Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Zölibat
Zölibat ist die pflichtmäßige Ehelosigkeit der Kleriker der höheren Weihen in der abendländischen Kirche.
Die biblischen Grundlagen des Zölibats sind der evangelischen Rat der freiwilligen Ehelosigkeit, „um des Himmelreiches willen“, den Christus gegeben (Mt. 19, 12) und Paulus besonders eindringlich wiederholt hat (1. Kor. 7, 7f 25f 36ff), sowie der Hinweis Pauli, daß nur der Unverheiratete sich ganz und ungeteilt dem Dienst Gottes widmen kann (1. Kor. 7, 32-35). „Es ist also die ungeteilte Hingabe an den Herrn, an die übernatürlichen und religiösen Ziele und Aufgaben, die durch den Verzicht auf Ehe und Familie erstrebt werden soll, und nur durch diesen Zweck gewinnt die Virginität ihre sittliche Berechtigung sowie ihre Bevorzugung vor der Ehe“ (Stockums).
Der Zölibatär hat als einziges Ziel und höchsten Liebesgegenstand, um dessentwillen wer alles verläßt (Mt. 19, 27), um in geistiger Vaterschaft allen alles sein zu können (1. Kor. 9, 22), den Heiland, der dafür der Lohn seines Jüngers sein will. Eine besondere Beziehung besteht zwischen dem Zölibat und dem hl. Messopfer: Da der Priester es als Stellvertreter des jungfräulichen Christus darbringt, ist es höchst angemessen, daß er ebenfalls jungfräulich lebt und durch die damit verbundene Entsagung sich selbst Gott als ein Opfer darbringt. Die Zwangsverpflichtung der Kleriker der höheren Weihen erschöpft sich deshalb nicht in der Ehelosigkeit, sondern ist darüber hinaus eine Verpflichtung zur Bewahrung vollständiger und dauernder Keuschheit, mit der Wirkung, daß jede Verfehlung gegen sie, auch wenn sie lediglich durch innere Akte geschieht, die Sünde des Gottesraubs begründet (CIC can. 132 §1).
Daraus ergibt sich, daß der kirchliche Zölibat keinerlei Missachtung der Ehe in sich schließt: Die von Christus in ihrer ursprünglichen Würde und Reinheit wieder hergestellte und zu einem Sakrament des Neuen Bundes (als Abbild der Verbindung Christi mit der Kirche; Eph. 5, 22-33) erhobene Ehe ist ein Gott gewollter Stand und ein notwendiger Menschheitszweck, der an seinem Wert dadurch nichts verliert, daß ein kleiner Teil auf die Ehe verzichtet, um ausschließlich Gott und dem Nächsten zu dienen…; denn ein Volk, in dem noch viele die sittliche Kraft zur freiwilligen Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen haben, hat auch noch die Kraft und den Willen zu natur- und gottgetreuen kinderreichen Ehen (vgl. Ambrosius, De virginitate c. VIIn. 36); …
Frühe Kirche
Die Durchführung des Zölibats geschah zuerst in der Weise, daß 1) die Kandidaten für die höheren Weihen (vom Diakonat an) mit Vorliebe aus der großen Zahl derjenigen genommen wurden, welche freiwillig die Ehelosigkeit erwählt und sich darin erprobt hatten (Aszeten; vgl. Justin, Apol. I c. 15; Minuc. Felix, Octavius c. 31; Athenagoras, Suppl. Pro christianis c. 33; Tertullian, Ad uxorum I. I c. 8), und daß 2) die Eingehung einer Ehe nach Empfang der höheren Weihe verboten war: die Forderung des Apostels Paulus unius uxoris vir für Bischöfe (1. Tim. 3, 2), Priester (Tit. 1, 6) und Diakonen (1. Tim. 3, 12) schloss nicht nur die Ordination eines in 2. Ehe Lebenden, sondern auch die Eingehung einer 2. Ehe seitens eines Ordinierten aus, und ebenso war denen, die als Ehelose die Weihe empfangen hatten, die Schließung einer Ehe versagt (Tertullian, De exhort. Cast. c. 11, …, Synode v. Neocaesarea can. 1 unter Androhung der Absetzung). Wer bei Empfang der Weihe verheiratet war, konnte die Ehe fortsetzen (Clemens. Alex., Strom. III 12, 90); jedoch haben viele sich ihres Gebrauches enthalten. Die Synode von Elvira ca. 300 (c. 33) hat letzteres allen den Altardienst versehenden Klerikern bei Strafe der Absetzung zur Pflicht gemacht. Der Versuch, diese Vorschrift auf dem Konzil von Nicäa 325 auf die ganze Kirche auszudehnen, scheiterte (Socrates, HE I 11); doch wurde der freiwillige Verzicht auf die Fortsetzung der Ehe auch in der morgenländischen Kirche immer mehr Übung (Epiphanius, Haer. 59, 4 u. Expositio fidei cath. c. 22 [374/77]; Hieronymus, Contra Vigilantium c. 2 [406].
Im Abendland kam die Vorschrift der Synode von Elvira zu allgemeiner Geltung und die Päpste Leo der Große (Ep. 14, 446, c. 1 D. 32) und Gregor der Große (Ep. I 44 [591] c. 1 D. 28 u. Ep. IV 6 [594] c. 2 D. 32) dehnten sie auch auf die Subdiakonen aus. Zur Sicherung des Zölibats mussten im 5./7. Jahrhundert die Weihekandidaten vielfach ein Keuschheits-Gelübde ablegen (Orange 441 c. 22; Agde 506 c. 16; Arles 515 c. 2 u. 43; Epao 517 c. 37; Arles 524 c. 2; II. Tolet. 527 od. 531 c. 1; Gregor d. Gr. c. 1 D. 28), bei Ordination Verheirateter auch deren Frauen (Agde 506 c. 16; Arles 515 c. 3; II. Tolet. c. 1).
Griechisch-orthodoxe Kirche
Dagegen hat die trullan. Synode v. 692 unter Ablehnung des in der abendländischen Kirche geltenden Rechts den Subdiakonen, Diakonen und Priestern die Fortsetzung der vor der Weihe geschlossenen Ehe gestattet und nur für die Zeit des hl. Dienstes Enthaltsamkeit verlangt (c. 13); wurde ein verheirateter Kleriker zum Bischof geweiht, so musste seine Frau in ein entferntes Kloster gehen (c. 48); eine nach Empfang des Subdiakonats geschlossene Ehe musste getrennt werden (c. 3 u. 6) Die Zölibats-Gesetzgebung der griech.-orthod. Kirche war damit abgeschlossen; die Praxis hat sich dahin entwickelt, daß seit der russischen Synode von 1274 als Weltgeistliche nur verheiratete ordiniert und die Bischöfe dem Ordensklerus entnommen werden. In neuerer Zeit traten Bestrebungen auf, den griech.-orth. Priestern nach dem Tode ihrer Frau die Eingehung einer neuen Ehe zu gestatten (Nicod. Milas [Bischof v. Zara], Die Cheirotomie als Ehehindernis, Mostar 1907). Ob eine in der griech.-orth. Kirche nach Empfang der Weihe geschlossene Ehe ungültig ist, ist kontrovers: Papst Benedikt XIV. entschied in der Konstitution Eo quamvis v. 4.5.1745 die Frage nicht und schrieb in der Konstitution Anno vertente v. 19.6.1750 § 12 vor, bei der Rückkehr eines solchen Priesters zur katholischen Kirche in jedem einzelnen Fall beim Apostolischen Stuhl Dispens zu holen, aber keine Konsens-Erneuerung zu verlangen, weil die Ungültigkeit der Ehe nicht feststehe.
Griechisch-unierte Kirchen
In den griech.-unierten Kirchen gilt im allgemeinen das gleiche Recht wie bei den Orthodoxen. Die Ungültigkeit der nach Empfang einer höheren Weihe geschlossene Ehe ist nicht durch eine allgemeine Entscheidung ausgesprochen, sondern für die ruthenische durch die Synode v. Zamo´sc´(1720, c. 3 tit. 3 § 8) für die von einem Priester geschlossene Ehe, für die Maroniten durch die Libanon-Synode v. 1736 hinsichtlich der Priester und Diakonen (P. II cap. 11 n. 9), für die Italogriechen durch Papst Benedikt XIV. („Etsi pastoralis“ v. 26.5.1742 § VII n. 27) hinsichtlich der nach Empfang des Subdiakonats geschlossenen Ehen, für die Melchiten durch die Patriarchal_Synode v. Jerusalem v. 1849 (cap. VII can. 6) im gleichen Umfang, für die syr.-kath. Kirche durch die Synode v. Scharfeh 1888 hinsichtlich der Priester und Diakonen, für die Kopten durch die Synode v. Alexandrien 1898 und für die armenische Kirche durch die Nationalsynode von 1911 hinsichtlich jeder höheren Weihe (tit. III cap. 10 n. 571). Darüber hinaus hat die syr.-kath. Synode v. Scharfeh (1888) den Zölibat allen Priestern und die koptische v. Alexandrien (1898) allen Majoristen vorgeschrieben: das armenische Nationalkonzil v. 1911 hat den Bischöfen Zurückhaltung in der Zulassung Verheirateter zu den höheren weihen empfohlen und den Priestern Enthaltsamkeit angeraten (Tit. V cap. 3); als Priester des ruthenischen oder eines andern orientalischen Ritus in den Verein. Staaten v. Nordamerika und in Kanada dürfen nach der Apostolischen Konstitution Ea semper v. 14.6.1907 (ActaSSed 41, 3) und nach den Dekreten der Propaganda-Kongregation v. 18.8.1913 nur Ehelose oder Witwer ohne Kinder verwendet werden, und in die Seminarien soll künftig nur Aufnahme finden, wer sich zum Zölibat verpflichtet (ActaApSed 1913, 393ff). Das Dekret für die Ruthenen Südamerikas v. 27.3.1916 hat jedoch infolge der Gegenagitation der Schismatiker die Betonung der Zölibats-Pflicht wieder unterlassen (ebd. 1906, 105/07). Die abendländische Kirche bestrafte die nach Empfang einer höheren Weihe geschlossenen Ehen seit dem 6. Jahrhundert mit Exkommunikation (Orléans 538 c. 7) und verlangte Absetzung, vielfach auch Trennung der Ehe, ohne sie ausdrücklich für ungültig zu erklären.
Verschärfung der Zölibatsgesetze
Nach dem Verfall des Zölibats im 10. Jahrhundert hat die kirchliche Reformbewegung die Priesterehe mit aller Energie bekämpft: die Zölibats-Gesetze wurden verschärft durch das verbot, den Funktionen der unenthaltsamen Geistlichen beizuwohnen (c. 5, 6 D. 32; c. 15 D 81 von Gregor VII, 1074), und zugleich partikular-rechtlich die Erteilung der höheren Weihe wieder von der Ablegung eines Keuschheits-Gelübdes abhängig gemacht (Bourges 1031 c. 6; Rouen 1074 c. 5; Winchester 1076 c. 2; London 1102 c. 6) Zu Beginn des 12. Jahrhunderts kommt in der Literatur (Wilhelm v. Champeaux) und den Synodal-Beschlüssen die Nichtigkeit der Majoristen-Ehe immer deutlicher zum Ausdruck (1. Laterankonzil 1123 c. 21); zu Pisa 1135 u. vom 2. Laterankonzil 1139 (c. 7) wird sie endgültig ausgesprochen. Darauf beruht das geltende Recht, daß derjenige, der in der lateinischen Kirche als Mündiger freiwillig eine höhere Weihe empfangen hat, unfähig ist, eine Ehe zu schließen (CIC can. 132 § 1; 1072); der Versuch einer Eheschließung zieht für den Kleriker und seine Mitschuldige die von selbst eintretende, dem Apostolischen Stuhl reservierte Exkommunikation nach sich; nach erfolgloser Mahnung soll über den Kleriker die Degradation verhängt werden (can. 2388 § 1). Über deren Rekonziliation s. Dekret der Hl. Pönitentiarie v. 18.4.1936 (ActaApSed 1936, 242) u. die Declaratio v. 4.5.1937 (ebd. 1937, 283f). Kleriker, welche verdächtigen Umgang mit Frauen trotz Mahnung nicht aufgeben (can. 133), sind nach can. 2176/81 zu bestrafen. Wer die höhere Weihe unter dem Einfluss schwerer Furcht empfangen und nicht nachträglich durch freie Ausübung des Ordo eingewilligt hat, kann von den Verpflichtungen des Ordo befreit und in den Laienstand versetzt werden, wenn das kirchliche Gericht in 2 Instanzen den Zwang für erwiesen erachtet hat (can. 214; 1993/98). Nach dem Dekret der Sakramenten-Kongregation v. 27.12.1930 muss jeder Kandidat vor Empfang der höheren Weihen schriftlich die eidliche Versicherung abgeben, daß er sich der ganzen Tragweite des Zölibats-Gesetzes bewusst sei und den Willen habe, es gerne zu erfüllen und mit Gottes Hilfe bis zum Ende gewissenhaft zu halten (ActaApSed 1931, 127).
Der Zölibat war und ist Gegenstand vielfacher Angriffe (Wiclif, Reformatoren, Aufklärungs-Theologen, Deutsch– und Altkatholiken, Deutsche Glaubens-Bewegung, Tschechoslowakische Kirche, u. a.), die aber sämtlich auf unzutreffenden Voraussetzungen beruhen.
Der Zölibat widerspricht nicht der Natur, da beim Menschen die Freiheit des Willens über dem Trieb steht und die mit dem Zölibat erstrebte und grundgelegte ungehemmte und ungeteilte Hingabe an das Göttliche einen vom Evangelium gepriesenen, übrigens auch von Gegnern anerkannten höchsten sittlichen Wert, ein Ideal geistiger Freiheit darstellt. Sie befähigt den Priester zum rückhaltlosen Einsatz für Christi Reich und dessen leidende Glieder, für die Erhaltung des Glaubens und der christlichen Sitte…
Nicht der Zölibat an sich, sondern nur der nicht ordentlich gehaltene, z. B. die nicht ganz ehrlich durchgeführte Enthaltsamkeit, ist schädlich. In Einzelfällen mag er einen heroischen Kampf heraufführen – auch die christliche Ehe stellt unter Umständen nicht geringere Anforderungen. Aber aus dem Sakrament der Priesterweihe, aus der täglichen Feier des Messopfers, aus den vorgeschriebenen Frömmigkeits-Übungen, aus einer aszetischen Gesamthaltung fließen auch besondere Hilfen und Standesgnaden, die im verein mit Gebet und Wachsamkeit die Kraft geben, den Zölibat zu halten.
Sittliche Gefahren drohen daraus meist nur denen, die entweder ohne Beruf in den geistlichen Stand eingetreten sind (Hebr. 5, 4) oder durch eigene Schuld den Geist des Berufes und die Kraft zum Zölibat verloren haben. Die lateinische Kirche wird das Zölibats-Gesetz, aus dem „ein großer Teil ihrer Stärke und ihres Glanzes strömt“, weder abschaffen noch mildern (Benedikt XV. im Geheimen Konsitorium v. 16. 12. 1920). –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. X, 1938, S. 1087 – S. 1091