Heiliger Joseph Patron und Schutzherr der Kirche
Quamquam Pluries
Auszug aus dem Rundschreiben Papst Leo XIII. vom 15. August 1889
1766 …Wollt Ihr, daß Gott unseren Gebeten ein huldvolleres Ohr leihe? Wollt Ihr, daß er dank der Vermittlung einer größeren Schar von Fürbittern seiner Kirche bereitwilliger und freigebiger beistehe? Dann scheint es Uns höchst angebracht, daß die Christenheit es sich zur Gewohnheit mache, zugleich mit der jungfräulichen Gottesmutter auch den heiligen Joseph, ihren keuschen Gemahl, mit großer Andacht und mit kindlichem Vertrauen anzurufen. Gestützt auf gute Gründe halten Wir dafür, daß diese Verehrung der allerseligsten Jungfrau selber erwünscht und sehr genehm ist.
1767 Wir sprechen heute zum ersten Mal offiziell von dieser Andachtsform. Es ist Uns übrigens bekannt, daß sie unter dem gläubigen Volk sehr beliebt ist und sogar als alt herkömmliche Gepflogenheit immer weitere Kreise erfaßt. Auch Unsere Vorgänger haben in den vergangenen Jahrhunderten dem Josephskult ihre besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie haben ihn bereits Schritt für Schritt gefördert und weit herum verbreitet. In unserer Zeit schließlich war dieser Andacht allenthalben ein beachtliches Wachstum beschieden, namentlich seitdem Unser Vorgänger Pius IX. auf Wunsch einer großen Anzahl von Bischöfen den heiligen Josef zum Schutzpatron der katholischen Kirche proklamiert hatte. (Vgl. Pius IX. Dekret Quemadmodum Deus vom 8. Dezember 1870. ASS VI (1870) 193-194) Da es jedoch von größter Bedeutung ist, daß die Verehrung des heiligen Joseph im katholischen Brauchtum tiefer verankert wird, liegt es Uns sehr am Herzen, die Christenheit vor allem durch Unser autoritatives Wortes dazu aufzumuntern.
Ehegatte, Nährvater, Beschützer, Haupt
1768 Warum wurde denn dem heiligen Joseph die besondere Ehre des Schutzpatrons der Kirche zugedacht? Warum verspricht sich die Kirche sehr viel von seinem Beistand und seinem Patronat? Hier die Gründe für diese Sonderstellung: Dieser heilige Mann war der Ehegemahl Marias und der vermeintliche Vater Jesu Christi. Dieses Doppelamt ist der Quellgrund all seiner Würde, all seiner Macht, all seiner Heiligkeit und all seiner Verherrlichung. Allerdings ist die Würde der Mutter Gottes so erhaben, daß etwas Größeres undenkbar ist. Der heilige Joseph war jedoch durch das Band der Ehe eng mit der allerseligsten Jungfrau vereint. Ihm war es vergönnt, mehr als irgend jemand sonst – darüber besteht kein Zweifel – dieser überragenden Würde nahezukommen, die Maria als Gottesmutter hoch über alle anderen Geschöpfe hinaushebt. Denn die Ehe ist die allerintimste Verbindung und Lebensgemeinschaft zweier Menschen und hat naturgemäß die Gütergemeinschaft zwischen den beiden Gatten zur Folge. Als daher Gott den heiligen Joseph zum Gemahl der Jungfrau Maria bestimmte, gab er ihr nicht nur einen Lebensgefährten, einen Zeugen ihrer Jungfräulichkeit und einen Beschützer ihrer Ehre, sondern er hat ihn ganz gewiß auch, entsprechend dem eigentlichen Wesen der Ehe, an der hohen Würde seiner Gattin teilnehmen lassen.
1769 Noch dank einer anderen hoheitsvollen Auszeichnung nimmt der heilige Joseph eine einzigartige Stellung unter den Menschen ein: durch den Ratschluß der Vorsehung war er nämlich der Beschützer des menschgewordenen Gottessohnes, da er in den Augen der Welt als dessen Vater galt. (Vgl. Luk. 3,23; Joh. 6,42) Aus diesen Umstand ergab sich für das Wort Gottes eine demütige Unterwerfung dem heiligen Joseph gegenüber, so daß Christus in vollkommener Unterordnung seinen Befehlen gehorchte, wie es sich für ein Kind seinem Vater gegenüber geziemt. (Vgl. Luk. 2,51)
1770 Ferner brachte diese doppelte Ehrenstellung ganz natürlich die Verpflichtungen mit sich, die einem Familienvater von Amts wegen obliegen. Somit war der heilige Joseph zugleich der Beschützer, der Fürsorger, der natürliche und gesetzmäßige Sachwalter der heiligen Familie, deren Oberhaupt er war. Diese Ämter und Befugnisse hat er auch tatsächlich ausgeübt, solange er auf Erden lebte. (Vgl. Luk. 2,22,23 u. 27) Mit inniger Liebe und unablässiger Mühewaltung hat er seine Ehefrau und das göttliche Kind umsorgt. Er verdiente durch regelmäßige Arbeit ihren Lebensunterhalt. Er entzog Jesus der tödlichen Gefährdung durch den König Herodes, indem er für ihn eine ferne Zufluchtsstätte fand (Vgl. Matth. 2,13-15); inmitten der Beschwerden einer mühsamen Reise und während des bitteren Auslandsaufenthaltes bewährte er sich zu jeder Stunde als Leidensgenosse, Beschützer und Tröster der heiligen Jungfrau und ihres Kindes.
Schutzpatron der Kirche
1771 Diese heilige Familie, der Joseph mit väterlicher Vollmacht vorstand, war aber die Keimzelle der Kirche. Wie nämlich die Jungfrau Maria Mutter Jesu Christi war, so ist sie auch die Mutter aller Christen, da sie ihnen auf Kalvaria das übernatürliche Leben der Gnade vermittelt hat, damals in der Todesstunde des Erlösers. Desgleichen ist Jesus Christus gewissermaßen der Erstgeborene unter den Christen, die seine Adoptivbrüder wurden auf Grund seines Erlösungswerkes.
1772 Das sind die Gründe, die im Herzen des heiligen Erzvaters das Bewußtsein rechtfertigen, daß ihm die Gesamtheit der Christen auf besondere Weise anempfohlen ist: die ganze Christenheit oder die Kirche, d.h. jene gewaltige Familie, die über den ganzen Erdkreis zerstreut ist. Als Gemahl der Jungfrau Maria (Vgl. Matth. 1,20) und als Vater Jesu Christi (Vgl. Luk. 2,33 u. 48) ist er der Kirche gegenüber gleichsam mit väterlicher Vollmacht ausgestattet. Mithin erweist es sich als folgerichtig und seiner Stellung gemäß, daß der heilige Joseph heute noch der Kirche Jesu Christi seinen himmlischen Schutz angedeihen lasse, wie er einst für die Bedürfnisse der heiligen Familie von Nazareth aufkam und sie fortwährend mit gewissenhafter Obsorge umhegte.
1773 Es ist leicht einzusehen, ehrwürdige Brüder, daß sich diese Erwägungen auf den Glauben vieler Kirchenväter stützen und aus der Liturgie belegen lassen. Wir beziehen Uns hierbei auf die Meinung, derzufolge Joseph von Ägypten, der alttestamentliche Sohn des Patriarchen Jakob, das Vorbild des heiligen Joseph ist. Jener besitzt diesem verwandte Züge, hat ähnliche Aufgaben erfüllt und wurde durch seine ruhmvolle Stellung Vorläufer des künftigen Oberhauptes der heiligen Familie.
Außer dem gleichen Namen, der übrigens sinnbildliche Bedeutung hat, sind euch noch andere Züge bekannt, die beiden gemeinsam sind: der Joseph des Alten Testamentes gewann die Gunst und das besondere Wohlwollen seines Herrn und Meisters Pharao; ihm war es als Verwalter der königlichen Güter zu verdanken, daß Reichtum und Wohlstand in unermeßlicher Fülle dem Hause seines Herrn beschieden waren. (Vgl. Gen. 39, 2-6) Zudem, jener noch bedeutsamere Zug: Auf Befehl des Königs wurde er zum ersten Minister ausgerufen; und als die Hungersnot Elend und Teuerung ins Land brachte, wußte er mit solcher Geschicklichkeit der Not Ägyptens und der Nachbarvölker zu steuern, daß er durch königlichen Erlaß als Retter der Welt proklamiert wurde. (Vgl. Gen. 41,40-45 u. 55; 47,13-20)
An diesen Zügen erkennt man im alttestamentlichen Joseph das Vorbild des heiligen Joseph aus dem Neuen Testament. Jener verhalf den Privatinteressen seines Landesherrn zum Erfolg und leistete sodann dem ganzen Königreich außerordentliche Dienste; diesem gebührt in seiner Eigenschaft als Behüter des Christentums der Titel eines Patrons und Schutzherrn der Kirche, die wahrhaft das Haus des Herrn und das Reich Gottes auf Erden ist.
Vorbild aller Christen
1774 Die Menschen ihrerseits, welches auch immer ihr Stand oder ihre Herkunft sein mag, haben Grund genug, sich vertrauensvoll in die mächtige Obhut des heiligen Joseph zu empfehlen. Die Familienväter haben im heiligen Joseph das lebendigste Vorbild väterlicher Wachsamkeit und Fürsorge; die Ehegatten besitzen in ihm ein vollkommenes Muster der Liebe, der herzlichen Eintracht und der Gattentreue; den jungfräulichen Menschen ist er zugleich Vorbild und Beschützer der Reinheit. Die Menschen adeligen Standes können von ihm lernen, wie sie ihre Würde bewahren sollen, selbst wenn sie das Mißgeschick trifft. Die Reichen sollen hier erkennen, welche Güter höher einzuschätzen und mit aller Kraft anzustreben sind.
1775 Ein besonderes Anrecht auf die Hilfe des heiligen Joseph haben jedoch die Proletarier, die Arbeiter und alle Menschen in bescheidenen Lebensverhältnissen. Ihnen vor allem soll er ein Vorbild zur Nachahmung sein. Obwohl nämlich der heilige Joseph aus königlichem Geblüte stammte (Vgl. Matth. 1,20; Luk. 1,27), obwohl er Gemahl der hehrsten und heiligsten aller Frauen ist, obwohl er der Nährvater des Gottessohnes ist, fristet er dennoch ein Dasein voller Beschwerden und verdient mit seiner Handwerkerarbeit den Lebensunterhalt seiner Familie. In Wirklichkeit ist also eine bescheidene Lebenslage keineswegs erniedrigend; ja, die Arbeit des Werktätigen, welcher Art sie auch sein mag, ist nicht nur in keiner Weise entehrend, sie kann sogar sehr wohl, wenn sie von tugendhafter Gesinnung beseelt ist, einen adeligen Charakter besitzen. Da sich Joseph von Nazareth mit wenigem zufrieden gab und sich mit seiner geringen Habe begnügte, ertrug er die unumgänglichen Mühseligkeiten der Armut mit Gelassenheit und seelischer Großmut. Ohne Zweifel ahmte er seinen Sohn nach, der sich bereit erklärt hatte, obwohl er der Herr der Welt war, eine untergeordnete Menschennatur anzunehmen, und sich dadurch freiwillig dem Elend und der Not auslieferte.
1776 Die Betrachtung dieses Vorbildes soll den Armen und all jenen, die als Werktätige Tag für Tag ihr Brot verdienen, neuen Mut einflößen und zur Berichtigung ihrer Anschauungen helfen. Gewiß haben sie das Recht, mit allen erlaubten Mitteln eine Verbesserung ihrer Lage anzustreben. Hingegen gestattet ihnen weder die Vernunft noch die Gerechtigkeit, die von der göttlichen Vorsehung gefügte Ordnung umzustürzen. Und zudem sind Gewalttätigkeit, Umsturz oder Aufruhr nur wahnsinnige Mittel, die allermeist höchstens zur Verschlimmerung der Mißstände führen, denen man damit abzuhelfen wähnt. Mögen also die Armen sich wohl besinnen und sich nicht auf die Versprechungen der Revolutionäre verlassen, sondern auf das Beispiel und den Schutz des heiligen Joseph sowie auf die mütterliche Fürsorge der Kirche, die sich stets tatkräftiger um ihr Los annimmt.
1777 Im Vertrauen auf den Hirteneifer der Bischöfe sind Wir der Überzeugung, daß die gutgesinnten Christen aus eigenem Antrieb und bereitwillig unsere Erwartungen noch übertreffen werden. Wir ordnen infolgedessen an, daß während des ganzen Monats Oktober nach dem bereits früher vorgeschriebenen Rosenkranzgebet ein Gebet zum heiligen Joseph verrichtet werde, das euch samt diesem Rundschreiben zugeht. Diese Anordnung gilt für alle Zeiten, Jahr für Jahr. Jenen, die das genannte Gebet mit Andacht verrichten, gewähren Wir jedesmal einen Ablaß von sieben Jahren und sieben Quadragenen. Ferner besteht mancherorts der heilsame und löbliche Brauch, den Monat März dem heiligen Joseph zu weihen und ihn täglich durch eine besondere Andacht zu verehren. Wo jedoch die Einführung dieses Brauches auf Schwierigkeiten stoßen sollte, wäre es sehr zu wünschen, daß vor dem Josephstag in der Hauptkirche jeder Ortschaft ein Gebetstriduum abgehalten würde. In jenen Gegenden, wo der 19. März, Fest des heiligen Joseph, kein gebotener Feiertag ist, bitten Wir die Gläubigen, dieses Fest soweit möglich durch Privatandachten zu Ehren des himmlischen Schutzpatrons wie einen Feiertag zu begehen.
Als Unterpfand der göttlichen Gnaden und als Erweis Unseres Wohlwollens erteilen Wir euch inzwischen, ehrwürdige Brüder, Eurem Klerus und Volk von ganzem Herzen im Herrn den Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 15. August 1889, im zwölften Jahr Unseres Pontifikats.
Papst Leo XIII.
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 1110 – S. 1116
siehe auch im pdf-Format: Rundschreiben Quamquam pluries Der heilige Joseph