Christus als das Haupt des Leibes

Hut, bischöflicher Krummstab, Kleidungsstücke eines Papstes

Mystici corporis Christi

Die Kirche, der geheimnisvolle Leib Christi

Enzyklika von Papst Pius XII. v. 29. Juni 1943

Porträt von Pius XII. in seiner päpstlichen Kleidung, ernst schaut er mit seiner Brille

Erster Teil: Die Kirche als der Mystische Leib Christi

B. Christus als „Haupt“ des Leibes

780 Daß der Mystische Leib, den die Kirche bildet, Christi Namen trägt, geht an zweiter Stelle daraus hervor, daß Christus tatsächlich von allen als Haupt der Kirche angesehen werden muss. „Er ist”, wie Paulus sagt, „das Haupt des Leibes, der Kirche” (Kol. 1,18). Er ist das Haupt, von dem der ganze Leib in passender Ordnung zusammen gehalten wird, heranwächst und zunimmt zu seinem Aufbau (vgl. Eph. 4,16; Kol. 2,19).

Es ist Euch wohl bekannt, Ehrwürdige Brüder, wie lichtvoll und klar die Meister der Scholastischen Theologie, vor allem der engelgleiche, allgemeine Lehrer, über diese Wahrheit gehandelt haben. Ihr wißt auch sicher, daß die von Sankt Thomas vorgebrachten Beweise den Ansichten der heiligen Väter getreu entsprechen, die übrigens nichts anderes wiedergaben und erläuterten als die Aussprüche der Heiligen Schrift.

1. Aufgrund seiner Vorrangstellung

781 Dennoch möchten Wir hier zum allgemeinen Nutzen diesen Punkt genauer besprechen. Zunächst ist es klar, daß Gottes und der seligen Jungfrau Sohn wegen seiner einzigartigen Stellung Haupt der Kirche genannt werden muss. Nimmt doch das Haupt die höchste Stelle im Leib ein. Wer ist aber höher gestellt als Christus, unser Gott, Der, das Wort des Ewigen Vaters, als der „Erstgeborene aller Schöpfung” (Kol. 1,15) angesehen werden muss? Wer steht auf erhabenerem Gipfel, als Christus der Mensch, der von der makellosen Jungfrau geboren, wahrer und wirklicher Sohn Gottes ist und nach seinem Sieg über den Tod durch die wunderbare, glorreiche Auferstehung der „Erstgeborene unter den Toten” ward ? (Kol. 1,18; Offb. 1, 5). Wer endlich hat höheren Rang zu beanspruchen als der, welcher, „alleiniger Mittler … zwischen Gott und den Menschen” (1. Tim. 2,5), auf ganz wunderbare Weise die Erde mit dem Himmel verbindet, der am Kreuz erhöht, wie von einem Thron der Barmherzigkeit alles an sich zog (Vgl. Joh. 12,32), der als Menschensohn, erwählt aus Zehntausenden, mehr von Gott geliebt wird als alle Menschen, alle Engel und die ganze Schöpfung? (Vgl. Cyrillus. Alex., Commentarium in Joannem I 4. PG 73, 69; Thomas von Aquin, Sum. theol. I q. 20. a. 4, ad 1).

2. Aufgrund tatsächlicher Herrschaft

782 Weil aber Christus eine so erhabene Stelle einnimmt, lenkt und regiert er allein mit Fug und Recht die Kirche. Darum ist er auch aus diesem Grunde mit dem Haupt zu vergleichen. Das Haupt ist ja, um ein Wort des heiligen Ambrosius zu gebrauchen, die ”königliche Burg” des Leibes (Ambrosius, Hexaemaron VI 55. PL 14, 265). Von ihm als dem mit den vorzüglicheren Fähigkeiten ausgestatteten Glied, werden naturgemäß alle übrigen geleitet, über die es gesetzt ist, um für sie Sorge zu tragen (Vgl. Augustinus, De agone christiano XX, 22. PL 40, 301). So führt der Erlöser das Steuer über die gesamte christliche Gemeinschaft und lenkt sie. Und da eine Gemeinschaft von Menschen zu leiten nichts anderes bedeutet, als sie durch zweckmäßiges Planen und geeignete Mittel auf rechtem Weg zum vorbestimmten Ziele zu führen (Vgl. Thomas von Aquin, Sum. theol. I q. 22 a. 1-4), so ist es leicht einzusehen, daß unser Heiland, Vorbild und Beispiel der guten Hirten (Vgl. Joh. 10, 1-18; 1. Petr. 5,1-5), all dies auf ganz wunderbare Weise ausübt.

a) während seines Erdendaseins

783 Er tat dies persönlich, als er auf Erden weilte, durch Vorschriften, Räte und Mahnungen. Er selbst lehrte uns mit Worten, die niemals vergehen und die für die Menschen aller Zeiten Geist und Leben sein werden (Vgl. Joh. 6,63). Und überdies erteilte er seinen Aposteln und deren Nachfolgern eine dreifache Gewalt: zu lehren, zu leiten und die Menschen zur Heiligkeit zu führen. Diese mit besonderen Vorschriften, Rechten und Pflichten umschriebene Gewalt stellte er als Grundgesetz der ganzen Kirche auf.

b) vom Himmel aus durch alle Zeiten

Auf unsichtbare außerordentliche Weise

784 Aber unser göttlicher Erlöser lenkt und leitet auch selbst unmittelbar die von ihm gegründete Gesellschaft. Er selbst regiert nämlich im Geist und Herzen der Menschen, beugt und spornt nach Seinem Wohlgefallen sogar den widerspenstigen Willen. „Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn. Er lenkt es, wohin er will” (Spr. 21,1). Durch diese innere Leitung sorgt er nicht nur als „Hirte und Bischof unserer Seelen” (vgl. 1. Petr. 2,25) für die Einzelnen, sondern trägt auch Fürsorge für die Gesamtkirche. Bald erleuchtet und stärkt er ihre Vorsteher, damit jeder von ihnen getreu und fruchtreich sein Amt ausübe. Bald – und dies zumal in schwierigen Zeitumständen – erweckt er im Schoß der Mutter Kirche Männer und Frauen, die durch den Glanz ihrer Heiligkeit hervor leuchten, um den übrigen Christgläubigen zum Beispiel zu dienen für das Wachstum Seines Geheimnisvollen Leibes. Mit besonderer Liebe aber blickt Christus vom Himmel auf seine makellose Braut, die hier auf Erden in der Verbannung leidet. Sieht er sie in Gefahr, so entreißt er sie der Sturmflut persönlich, oder durch seine Engel (Vgl. Apg. 8, 26; 1-19, 11,1-7; 12, 3-10), oder durch sie, die wir als „Hilfe der Christen“ anrufen, und durch andere himmlische Helfer. Haben sich dann die Wogen gelegt und beruhigt, dann tröstet er sie mit jenem Frieden, ”der alle Vorstellung übersteigt” (Phil. 4, 7).

Auf sichtbare ordentliche Weise durch Papst und Bischöfe

785 Man darf aber nicht glauben, er leite sie nur auf unsichtbare (Vgl. Leo XIII., Rundschreiben Satis cognitum vom 29. Juni 1896. ASS XXVIII (1895-1896) 725) oder außerordentliche Weise. Unser göttlicher Erlöser übt auch eine sichtbare, ordentliche Leitung über seinen Mystischen Leib aus durch seinen Stellvertreter auf Erden. Ihr wißt ja, Ehrwürdige Brüder, daß Christus unser Herr während seiner irdischen Pilgerfahrt die „kleine Herde” (Luk. 12,32) zwar persönlich und auf wahrnehmbare Weise regiert hat. Als er aber die Welt dann verlassen und zum Vater zurückkehren wollte, hat er die sichtbare Leitung der ganzen von ihm gegründeten Gesellschaft dem Apostelfürsten übertragen. In seiner Weisheit konnte er ja den von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Leib der Kirche keineswegs ohne sichtbares Haupt lassen. Man kann auch nicht, um diese Wahrheit in Abrede zu stellen, behaupten, durch den in der Kirche aufgestellten Rechtsprimat sei dieser Mystische Leib mit einem doppelten Haupt versehen. Denn Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses Leibes, nämlich Christus. Er hört zwar nicht auf, die Kirche auf geheimnisvolle Weise in eigener Person zu regieren, auf sichtbare Weise jedoch leitet er sie durch den, der auf Erden seine Stelle vertritt. Bereits nach seiner glorreichen Himmelfahrt war die Kirche nicht nur ihm selber, sondern auch auf Petrus als dem sichtbaren Grundstein erbaut. Daß Christus und sein Stellvertreter auf Erden nur ein einziges Haupt ausmachen, hat Bonifaz VIII., Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens, durch das apostolische Schreiben „Unam sanctam“ (Bonifaz VIII., Bulle Unam sanctam vom 18. November 1302. Denzinger Nr. 468; vgl. Corp. Iuris Canonici Extr. comm., I, 8) feierlich erklärt, und seine Nachfolger haben diese Lehre immerfort wiederholt.

In einem gefährlichen Irrtum befinden sich also jene, die meinen, sie könnten Christus als Haupt der Kirche verehren, ohne Seinem Stellvertreter auf Erden die Treue zu wahren. Denn wer das sichtbare Haupt außer Acht läßt und die sichtbaren Bande der Einheit zerreißt, der entstellt den Mystischen Leib des Erlösers zu solcher Unkenntlichkeit, daß er von denen nicht mehr gesehen noch gefunden werden kann, die den sicheren Port des ewigen Heiles suchen.

786 Was Wir aber hier von der allgemeinen Kirche sagten, das muss auch von den besonderen christlichen Gemeinschaften gesagt werden, sowohl von den orientalischen wie von den lateinischen, aus denen die eine Katholische Kirche besteht und sich zusammensetzt. Jede von ihnen wird von Christus Jesus durch das Wort und die Regierungsgewalt ihres eigenen Bischofs geleitet. Deshalb sind die kirchlichen Oberhirten nicht bloß die vorzüglicheren Glieder der allgemeinen Kirche, weil sie durch ein ganz eigenartiges Band mit dem göttlichen Haupt des ganzen Leibes verbunden und daher mit Recht „die wichtigsten Teile der Glieder des Herrn” (Gregorius Magnus, Moralia, XIV, 35, 43. P.L. 75, 1062) genannt werden, sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine eigene ihm anvertraute Herde (Vgl. Vatik. Konzil Sess. IV c. 3. Denzinger Nr. 1828). Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht völlig eigenen Rechtes, sondern der dem Römischen Papst gebührenden Gewalt unterstellt, wiewohl sie eine ordentliche Jurisdiktions-Gewalt besitzen, die ihnen unmittelbar gleichfalls vom Papst erteilt wird. Deshalb müssen sie als Nachfolger der Apostel zufolge göttlicher Einsetzung (Vgl. Cod. iur. can., c. 329, 1) vom Volke verehrt werden. Und mehr als von den Regierenden dieser Welt, auch den allerhöchsten, gilt von den Bischöfen, da sie mit der Salbung des Heiligen Geistes versehen sind, das Schriftwort: „Vergreift euch nicht an meinem Gesalbten!” (1. Paral. XVI 22; Ps CIV (CV),15).

787 Wir werden darum von tiefer Wehmut ergriffen, wenn Uns berichtet wird, daß nicht wenige aus Unseren Brüdern im Bischofsamt Verfolgungen und Misshandlungen erleiden, weil sie lebendiges Vorbild für ihre Herde (Vgl. 1. Petr. 5,3) geworden sind und das heilige, ihnen anvertraute ”Glaubensgut” (Vgl. 1. Tim. 6,20) mit geziemender Tapferkeit und Treue behüten, weil sie auf das Einhalten der heiligsten Gesetze dringen, die von Gott in die Herzen geschrieben sind, weil sie die ihnen anvertraute Herde nach dem Beispiel des höchsten Hirten gegen räuberische Wölfe beschützen. Und dies wird nicht nur ihnen persönlich zugefügt, sondern – was sie noch grausamer und härter empfinden – auch den ihrer Obsorge anvertrauten Gläubigen, ihren Gehilfen in der apostolischen Arbeit, ja sogar den Gott geweihten Jungfrauen. Ein derartiges Unrecht erachten Wir als Uns selber persönlich angetan und wiederholen den erhabenen Ausspruch Gregors des Großen, Unseres Vorgängers unvergesslichen Andenkens: „Unsere Ehre ist die allgemeine Ehre der Kirche. Unsere Ehre ist die feste Kraft Unserer Brüder; nur dann sind Wir wahrhaft geehrt, wenn jedem einzelnen die ihm gebührende Ehre nicht verweigert wird” (Vgl. Gregorius Magnus, Epistel ad Eulog. 30. PL 77, 933).

3. Auf Grund gegenseitiger Hilfsbedürftigkeit

788 Man darf aber nicht glauben, daß Christus, unser Haupt, weil er eine so überragende Stellung einnimmt, nicht nach der Hilfe Seines Mystischen Leibes verlange. Denn auch von diesem gilt, was Paulus vom menschlichen Organismus aussagt: „Das Haupt kann nicht zu den Füßen … sprechen: Ich bedarf euer nicht” (1. Kor. 12,21).

Es ist offenkundig, daß die Christgläubigen unbedingt der Hilfe des göttlichen Erlösers bedürfen, da er selber sagte: „Ohne mich könnt ihr nichts tun” (Joh. 15,5), und da nach des Apostels Ausspruch jeder Zuwachs beim Aufbau dieses Mystischen Leibes von Christus, dem Haupt sich herleitet (Vgl. Eph. 15,16; Kol. 2,19). Jedoch muss auch festgehalten werden, so seltsam es erscheinen mag, daß Christus nach der Hilfe seiner Glieder verlangt. Und dies gilt vor allem vom obersten Hirten, insoweit er die Stelle Jesu Christi vertritt: Um der Last des Hirtenamtes nicht zu erliegen, muss er andere zur Teilnahme an nicht wenigen seiner Obliegenheiten berufen, und bedarf täglich der Unterstützung durch die Gebetshilfe der Gesamtkirche. Überdies will unser Erlöser, soweit er persönlich auf unsichtbare Weise die Kirche regiert, die Mitwirkung der Glieder Seines Mystischen Leibes bei der Ausführung des Erlösungswerkes. Das geschieht nicht aus Bedürftigkeit und Schwäche, sondern vielmehr deshalb, weil er selber zur größeren Ehre seiner makellosen Braut es so angeordnet hat. Während er nämlich am Kreuz starb, hat er den unermesslichen Schatz der Erlösung seiner Kirche vermacht, ohne daß sie ihrerseits dazu beitrug. Wo es sich aber darum handelt, den Schatz auszuteilen, läßt er seine unbefleckte Braut an diesem Werk der Heiligung nicht nur teilnehmen, sondern will, daß dies sogar in gewissem Sinne durch ihre Tätigkeit bewirkt werde. Ein wahrhaft Schauder erregendes Mysterium, das man niemals genug betrachten kann: daß nämlich das Heil vieler abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des Geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen, und von der Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besonders die Familienväter und -mütter unserem göttlichen Erlösers zu leisten haben.

4. Auf Grund der Gleichförmigkeit zwischen Haupt und Gliedern

789 Den eben dargelegten Gründen, aus denen hervorgeht, daß Christus der Herr das Haupt seines gesellschaftlichen Leibes genannt werden muss, sind jetzt noch drei andere hinzuzufügen, die mit einander in engem Zusammenhang stehen.

Wir beginnen mit der Gleichförmigkeit, die offensichtlich zwischen Haupt und Gliedern auf Grund der gleichen Natur besteht. Dazu ist zu bemerken: Unsere Natur erreicht zwar nicht die der Engel, hat jedoch durch Gottes Güte vor der Engelnatur einen Vorzug: „Christus ist nämlich”, wie der Aquinate sagt, „das Haupt der Engel. Denn Christus steht über den Engeln auch seiner Menschheit nach … Ebenso erleuchtet und beeinflußt er die Engel auch als Mensch. Soweit jedoch die Naturgleichheit in Frage kommt, ist Christus nicht das Haupt der Engel, weil er sich nach dem Wort des Apostels nicht der Engel, sondern der Kinder Abrahams annahm” (Thomas von Aquin, Comm. in epist. ad Eph., c. 1, lect. 8; Hebr. II, 16-17). Aber nicht nur unsere Natur hat Christus angenommen, sondern er ist auch in der Gebrechlichkeit, Leidensfähigkeit und Sterblichkeit Seines Leibes unser Blutsverwandter geworden. Wenn aber das Wort „sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm”, so geschah dies auch deshalb, um uns, seine Brüder dem Fleische nach, der göttlichen Natur teilhaft zu machen (vgl. 2. Petr. 1,4), hier in unserer irdischen Verbannung durch die heiligmachende Gnade, und dort in der ewigen Heimat durch Erlangung der ewigen Seligkeit. Deshalb wollte der Eingeborene des Ewigen Vaters Menschensohn sein, damit wir dem Bild des Sohnes Gottes gleichförmig würden (vgl. Röm. 8,29) und nach dem Bild unseres Schöpfers uns erneuerten (vgl. Kol. 2,10). Alle jene also, die sich des christlichen Namens rühmen, müssen nicht nur unsern göttlichen Erlöser als erhabenes und vollkommenstes Vorbild aller Tugenden betrachten, sondern auch durch weise Flucht vor der Sünde und eifriges Heiligkeitsstreben so seine Lehre und sein Leben in ihrem sittlichen Verhalten zum Ausdruck bringen, daß sie, wenn der Herr erscheint, ihm in seiner Herrlichkeit ähnlich werden und Ihn sehen, wie er ist. (Vgl. Joh. 3,2).

790 Wie aber Christus will, daß die einzelnen Glieder ihm ähnlich werden, so wünscht er es auch vom ganzen Leib der Kirche. Und das geschieht in der Tat, indem die Kirche nach dem Vorbild ihres Stifters lehrt, leitet und das göttliche Opfer darbringt. Außerdem stellt sie, durch Befolgung der evangelischen Räte, die Armut, den Gehorsam und die unberührte Keuschheit des Erlösers in sich dar. In ihren zahlreichen und verschiedenartigen religiösen Genossenschaften, die gleichsam ihre Kleinode bilden, zeigt sie uns gewissermaßen Christus selbst, wie er auf dem Berg betrachtend betet, oder den Volksscharen predigt, oder die Kranken und Verletzten heilt, die Sünder zum Guten bekehrt, oder schließlich allen Wohltaten spendet. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Kirche, solange sie hier auf Erden weilt, nach dem Beispiel Christi auch mit Verfolgungen, Misshandlungen und Leiden heimgesucht wird.

5. Auf Grund der übernatürlichen Gnadenvermittlung

791 Überdies muss Christus deshalb als Haupt der Kirche gelten, weil sein Mystischer Leib aus der Fülle und Vollkommenheit der übernatürlichen Gaben schöpft, die er ihm spendet. Wie nämlich – worauf mehrere Väter hinweisen – das Haupt unseres sterblichen Leibes im Besitz aller Sinne ist, während die übrigen Glieder unseres Organismus nur am Gefühlssinn teilhaben, so strahlen auch alle Tugenden, Gaben und Gnadenvorzüge der christlichen Gemeinschaft in Christus dem Haupte aufs vollkommenste wieder. „Es war Gottes Wille, in ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen” (Kol. 1,19). Ihn zieren jene übernatürlichen Gaben, welche die Hypostatische Vereinigung der beiden Naturen im Gefolge hat: In ihm wohnt der Heilige Geist in einer derartigen Gnadenfülle, daß sie größer nicht gedacht werden kann. Ihm ist gegeben ”die Macht über alles Fleisch” (Vgl. Joh. 17,2), überreich sind in ihm „alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis” (Kol. 2,3). Auch jene Erkenntnis, die man Erkenntnis der Gottschauung nennt, besitzt er in solcher Fülle, daß sie an Umfang und Klarheit die beseligende Schau aller Heiligen im Himmel weit überragt. Und schließlich ist er so reich an Gnade und Wahrheit, daß wir alle aus seiner unerschöpflichen Fülle empfangen (Vgl. Joh. 1,14-16).

6. Auf Grund Seines lebendig machenden Einflusses

792 Diese Worte des Jüngers, dem Jesus seine besondere Liebe schenkte, geben Uns Anlass, den letzten, besonders einleuchtenden Beweisgrund dafür anzuführen, daß Christus der Herr das Haupt Seines Mystischen Leibes zu nennen ist. Wie nämlich die Nerven vom Haupt in alle Glieder unseres Leibes sich verteilen und ihnen die Fähigkeit verleihen zu fühlen und sich zu bewegen, so flößt unser Erlöser seiner Kirche die Kraft und die Stärke ein, vermöge deren die Christgläubigen die göttlichen Dinge klarer erkennen und eifriger erstreben. Von ihm strahlt in den Leib der Kirche alles Licht aus, wodurch die Gläubigen übernatürliche Erleuchtung empfangen und jegliche Gnade, durch die sie heilig werden, wie er selber heilig ist.

a) durch Erleuchtung

793 Seine gesamte Kirche erleuchtet Christus; das kann fast aus unzähligen Stellen der Heiligen Schrift und der heiligen Väter bewiesen werden. ”Niemand hat Gott je gesehen: der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ruht, der hat Kunde von ihm gebracht” (Joh. 1,18). Als Lehrer von Gott kommend (Vgl. Joh. 16,12), um der Klarheit Zeugnis zu geben (Vgl. Joh. 18,37), erleuchtete er die jugendliche Kirche der Apostel mit Seinem Lichte derart, daß der Apostelfürst ausrief: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens” (Joh. 6,68). Den Evangelisten stand er vom Himmel aus in der Weise bei, daß sie gleichsam als Glieder Christi aufzeichneten, was sie sozusagen durch das Diktat des Hauptes erkannten (Augustinus, De consensu Evangelistarum I, 35, 54. PL 34, 1070). Und so ist er auch heute noch für uns, die wir hier in der irdischen Verbannung weilen, Begründer des Glaubens, wie er in der Heimat dessen Vollender ist (Vgl. Hebr. 12,2). Er ist es, der den Gläubigen das Licht des Glaubens eingießt; er, der die Hirten und Lehrer und besonders seinen Stellvertreter auf Erden mit den übernatürlichen Gaben der Erkenntnis, der Einsicht und Weisheit bereichert, damit sie den Schatz des Glaubens getreu bewahren, mutig verteidigen, fromm und eifrig erklären und sichern. Er ist es schließlich, der, wenn auch unsichtbar, die Konzilien leitet und erleuchtet. (CVgl Cyrillus Alex., Epist. LV de symb. PG 77, 293).

b) durch Heiligung der Glieder

794 Christus ist Begründer und Urheber der Heiligkeit. Denn es gibt gar keinen Heil bringenden Akt, der nicht aus ihm als seiner übernatürlichen Quelle sich herleitete. „Ohne mich”, sagt er, „könnt ihr nichts tun” (Joh 15,5). Wenn wir ob begangener Schuld von Seelenschmerz und Reue bewegt werden, wenn wir uns in kindlicher Furcht und Hoffnung zu Gott bekehren, immer werden wir von seiner Kraft geführt. Gnade und Glorie entspringen aus seiner unerschöpflichen Fülle. Besonders die hervorragenderen Glieder Seines Mystischen Leibes beschenkt unser Erlöser unaufhörlich mit den Gaben des Rates, der Stärke, der Furcht und der Frömmigkeit, damit der gesamte Leib von Tag zu Tag mehr und mehr zunehme an Heiligkeit und Reinheit des Lebens. Und wenn die Sakramente der Kirche mit einem äußeren Ritus gespendet werden, dann bringt er selber die Wirkung in den Seelen hervor (Vgl. Thom.as von Aquin, Sum. theol. III q. 64 a. 3). Ebenso ist er es, der die Erlösten mit Seinem Fleisch und Blut nährt und die wirren, erregten Leidenschaften beruhigt. Er vermehrt die Gnade und bereitet die Glorie für Seele und Leib. Diese Schätze der göttlichen Güte erteilt er den Gliedern Seines Mystischen Leibes nicht bloß darum, weil er sie als eucharistisches Opferlamm auf Erden und als verklärtes im Himmel durch seine Wunden und mit innigem Flehen vom Ewigen Vater erbittet, sondern auch darum, weil er für jeden einzelnen Gnade „in dem Maße, in dem Christus sie austeilt” (Eph. 4,7), auswählt, bestimmt und zuwendet. Daraus folgt, daß vom göttlichen Erlöser wie aus der Hauptkraftquelle „der ganze Leib zusammen gefügt und zusammen gehalten wird durch jedes Band, das Dienst tut entsprechend der Wirksamkeit jedes Teiles. Nur so erhält der Leib Wachstum zu seinem Aufbau in Liebe”. (Eph. 4,16; vgl. Kol. 2,19). –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 483 – S. 493

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