Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Tertullian
Tertullian, Q. Septimius Florens, lateinischer Kirchenschriftsteller, * spätestens 160 zu Karthago als Sohn eines heidnischen, im Dienst des Prokonsuls v. Afrika stehenden Centurio, nach Hieronymus (De vir. Ill. 53) † in hohem Greisenalter. Rhetorisch uns juristisch durchgebildet (Eusebius, HE II 2,4), aber schwerlich zu identifizieren mit dem gleichzeitigen Pandekten-Juristen Tertullian, wurde er in reiferen Jahren Christ, als der er etwa 195 aus Rom (über eine angebliche Reise nach Griechenland vgl. Katholik 1914 II,353) nach Karthago zurück kehrte. Doch war er nicht Presbyter… Zwischen 202 und 207 warf er sich dem Montanismus, mit dem er infolge seiner Neigung zum Rigorismus schon länger sympathisiert hatte, offen in die Arme und wurde der Gründer einer montanistischen Sekte, der Tertullianisten. Der Übertritt zu den Anhängern der neuen Prophetie bedeutet einen Riß sowohl durch sein Leben als durch seine Schriftstellerei, von der zahlreiche, leider zum größten Teil fester chronologischer Anzeichen ermangelnde Denkmäler erhalten sind trotz beträchtlicher Verluste; es fehlen z.B. die griechischen Bearbeitungen lateinisch erhaltener und mehrere durch das Zeugnis des Hieronymus bekannte und im Inhaltsverzeichnis des wichtigen cod. Parisimus 1622 s. IX. erwähnte Schrift.
Sein literarisches Werk umfaßt:
Vormontanistische Schriften: a) Apologetische b) Dogmatisch- polemische c) Praktisch-aszetische
Montanistische Schriften: a) Apologetische b) Dogmatisch-polemische c) Praktisch-aszetische
Nach Inhalt und Form gehören diese Schriften zum Wertvollsten und Interessantesten, was uns aus dem christlichen Altertum erhalten ist. Zwar spricht aus ihnen keine abgeklärte Persönlichkeit – hat Tertullian doch als Montanist giftig geschmäht, was er früher begeistert gepriesen; aber das leidenschaftliche, ja verzehrende Feuer, das diesen „ardens vir“ (Hieronymus, Epist. 84,2) durchlodert, ergreift auch seine Leser, und die Bewunderung der Virtuosität, mit der er seine jeweiligen Gegner aus dem Sattel zu heben weiß, läßt sie darüber weg sehen, daß er bisweilen zu Sophismen und zu Advokaten-Kniffen herabsteigt. Die Hl. Schrift zitiert er vielfach in eigener Übersetzung aus dem griechischen, benützt aber auch die zu seiner Zeit schon vorhandenen lateinischen. Das Neue Testament besteht für ihn aus den Evangelien, der Apostelgeschichte, der Apokalypse und den Apostelbriefen, mit Ausnahme des 2. Petr., des 2. und 3. Joh und des Jak., die nirgends zitiert oder genannt werden; den hebr. Legt er dem Barnabas bei. Von jüdischen Apokryphen sind ihm Henoch und 4 Esr. bekannt, von christlichen Pastor Hermae in lateinischer Übersetzung, Acta Pauli und vielleicht der 1. Klemensbrief, von griechischen christlichen Schriftstellern Justin, Tatian, Athenagoras (?), Irenäus, Miltiades und Theophil v. Antiochien. Gegenüber der da und dort zu Tage tretenden Überschätzung von Tertullians Originalität und Gedankentiefe hat besonders d`Alès energisch betont, daß er weniger neue Ideen gefunden als vielmehr bewundernswert das, was weniger große Geister vor ihm gefunden, verarbeitet und verbreitet habe. Immerhin hat „er auch dann, wenn ältere Vorlagen (griech. Apologeten, Irenäus usw.) verwertet, allem das Gepräge seiner Eigenart zu verleihen“ verstanden (Bonwetsch). War es eine maßlose Übertreibung, ihn als den „Vater der orthodoxen Trinitätslehre und Christologie“ und als denjenigen, der „auch noch als Schismatiker die Fundamente für die griech.-röm. Orthodoxie und für den abendländischen Katholizismus gelegt hat“ (Harnack), zu bezeichnen, so ist doch seine hohe Bedeutung für die Entwicklung der abendländischen Theologie nicht in Abrede zu stellen. Er hat ihr die für sie charakteristische juristische Färbung beigebracht; er hat für Trinitätslehre und Christologie die Formeln geprägt, und er zeigt bereits „mancherlei Ansätze und Anfänge zu der bei den mittelalterlichen Theologen befolgten Methode“ (Grabmann I 119). Wie sein inneres Leben, ist auch sein Stil voller Disharmonie. „In seiner Sprache im einzelnen der subjektivste und individuellste Schriftsteller und ein Verächter jeder Tradition“ (zahlreiche kühne Neuprägungen besonders nach griech. Muster, Bedeutungs-Veränderungen usw.), ist Tertullian „in seiner Darstellungsweise im ganzen, speziell in seinem Stil“ ein Hauptvertreter der „modernen“ auf die alten Sophisten zurück gehenden Schreibart, und „die hervorragendste Eigentümlichkeit der sophistischen Kunstprosa, die Antithese“, ist „geradezu die Signatur des tertullianischen Stils“ (E. Norden, Die antike Kunstprosa II). Den Stempel, den er dem christlichen Latein (Kirchensprache) aufgeprägt, hat es nicht mehr verloren. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, 1937, Sp. 1053 – Sp. 1055