Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Seelenwanderung
Seelenwanderung, auch Metempsychose (= Seelenwechsel) oder Reinkarnation (= Wiederverkörperung), ist der angebliche Übergang der aus den sterbenden Körper scheidenden Seele in einen neuen gleichartigen oder artverschiedenen Körper bis zur völligen Läuterung und sittlichen Vollendung, auf die erst der endgültige Zustand der Ruhe, Beseligung oder Vergöttlichung (frei von Körperlichkeit) folgt. Der Seelenwanderungs-Glauben ist fast immer mit dem Vergeltungs-Gedanken verknüpft und soll sowohl Völkerschicksale wie das Los des einzelnen Menschen erklären. Lasterhafte Seelen gehen in entsprechende Körper niederer Wesen ein. Auch der Eingang in krankhafte Körper (Aussatz) wird als Folge von Verfehlungen im früheren Dasein gedeutet. Der Seelenwanderungs-Glauben hat seine größte Verbreitung und Ausbildung im nach-vedischen Religionstum der Inder (Brahmanismus) gefunden. Er tritt schon ausführlich auf in den Upanishaden, in verschiedenen philosophischen Systemen, vor allem auch im Vedânta und in der Religiosität des Hinduismus. Etwas modifiziert ging er in den Buddhismus über, der an sich die substanzielle Seele leugnet. Hier wird an ein Fortwirken des Charakters und der Strebungen auch in Verbindung mit der Vergeltungs- (Karma-) Lehre gedacht und das Pflanzenreich von der Wanderung ausgeschlossen. Höllen-, Tier-, Gespenster-, Menschen-, Dämonen- und Götterwelt sind die „6 Wanderungs-Gebiete“ des Buddhismus. Herodot schreibt den Seelenwanderungs-Glauben auch den Ägyptern zu, was aber zu deren Toten-Konservierung und Jenseitsglauben in Widerspruch steht. Die jenseitigen Verwandlungen der Seelen in verschiedene tierartige Formen nacheinander sind keine diese Welt berührende Wanderung. Erst die von griechischen Einflüssen nicht freie hermet. Literatur deutet die Verbindung der Seele mit dem Leibe als einen vorüber gehenden Strafzustand, auf den ein dämonisches und schließlich ein göttliches Leben folgen solle. Wahrscheinlich vom Orient aus hat der Glaube bei den Griechen Verbreitung erlangt, wo Pythagoras, der sich das Erinnerungs-Vermögen an ein früheres Dasein zugeschrieben haben soll, Posidonius, Empedokles, Plato und der Neuplatonismus ihm huldigten. Er fand sich auch in der Religion der Mexikaner. Der Seelenwanderungs-Glauben hängt meiste mit pantheistischen und monistischen Weltanschauungen zusammen. Vom Christentum wurde er verdrängt. Hinweise bei Philastrius und Augustin, gnostische Lehren sowie die Haltung des Apollonius v. Tyana und der Sextier sind seine letzten Spuren im Altertum. Im Mittelalter haben ihm die Albigenser, in neuerer Zeit Lessing, Hellenbach, Baumann, Forel und (mit Bezug auf Joh. 3,5 u. 9,1ff) Andresen das Wort geredet, bis zu einem gewissen Grade auch Schopenhauer, Mainländer, Nietzsche, Jos. Görres, ebenso der Spiritismus und die moderne Theosophie und Anthroposophie. Die Widerlegung des Seelenwanderungs-Glaubens ist gegeben durch den inneren Widerspruch seiner Vergeltungslehre, die keine Freiheit und im Buddhismus keine Seele mehr übrig läßt, durch die Geistigkeit und Personalität der Seelensubstanz und den Mangel der Erinnerung an ein früheres Dasein.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, 1937, S. 414-415