Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Hexen und Hexenglaube
Der Hexenglaube
Hexen (sagae) heißen nach dem Volksglauben solche Personen, welche durch Übereinkunft mit dem Teufel im Stande sind, Anderen Schaden zuzufügen. Es sollen dies vorzugsweise weibliche Personen jedes Alters sein; nur ausnahmsweise wird das nämliche Vermögen auch Männern zugeschrieben, welche dann Hexenmeister genannt werden. Die Übereinkunft mit dem Teufel wird dabei immer als eine formelle gedacht; die Hexen müssen Gott absagen, den Teufel als höchsten Herrn anbeten, in Allem seinen Willen vollziehen und , falls sie Wehemütter sind, auch die Kinder auf seinen Namen (Beelzebub, Zabulon, Astaroth) taufen. Hierfür wird ihnen alles mögliche irdische Glück verheißen, aber selten bereitet, weil der Teufel seine Lügennatur niemals verleugnet. Der Schaden, den die Hexen anrichten, erstreckt sich auf das Leben, die Gesundheit, die Ehe und das Eigentum; namentlich können sie das Wetter machen, Misswuchs und Unfruchtbarkeit bewirken, Ungeziefer hervor bringen, den Kühen die Milch benehmen und überhaupt das Vieh in den Ställen schädigen; der eigene oder der einem Dritten zuzuwendende Vorteil ist dabei nur Nebensache. Als Mittel zu solchen Malefizien dient entweder die bloße Anhauchung und Bestreichung, oder die Anwendung von Salben und Tränken, welche unter geheimnisvollen Bedingungen aus solchen scheußlichen Gegenständen, wie im 4. Akt des Shakespeare`schen Macbeth aufgezählt sind, in der sogenannten Hexenküche bereitet wurden. Schutzmittel gegen die Behexung biete entweder geweihte Sachen, wie Agnus Dei, Kreuze, Reliquien, oder abergläubisch gewählte Gegenstände, wie Bernstein, Edelsteine, eine am Neujahrstag erhaltene und in ein Kleid eingenähte Muskatnuss u. dgl. Von Zeit zu Zeit, meist in regelmäßiger Wiederkehr, müssen sämtliche Hexen eines bestimmten Bezirkes sich dem Teufel stellen. Sie besitzen eine Salbe, durch deren Anwendung sie befähigt werden, auf einem Besen oder auf einem vom Teufel gestellten Bock zum Kamin hinaus hoch durch die Luft zu dem bestimmten Versammlungsort zu reiten. Dann dürfen sie den Namen Jesu nicht aussprechen, weil sie sonst unfehlbar aus der Luft zur Erde nieder stürzen. Auch das Geläute geweihter Glocken hemmt ihren Weg, weil sie bei demselben da, wo sie gerade sind, zur Erde nieder gesetzt werden; sie müssen daher ihren Ausflug zwischen dem Abend- und Morgenläuten vollbracht haben. Als Orte solcher Zusammenkünfte gelten einsame Stellen auf Haiden, im Waldesdunkel oder auf Berghöhen; in Italien gilt u.a. ein Nussbaum bei Benevent und die Ebene von Mirandola, in Frankreich der Puy de Dome, in Schweden der Blakulla, in Deutschland der Brocken, der in dieser Eigenschaft nur Blocksberg heißt, als Ort der Zusammenkunft. Die Versammlung selbst heißt Hexensabbat. Bei demselben muss erst jede Hexe dem Teufel Rechenschaft über alles Übel ablegen, welches sie seit der letzten Zusammenkunft verübt hat; diejenige, welche meinen oder nicht genug Schaden gestiftet hat, erhält Schläge. Hierauf folgt eine Art von gotteslästerlicher Liturgie, in welcher der Teufel angebetet und angerufen wird, und der Rest der Nacht verfließt unter Essen und Trinken, Tänzen und Obszönitäten. Trotz der Gelage sind die Hexen am andern Morgen überaus hungrig, dabei müde und schwindelig und hieran leicht zu erkennen. Der Hexensabbat fällt gewöhnlich in die Nähe großer Kirchenfeste; von Alters her ist dazu die Nacht vor dem 1. Mai, die sogenannte Walpurgisnacht, bestimmt. Kommt ein Uneingeweihter der Hexen-Versammlung zu nahe, so wird er übel empfangen und mit tödlichen Schlägen heim geschickt; doch ist die Anrufung des Namens Jesu hinreichend, dem Treiben ein Ende zu machen, so daß die Hexen nach allen Enden der Welt auseinander stieben.
Der Hexenglaube bei allen Völkern ausgebildet
Dieser Volksglaube ist wohl in letzter Instanz eine Umbildung der Tatsache, daß der Teufel das Weib zur Sünde verleitet und dadurch dem Menschengeschlecht unermesslichen Schaden zugefügt hat. Insofern diese Wahrheit Gemeingut und Erbstück der ganzen ursprünglichen Menschheit war, läßt es sich erklären, daß bei allen Völkern seit dem grauesten Altertum das, was jetzt Hexenglaube heißt, sich ausgebildet findet.
Schon der älteste Kulturstaat Ägypten hatte die abergläubische Meinung von Zauberinnen, welche den Menschen Schaden könnten; auch die heilige Schrift berichtet von den ägyptischen Hexenmeistern, welche Plagen über das Land bringen konnten (Ex. 7, 22; 8, 7) Dasselbe gilt von dem uralten Volk zu Accad, dessen Kultur die Babylonier erbten und erst über Persien und den ganzen Orient, dann auch über das Abendland verbreiteten. Aber zeigt sich bei den Griechen der Glaube an Hexen vollkommen ausgebildet. Bei Homer sind Helena mit ihrem Zaubergürtel und Circe mit ihre Zauberstaub Hexen im eigentlichen Sinne des Wortes; Tiresias ist ein Hexenmeister. Später erscheinen bei Medea eine Menge der von den Hexen berichteten Einzelheiten, namentlich auch der dämonische Weg durch die Luft; Hexen sind ferner Perimede bei Theokrit und Pasiphae bei Apollodar. Bei den Römern war der Glaube an Hexen noch viel verbreiteter. Schon die zwölf Tafeln erwähnen das Verhexen des Getreides von einem Feld auf das andere, welches von Frauen durch Drehen einer Spindel geschah; Weiber mit doppelter Pupille haben nach Plinius und Gellius den bösen Blick, die fascinatio; die Priesterinnen der Insel Sena können nach Pomponius Mela das Meer aufregen; thessalische Weiber verwandeln bei Apulejus den Menschen in ein Tier und fliegen durch die Luft zur Buhlerei. Durch die Römer ist dann der Glaube an die Hexen unter den germanischen Völkern allgemein geworden. Im germanischen Altertum enthält der Glaube an die Macht der Einherier und Walküren einerseits und der Priesterinnen andererseits wohl den Keim zu dem späteren Hexenglauben; allein ausgebildet und in seinen Einzelheiten gestaltet wurde er bei den Deutschen erst durch die Berührung mit den romanischen Völkern.
Die Bekämpfung des Hexenglaubens durch die Kirche
Das Wort Hexe erscheint allerdings schon im 6. Kanon der Synode zu Paderborn 785, um das Objekt abergläubischer Vorstellung bei den Sachsen zu bezeichnen; allein es zeigt sich aus dem Zusammenhang, daß hier von Personen anderer Art die Rede ist. Erst in den Dekreten Burchards von Worms werden (Magn. Decret. Vol. 19, 5) für die Gewissensprüfung auch die Fragen vorgelegt: „Hast du geglaubt, daß es Frauen gebe, welche durch Zauberkünste die Gemüter der Menschen umändern oder die Güter derselben beschädigen oder entwenden können? Hast du geglaubt, was einige gottlose, vom Teufel verblendete Weiber vorgeben, daß sie zur Nachtzeit mit der angeblichen Göttin Holda und einer großen Menge von Weibern auf Tieren reiten, ihr als einer Herrin gehorchen und zu ihrem Dienst in anderen Nächten gerufen werden?“ Hier ist ebenso das Vorhandensein des Hexenglaubens beim Volk, als die Bekämpfung desselben durch die Kirche konstatiert. Obwohl dieser Kampf von Seiten der Kirche nie eingestellt wurde, so erreichte doch der Hexenglaube seit dem 14. Jahrhundert in allen europäischen Ländern auf einmal eine bis dahin ungekannte Ausdehnung, und zugleich erscheint als neues Moment zur Belastung für die Hexen die allgemein geteilte Meinung, daß die Hexen mit dem in Menschengestalt erscheinenden Teufel unzüchtigen Verkehr unterhielten. Diese Volksmeinung erhielt ganz besondere Nahrung durch die Geständnisse vieler Angeklagten in den Hexenprozessen.
Die Frage nach der Wirklichkeit des Hexenwesens
Die Hexenprozesse haben insofern zur Beurteilung des Hexenglaubens das wirksamste Material geliefert, als unzählige der eingezogenen Frauen sich vor oder nach der Folter alles dessen, was oben einzeln angeführt ist, schuldig erklärten. So ist die Frage nach der Realität der als Volksmeinung dargestellten Vorgänge nich abzuweisen. Die Antwort auf diese Frage ist auf ganz verschiedene Weisen gegeben worden. Die Träger des kirchlichen Bewusstseins haben ursprünglich die Realität des Hexenwesens geleugnet und den Glauben daran verboten. Dies tut der hl. Agobard (gest. 841) in seinem Buch Contra insulsam vulgi opinionem de grandine et tonitruis, und ebenso geschieht in dem berühmten Kanon Episcopi, welcher sich bei Rgino von Prüm, offenbar aus dem Anfang des 10. Jahrhunderts, findet, und welcher nachher irrig der Synode von Ancyra (304) zugeschrieben worden ist (Soldan-Heppe I,130). Diesem Kanon folgt später Burchard von Worms in der bereits angeführten Stelle. Wirklich hat unter dem Einfluss der Kirche der Hexenglaube lange Zeit geruht. Indes sagt doch schon das Konzil zu Pavia 850 von den Künsten der Hexen (maleficae) can. 25 al. 23: vigere ad nos perlatum est, und bestimmt die kanonischen Strafen dafür. Auch der hl. Thomas von Aquin behandelt (1, q. 51, a. 3 ad 6) Teufelsbuhlschaft als etwas wirklich Vorkommendes, und die Bulle Papst Innozenz VIII. Summis desiderantes (Bull. Taur. V, 296) spricht offenbar von Dingen, welche als wirklich galten. Abgesehen aber von aller Autorität ist zunächst die Ansicht abzuweisen, als ob einzig die Tortur die fraglichen Geständnisse aus Unschuldigen hervor gepreßt habe; manche der erhaltenen Prozessakten beweisen bestimmt das Gegenteil. Es reicht auch die namentlich im Canon Episcopi vertretene Annahme nicht aus, die als Hexen eingezogenen Frauen und Mädchen hätten bloße Träume und Halluzinationen, wie sie bei ihrem Geschlecht nicht selten sind, für Wahrheit gehalten; es ließe sich dann die außerordentlich große Zahl der als Hexen Aufgegriffenen und die Übereinstimmung aller betreffenden Aussagen nicht erklären… Auch die Fälschung des Tatbestandes durch die Justiz selbst kann nicht als einziger Erklärungsgrund angenommen werden. Sicher ist, daß einzelne Hexenrichter auf die Güter der Hingerichteten spekulierten, falschen Anklagen folgten und ihre armen Opfer so lange folterten, bis sie alles Gewünschte, das aus der Erfahrung bekannt genug war, ausgesagt hatten; allein im Allgemeinen handelten die Richter bei den Hexenprozessen in gutem Glauben und waren überzeugt, für die sittliche und bürgerliche Ordnung zu wirken. Sonach bleibt einzugestehen, daß die Frage nach der Wirklichkeit des Hexenwesens allgemein nicht beantwortet werden kann. Es kann nur von Fall zu Fall aus den vorhandenen Akten untersucht werden, ob die einzelne als Hexe Angeklagte des ihr zur Last Gelegten schuldig war oder nicht.
Die Möglichkeit der als Hexerei zusammen gefaßten Vorkommnisse kann nicht geleugnet werden.
Als inneren Gründen hat dies Jos. Von Görres in seiner Mystik IV, 2 mit großartiger Spekulation dargetan. Als äußere Gründe können wohl die Untersuchungen der großen Moralisten im Mittelalter und später bis zum vorigen Jahrhundert gelten, insofern dieselben ihre Kasuistik lediglich an die wirklichen Erfahrungen der Beichtväter anknüpfen. Allerdings hat der bekannte Pater Spee die Schuldlosigkeit der meisten im Hexenprozess Verurteilten, welche er als Beichtvater zum Tode geleitet, beteuert; allein auch er gesteht, daß man ohne groben Unverstand bei einzelnen Vorkommnissen den Bund mit dem Dämon nicht leugnen könne, und die in den angegebenen Moralwerken behandelten Fällen sind von Personen hergenommen, welche von der weltlichen Gerechtigkeit nicht erreicht wurden. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 5, 1888, Sp. 1988 – Sp. 1992