Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Renan
Renan, Ernest, Orientalist und Religionshistoriker, * 27.2.1823 zu Tréguier in der Bretagne (dort Denkmal), † 2.10.1892 zu Paris (Grab im Pantheon). Durch das Studium Hegels und rationalistischer deutscher Theologen um seinen Glauben gebracht, trat Renan 6.10.1845 kurz vor der Subdiakonatsweihe aus dem Priesterseminar St-Sulpice aus und studierte fortan Orientalistik und jüdisch-christliche Religionsgeschichte. 1849-50 arbeitete er im Auftrag der Académie des inscriptions, deren Mitglied er dann 1856 wurde, an italienischen Bibliotheken für sein Werk: Averroès et l`Averroisme (Paris 1852, 1869). Er leitete 1860 – 61 die von der französischen Regierung veranstalteten Ausgrabungen zur Aufhellung des phönizischen Altertums (vgl. seine Berichte in Mission de Phénicie, Paris 1864/74), wobei er „das fünfte Evangelium“, Palästina, kennen lernte und sein „Leben Jesu“ schrieb. 1862 wurde er Professor für semitische Sprachen am Collège de France, aber 1863 wegen seiner Antrittsvorlesung und des inzwischen erschienenen „Leben Jesu“ (Paris 1863) infolge Einspruchs des französischen Episkopats suspendiert und erst 1871 nach dem Sturz des Kaisertums rehabilitiert. 1864 – 65 machte er eine neue Orientreise an die Hauptstätten des paulinischen Wirkens. 1879 wurde er Mitglied der Akademie, 1884 bis zum Tode Administrator des Collège de France. Nicht seine z. T. wertvollen fachwissenschaftlichen Arbeiten (…) haben Renan`s Namen weltbekannt gemacht, sondern seine Publikationen zur Urgeschichte des Christentums. Die große Histoire des origines du christianisme, in der sich mit der Gelehrsamkeit des Religionshistorikers der Glanz einer bald pathetischen, bald ironischen Darstellungsform verbindet, umfaßt 8 Teile (sämtlich Paris)… Ergänzend kam später eine 5bändige Histoire du peuple d`Israel (1887/93); deutsch von E. Schälsky, 1894) hinzu. Sein „Leben Jesu“, ein Gegenstück zu dem von D. F. Strauß, eines der meist gelesenen und umstrittenen Bücher des 19. Jahrhunderts, ist eine „Biographie“ des schwärmerisch veranlagten Naturkindes Jesus, das sich zum idealen Anarchisten entwickelt und dabei zu Grunde geht: eine Idylle, die als Tragödie endigt. Der Rationalist, dessen Credo nur ein festes Dogma enthielt, nämlich die Unmöglichkeit alles Übernatürlichen, und der dichterische Ästhet in Renan haben zusammen dieses wegen der oft hervorragenden Frivolität abstoßende, wie ob seiner künstlerischen Form anziehende Werk geschaffen. Die Verbindung gelehrter Forschung und der Kenntnis der Landschaft Palästinas mit der schöpferischen Freiheit des Dichters, der die Lücken der Überlieferung überbrückt und die Überlieferung selbst umgestaltet, machen die ungeheure, durch die heftige Bekämpfung nur noch gesteigerte Wirkung des Buches verständlich. Di in den 2 genannten großen Werken bewältigten Stoffmassen können nicht darüber hinweg täuschen, daß Renan ebenso wenig eine eigentliche Forschernatur wie ein religiöser Mensch war. Sein Interesse an der Persönlichkeit Jesu war vielmehr ein ausgesprochen künstlerisch-ästhetisches. Renans großer Einfluss auf seine Zeit beruhte hauptsächlich auf seinen kulturpolitischen, halb philosophischen, halb dichterischen Schriften… –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VIII, 1936, Sp. 823 – Sp. 825
Renan, …, verdankt seinen weltbekannten Namen nicht den zum Teil schätzenswerten Leistungen auf dem Gebiet seiner Fachwissenschaft, sondern seinen das theologische Gebiet berührenden Schriften im Allgemeinen und der berüchtigten Vie de Jésus im Besonderen. Zumal das letzt genannte Buch in Verbindung mit dem Umstand, daß sein Autor an der Schwelle des katholischen Priestertums vom Glauben abgefallen war, hat Renan zu einer solchen „Berühmtheit“ verholfen, daß er als der Bannerträger einer Richtung erscheint, die man als „Renanismus“ bezeichnet. Freilich war es weder die Person des Schriftstellers, noch die Tiefe seines wissenschaftlichen Forschens, welche ihn auf diese Höhe stellte; vielmehr liegt das Geheimnis seines unheilvollen Einflusses darin, daß Renan nicht sowohl der Bahnbrecher für eine neue, als vielmehr der Dolmetsch für eine schon vorhandene Richtung war; folgerichtig ward ihm, wie in ähnlichen Fällen immer, das Los zu Teil, von seinen Anhängern überholt und zuletzt als zurück geblieben angesehen zu werden. In der Tat gelang es ihm niemals, völlig mit seiner katholischen Jugend-Vergangheit aufzuräumen. Ein gewisser, wenn auch noch so vager Idealismus, verbunden mit „religiösen“ Gefühlen, und der Skeptizismus eines frivolen Lebemannes, der oft mit der Forschung nach Wahrheit sein Spiel zu treiben scheint, – diese Doppelnatur ist das Resultat der Entwicklung Renans. Er selbst war sich dieser Doppelrichtung im eigenen Ich bewußt und sah sie als Folge seiner halb bretagnischen, halb gascognischen Abkunft an…
Aber schon im Knaben Renan zeigte sich eine frivole Anlage, und sein religiöses Betragen bis zum 15. Jahr konnte trotz äußeren Scheins nicht den ungeteilten Beifall seiner Lehrer finden. Gleichwohl glaubten er und andere an seinen Beruf zu Priestertum, und er ward 1838 Zögling des von Dupanloup errichteten Seminars St-Nicolas du Chardonnet bei Paris. Renan studierte daselbst die Humaniora, legte zu Issy den Kursus in der Philosophie zurück und kam endlich in das Seminar von St-Sulpice. Während dieser Studienjahre aber bereitete sich die Krisis vor, in welcher er den Glauben verlor. Es waren die mannigfaltigsten Zweifel, namentlich „historisch-kritischer“ Art, welche nach seinem eigenen Geständnis in ihm nicht nur den Glauben an seinen Beruf, sondern auch den Glauben an das ganze Christentum wankend machten. Nicht geringen Einfluss auf den schlimmen Ausgang der Krisis übten die Schriften der deutschen Rationalisten jener Zeit (Gesenius, Ewald) aus, in welche sich der junge Seminarist hinein gelesen hatte. Anstatt nun, wie sein geistlicher Vorgesetzter ihm riet, seine Glaubenszweifel mit den jedem Katholiken nahe liegenden Mitteln zu überwinden, trat Renan kurz vor Empfang der Subdiakonatsweihe aus dem Seminar aus (Oktober 1845)…
Selbst über solche Grundwahrheiten wie Dasein Gottes und Unsterblichkeit der Seele, hatte Renan keine fest begründete Überzeugung, und es ist auch innerlich durchaus wahrscheinlich, daß er, wie berichtet wird, am Ende seines Lebens mit dem wieder erwachenden Glauben seiner Jugend noch einen letzten Kampf zu bestehen gehabt habe, zumal er schon, gleichsam in Vorahnung eines solchen, am Schluß seiner „Erinnerungen“ (s. Revue des Deux Mondes LIV (1882), 261) gegen seine allenfallsige (Anm. = möglicherweiser eintretende) Bekehrung auf dem Todesbett glaubte protestieren zu müssen. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 10, 1897, Sp. 1050 – Sp. 1054