Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Schriftgelehrte
Jüdische Schriftgelehrte am Grab des Propheten Ezechiels
Schriftgelehrte (Schreiber, Sekretäre) sind Juden, die sich berufsmäßig mit der Erforschung des Gesetzes beschäftigen. Als eigener Stand gesetzeskundiger Lehrer und Richter erscheinen sie seit Esdras, der den Späteren stets als Vater und Vorbild der Schriftgelehrsamkeit galt. Esdras war noch Priester und Jurist in einer Person. Später trennten sich die beiden Berufe; die theoretische wie die praktische Beschäftigung mit dem heiligen Gesetz, seine Auslegung und Anwendung wird in steigendem Maße eine Angelegenheit der Laien.
Zu einer eigentlichen Kaste der Schriftgelehrten ist es wohl nicht gekommen; wenigstens war es in jüngerer Zeit allgemein verbreitete Sitte, dass die sogenannten Rabbi ein Handwerk ausübten, und noch als christlicher Apostel bietet Paulus (nach Apg. 18,3; 20,34) hierin das Bild eines echten Schriftgelehrten. Eigene Tracht wird man mit Stellen wie Mk. 12,38 kaum begründen können. Der gleiche Stand, der noch Sirach 38,24 bis 39,11 ein wolltönendes Lob empfängt, erscheint in der synoptischen Überlieferung unserer Evangelien als Todfeind Jesu. Zusammen mit den Pharisäern erfahren die Schriftgelehrten namentlich Mt. 23 ein schonungsloses Urteil.
Kann auch die Adelspartei der Sadduzäer die Hilfe der Rechtskundigen unmöglich entbehrt haben, so überwog doch unter den Rabbi stark die Richtung des Pharisäismus, die das Gesetz durch immer weiter vorgetriebene Distinktion sichern und zur Geltung bringen wollte, tatsächlich seine Bestimmungen ständig erweiterte, Spruchpraxis und Gewohnheitsrecht (Halacha) schuf. Das so gewonnene neue Recht betrachtete man als genau so verbindlich wie die Bestimmungen der Thora. Die rabbinische Schulüberlieferung war ursprünglich rein mündlich; erst in nachchristlicher Zeit wurde sie schriftlich festgelegt (Talmud).
Nicht allein die Rechtsprechung, auch aller Unterricht in der Rechtskunde und aller Rechtsbeistand sollten unentgeltlich sein; doch lehrt das Wort Mk. 12,40, dass dieser Grundsatz vielfach bedenklich verletzt worden sein muss. Hauptsitz der jüdischen Schriftgelehrsamkeit war bis zum Jahre 70 n. Chr. Jerusalem (nach dessen Fall die Städte Jamnia und Lydda, seit Mitte des 2. Jahrhunderts Tiberias), wo die Schriftgelehrten im Synedrium zwar niemals den Vorsitz führten, aber einflussreich waren; doch gab es auch Schriftgelehrte im übrigen Judäa, Galiläa (Mt. 9,3) und in der Diaspora. Aus der Zeit Herodes` d. Gr. sind besonders Hillel I und Schammai, die beide eine Schule begründeten, eine milde und eine strenge, ferner Gamaliel I, der Lehrer des Apostels Paulus.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, 1937, Sp. 333
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Bildquellen
- Tomb_of_Ezekiel: wikimedia