Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Esdras
Esdras („Hilfe“), Esra, Ezra, jüdischer Schriftgelehrter und Priester aus der Familie des Hohenpriesters Saraias, den Nebuchodonosor hatte hinrichten lassen (2. Kg. 25, 18-21). In der Verbannung zu Babylonien aufgewachsen, erwarb sich Esdras hebräische Bildung („ein Schriftgelehrter, bewandert im Gesetz des Moses“, Esr. 7, 6) und eine einflussreiche (amtliche?) Stellung am Hofe des Königs Artaxerxes I. (465-24). Glühend war sein Eifer für das Gesetz, ungeheuchelt seine Frömmigkeit, groß die Liebe für sein Volk. Um die Gemeinde in der Heimat nach außen zu stärken und ihr inneres Leben zu beeinflussen, führte er 458 mit königlicher Vollmacht (Esr. 7, 11) und unter reicher Beisteuer seitens der Zurückgebliebenen fast 1500 Verbannte von Babylonien nach Jerusalem. Ein Ferman des Königs an die Behörden im Westeuphratland wies öffentliche Mittel für den Gottesdienst an und beauftragte Esdras mit der strengen Durchführung des mosaischen Gesetzes in Judäa.
Viele Israeliten, darunter Priester, Leviten, Vorsteher und Oberste, hatten gegen das Verbot des Gesetzes heidnische Frauen geheiratet. Eine Volksversammlung beschloss, daß die nichtjüdischen Frauen mit ihren Kindern entlassen werden müssten. Diese Maßregel, von einem Ausschuss bis zum Beginn des 2. Jahres der Rückkehr (457) durchgeführt (Esr. 10, 17), hatte weitestgehenden Erfolg (Esr. 10, 44 u. 3. Esr. 9, 36). Später, zur Zeit des Nehemias 444, las Esdras dem Volk am 1. und 2. Tischri und am Laubhüttenfest das Gesetz vor und ließ es durch Leviten erklären; am 8. Tag des Laubhüttenfestes verpflichtete sich das Volk in einer Bundeserneuerung auf das Gesetz. –
Daß Esdras sich um die Aufzeichnung und Erhaltung der hl. Schriften sehr verdient machte, ist aus seinem Wirken verständlich, in der Bibel angedeutet und im Talmud mit ausschmückenden Zutaten überliefert. Offenbarungen erhielt er vom Engel Uriel. Das apokryphe 4. Buch Esdras (14, 18ff.) enthält die Legende, daß dem Esdras der Wortlaut der bei der Zerstörung Jerusalems zu Grunde gegangenen hl. Schriften von neuem geoffenbart worden sei. Von Esdras geschriebene Denkwürdigkeiten liegen in den Büchern Esdras und Nehemias (auch 2. Buch Esdras genannt) vor:
wörtlich in dem in die Denkwürdigkeiten aufgenommenen aram. Ferman Artaxerxes I. (Esr. 7, 12-26) und in den „Ichstücken“ (Esr. 7, 27 bis 9, 15), vom Verfasser der Bücher überarbeitet (Esr. 7, 1-11; 9, 16 bis 10, 44; Neh. 8, 1 bis 10, 40 u. 12, 44 bis 13, 3).
Die Bücher Esdras und Nehemia gehören ursprünglich zusammen und bilden mit 1. u. 2. Chr. ein Werk, das anscheinend gegen Ende des 4. Jahrhunderts ein unbekannter Schriftsteller, der sog. Chroniker, verfasste. –
Für die Zeitrechnung ist der Artaxerxes des Buches Nehemia als Artaxerxes I. sichergestellt; im Artaxerxes der Esdras-Denkwürdigkeiten vermutet man auch Artaxerxes II. oder Darius I.
Das 3. Buch Esdras heißt in seiner ältest erhaltenen Gestalt in der LXX erstes (Buch) Esdras und steht dem zweiten (Buch) Esdras betitelten sog. kanonischem Buch Esdras voran. Ebenso wird es in der Itala und in den Unzialhandschriften der Vulgata genannt. Die Bezeichnung drittes (Buch ) Esdras und apokryphen 4. Buch Esdras auf eine Stufe gestellt. Inhaltlich ist 3. Esr. 1 = 2 Chr. 35 u. 36; 3. Esr. 2, 1-14 = Esr. 1; 3. Esr. 2, 15 bis 25 = Esr. 4, 7-24; 3. Esr. 3, 7-70 = Esr. 2, 1 bis 4, 5; 3. Esr. 6, 1 bis 9, 36 = Esr. 5, 1bis 10, 44; 3. Esr. 9, 37-55 = Neh. 7, 73 bis 8, 13a. 3. Esr. 3, 1bis 5, 6 (Leibwächter-Erzählung) ist ein Überschuss gegenüber dem Chronikerwerk. Das griech. 1. Buch Esdras (= 3. Esr.) ist nicht, wie früher angenommen, eine Kompilation aus dem griech. 2. Chronikbuch und dem griech. 2. Buch Esdras, sondern mit Ausnahme von 3, 1 bis 4, 47a ein Bruchstück der alexandrinischen und kanonischen Übersetzung der älteren hebräisch-aramäischen Rezension des Chronikerwerkes und stammt höchstwahrscheinlich vom selben Übersetzer wie Dn der LXX, während das griech. 2. Buch Esdras Übersetzung des Theodotion ist. –
Außer der lateinischen Übersetzung ist noch eine syrische, äthiopische und armenische vorhanden.
Das 4. Buch Esdras, im Altertum die verbreitetste Apokalypse, bringt apokalyptische Geheimnisse und religiöse Probleme in 7 Visionen. Das Werk ist zusammengesetzt aus einer Salathiel-Apokalypse, der Adlervision, der Menschensohn-Vision, einer Esdras-Legende und einer Esdras-Apokalypse. Das Ganze stimmt auffällig mit der Baruch-Apokalypse überein. Beide verhalten sich zueinander wie der sog. PC und JE im AT. (Buchberger, Bd. I, Apokalypsen, Sp. 538)
Das 5. Buch Esdras (auch 1. u. 2. Kapitel von 4. Esr. u. 2., 3., 5. Buch Esr. Genannt(, lateinisch erhalten, geht auf griechische Übersetzungen mit hebräischem Grundstock zurück. Der 1. Teil enthält Drohreden gegen die Juden, der 2. verheißt das himmlische Reich dem Gottesvolk. Die Schrift stammt aus jüdischen, vermutlichen essenischen Kreisen. Der 2. Teil, später christlich überarbeitet, bildet ein Gegenstück zum Barnabasbrief.
Das 6. Buch Esdras, lateinisch überliefert, geht auf griechischen Übersetzungen mit hebräischem Grundstock zurück. Sprache und Inhalt klingen vielfach an AT und NT, 4. Esr. u. Sibyllinen an. Das Buch macht oft gewaltigen Eindruck. Christliches fehlt, nicht aber streng Jüdisches. Die einzelnen Stücke, von jüdischer Hand verfasst, stammen aus verschiedenen Zeiten.
Die Apokalypse des Esdras, jüdischen Ursprungs, christlich überarbeitet, schildert des Elias Himmel- und Höllenfahrt, sein Sterben und sein Schlussgebet. (Bd. I, Sp. 537) –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. III, 1931, Sp. 796 – Sp. 798