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Orden

Gottschalk von Orbais

Lexikon für Theologie und Kirche

Stichwort: Gottschalk von Orbais

Gottschalk von Orbais, OSB, Prädestinatianer des 9. Jahrhunderts, war der Sohn eines sächsischen Grafen Berno. Zu frühester Jugend kam er als Oblate in die Abtei Fulda und musste auf Grund des elterlichen Gelübdes das Mönchsgewand nehmen. Vor dem Empfang der höheren Weihen gelang es ihm, zu entfliehen und durch eine Mainzer Synode (Juni 829) von seiner Verpflichtung gelöst zu werden. Jedoch sein Abt Rabanus, der hierin einen gefährlichen Angriff auf den Ordensstand erblickte und aus diesem Anlass die Verbindlichkeit der Oblationen in einer eigenen Schrift verteidigte (Contra eos, qui repugnant institutis b. P. Benedicti; ap. Mabillon, Annal. OSB II, Append. LI), wußte mit Hilfe Ludwigs des Frommen eine Aufhebung jenes Spruches herbei zu führen.

Nur scheint man Gottschalk die Gunst gewährt zu haben, statt des verhassten Fulda das Kloster Orbais (Diözese Soissons) zu wählen; wenigstens gehörte er nachmals diesem Gotteshaus an. Wider Willen und Beruf in die stille Zelle gebannt, warf sich der mit hoch strebendem Gemüt und reichem Talent begabte Mönch leidenschaftlich auf die Studien und trat mit den ersten Gelehrten seiner Zeit, wie Bischof Jonas von Orléans, den Äbten Servatus Lupus von Ferriéres und Markward von Prüm, den Mönchen Walafried Strabo von Reichenau und Ratram von (Alt-)Corbie in brieflichen Verkehr. Ruhelos beschäftigte er sich mit den verschiedenartigsten und sonderbarsten Fragen, bis ihn die augustinische Lehre über Gnade und Vorherbestimmung dauernd fesselte.

Die tiefen, aber auch der Missdeutung fähigen Gedanken dieses Kirchenlehrers konnten einen Geist wie den Gottschalks, der trotz aller äußeren Strenge von Zweifeln und Kämpfen gequält wurde, und auf dessen Leben ein dunkles Verhängnis zu ruhen schien, leicht falschen prädestinatianischen Ideen entgegen führen. Das Unstete seines Wesens und der unruhige Drang, seine Ansichten zu verbreiten, trieben ihn unter dem Vorwand einer Wallfahrt zu den Gräbern der Apostel nach Italien. Hier fanden seine Theorien vielfache Anerkennung. Bereits im Jahr 840 wußte er am Hoflager Kaiser Ludwigs des Frommen weilende nachmalige Bischof Noting von Brescia dem Abt Rabanus von der Verbreitung prädestinatianischer Lehren in Oberitalien zu berichten, weshalb dieser ihm eine kleine Abhandlung über jene Fragen schrieb (Migne, PP. lat. CXII, 1530 bis 1553):

Raban faßt die Anschauungen, welche er bekämpft, also zusammen: „Gleichwie diejenigen, welche durch das Vorherwissen und Vorherbestimmen Gottes zur Herrlichkeit des ewigen Lebens berufen sind, notwendig gerettet werden müssen, so unterliegen auch die, welche dem ewigen Untergang entgegen gehen, dem Zwang der Prädestination und können dem Verderben nicht entrinnen.“ Dem gegenüber betont er, daß nicht die Gottlosen selbst prädestiniert, sondern ihnen nur die Strafe prädestiniert sei.

Nachdem Gottschalk nach Westfranken zurück gekehrt und durch den Reimser Chorbischof Richbold die Priesterweihe empfangen hatte, zog er wieder nach dem Süden. Um 846 sah sich Raban veranlaßt, den Grafen Eberhard von Friaul durch ein eigenes Schreiben (Migne CXII, 1553 bis 1562; unrichtig wird oft als Datum 22. April 848 angegeben), daß die Prädestinations-Lehre Augustins aus den Werken Prospers von Aquitanien zu erläutern sucht, vor dem kühnen Reiseprediger zu warnen. In Folge dessen begab sich dieser, langsam durch Dalmatien, Pannonien, Norcium ziehend, nach Deutschland zurück.

Dort wurde auf einem Konzil zu Mainz (1. Okt. 848) seine Lehre als ketzerisch verurteilt, und er selbst seinem Metropoliten Hinkmar von Reims zur Bestrafung übergeben. Letzterer ließ ihn im folgenden Frühjahr durch eine Synode von Quierzy (Carisiacum) der unkanonisch empfangenen Priesterwürde (er hatte sie ohne Vorwissen seines Diözesanbischofs Rothad von Soissons erhalten) entsetzen, zu ewigem Stillschweigen über seine Lehre und zu Klosterhaft verurteilen. Nachdem er auf Befehl des Konzils seine Schriften, über die sich nichts Näheres feststellen läßt, mit eigener Hand dem Feuer überantwortet hatte und für sein ungebührliches Benehmen in der Versammlung nach der Benediktinerregel mit Schlägen gezüchtigt worden war, wurde er in die Abtei Hautvillers bei Reims gebracht.

Es gelang dem Gefangenen, zur Verteidigung seiner Lehre zwei Schriftchen (Migne CXXI, 346 bis 350. 349 bis 366) zu veröffentlichen, die in das Gewand überschwänglich gehaltener Glaubensbekenntnisse gekleidet sind. In dem kürzeren will er zwar nur eine auf den vorher erkannten Sünden beruhende Prädestination der Bösen annehmen, behauptet aber auch, daß Gott den ewigen Untergang der Verworfenen auf dieselbe Weise (pariter) voraus wisse und voraus bestimme, wie Seligkeit der Gerechten. Das größere Glaubensbekenntnis, dem Gottschalk in Nachahmung der Confessiones „seines Augustinus“ die Form eines Gebetes gab, offenbart mit seiner glühenden Sprache ganz den schwärmerischen Charakter des Mannes.

Er hält an der zweifachen Prädestination fest, sucht aber dem Standpunkt Rabans und Hinkmars, die nur eine Vorherbestimmung der Auserwählten zugaben, dadurch sich zu nähern, daß er unter dem Begriff des Guten sowohl die Gnade der Auserwählung als auch die Gerechtigkeit des Strafgerichtes zusammen faßt und so eine Prädestination lehrt, welche in ihrer Wurzel einfach, in ihrer Entfaltung und Äußerung zweifach ist. Dagegen verwirft er die Unterscheidung seiner Gegner, daß dem einzelnen Gottlosen zwar seine Strafe, nicht aber der Gottlose zur Strafe vorher bestimmt sei, als sinnlos. Zum Schluss erbot er sich zu einem schrecklichen Gottesurteil als Probe der Wahrheit.

Statt dessen ward die Haft des unbeugsamen Mannes auf Rabans Rat verschärft, so daß er an den ferneren Verhandlungen über diePrädestination, die den Charakter eines heftigen literarischen Kampfes annahmen, keinen Teil mehr nehmen konnte. Die Veranlassung gab eine (verlorene) Abhandlung Hinkam’s Ad reclusos et simplices seiner Diözese, die eine scharfe (ebenfalls verlorene) Kritik Ratramns hervorrief. Auf Wunsch des Erzbischofs äußerten sich nun auch Servatus Lupus (Ep. Ad Hincm., Migne CXIX, 606 bis 608) und Bischof Prudentius von Troyes (Migne CXV, 971 bis 1010) zur Frage. Bei ersterem tritt der eigentliche Gegenstand des Streites, die Vorherbestimmung zur Glorie bzw. Verdammnis, in den Hintergrund. Er betont, daß die Prädestination der Guten in der Zuwendung, die der Bösen in der Vorenthaltung der Gnade bestehe, und daß Gott auf diese Weise den Sünder nicht positiv der Strafe in die Arme treibe, sondern ihn nur nicht von der Sünde, welche die Strafe nach sich zieht, zurück halte…

Von Karl dem Kahlen, der dem Streit lebhaftes Interesse zuwandte, aufgefordert, verfaßte Ratram eine aus zwei Büchern bestehende Schrift über die Vorherbestimmung (Migne CXXI, 13-80), in welcher er ebenso entschieden eine doppelte Prädestination vertrat, wie er die von Anderen aus derselben gezogene Folgerung, als ob nicht die Sünde, sondern die Prädestination die Ursache der Verdammung sei, und als ob Gott nicht das Heil aller Menschen wolle, als unberechtigt zurück wies.

Auch Lupus trat nochmals in die Schranken (Ep. Ad regem und De tribus quaestionibus, Migne CXIX, 601 bis 605. 622 bis 648). Wegen der Unverdienbarkeit der Gnade wollte er an einer ohne Rücksicht auf die künftigen Verdienste stattfindenden Prädestination der Guten festhalten und bezüglich der Bösen nur eine negative und durch die vorher gewußten Sünden bedingte Reprobation gelten lassen.

Gegenüber dem Einwand, daß hiermit eine Vorherbestimmung zur Sünde ausgesprochen sei, bemerkt Lupus, Alle hätten in Adam freiwillig gesündigt, und auch die Gottlosen würden durch die Vorsehung zu dem guten Zweck der Prüfung der Auserwählten und der Offenbarung der göttlichen Gerechtigkeit gelenkt. Um dem Vorwurf zu entgehen, daß alsdann Manche in der Meinung, sie seien verworfen, sich in Verzweiflung und Laster stürzen würden, mildert er seine Theorie weiter dahin, daß alle, welche ohne ihr Verdienst getauft seien, sich zur Zahl der Erwählten rechnen müssten und auch wirklich durch gute Werke selig werden könnten. Demgemäß gibt er im Gegensatz zu Prudentius die Universalität der Erlösung wenigstens für die Gläubigen zu.

Keiner hatte die Person und Lehre Gottschalks direkt in Schutz zu nehmen gewagt, aber niemand auch den theologischen Standpunkt gebilligt, den Rabanus und Hinkmar eingenommen hatten. Deshalb bewog letzterer, der noch Bedenken trug, selbst in den Kampf einzugreifen, den königlichen Hofphilosophen Johannes Scotus Erigena, für die einfache Prädestination eine Lanze zu brechen. Die Schrift desselben De divina praedestinatione (Migne CXXII, 355 bis 440) gelangt mit Hilfe pantheisierender Philosophie zu der Verwerfung einer doppelten Vorherbestimmung, indem sie die Prädestination mit der Einen Wesenheit Gottes identifiziert. Das kühne Buch rief zwei umfassende und schneidige Entgegnungen hervor…

… bezüglich der Prädestination blieb Gottschalk mit fanatischer Festigkeit bei seinen Ansichten, ungeachtet der lebenslänglichen Haft und wiederholter Versuche seines Erzbischofs, ihn umzustimmen. In den letzten Lebensjahren umnachtete religiöser Wahnsinn mehr und mehr seinen Geist. Er endete unversöhnt mit der Kirche, wahrscheinlich in der letzten Hälfte der sechziger Jahre. Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 5, 1888, S. 940 – S. 950

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