Was das Kirchenlexikon über den Zölibat schreibt
Zölibat heißt die für alle in den höheren Weihen stehenden Kleriker existierende Verpflichtung, im Stande der Ehelosigkeit die Keuschheit zu bewahren. Dieselbe ist unmittelbar an den Empfang der sakramentalen Weihen geknüpft, selbst wenn sie dem Empfänger vorher nicht bekannt gewesen wäre. In ihren Wirkungen wird sie einem Gelübde gleich gestellt, so daß bei den betreffenden Klerikern auch innere Sünden gegen die Keuschheit als Sakrilegien anzusehen sind“
Die ehedem viel verbreitete Meinung, daß Papst Gregor VII. den Zölibat zuerst und zwar als ein wirksames Mittel zu hierarchischen Zwecken eingeführt habe, kann in gebildeten Kreisen gegenwärtig nicht mehr auf Geltung Anspruch machen. Man hat die Tatsache nachgewiesen, daß jene Gesetze bereits in einer Zeit von mehr als sieben Jahrhunderten vor Gregor VII. ihren Anfang genommen haben, ihnen aber selbst wiederum eine Periode voran gegangen ist, in welcher der Zölibat von den Klerikern beobachtet wurde, ohne daß es dazu der Gesetze bedurft hätte. Denn – wie ein neuerer ungenannter Schriftsteller über den Zölibat (Regensburg 1841) sehr treffend bemerkt – als das Gesetz nicht mehr in das Herz geschrieben war, da schrieb man es aufs Papier.
Die beiden hervor gehobenen Gesichtspunkte, das Grundprinzip des Zölibats und die historische Gestaltung desselben durch die Gesetzgebung, sind es demnach, welche bei einer Entwicklung dieser Materie vorzugsweise ins Auge gefaßt werden müssen.
Ursachen für den Zölibat
Fragt man nach den Ursachen, warum der Zölibat für den Klerus in der Kirche gesetzlich besteht, so muss man die Gründe der Zweckmäßigkeit und des großen Nutzens, der daraus für das Wohl der Kirche und dadurch auch für das Heil der Menschen überhaupt hervorgeht, sehr scharf von dem Prinzip selbst unterscheiden, welches, ganz abgesehen von jenen Gründen, den Zölibat für den Klerus als eine innere Notwendigkeit fordert. Dies Prinzip liegt aber in der Virginität (*) der Kirche selbst; die jungfräuliche Kirche will auch ein jungfräuliches Priestertum haben. Während das jüdische und heidnische Priestertum wesentlich auf der fleischlichen Generation beruhte, hat der jungfräuliche, von der Jungfrau geborene Hohepriester Christus die Kirche, die sein jungfräulicher Leib geworden ist, gegründet und in ihr an die Stelle der fleischlichen die jungfräuliche Generation des Priestertums durch die Weihe gesetzt. In diesem Prinzip und in ihm allein ist die eigentliche Basis aller Zölibats-Gesetze zu suchen; die Virginität gehört ganz spezifisch zu dem christlichen Priestertum.
(*) Jungfräulichkeit
Beide, die Virginität und die Ehe, sind heilig, aber jene ist heiliger; sie ist, nach einem tief in der menschlichen Seele wurzelnden Gefühle, reiner, und dafür geben selbst Heidentum und Judentum Zeugnis. Was diese nach der Natur ihres Priestertums zur Verwirklichung jenes Prinzips zu tun vermochten, das haben sie geleistet; aus priesterlichen Geschlechtern entsprossen, selbst priesterliche Geschlechter begründend, haben die Priester der Juden und Heiden doch zur Zeit der Opfer Enthaltsamkeit geübt. Um so mehr muss sich die jungfräuliche Reinheit bei dem christlichen Priestertum von selbst verstehen, da dieses täglich, vom Aufgang bis zum Niedergang, Christum als unblutiges Opfer darbringt. –
Gehört also die Virginität zur Natur des christlichen Priestertums, so muss auch das Gesetz, welches die Jungfräulichkeit für den Klerus fordert, durchaus zweckmäßig sein; denn das Priestertum wird und muss dann am leichtesten und besten seinen Zweck erreichen und erfüllen, wenn es selbst in seinem naturgemäßen Zustande sich befindet. Demgemäß fragt es sich, welches der Zweck des Priestertums sei? Dieser läßt sich einfach dahin ausdrücken: das Priestertum hat das Menschengeschlecht der Herrschaft Christi zu unterwerfen und unter dieser Herrschaft zu erhalten. Dazu hat dasselbe die drei Vollmachten erhalten, durch Lehre, Sakramente und Regierung auf die Erziehung und Heiligung des Menschengeschlechtes zu wirken, und hierfür ist der unverheiratete Priester geeigneter.
Die heilbringenden Folgen des Zölibats
Von diesem Standpunkte aus kann nunmehr auch im Einzelnen hervorgehoben werden, wie das jungfräuliche Priestertum wirke, oder vielmehr, welches die heilbringenden Folgen des Zölibats sind. Hier tritt zunächst entgegen, was der Apostel Paulus ausspricht: Der ohne Weib ist, ist besorgt um dasjenige, was des Herrn ist, auf daß er Gott gefalle; wer aber ein Weib hat, ist besorgt um dasjenige, was von der Welt ist, auf daß er dem Weibe gefalle, und ist geteilt (1 Kor. 7, 32. 33). Wer aber soll weniger geteilt sein, wer vollständiger Gott angehören, um sich wirksam dem Heile der Mitmenschen widmen zu können, als gerade der Priester? Aber eben diese wesentliche Bedingung zur Erfüllung seines Berufes wird allein durch den Zölibat erreicht; nur in diesem Stande kann er gänzlich besorgt sein um dasjenige, was des Herrn ist. (…) Ja der Kaiser ging in seinen Anforderungen weiter als die Kirche, indem er den Witwer, welcher Kinder hatte, nicht einmal zum Episkopat zulassen wollte, eine Verordnung, die von der Kirche nicht anerkannt und auch von seinem Nachfolger Leo dem Weisen wieder aufgehoben wurde.
Unabhängigkeit von der Welt
Die weitere wichtige Folge davon, daß der Priester, welcher vom Familienleben getrennt ist, ungeteilt seinen Beruf als das höchste Ziel vor Augen behalten kann, ist, wie seine Unabhängigkeit von der Welt überhaupt, so insbesondere auch die von der weltlichen Gewalt. Dieser ist er als Bürger untertan, und tüchtige Priester, wie Kaiser Valentinian sich ausdrückt, gehorchen nicht bloß den Gesetzen Gottes, sondern auch denen der Könige. Allein dessen ungeachtet können hier möglicher Weise Kollisionen eintreten, und die Kirche muss in solchen Fällen von ihren Dienern fordern können, daß sie Gott und ihren Beruf ebenso wenig verleugnen, als sie durch irgendwelche Rücksicht abgehalten werden dürfen, sich dem Dienste der Kranken und Sterbenden auch zur Zeit ansteckender Seuchen aufopfernd hinzugeben. Das Eine wie das Andere ist wegen der notwendigen Rücksicht, die ein Familienvater auf Weib und Kind nehmen muss, ohne den Zölibat schwer zu erreichen. Will man auch in dieser zur Natur des Priestertums gehörenden Wirkung des Zölibats eine Förderung hierarchischer Zwecke erkennen und annehmen, die Päpste hätten sich bei ihrer diesen Gegenstand betreffenden Gesetzgebung auch von diesem Gesichtspunkt leiten lassen, so ist mit Bezug auf die oben hierüber gemachte Bemerkung nicht füglich etwas einzuwenden.
Aber auch aus einigen anderen Gründen, welche von der Erfahrung an die Hand gegeben werden, erscheint der Zölibat der Geistlichen als eine sehr zweckmäßige Einrichtung. Für die kirchliche Disziplin kann nichts nachteiliger sein, als wenn zur Erlangung geistlicher Ämter, für welche allein der wahre innere Beruf entscheiden soll, auf irgend eine andere bloß natürliche Eigenschaft ein Anspruch gegründet wird. Die menschliche Schwachheit hat sich bei der Vergebung von Pfründen allerdings sehr viel zu Schulden kommen lassen; durch den Zölibat wird aber wenigstens eine große Versuchung in dieser Beziehung hinweg geräumt. Nichts übt nämlich in jener Rücksicht einen so großen Einfluss aus, als die Bande des Blutes. Hat auch die Kirche zu allen Zeiten gegen den Nepotismus zu streiten gehabt, da nur zu oft die Bischöfe ihren Neffen und anderen Verwandten bei der Verleihung geistlicher Stellen den Vorzug gaben, so ist das Band, welches sie an diese knüpft, doch nicht ein so inniges, als wenn sie eigene Söhne hätten oder durch ihre Töchter ihnen Schwiegersöhne zugeführt würden. Ein Blick auf die anglikanische Kirche liefert davon den hinlänglichen Beweis. Ein Blick auf die orientalische zeigt einen anderen Grund von der Zweckmäßigkeit des Zölibats. Hier nämlich stehen in dem weltlichen und in dem Regularklerus verheiratete und unverheiratete Geistliche nebeneinander; jene aber sind, weil sie des Vertrauens entbehren, fast ganz außer Stande, das Richteramt in dem Sakramente der Buße und somit einen wesentlichen Bestandteil ihres priesterlichen Berufes auszuüben.
Einwände gegen den Zölibat
Da der Zölibat in einer Abtötung der sinnlichen Natur des Menschen besteht, so hat es auch nicht fehlen können, daß zu allen Zeiten große Einwendungen gegen denselben erhoben worden sind. Der zunächst liegende Einwand, der eben deshalb auch am meisten Beifall gefunden hat, ist der, daß man den Zölibat für naturwidrig erklärt und von ihm behauptet, er führe zur Ausschweifung und Unsittlichkeit, diene aber eben darum nicht zur Ehre, sondern zur Herabsetzung des geistlichen Standes.
Das Sittengesetz der Enthaltsamkeit besteht für alle, die nicht in der Ehe leben
Stellt man sich aber auf den Standpunkt, daß die Naturtriebe des Menschen überhaupt nicht beschränkt werden sollen, so erscheint schon die Ehe als eine drückende Fessel; stellt man sich aber auf den höheren sittlichen Standpunkt, daß die von Gott geheiligte Ehe die allein rechtmäßige und zu gestattende Verbindung zwischen Mann und Weib sei, so bleibt das Sittengesetz der Enthaltsamkeit doch für alle diejenigen bestehen, welche nicht in der Ehe leben, sei es, daß sie noch nicht zu derselben geschritten sind, sei es, daß ihre Ehe durch den Tod getrennt worden ist. Unter den Ersteren gibt es aber viele, welche durch die Macht der Verhältnisse, ja durch den oft nicht nach Belieben gewählten Stand sich gar nicht in der Lage befinden, eine Ehe schließen zu können, und für alle diese involviert die unfreiwillige Enthaltsamkeit von der Ehe doch ebenso sehr die Pflicht zur strengen Beobachtung des sittlichen Gesetzes der Enthaltsamkeit überhaupt. Nimmt man hinzu, daß diese sittliche Pflicht für die meisten jener Personen gerade während derjenigen Periode ihres Lebens gefordert wird, wo sie am schwersten zu üben ist, so erscheint es dagegen als etwas verhältnismäßig nicht so Schwieriges, sie dann zu beobachten, wenn jemand nach reiflicher Selbstprüfung mit freiem Willen sich dazu entschlossen hat. Allerdings tritt er mit einem solchen Entschluss seiner Natur entgegen; das ist aber überhaupt die Aufgabe des Menschen, und wird bei dem Priester nur in einem höheren Grad gefordert, welchen zu erreichen es ihm bei dem aufrichtigen Willen, sein Leben ganz Gott zu widmen, auch nicht an der nötigen Gnade fehlen wird.
Die Priester haben eine Mission
Dazu fordert aber Christus selbst auf, indem er sagt: Und es sind Entmannte, die sich selbst entmannt haben um des Himmelreiches willen (Matth. 19, 11. 12). Daß es zu jeder Zeit unsittliche Geistliche gegeben hat, welche die Zölibats-Gesetze überschritten haben, beweist ebenso viel gegen den Zölibat, als der Ehebruch gegen die Ehe. Ja, um eben hierbei stehen zu bleiben: die Durchführung der Ehe fordert eine nicht minder sittliche Kraft als der Zölibat, und wollte man von dem Ehebruch einen Rückschluss auf die Zulässigkeit des Gebotes machen, so hätte das sechste Gebot längst aufgehoben werden müssen. Jenen Einwand, daß die menschliche Gesellschaft durch den Zölibat eine Einbuße an der Zahl der Individuen erleide, können wir wohl, da er im Zusammenhang mit den verkehrten, nunmehr meistens aufgegebenen Bevölkerungs-Theorien des verflossenen Jahrhunderts steht, mit Stillschweigen übergehen und statt seiner eines andern, der sich ebenfalls auf eine scheinbar philanthropische Basis stützt, gedenken. Man hat es nämlich für eine besondere Pflicht der Geistlichen ansehen wollen, daß sie durch ihre Ehen den Laien ein Muster des ehelichen Lebens zu geben hätten. Allen diesen Auftrag hat Christus seinem Priestertum nicht hinterlassen, sondern demselben in den Worten: „Gehet hin und lehret alle Völker“ eine Mission übergeben, welche es von den Familienbanden notwendig lostrennen muss. Was aber der Apostel für alle Völker, das soll der Bischof für das ihm besonders anvertraute Volk sein; er soll der Vater für seine ganze Gemeinde, aber nicht durch die Bande der fleischlichen Gemeinschaft mit einem Mitglied derselben verbunden sein, um etwa mit seinem Weibe zu zeigen, wie man gute Kinder erzieht; er hat sie alle zu erziehen. Des Bischofs Gehilfen aber, die Pfarrer und die übrigen Geistlichen, können keinen anderen Beruf haben als er, denn sie alle sind zu der nämlichen großen Mission bestimmt.
Weitere Einwendungen gegen den Zölibat
Aber auch von dem Standpunkt des Nutzens der Kirche, sowie des Staates, hat man sich wider den Zölibat erklärt. Dort, weil die Zahl der unter der Bedingung der Ehelosigkeit in den geistlichen Stand Eintretenden dem Bedürfnis der Kirche nicht genüge; hier, weil der Zölibat den Geistlichen zu unabhängig mache. Allein was den ersten Punkt anbetrifft, so wartet die Kirche überhaupt ruhig ab, daß der Herr die Arbeiter zu der Ernte sende, d. h. daß Gott ihr diejenigen zuführe, welche Kraft und Entschlossenheit haben, sich ihm unbedingt hinzugeben. Diejenigen, welche dies nur bedingungsweise tun und nicht alles um Gottes willen verlassen wollen, sondern erst nach einem Joch Ochsen oder einem Landgut, das sie gekauft haben, sich umsehen, oder eine Frau sich genommen haben und bei dieser weilen müssen, kann die Kirche nicht brauchen. Die Ansicht von der durch den Zölibat begründeten zu großen Unabhängigkeit des Klerus, und somit der Kirche von dem Staat, ist im Vorübergehen bereist oben berührt und beseitigt worden; sie hat ihren Grund in historischen Missgestaltungen des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat und wird durch das Beispiel des verheirateten anglikanischen Klerus zur Zeit der Stuarts nicht bestätigt.
Ist die Klerikerehe in der Hl. Schrift begründet?
Doch auch hiermit ist die Zahl der Einwendungen, welche man gegen den Zölibat erhoben hat und noch erhebt, nicht erschöpft, sondern man hat sich gegen denselben auch auf die heilige Schrift und auf das Beispiel der älteren Kirche berufen, die selbst zu verschiedenen Zeiten die Clerogamie (**) in ihren Gesetzen ausdrücklich anerkannt hat. Das Zeugnis der heiligen Schrift wird in der bekannten Stelle: Der Bischof sei eines Weibes Mann (1 Tim. 3, 2) gesucht. Der Apostel sagt mit diesen Worten aber nicht, daß der Bischof durchaus ein Weib haben müsse, sondern nur so viel, daß, wenn einer, der verheiratet war, Bischof werden soll, er nicht mehr als einmal verheiratet gewesen sein dürfe. Unter der sich hierbei von selbst verstehenden Voraussetzung der Enthaltsamkeit hat die Kirche demgemäß nach dem Worte des heiligen Paulus verheirateten Männern die Weihe erteilen können; auch hat sie sich durch die Zeitumstände und die menschliche Gebrechlichkeit öfters genötigt gesehen, die Clerogamie zu dulden, ohne daß sie darum jemals unterlassen hätte, die Virginität als das dem Priestertum entsprechende Prinzip ausdrücklich hervor zu heben. Eben darum hat sie auch, wo es irgend sich durchführen ließ, keine Dispensation von dem dem Empfang der Weihe inhärierenden Gelübde der Keuschheit gewährt. –
(**) Klerikerehe
Das klösterliche Gelübde der Keuschheit
Noch erübrigt die Bemerkung, daß in dem soeben angedeuteten Punkt der Inhärenz des Gelübdes zur Weihe der charakteristische Unterschied zwischen dem Keuschheits-Gelübde der Kleriker und dem klösterlichen Gelübde der Keuschheit bestehe. Das letztere, bei welchem es auf die Weihe gar nicht ankommt, und welches ebenso wohl von Laienbrüdern als auch von Personen weiblichen Geschlechts abgelegt wird, ist nur ein Mittel zum Zwecke der Vollkommenheit, ein Mittel, um den ganz auf Gott zu richtenden Willen wahrhaft frei zu machen; der Zölibat des Klerus ist aber nicht Mittel zum Zweck, sondern insofern Zweck selbst, als er wesentlich zur Natur des Priestertums gehört. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 3, 1884, Sp. 584 – Sp. 589
siehe dazu auch den Beitrag über den Zusammenhang von Priestertum und Heiliger Messe: Konzil von Trient Von der Wesenheit der heiligen Messe
sowie das Schreiben des Papstes Pius XI. „Ad catholici sacerdotii“: Keuschheit und Zölibat des Priesters