Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Hexenprozess
Hexenprozess heißt eine seit dem 16. Jahrhundert ausgebildete besondere Form der strafrechtlichen Verfolgung solcher Personen, welche des crimen magiae beschuldigt wurden.
1. Entstehung
Man unterschied im Mittelalter weiße und schwarze Magie; jene, auf Erforschung und Anwendung geheimer Naturkräfte gerichtet, war erlaubt; diese, mit Hilfe des Satans ausgeübt, war als schwere Sünde gegen den Glauben verboten. Sie galt als Abfall von Gott und Christus und als Hingabe an den Satan. Als Abfall vom Glauben und als Ketzerei wurde die schwarze Magie gleich Ehebruch und Brandstiftung mit Kirchenbußen geahndet; nach Einführung der Inquisition wurde sie auch mit Genugtuungs-Strafen belegt, und gegen Halsstarrige war dabei der weltliche Arm angerufen. Materiell ging der Hexenprozess hervor aus dem uralten Glauben der Völker an Zauberei im allgemeinen und an Hexen insbesondere. Dieser seit dem 16. Jahrhundert fast alle Gemüter beherrschende Glaube ist nach dem Urteil eines sachkundigen Juristen (A. Rhamm, Hexenprozess und Hexenglaube, 1882) als etwas vom Hexenprozess ganz Unabhängiges zu betrachten. Seine große Ausbreitung ist wesentlich den furchtbaren religiöse-politischen und sozialen Wirren jener Zeit zuzuschreiben; zum Teil auch dem Einfluss derjenigen Humanisten, welche von einer förmlichen Schwärmerei für die klassischen Autoren, nicht allein ihrer schönen Form, sondern auch ihres vielfach abergläubischen Inhaltes wegen, erfüllt waren. Das gemeine Volk wurde besonders seit der Mitte des 16. Jahrhunderts mit einer Unmasse von abergläubischen Schriften, Hexen- und Zauberbüchern überflutet, wie aus den Frankfurter Messkatalogen jener Zeit zu ersehen ist. Hierüber führten Katholiken und Protestanten, unter letzteren namentlich A. Prätorius und Meyfart, schwere Klagen.
Protestantischer Glaube der Allgewalt Satans
Als eine weitere gewichtige Ursache für die Ausdehnung jenes Glaubens ist die protestantische Lehre von der Allgewalt Satans über jegliche Kreatur, bei voller Ohnmacht des sündigen Menschen, zu betrachten. Diese Lehre ging in die Bekenntnis-Schriften über und wurde auf allen Kanzeln gepredigt, so daß bald eine eigene Literatur von Hexenpredigten entstand (vgl. Diefenbach, Hexenwahn 303 bis 323). Balth. Bekker bezeugt in seiner „Bezauberten Welt“ 1691, daß bei den Papisten ein solcher Teufelsglaube nicht gefunden werde, wie bei seinen Glaubens-Genossen, eine Erscheinung, welche der neuere protestantische Kirchenhistoriker Rauwenhoff (Gesch. van het Protestantisme II, 187) dadurch erklärt, daß „der Aberglaube bei diesen einen mehr dogmatischen Charakter erlangt habe, als bei den Katholiken“. Viele protestantische Prediger, z. B. Naogeorgus in Eßlingen 1562, Dietrich in Ulm 1630, die Geistlichkeit von Wertheim, diejenige von Siebenbürgen 1628, forderten strenge, daß die Obrigkeit gegen die Hexen einschreite. Zwar beklagte Meyfart dieses Vorgehen; allein die öffentliche Meinung der Prädikanten blieb bei ihrer Voreingenommenheit, und die Richter mussten sich nicht selten gegen Anklagen wegen zu laxer Praxis verteidigen; so die zu Coburg 1661 (Leib, Responsa etc.). Der protestantische Prediger Schwager (Geschichte des Hexenprozesses, Berlin 1784) bezeugt, daß noch zu seiner Zeit in Norddeutschland mehr vom Teufel als von Christus gepredigt werde. Nachdem so der Hexenwahn unter den deutschen Protestanten epidemisch geworden war, brach er sich auch in katholischen Territorien Bahn, namentlich in solchen, innerhalb welcher der Protestantismus starke Wurzeln gefaßt hatte, z. B. Trier, Bamberg, Würzburg, Münster und Paderborn.
Aberglauben im katholischen Volk
Unter den Katholiken ging die Aufforderung zu peinlichem Einschreiten gegen die Hexen meist vom Volk aus, welches in Misswachs und Teuerung die Wirkung der Hexerei erblicken wollte; so in Trier 15586 und 1587, Würzburg, Bamberg 1626 und 1628. Bei den Protestanten dagegen waren es die Juristen, wie Carpzow, und die Prediger, wie Spizelius (1687), welche die Hexenprozesse aus rein dogmatischem Grund wegen Bündnis und Buhlschaft mit dem Teufel eingeleitet wissen wollten. Deswegen ward auf dieser Seite besonders die sächsische Kriminalordnung von 1572, welche über die Hexen die Todesstrafe durch Feuer auch ohne Nachweis von Schadenstiftung verhängte, verteidigt. Außerdem wurde der Hexenglaube im 16. Jahrhundert durch die Medizin und die Philosophie gefördert. Letztere verirrte sich immer mehr in die Geheimlehren der Kabbala, in Theurgie, in Alchemie und Astrologie; die Medizin dagegen hielt fest an Zauberkrankheiten, wie die Bücher von Ricardus (1568), Frommann (1675) und ähnlicher Schriftsteller beweisen.
Einführung des römischen Rechtes
Seine formelle Ausgestaltung erlangte der Hexenprozess in Deutschland mit der Einführung der peinlichen Halsgerichtsbarkeit Karls V. von 1532, welche sich auf das byzantinisch-römische Recht stützte. Letzteres kannte die Zauberei als gemeines, todeswürdiges Verbrechen, gestattete bei dessen Verfolgung die Gefangennahme auch ohne Indizien auf bloßen Verdacht hin und setzte den Schuldbeweis nicht in die Überführung durch Zeugen, sondern in das Bekenntnis des Inculpaten, zu dessen Erzwingung die Folter angewendet werden durfte. Dieses Verfahren hatte in der Carolina Aufnahme gefunden, indem § 22 die peinliche Frage bei genügender Denunziation und die peinliche Strafe nach Bekenntnis der Schuld gestattet. Der § 44 dieser Gerichtsordnung registriert dann die genügenden Anzeigen für das Verbrechen der Zauberei, und § 10 setzt den Feuertod für die der Zauberei Geständigen fest, wenn solche äußeren Schaden gestiftet; im andern Fall soll anders gestraft werden. Nach allem diesem ergeben sich als Faktoren zur Herbeiführung der Hexenprozesse der herrschende Hexenglaube und das neu eingeführte römische Recht, mit welchem Urteil Soldan-Heppe (Gesch. der Hexenprozesse I, 453), v. Wächter, Schindler, C. Meyer, Roskoff u. A. übereinstimmen.
Gründe für die Protestanten
Allerdings wollen viele protestantische Gelehrte die Ausbreitung der Hexenprozesse aus anderen Ursachen herleiten: 1. aus der Einführung der kirchlichen Inquisition im Mittelalter, 2. aus der von Papst Innozenz VIII. im Jahre 1484 erlassene Bulle Summis desiderantes affectibus, 3. aus einem Buch, welches die für Deutschland bestimmten Inquisitores haereticae pravitatis Heinrich Krämer (Inquisitor) und Jacob Sprenger 1487 als Kommentar zu der angegebenen Bulle unter dem Titel Malleus maleficarum veröffentlichten. Allein es ist nicht schwer, sie von der Grundlosigkeit dieser Anschuldigungen zu überzeugen.
Die Inquisition
Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Inquisition, welche zur Verfolgung der Häresie eingesetzt war, auch gegen das Hexenwesen einschritt, fand sie beim Volk wie beim Klerus den lebhaften Widerstand, und erst um 1530-1540 erscheint der Hexenwahn als Volksglaube. Wie hätten erst die Protestanten die Inquisition annehmen können, ein Institut, das gegen die Ketzer gerichtet war, sie die selbst den verbesserten gregorianischen Kalender 1583 verwarfen, weil er von Rom kam? Daß beim Hexen- wie beim Inquisition-Prozess ein analoges Verfahren beobachtet wurde, kann keine Kausalnexus konstatieren, sonst müsste man auch den heutigen Parlamentarismus aus den älteren kirchlichen Synodal- und Konziliar-Versammlungen herleiten. Meyfart (1635) und Goldast (1661) machen aufmerksam, daß dort, wo die Inquisition herrschte, nämlich in Italien, Spanien und Portugal, Hexenprozesse zu den ausnahmen gehörten.
Die Bulle Innozenz` VIII.
In Rom selbst ist nie eine Hexe verbrannt worden. Was die genannte Bulle Innozenz` VIII. betrifft, so verdankt sie ihre Entstehung einem Kompetenzstreit, welcher in Ober-Deutschland gegen die Inquisitoren Sprenger und Krämer erhoben wurde, als gehöre die Zaubersache nicht vor ihr Forum. Der Papst entscheidet das Gegenteil, indem er befiehlt, sie sollten alle, welche dort, wie sie berichten, (audivimus), vom Glauben abgefallen, dem schändlichsten Aberglauben sich ergeben, Feldern, Menschen und Tieren Schaden zugefügt hätten, corrigere, incarcerare, punire, mulctare; in den Pfarrkirchen solle darüber vor dem Volk gepredigt, nur im Notfall der weltliche Arm angerufen werden. Von Folter und Feuertod, von Hexentänzen und Lustfahrten ist dabei keine Rede; es war eine jurisdiktionelle Maßregel zum Schutz des kanonischen Rechtes gegen das Vordringen des römischen Rechtes; am wenigsten war es eine Kathedral-Entscheidung, wie Nippold und Soldan-Heppe fingieren. Thomasius (De origine processus, 1712) teilt diese richtige Ansicht von der Schlichtung des Kompetenzstreites. Ihm stimmen bei v. Wächter, C. Meyer, Schindler, Roskoff, Niehus u. A.
Der Hexenhammer
Der Hexenhammer war ein Handbuch oder eine praktische Anleitung für das Verfahren der Inquisitoren, und, weil in lateinischer Sprache verfaßt, nur den Gelehrten zugänglich, dem Volk aber unbekannt, weil das Buch nie übersetzt wurde. Sein Inhalt ist vielfach scheußlich, aber doch nicht so schlecht als sein Ruf; das im dritten Teil vorgeschriebene Verfahren ist selbst nach den Aussprüchen eines Horst und Schwager humaner und weniger rechtlos, als die spätere juristische Praxis in den deutschen Hexenprozessen.
Das Verfahren der Tortur
Das Hauptbeweismittel im Hexenprozess wurde im neuen Verfahren die Tortur. Dieselbe umfaßt vier Grade: 1. Die Daumenschraube, 2. die Beinschraube oder den spanischen Stiefel, 3. das Aufziehen an der Leiter, 4. eine Kombination der drei vorhergehenden Grade. Als sekundäre Beweismittel für Zauberei-Vergehen galten noch die Wasser- und Nadel-Probe. Die ersterer, die mehr am Niederrhein gebräuchlich war, ward der mit Händen und Füßen kreuzweise gebundene Inculpat auf das Wasser geworfen; sank er unter, so galt er als unschuldig; schwamm er oben, so galt seine schuld erwiesen. Gläubiger Verteidiger der Wasserprobe war Professor Scribonius in Marburg 1583. Die Nadelprobe basierte auf dem Glauben, daß der Satan, als Gottes Affe, entsprechend der Beschneidung im Alten Testament, den Zauberern und Hexen ein Stigma aufdrücke. Dieses suchte der Hexenrichter auf und probierte alles, was ihm ähnlich sah, mit der Nadel. Floß kein Blut, so war es ein Naturmal. Diese Untersuchung hatte die schändlichste Misshandlung des weiblichen Geschlechtes im Gefolge und rief die höchste Entrüstung billig denkender Männer hervor; selbst Anhänger des Prozess-Verfahrens, wie Binsfeld und Delrio, eiferten gegen den Aberglauben des Stigma`s. Dagegen war die Tortur den Wenigsten anstößig.
Obschon dieselbe von Alters her an den Päpsten, wie Nikolaus I., Gregor VII. und Gregor IX., entschiedene Gegner gefunden hatte und im kanonischen Recht weder beim Akkusations- noch beim gewöhnlichen Inquisitions-Verfahren zugelassen worden war, so hatte sie dennoch seit dem 13. Jahrhundert bei dem exzeptionellen Verfahren gegen Häretiker allmählich eine beschränkte Anwendung erlangt. Ausgedehnter und grausamer wurde ihre Verwendung, als das Verbrechen der Hexerei dem weltlichen Richter zur Untersuchung zufiel; in Holland (nach Greve, Tribunal ref.) und Norddeutschland (nach Meyfart, Christl. Bedenken Kap. 17, 4-9) ging man noch über das hinaus, was die Carolina erlaubte. „Obschon der subtile Spanier und der listige Italiener an diesen ungeheuren Bestialitäten einen Abscheu haben, und zu Rom nicht gebräuchlich ist, einen Verbrecher über eine Stunde in der Marter zu lassen, so ist es dennoch in Deutschland so weit gekommen, die Peinigung durch einen Tag, durch Tag und Nacht, durch zwei, drei, vier, fünf und mehr Tage und Nächte zu wiederholen, weil der Henker nicht aufhört, zu quälen, der Richter es nicht vergißt, von Neuem zu befehlen. Ich habe in meiner Jugend baumstarke Männer gesehen, welche von der Leiter kamen und sagten, sie wollten lieber zehnmal sterben, als noch einmal die Leiter besteigen. Doch war diese Tortur nicht der zwanzigste Teil der heute im Hexenprozess üblichen Marter.“
Die Schilderungen des Augenzeugen Meyfart sind haarsträubend. Man entschuldigte sich mit der Berufung, daß die Hexerei ein crimen exceptum sei, welches gestatte, von den üblichen Normen nach Gutdünken abzuweichen. Man torquierte (= peinigte, quälte, folterte) auf Schadenstiftung an Getreide, Vieh und Menschen, auf Wettermachen, Luftfahrten, Hexentänze, Teufels-Buhlschaften und besonders Nennung der Komplizen. Durch letztern Umstand wuchsen die Hexenprozesse der Hydra gleich ins Ungeheuerliche, und eine Masse unschuldiger Menschen, wie Spee behauptet, neunzig Prozent der Angeklagten, wurden dem Tod überliefert. Daß es Subjekte gab, welche nach des Art des berühmten Faust den Willen hatten, mit dem Satan zu paktieren, um Geld und Gut zu erwerben, ist ebenso gewiß, wie die Sucht so vieler Alchemisten, das Goldmachen zu erlernen. Es gab auch viele, welche an einen fleischlichen Verkehr mit dem Satan glaubten, weil sie solche imaginäre Vorstellungen durch den Gebrauch narkotischer Mittel erzeugten, durch sog. Hexensalben, welche nach Weyers Angaben (1563) aus betäubenden Ingredienzien bestanden und zu Halluzinationen führten. Der Aberglaube, daß die Salbe aus dem Körper ungetaufter Kinder besonders wirksam sei, hat zur Verübung des Verbrechens der Kindermorde häufig geführt. Endlich haben viele Ganz- und Halb-Irren sich für Teufelsbündner und Buhlgenossen gehalten und sich als solche bekannt. Fälle von wirklicher Zauberei und Hexerei gibt auch Spee, der beste Kenner seiner Zeit, zu; ihre Möglichkeit wird durch die Lehre der Kirche bestätigt. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 5, 1888, Sp. 1993 – Sp. 1998