Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Paschasius Radbertus
Paschasius Radbertus, der hl., OSB, einer der gelehrtesten Theologen seiner Zeit, war um 786 zu Soissons geboren und trat unter dem heiligen Abt Adalhard ind as Kloster zu Corbie in der Picardie. Er war hier Anfangs namentlich als Lehrer tätig, und der jüngere Adalhard, der hl. Ansgar, sowie Hildeman und Otto, Bischöfe von Beauvais, gingen aus seiner Schule hervor. Aus Bescheidenheit empfing er die heiligen Weihen nur bis zum Diakonat, wurde aber doch nach dem Tod der auf einander folgenden Äbte Adalhard, Wala, Hedon und Isaak zum Abt des Klosters bestellt (844), sowohl wegen seines heiligen Lebens und seiner großen Gelehrsamkeit, als weil er bei dem Kaiser Ludwig wie bei dessen damals regierendem Sohn Karl in hohem Absehen stand. Er stand der Abtei bis zum Jahr 851 vor, worauf er die ihm lästig gewordene, durch Streitigkeiten verbitterte Würde nieder legte und sich von nun an mit erneuerter Frische und Freude seinen Studien ergab (vgl. seine Praef. Libr. IX. in Matth.).
Er starb jedenfalls nach dem Jahr 858, da er den Normannen-Einfall dieses Jahres noch in seinen Schriften erwähnt. Mabillon setzt seinen Tod auf 860, Andere wahrscheinlicher auf 865. Sein Gedächtnis begeht die Diözese von Soissons seit seiner 1073 erfolgten Erhebung am 26. April. Seine Schriften (…), welches er 831, zur Zeit des Exils des Abtes Wala, für die Mönche des westfälischen Klosters Corvey und dessen Abt, seinen Schüler Placidus Warinus, schrieb, und welches er später überarbeitet mit einem Einleitungswort an Karl den Kahlen schickte. Dieses wichtigste unter den Werken des Radbertus, welches besonders in den berengarischen Kämpfen und noch mehr in den Abendmahls-Streitigkeiten des 16. Jahrhundert zu großer Bedeutung gelangte, ist besonders heraus gegeben die verstümmelt und im Parteiinteresse interpoliert von Job Gast (Hagenau 1528) und G. Ratus (Rouen 1540), vollständiger und getreuer in Köln 1550…; der Brief an Frudegard, desselben Inhalts, von Paschasius in hohem Alter zur Rechtfertigung seiner Abendmahlslehre geschrieben; zwölf Bücher Comment. In Matth., worin er besonders zum 26. Kapitel des Matthäus die kirchliche Abendmahlslehre gegenüber den häretischen Ansichten des Scotus Erigena darlegt, vier von ihm als Mönch, vier von ihm als Abt und vier nach seiner Abdikation geschrieben; … –
Der Name des Paschasius hat eine besondere Bedeutung und Berühmtheit erlangt durch den ersten Abendmahlsstreit, den er nach Ansicht der Calvinisten wie schon früher des Berengar dadurch angefacht haben soll, daß er in seinem Buch De corp. Et sang. Domini Neuerungen in die Kirchenlehre gebracht und die Transsubstantiation, wie sie nachher dogmatisch festgestellt worden, zuerst ersonnen habe. Zeugnis dafür, daß eine derartige Neuerung stattgefunden, gäben die stimmen, welche Rabanus Maurus, Amalarius von Metz, Ratramnus, Joh. Scotus im 9. Jahrhundert, Ratherius von Verona und Abt Heriger im 10. Jahrhundert gegen Paschasius erhoben.
Die Sache liegt aber folgendermaßen. Paschasius hatte in jenem Buch die altkirchliche Lehre von der realen Gegenwart Christi im heiligen Abendmahl in möglichst bestimmter und faßlicher Weise vorgetragen und war sich dabei auf das Klarste seiner Übereinstimmung mit den Autoritäten der Kirche, mit Cyprian, Hilarius, Anbrosius, Augustin, Cyrillus von Alexandrien und Leo dem Großen, bewußt (vgl. Ep. Ad Frudeg.). Aber die dogmatische Sprache war in diesem Punkt noch wenig bestimmt und schulgerecht ausgebildet, so daß es möglich war, einige seiner Ausdrücke misszuverstehen; auch war in einigen Stücken, welche untergeordnete Bedeutung haben, das dogmatische Bewusstsein der Theologen jener Zeit noch nicht vollständig entwickelt, so daß es auf den ersten Blick erscheinen konnte, es würde Neues vorgebracht, wo nur Gegebenes und Überliefertes sich in notwendigem wissenschaftlichem Prozess entfaltete. Das erste nun, worüber sich Streit erhob, war die Identität des heiligen Leibes Christi auf dem Altar mit dem Leib, der von der Jungfrau Maria geboren und am Kreuz gestorben war. Paschasius hatte, besonders an Ambrosius‘ Ausdrucksweise lehnend, diese Identität insbesondere jeder spiritualistischen Auffassungsweise gegenüber einfach und bündig ausgesprochen. Gegen seine Darstellung erhoben sich Rabanus Maurus und Ratramnus …
Gerbert nun, dessen Schrift ein klares Bild des ganzen Streites gibt, tritt entschieden auf Paschasius‘ Seite und weist seinen Anklägern gegenüber nach, daß er, wenn auch nicht in dem Buchstaben, doch in dem Geist mit den bedeutendsten Lehrern der Kirche, insbesondere mit Ambrosius, übereinstimme. Die Gegner hatten sich besonders auf Hieronymus und Augustinus berufen, welche ein duplex und tripelx corpus Christi (seinen Leib auf Erden, seinen Leib im Sakrament und endlich auf mystsiche Weise in der Kirche) unterschieden, und Gerbert weist nach, daß trotz dieser Unterscheidung alle in dem Glauben an die reale Gegenwart überinstimmen, naturaliter sei der heilige Leib im Sakrament mit dem von Amria geborenen identisch, specialiter, d. h. nach dem modus existendi, verschieden (ähnlich Lanfranc. De euchar. c. 18). –
Ein zweiter von denselben Gegnern gegen Paschasius gerichteter Vorwurf war, er habe zugleich eine figura und eine veritas im Sakrament des Altars angenommen (vgl. cap. 4 in dem Buch des Paschasius). Auch hier nimmt Gerbert mit Recht Paschasius gegen die missverstehenden Ankläger in Schutz; die Figur sei das sinnlich Erscheinende, die Wahrheit das vom Glauben innerlich Erfaßte. –
Der dritte Punkt des Gegensatzes endlich betraf die angebliche Behauptung des Paschasius, totiens Christum pati, quotiens Missas contingat quotidie celebrari. Gerbert gesteht, und auch hier mit Recht, er habe in der angefochtenen Schrift nichts Derartiges gefunden. Es ist aber leicht erklärlich, wie Paschasius‘ Gegner zu dieser Anklage kamen. Wenn sie daher Recht hatten, daß Paschasius eine absolute Identität des Leibes christi in altari und in cruce behauptet habe, so war es nur eine notwendige Konsequenz seiner Ansicht, daß, wenn sein Leib am Kreuz passibilis war und wirklich litt, dies auch beim Opfer auf dem Altar stattfand. Nun aber hatte Paschasius nur die wesentliche Identität, nicht aber auch die Identität in unwesentlichen Atrributen behauptet, und er hat wahrscheinlich mit Beziehung auf diesen ihm gemachten Vorwurf in der Epist. Ad Frudeg. (…) geschrieben: …
Auf die Stimme des Priesters, setzt er hinzu, steige Christus vom Himmel (also in verklärtem Leib) herab auf den Altar. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 9, 1895, S. 1552 – Sp. 1555
Er stimmte durchaus mit der Kirchenlehre überein, wie namentlich Gerbert (Papst Silvester II.) mit De corpore et sanguine Domini (Migne PL 139, 179/83) nachwies. Starken Widerspruch verdiente er jedoch, weil er die Identität des historischen und des eucharistischen Christus zu stark betonte, den Unterschied der Erscheinungsform zu wenig hervor hob und namentlich mit den erzählten Wunderberichten, eine grob sinnliche, kapharnaitische Auffassung zu begünstigen schien. Deshalb traten ihm nicht nur Johannes Eriugena, sondern auch Rabanus Maurus, Ratramnus und im 10. Jahrhundert Abt Heriger entgegen. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VII, 1935, S. 999