Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Inquisition
Inquisition, richterliche Verfolgung der Häresie durch ein von der Kirche eingesetztes Glaubenstribunal (inquisitio haereticae pravitatis).
Gegen Häretiker wurden früh geistliche Zuchtmittel angewandt; von physischer Gewalt wollten jedoch anfangs die Wortführer der Christen, Origenes (C. Celsum VII 26), Cyprian (Ep. 4 Pomponio) und Lactantius (Div. Institut. V 19), nichts wissen. Nachdem aber Konstantin das Christentum zur Staatsreligion erhoben, übten die christlichen Kaiser die Befugnisse, welche die heidnischen Kaiser als pontifeces maximi gehabt hatten, über das von ihnen vertretene Bekenntnis in gewissem Sinn noch weiter aus: Arianer verfolgten sie die Katholiken, so daß Hilarius v. Poitiers entschieden protestierte, als Katholiken verfolgten sie die Häretiker. Zahlreich sind seit Valentinian I. und besonders seit Theodosius I. die Gesetze gegen Ketzer. Verlust der Testierfreiheit, Güterkonfiskation. Verbannung waren die gewöhnlichen Strafen. Gegen Manichäer und Donatisten, die man als Majestätsverbrecher ansah (Cod. Theod. XVI 5, 40, Gesetz v. 407), wurde auch die Todesstrafe angewandt. Da die Donatisten (Circumcellionen) zu Gewalttätigkeiten griffen, verteidigte der hl. Optatus die Todesstrafe, indem er sich auf das Alte Testament berief (De schismate Don. III c. 6 u. 7). Augustinus erklärte sich zuerst gegen die weltlichen Strafen (Retract. II c. 5; Ep. 185 n. 25); später verteidigte er angesichts der damit erreichten Bekehrungen wie mit Berufung auf das Alte Testament die Bestrafung mit Geldbußen, Verbannung und Rutenzüchtigung, aber nicht die Folter und Todesstrafe.
Die Hinrichtung des Irrlehrers Priscillian auf Befehl des Gegenkaisers Maximus 385 wurde fast allgemein in der Kirche verurteilt, besonders vom hl. Martin und hl. Ambrosius; 447 aber äußerte sich Papst Leo I. befriedigt (Ep. 15 ad Turribium). Anders der hl. Chrysostomus, der die Tötung eines Häretikers als unsühnbares Verbrechen bezeichnet (Hom. 47 in Mt c. 13), obwohl er gewisse Gewaltmaßregeln, Entziehung der Rede- und Versammlungs-Freiheit befürwortet. In den vom römischen Staat verhängten Strafen, denen die Kirche nur zögernd zugestimmt hatte, ist die Einkerkerung nicht vertreten; sie kam erst bei der Ausbreitung des Mönchtums neben der Rutenzüchtigung zunächst als Klosterstrafe, dann auch für Kleriker in Anwendung. Bei der Bekämpfung des aus dem germanischen Heidentum übrig gebliebenen Aberglaubens wurde es in karolingischer Zeit den Bischöfen zur besonderen Pflicht gemacht, in den Sendgerichten darüber Untersuchungen anzustellen (Cap. Car. M. a. 769 c. 7).
Zuverlässige Männer, in der Regel 7, wurden als Sendzeugen eidlich verpflichtet, alle kirchlichen Vergehen dem Send anzuzeigen. Im 11. Jahrhundert tritt die schon unter Justinian angeordnete Verbrennung zum ersten Mal im Abendland auf, die im germanischen Heidentum gegen Zauberei angewandt worden war und trotz Einschreitens Karls d. Gr. (Cap. De part. Sax. c. 6) in der Volksanschauung als berechtigte Strafe fortlebte. König Robert v. Frankreich ließ 1017 zu Orléans 13 Häretiker, Kleriker und Laien, verbrennen; bald darauf wurde öfters der Feuertod verhängt, wogegen in Goslar 1051 Heinrich III. consensu cunctorum mehrere Häretiker hängen ließ. Meist drängte das Volk zur schärften Strafe. Bischöfe und andere Wortführer wie Wazo v. Lüttich (MGScript VII 227), der hl. Bernhard (In Ct. Sermo 66 n. 12) und Petrus Cantor (Migne PL 205, 231) sprachen sich dagegen aus.
Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts begegnen aber keine Stimmen von kirchlichen Wortführern mehr, die auf die Bestrafung der Häretiker durch die weltlichen Machthaber verzichten wollen. Der Grund dafür lag einmal in der Renaissance des römischen Rechts, dann im starken Auftreten der Katharer, die nicht nur die kirchliche Einheit, sondern auch die soziale Grundlage der abendländischen Gesellschaft verneinten. Dazu wollte man sich in der Zeit der Kreuzzüge um keinen Preis die innere Glaubenseinheit gefährden lassen. Allgemein erkannte man nun an, daß die Ketzer den weltlichen Herrschern zur Bestrafung zu übergeben seien, und das Vorgehen gegen die Häresie wurde in ein System gebracht.
Auf Drängen Ludwigs VII. v. Frankreich und Heinrichs II. v. England ließ Papst Alexander III. durch das Laterankonzil v. 1179 die Fürsten auffordern, gegen die Ketzer mit Güter-Konfiskation und Verknechtung vorzugehen; die Waffen gegen sie zu ergreifen, hieß er gut. Papst Lucius III. verständigte sich 1184 zu Verona über die Verfolgung der exkommunizierten Häretiker mit Kaiser Friedrich I., der gegen sie den Bann aussprach. Innozenz III., der zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufrief, nahm die Qualifikation der Häresie als Majestäts-Verbrechen wieder auf und schuf so eine Argumentation, die nun weiter geltend gemacht wurde (Brief an Viterbo v. 25.3.1199). Das Laterankonzil v. 1215 stellte allgemein Regeln für das Vorgehen gegen die Häretiker auf und drohte mit Exkommunikation und Länderentziehung jenen Fürsten, welche Ketzer nicht bestrafen würden. In der Gesetzgebung Innozenz` III kommt indes die Todesstrafe noch nicht vor.
Amtlich ordnete im Abendland die Ketzerverbrennung zuerst König Peter II. in Aragonien 1197 an, wobei die Ketzer zugleich als „öffentliche Reichsfeinde“ bezeichnet wurden. Kaiser Friedrich II. verordnete 1224 zunächst für die Lombardei, daß alle vom Diözesanbischof überführten Ketzer auf dessen Verlangen von der weltlichen Obrigkeit festzunehmen und entweder zu verbrennen oder der Zunge zu berauben seien (MGConstit. II 1267). Diese Verordnung wurde bald in ganz Italien maßgebend, und Papst Gregor IX. ließ nach ihr seit 1231 in Rom verfahren. Ein weiteres Stadium bezeichnet die Konstitution Inconsutilem tunicam Friedrichs II. 1231 für Sizilien, 1232 für das ganze Reich, die befahl, die Ketzer durch Staatsbeamte aufsuchen zu lassen, die Verdächtigen einem kirchlichen Gericht zu übergeben und sie, wenn schuldig erkannt und imIrrtum verharrend, öffentlich zu verbrennen.
Das war der Grundstein zur Inquisition im eigentlichen Sinn. Das Prinzip des Inquisitions-Prozesses im Gegensatz zum Anklage. Prozess scheint Friedrich II. altem normannischem Recht entnommen zu haben, das auf die karolingische Inquisition zurückging (vgl. R. Schmidt, Die Herkunft des Inquisitions-Prozesses, 1902). Indem er aber die Aufspürung der Ketzer selbst in die Hand nahm, verfolgte er wahrscheinlich auch politische Ziele, nämlich gegen seine Feinde in der Lombardei, wo zahlreiche Ketzer waren. Gregor IX. wollte die Aufsuchung der Ketzer nicht den staatlichen Beamten überlassen, und so organisierte er das kirchliche Inquisitions-Verfahren, indem er für die Aufsuchung der Ketzer päpstliche Inquisitoren ernannte, z. B. den Weltpriester Konrad von Marburg 1231, im übrigen meist Dominikaner und Franziskaner.
Der Inquisitor hatte zunächst jene, die sich der Häresie schuldig fühlten, aufzufordern, sich freiwillig zu stellen. War die dafür anberaumte Zeit (in der Regel nicht über 1 Monat) verstrichen, dann wurden die Denunziationen, bald auch die von Häretikern selbst, entgegen genommen. 2 Ankläger, deren Namen verschwiegen wurden, genügten, um denAngeklagten als schuldig zu befinden. Gab er seine Schuld zu, so wurden ihm Bußwerke auferlegt: Gebet, Geißelungen, Fasten, Almosen, Wallfahrten, in schwereren Fällen Kennzeichnung durch gelbe Kreuze auf den Gewändern, oder auch Gefängnis. Blieb er hartnäckig, so wurde er dem weltlichen Arm ausgeliefert, der an ihm die Feuerstrafe vollzog. Für die Urteilsfällung wurden die Inquisitoren später ermächtigt, Gutachter beizuziehen. Furchtbar verschlimmert wurde das schon durch die Entgegennahme von Denunziationen, die Verschweigung der Zeugen und die Abweisung von Advokaten der Kritik offene Verfahren, als aus dem römischen Recht auch die Tortur wieder hervor geholt wurde, obwohl Papst Nikolaus I. einst deren Anwendung gegen Diebe und Räuber als Verstoß gegen menschliches und göttliches Recht erklärt hatte, „da das Geständnis nicht erzwungen, sondern freiwillig sein solle“ (Responsa ad consulta Bulgarorum c. 86)
Innozenz IV. ermächtigte durch die Konstitution ad extirpanda v. 15.5.1252 die Inquisitoren ausdrücklich, durch die weltlichen Machthaber die Folter anwenden zu lassen. Die gewöhnlichen Foltermittel waren durus carcer et arcta vita, die Folterbank. Der Wippgalgen, die brennenden Kohlen. Bekehrte sich ein Häretiker erst unter der Folter, so wurde er lebenslänglich eingekerkert. Die Rückfälligen wurden später wie die Unbeugsamen immer verbrannt. Doch ist die Zahl der Verbrannten erheblich geringer als die Zahl der zu zu Gefängnis Verurteilten. Die feierliche Verurteilung fand bei einem sermo generalis statt, der in Spanien Auto-de-fé hieß. Neben dem lebenslänglichen Kerker und dem Feuertod ging die Güter-Konfiskation her, anwendbar auch nach dem Tode gegen jene, die der Inquisition entgangen waren und deren Leichen dann ausgegraben und verbrannt wurden.
Fast ganz von der Inquisition verschont blieben die skandinavischen Länder. Eine neue Tätigkeit fand sie besonders in Deutschland durch den Hexenwahn (Hexenprozess). Im neuen Königreich Spanien, das durch die Heirat Isabellas mit Ferdinand dem Katholischen geschaffen wurde, erhielt sie 1478 – 84 eine besondere Zentralisation durch einen vom König ernannten, vom Papst bestätigten und bevollmächtigten Großinquisitor (zuerst Th. Torquemada). Ihm stand ein Inquisitionsrat zur Seite, dessen Mitglieder er im Einverständnis mit dem König ernannte. Der Großinquisitor bestellte auch alle Inquisitoren und Beamte der untergeordneten Tribunale. Die spanische Inquisition, von den Königen auch für politische Interessen mißbraucht, ging zunächst besonders gegen die Judenchristen (Moriscos) im Süden vor, dann auch gegen die Protestanten, von denen etwa 220 in Person (die wenigsten lebendig) und etwa 120 in effifie verbrannt wurden. Das letzte Todesurteil wurde 1781 in Sevilla vollstreckt.
Nach Abschaffung der Inquisition 1808 durch Joseph Bonaparte führte sie Ferdinand VII. 1814 wieder ein; 1820 bzw. 1834 wurde sie endgültig aufgehoben. In Portugal bestand die Inquisition ebenfalls unter einem Großinquisitor seit 1536, wurde nach Ostindien (Goa) übertragen, 1821 abgeschafft. In Frankreich arbeitete die Inquisition unter Philipp IV. besonders gegen die Templer, später gegen die Calviner (Calvinisten); das Edikt v. Romorantin 1560 gab sie den Bischöfen zurück (staatliche Inquisitions-Tribunale noch in Toulouse und Carcassonne); letzte Hinrichtung erfolgte 1635. In den Niederlanden wurden im Jahre 1524 päpstliche, von der Regierung vorgeschlagene und abhängige Inquisitoren aufgestellt; die Abfallbewegung nötigte aber zur Aufhebung der Inquisition. In England wandte Maria die Katholische 1554 die alten Ketzergesetze wieder an, doch ließ Elisabeth an Katholiken noch weit mehr Hinrichtungen vornehmen; 1677 fiel die Todesstrafe gegen Ketzer. Die Glaubensneuerer hielten mit Berufung besonders auf das Alte Testament an der überkommenen Verfolgung der Ketzer wie an der Todesstrafe für sie grundsätzlich fest: Luther, Melanchthon, Butzer, besonders Calvin, der Servet in Genf verbrennen ließ, und Beza.
Angesichts der ersten Erfolge der Glaubensneuerer in Italien wurde die Kardinals-Kongregation der Inquisition von Paul III. 21.7.1542 errichtet, von Sixtus V. 1588 endgültig festgelegt (Pastor V 710/16). Unter ihren Prozessen erregten besonders die gegen Giordano Bruno und Galilei Aufsehen. Heute (seit 1908) besteht für alle Abweichungen vom Glauben als oberste Instanz das Hl. Offizium (Kurie). –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 419 – Sp. 423