Pius XI.: Keuschheit und Zölibat des Priesters
Auszug aus dem Rundschreiben „Ad catholoci sacerdotii“ v. 20. Dezember 1935
In der Lehrüberlieferung
Der Apostel Paulus
1246 Aber dem christlichen Priestertum, das viel erhabener ist als das alte, entsprach darum auch eine viel größere Reinheit. So findet sich denn die erste schriftliche Spur des kirchlichen Zölibats-Gesetzes, die offenbar eine ältere Beobachtung des Zölibates voraussetzt, schon in einem Kanon des Konzils von Elvira (Konzil von Elvira, c. 33. Mansi 2,11; Denzinger Nr. 52), aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts, zu einer Zeit, wo die Christenverfolgung noch wütete. Doch das Kirchengesetz hat nur zu einer strengen Verpflichtung erhoben, was eine gewisse, sagen Wir, moralische Forderung, die ihren Ursprung im Evangelium und in der Predigt der Apostel hat, auferlegt. Die Hochschätzung, die der göttliche Meister von der Keuschheit hatte: er pries sie ja als etwas, was über die Fassungskraft der Menge geht (vgl. Matth. 19,11); die Tatsache, dass er selbst die „Blüte einer jungfräulichen Mutter“ ist (Röm. Brevier, Namen Jesu-Fest, Laudeshymnus) und von Kindheit an in der jungfräulichen Familie Josephs und Marias aufwuchs, dass er eine besondere Vorliebe zeigte für reine Seelen wie für die beiden Johannes, den Täufer und den Evangelisten; der Umstand, daß der große Apostel Paulus, der treue Ausleger der evangelischen Gesetze und des Gedankens Christi, die unschätzbaren Vorzüge der Jungfräulichkeit verkündet, besonders hinsichtlich eines Dienstes Gottes: „Wer unverheiratet ist, der ist um die Sache des Herrn besorgt, wie er dem Herrn gefalle“ (1 Kor. 7,32): Alles das musste die fast notwendige Wirkung haben, die die Priester des Neuen Bundes den himmlischen Zauber dieser erhabenen Tugend spürten, daß sie sich bemühten, doch auch zur Zahl derer zu gehören, „denen es gegeben ist, jenes Wort zu verstehen“ (vgl. Matth. 19,11), und daß sie sich freiwillig die Beobachtung der Jungfräulichkeit auferlegten, die dann bald noch durch ein strenges kanonisches Gesetz in der ganzen Lateinischen Kirche zur Pflicht gemacht wurde: „Auch wir sollen“, wie am Ende des 4. Jahrhunderts das zweite Konzil von Karthago erklärte, „üben, was schon die Apostel lehrten und was bereits die alte Zeit beobachtete“ (2. Konzil von Karthago (im Jahre 390), c. 2. Mansi 3, 693).
Die Kirchenväter
1247 Auch fehlen nicht Zeugnisse berühmter orientalischer Väter, die die Erhabenheit des katholischen Zölibates preisen und beweisen, daß schon damals in den Gegenden, wo eine strengere Disziplin herrschte, auch in diesem Punkte zwischen der Lateinischen und Orientalischen Kirche Übereinstimmung bestand. Der hl. Epiphanius bezeugt gegen Ende des gleichen 4. Jahrhunderts, daß der Zölibat sich schon bis auf die Subdiakone erstreckte: „Niemand, der in der Ehe lebt und sich um Kinder bemüht, wird von der Kirche zur Weihe des Diakons, Priesters, Bischofs oder des Subdiakons zugefallen, auch wenn es die erste Ehe war; nur den ist die Kirche bereit zu weihen, der die Lebensgemeinschaft mit seiner ersten und einzigen Gattin aufgegeben oder diese bereits durch den Tod verloren hat. Das geschieht vor allem an den Orten, wo die kirchlichen Kanones genau beobachtet werden“ (Epiphanius., Adversus haeres. Panar., 59, 4. PG 41, 1024). Ganz besonders beredt ist in dieser Frage der heilige Diakon von Edessa und Kirchenlehrer Ephrem der Syrer, der mit Recht „Zither des Heiligen Geistes“ heißt (Röm. Brevier, am 18. Juni, 6. Lesung). In einem seiner Lieder richtet er an seinen Freund, den Bischof Abraham, das Wort: „Du bist wirklich“, so sagt er ihm, „was dein Name sagt, Abraham, weil auch du Vater vieler geworden bist. Weil du aber keine Gattin hast, wie Abraham die Sara, siehe, so ist deine Herde deine Gattin. Erziehe ihre Kinder in deiner Wahrheit. Mögen sie dir Kinder des Geistes werden und Söhne der Verheißung, damit sie auch Erben werden auf Erden. O schöne Frucht der Keuschheit! Du machtest das Priestertum wohlgefällig, …. das Horn schäumte über und salbte dich, die Hand lag auf dir und wählte dich aus, die Kirche rief und liebte dich“ (Ephräm, Carmina Nisibbaena, carm. XIX. Edit. Bickel, S. 112). An einer andern Stelle sagt er: „Es genügt nicht für den Namen des Priesters, der den lebendigen Leib des Herrn opfert, Gedanken und Zunge zu läutern, die Hände zu reinigen und seinen ganzen Leid sauber zu halten, sondern er muss stets ganz rein sein, weil er als Mittler zwischen Gott und das Menschengeschlechts gestellt ist. Gepriesen sei, der da seine Diener gereinigt hat!“ (ders., carm. XVIII. Edit. Bickel, S. 112). Johannes Chrysostomus behauptet gleicherweise, daß „der Priester so rein sein muss, als ob er in den Himmel mitten unter die himmlischen Mächte versetzt sei“ (Johannes Chrysostomus, De sacerdotio, III 4. PG 48, 642).
Begründung durch die Vernunft
1248 Die höchste Angemessenheit des Zölibates und des Gesetzes, das ihn den Dienern des Altares zur Pflicht macht, wird schließlich auch durch die Erhabenheit selbst oder — nach einem Ausdruck des hl. Epiphanius (Epiphanius, Adversus haeres. Panar. 59, 4. PG 41, 1024) — durch die „unglaubliche Ehre und Würde“ des christlichen Priestertums, die schon von Uns ausgeführt ist, erweisen. Wenn jemand ein Amt hat, das in gewisser Hinsicht selbst jenes der reinsten Geister überragt, die „vor dem Herrn stehen“ (vgl. Tob. 12, 15), ist er dann wohl nicht das Richtige, dass er auch möglichst wie ein reiner Geist leben muss? Wer ganz „in dem sein muss, was des Herrn ist“ (Luk. 2,49; 1 Kor. 7,32), muss der dann nicht wohl entsprechender Weise von den irdischen Dingen gänzlich losgelöst, muss sein Wandel nicht immer im Himmel sein? (Vgl. Phil. 3,20.) Wenn jemand eifrig in der Sorge um das Heil der Seelen das Werk des Erlösers fortführen soll, ist es dann nicht wohl angemessen, daß er sich freihält von den Sorgen um eine eigene Familie, die einen großen Teil seiner Tätigkeit in Anspruch nähme?
1249 Und es ist in Wahrheit ein bewundernswertes, doch in der katholischen Kirche so häufiges Schauspiel, das die jungen Leviten, bevor sie die heilige Weihe des Subdiakonates empfangen und sich damit dem Dienste und der Verehrung Gottes gänzlich weihen, frei den Freuden und Annehmlichkeiten entsagen, die sie sich in einem andern Lebensstande ehrbarerWeise gestatten dürften. Nach der Weihe sind sie allerdings nicht mehr frei, eine irdische Ehe einzugehen. Dennoch gebrauchen Wir das Wort „frei“: weil sie nicht gezwungen durch irgend ein Gesetz oder eine Person zur Weihe hinzutreten, sondern aus eigenem freiem Willen (vgl. Cod. Iur. Can. can. c. 971).
Was Wir zur Empfehlung des kirchlichen Zölibates gesagt haben, wollen Wir aber keineswegs so verstanden wissen, als ob Wir in irgend einer Form gegen den anders gearteten, in der Orientalischen Kirche rechtmäßig zugelassenen Brauch Tadel oder Vorwürfe erheben wollten. Wir sagen es einzig deshalb, um im Herrn zu preisen jene Wahrheit, die Wir für einen der größten Ruhmestitel des katholischen Priestertums halten und die Uns mehr den Wünschen und Absichten des heiligsten Herzens Jesu in Bezug auf die Seelen der Priester zu entsprechen scheint. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 821 – S. 824