Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Hillel
Hillel I., genannt „der Alte“, jüdischer Gesetzeslehrer, mit Schammai als letztes der sogenannten 5 Paare der Traditionskette aufgeführt., * um 50 v. Chr.; † 10 n. Chr. Über ihn und seine Gelehrsamkeit erzählt die Tradition viel Legendäres. Er soll aus einer armenisch-babylonischen Exulanten-Familie (daher auch ha-Babli) stammen, die sich davidischer Abkunft rühmte. Er war der angesehenste Gesetzeslehrer seiner Zeit, aber nicht Präsident des Synedriums. Er und seine Schule entschieden in gesetzlichen Fragen meist in erleichterndem Sinn gegenüber der strengeren Richtung Schammais; im allgemeinen aber gingen die beiden Schulen nur in Äußerlichkeiten auseinander. An Hillels Namen knüpft sich die Einrichtung des sog. Prosbols, d.i. Ausstellung einer gerichtlichen Ermächtigung, ausstehende Schulden jederzeit, also auch im Sabbatjahr, einzutreiben, wodurch die Bestimmung Dt. 24,1 faktisch umgangen wurde. Niedrig war Hillels Auffassung von der Ehe, indem er Dt. 24,1 auf die kleinsten Vergehen ausdehnte. Die Tradition führt auf Hillel auch die 7 Middoth zurück, die hermeneutischen Regeln für die Ableitung der Halacha aus der Schrift oder aus anderen Halachoth. Er hat sie aber nicht erst erfunden, sondern nur das übliche Beweisverfahren in diesen Sätzen zusammen gefaßt. Renan (Vie de Jesus) sieht in Hillel „eigentlich den wahren Lehrer Jesu“, Abr. Geiger (Vorlesungen über das Judentum, 1867) in Jesus „einen Pharisäer, der in den Wegen Hillels ging“ und in Hillel zugleich einen „echten Reformator“. Dem widerspricht, daß Hillel lediglich die kasuistisch eingeengten pharisäischen Satzungen weiter bildete bzw. ausdeutete. Bei den den von ihm herrührenden oder ihm zugeschriebenen Aussprüchen, von denen Jesus abhängig sein soll, handelt es sich in der Hauptsache um praktische oder ethische Sentenzen. Der viel bewunderte Moralspruch bezüglich der Nächstenliebe (Schabbath 31) ist schon Tobias 4,16 zu lesen.
Hillel II, ein Nachkomme Hillels I, Vorsteher des Lehrhauses zu Tiberias 330-365, als solcher Patriarch des Synedriums im späteren Sinn. Er soll 359 einen konstanten Kalender, die Grundlage des heutigen jüdischen, eingeführt haben. Diese Behauptung taucht aber erst bei Hai Gaon im 11. Jahrhundert auf; die Einführung wird kaum vor dem 6. Jahrhundert anzusetzen sein.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, S. 43-44