem höchsten Lehrer der Menschheit. Stufenweise führt er seine Jünger zur Wahrheit und Vollkommenheit empor (vgl. Joh. 16, 12), und durch entsprechende Bilder, Gleichnisse, Parabeln, Argumentationen und Mahnungen bringt er die Geheimnisse vom Reich Gottes und die erhabenen Sittenlehren des Evangeliums ihrem Geist und Herzen nahe. Wie Jesus, so akkommodierten sich auch die Apostel in ihren Predigten und Schriften und überhaupt in ihrer ganzen apostolischen Tätigkeit der Fassungskraft, dem Bildungsgrad und den Bedürfnissen ihrer Zuhörer und Leser, indem sie bestrebt waren, Allen Alles zu werden, um Alle für Christus zu gewinnen (vgl. 1. Kor. 9, 20-22; 3, 1 u. 2; Hebr. 5, 11-14).

Die moralische Akkommodation

Die moralische Akkommodation besteht, wenn man sie im engeren Sinne faßt und von der pädagogischen unterscheidet, darin, daß man aus Rücksicht auf Andere, namentlich, um ihnen kein unnötiges Ärgernis zu geben, etwas in sich Erlaubtes tut oder unterläßt. Auch diese Akkommodation haben Jesus und die Apostel, Letztere insbesondere bezüglich der judenchristlichen Beobachtung des alt-testamentlichen Zeremonialgesetzes, geübt und empfohlen (vgl. Matth. 17, 24-27; 1. Kor. 9, 20-22; Apg. 16, 1-3; 21, 17-26; auch Gal. 2, 12; ferner Röm. 14, 1ff; 13, 15 u. 21f; 1. Kor. 8, 4ff; 9, 13; auch Apg. 15, 29).

Die dogmatische Akkommodation

Im Unterschied von der pädagogischen und moralischen besteht die dogmatische Akkommodation darin, daß Einer Meinungen und Lehren Anderer, obschon er sie für falsch hält, dennoch gutheißt, und sie als wahre behandelt und vertritt. Daß Jesus und die Apostel auch diese Art der Akkommodation geübt, behauptet die sogen. rationalistische Akkommodations-Theorie, wie sie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vor Allen der Hallenser Theologie-Professor Johann Salomo Semler (gest. 1791) in seinen hermeneutischen Schriften (Vorbereitung zur theologischen Hermeneutik, 4 Stücke, Halle 1760ff; Apparatus ad liberalem N. T. Interpretationem, Hal. 1767 u. a.) entwickelte und in seinen exegetischen und sonstigen zahlreichen Schriften vielfach in Anwendung brachte. Nach dieser Theorie sollen Jesus und die Apostel jüdische Meinungen und Lehren, die sie für falsch hielten, als wahre behandelt und vorgetragen haben, um ihre eigene Lehre daran anzuknüpfen und derselben leichteren Eingang zu verschaffen. Aufgabe des Schriftauslegers sei es daher, alle jene Lehren, bezüglich welcher sichJesus und die Apostel nur an die falschen Meinungen und Lehren ihrer jüdischen Zeitgenossen akkommodiert, aus dem christlichen Lehrbegriff auszuscheiden und so das Christentum auf seinen wahren und eigentlichen Gehalt zurück zu führen. Die Semler`sche Akkommodations-Theorie fand unter den protestantischen Theologen und Predigern jener Zeit um so größeren Beifall und um so zahlreichere Anhänger und Nachtreter, da man vermittelst derselben alle jene der damals immer mehr um sich greifenden rationalistischen Gottes- und Weltanschauung anstößigen Lehren aus dem Christentum ausscheiden und das Christentum auf das Niveau einer flachen „Vernunftreligion“ herab drücken konnte, ohne die Lehr-Unfehlbarkeit Christi und der Apostel zu leugnen und den göttlichen Ursprung der heiligen Schrift und den absoluten Charakter des Christentums anzutasten. Insbesondere waren es die Lehren von den messianischen Weissagungen und von der Messianität und Gottheit Christi, von der Erbsünde und der Erlösung durch Christi Opfertod, von den Engeln und Teufeln, von der Auferstehung der Toten, von der Wiederkunft Christi zum Gericht und vom Weltgericht selbst, die die man vermittelst der Akkommodations-Theorie aus dem christlichen Lehrbegriff eliminierte. Jedoch fand die Akkommodations-Theorie unter den protestantischen Theologen jener Zeit auch manche Gegner; namentlich war es die damalige sogen. Ältere Tübinger Schule unter der Führung von Gottlob Christian Storr († 1805), welche derselben entgegen trat (…).

Die dogmatische Akkommodation ist blasphemisch

Für diejenigen, dem Christus die ewige Wahrheit (vgl. Joh. 1, 9 u. 14; 14, 6; 1. Petr. 2, 22) und die Apostel die vom Geist der Wahrheit erleuchteten Verkünder der göttlichen Offenbarung sind (vgl. Joh. 14, 16f; 16, 13; Apg. 2, 4), bedarf die Akkommodations-Theorie keiner Widerlegung, ja sie muss ihm geradezu als blasphemisch erscheinen. Aber auch für denjenigen, der nicht auf dem Boden des positiven Christentums steht, ist es unschwer, einzusehen, daß diese Theorie jeglichen Beweises entbehrt und mit allem, was wir historisch von Christus und den Aposteln wissen, im entschiedensten Widerspruch sich befindet. Man hat sich für die exegetische Berechtigung der Akkommodations-Theorie insbesondere auf 1. Kor. 3, 1 u. 2; 9, 20-22; Hebr. 5, 11-14; Apg. 16, 1-3; 21, 17-26 berufen. Allein an diesen Stellen handelt es sich offenbar nur um pädagogische und moralische, nicht aber um dogmatische Akkommodation, und dieselben bieten nicht den mindesten Beweis dafür, daß Jesus und die Apostel die Lehren von der Erfüllung der messianischen Weissagungen im Christentum, von der Messianität und Gottheit Christi, von der Erbsünde und Erlösung, von den Engeln und Teufeln, von der Auferstehung und dem Weltgericht und überhaupt alle jene Lehren, die man auf Grund der Akkommodations-Theorie beseitigen wollte, vorgetragen hätten, ohne dieselben als wahr anzuerkennen. Wohl aber genügt es, auch nur eine oder die andere der Stellen des N. T., in welchen Jesus und die Apostel auf jene Lehren Bezug nehmen und von denselben reden, zu lesen, um sich zu überzeugen, daß Jesus und die Apostel alle diese Lehren aus ihrer eigensten und vollsten Überzeugung heraus vorgetragen haben, und daß dieselben ihnen nichts weniger als Mittel waren, um durch sie ihrer eigentlichen Lehre Eingang zu verschaffen, sondern daß sie diese Lehren so recht als Substanz und zum großen Teil geradezu als Zentralpunkte ihrer Lehre betrachtet wissen wollen. Überdies ist auch dem ganzen Auftreten Jesu und der Apostel nichts fremder, als eine Akkommodation an Meinungen und Lehren, sie sie als irrig erkennen.

Die Akkommodations-Theorie hat keine Bedeutung

Kampf gegen Irrtum und Lüge, gegen Unglauben und Aberglauben, und Kampf für die Wahrheit – das ist die Signatur des Lebens und Lehrens Jesu und der Apostel, wie es aus den Evangelien, aus der Apostelgeschichte, aus den Briefen und Schriften der Apostel uns entgegen tritt (vgl. Joh. 8, 32 u. 45f; 15, 26- 16, 3; 18, 37; Matth. 10, 27f; Apg. 4, 19f; 20, 24; Gal. 1, 8-10). Wo wäre da eine Stelle für jene schwächlichen, zweideutigen und unehrlichen Akkommodationen, deren sich Jesus und die Apostel fortwährend bedient und die sie fortwährend geübt haben sollen? In der Gegenwart hat die Akkommodations-Theorie, die in Verbindung mit der natürlichen Wunder-Erklärung in den letzten Dezennien des verflossenen und noch in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts für viele protestantische Ausleger und Prediger den obersten Kanon aller Schriftauslegung bildete, keine Bedeutung mehr, sondern nur noch historisches und pathologisches Interesse. Die wirklich gläubigen unter den protestantischen Auslegern der Gegenwart bedürfen der Akkommodations-Theorie nicht, weil sie jene Wahrheiten nicht leugnen, die man auf dem Wege der Akkommodations-Theorie einst zu beseitigen gesucht hat; die weitaus größere Zahl der ungläubigen aber bedarf ihrer nicht, weil sie den göttlichen Ursprung der heiligen Schrift und die Lehrunfehlbarkeit der heiligen Schrift selbst leugnen. Wie die Akkommodations-Theorie einem vorüber gehenden, in der geschichtlichen Fortentwicklung des protestantischen Prinzips notwendig gegebenen Stadium der protestantischen Theologie ihre Entstehung verdankte, so musste sie auch mit dem Verschwinden dieses Stadiums selbst wiederum verschwinden. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 1, 1882, Sp. 151 – Sp. 156

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