Heiliger Ludwig Maria Grignion von Montfort
Auszug aus der
Ansprache Papst Pius XII. am Tage nach der Heiligsprechung vom 21. Juli 1947
Soyez les bienvenues
2029 Gruß endlich euch, ihr Pilger, die ihr aus verschiedenen Ländern herbei geeilt seid! Scheinbar seid ihr recht verschiedenartig, und dennoch eint euch die Liebe zu Maria. Denn ihr alle erblickt in jenem Heiligen, den zu ehren ihr gekommen seid, euren Führer zu Maria und durch Maria zu Jesus. Gewiß waren alle Heiligen große Diener Marias, und alle haben die Seelen zu ihr hingeführt. Er ist jedoch unbestreitbar einer von denen, die sich am eifrigsten und wirksamsten dafür eingesetzt haben, um Marienverehrung und Mariendienst zu wecken.
Das Kreuz Jesu und die Mutter Jesu, das sind die zwei Pole in seinem persönlichen Leben und in seinem Apostolat. Und siehe, wie dieses Leben trotz seiner Kürze ausgefüllt war, wie dieses Apostolat, das er in der Vendée, im Poitou und in der Bretagne während kaum zwölf Jahren ausgeübt hat, schon seit mehr als zwei Jahrhunderten weiter wirkt und sich in vielen Gegenden ausbreitet! Die Weisheit ist es, jene Weisheit, deren Führung er sich anvertraut hatte, die seinem Wirken Erfolg verlieh und seine Arbeit krönte, die der Tod nur scheinbar unterbrach: Complevit labores illius (Weish. 10,10). Das Werk gehört ganz Gott, aber es trägt auch das Gepräge dessen, der Gottes treuer Mitarbeiter war. Dies wahrzunehmen, ist recht und billig.
2030 Unser Auge, fast geblendet vom leuchtenden Glanz, der die Gestalt unseres Heiligen umflutet, muss gleichsam den Strahlenkranz zerlegen. Unser Auge ruht vorerst auf den natürlichen, mehr äußeren Anlagen und stellt zu seiner Überraschung fest, daß die Natur dem neuen Heiligen gegenüber gar nicht so geizig war, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Es ist wahr, daß Ludwig Maria nicht den Liebreiz angenehmer Züge besaß, die sogleich die Sympathie gewinnen. Dafür erfreute er sich – was in Wirklichkeit viel wertvoller ist – einer kräftigen Natur, die es ihm erlaubte, in seiner Tätigkeit als Volksmissionar große Strapazen zu ertragen und sich sogar härtesten Bußübungen zu unterziehen. Er begnügte sich nicht damit, seine Zuhörer mit den billigen Kunststücken des Schöngeistes und mit dem Blendwerk einer ausgesuchten und spitzfindigen Eleganz zu berücken; er verstand es, den Reichtum seines soliden und gründlichen theologischen Wissens der Fassungskraft des einfachsten Zuhörers anzupassen – darin war er ein Meister – , und er nützte seine Kenntnisse in einer Weise aus, die den Verstand erleuchtete und überzeugte, die Herzen bewegte und den Willen mit hinreißender Kraft aufrüttelte, die zu mutigen und wirksamen Vorsätzen führte. Dank seinem Takt und seiner tiefgründigen Seelenkenntnis war er imstande zu wählen und zu bemessen, was für einen jeden paßte. Und hatte er auch, aus Abtötung und um sich ganz den Studien und dem Gebetsleben hinzugeben, den schönen Künsten entsagt, für die er viel Sinn und ein ausgesprochenes Talent besaß, so hatte er doch seine reiche Einbildungskraft und sein Empfindungsvermögen bewahrt; seine Künstlerseele wußte sich ihrer zu bedienen, um in den Seelen das göttliche Urbild nachzuformen. Zweifellos alles menschliche Eigenschaften, deren er sich aber bediente, um die Sünder zur Buße, die Gerechten zur Heiligkeit und die Irrenden zur Wahrheit zu führen. So eroberte er die Herzen, die der eisige Windhauch des Egoismus ausgetrocknet hatte, für die Liebe zu Christus.
2031 Unvergleichlich größeres Vertrauen als auf seine menschliche Tätigkeit setzte er indes auf Gottes Hilfe, die er sich durch sein Gebetsleben sicherte. Immer in Aktion, beständig in Kontakt mit den Menschen, blieb er dabei doch stets gesammelt, stets in vertrautem Verkehr mit Gott und kämpfte sozusagen gegen die strenge Gerechtigkeit Gottes, um von seiner Barmherzigkeit die Gnade des Sieges über die verstocktesten Sünder zu erlangen. Wie der Patriarch im Kampf mit dem Engel, schien er beständig das unwiderstehliche Gebet zu wiederholen: Ich lasse dich nicht los, es sei denn, du segnest mich (Gen. 32,27).
2032 Er wußte gar wohl, daß ohne Buße, Selbstverleugnung und fortwährende Abtötung das Gebet allein nicht genügt, um den Geist des Bösen zu besiegen: in oratione et jejunio (Mark. 9,29). Und so verband er mit den Strapazen der unermüdlichsten Apostel die heiligen Gewalttätigkeiten der strengsten Büßer. Hat er nicht fast wörtlich die Losung befolgt, die der Meister seinen Gesandten gab: Nehmt nichts mit auf dem Weg, weder Stab noch Tasche, weder Brot noch Geld; auch sollt ihr nicht zwei Anzüge haben (Luk. 9,3) Der einzige, abgenützte und geflickte Talar, den er trug, sah so armselig aus, daß die Bettler, die ihm begegneten, der Meinung waren, ihm mit ihren Almosen helfen zu müssen.
2033 Selbst gekreuzigt, war er auch berechtigt, Christus den Gekreuzigten mit Autorität zu predigen. (Vgl. 1. Kor. 1,23) Überall und trotz aller Widerstände errichtete er Wegkreuze und stellte sie mit unermüdlicher Geduld wieder auf, wenn der Weltgeist, inimicus crucis Christi (Phil. 3,18), sie zerstört hatte. In seinem Sendschreiben „An die Freunde des Kreuzes“ entwarf er weniger ein Lebensprogramm, als daß er sein eigenes Bild zeichnete: „Ein Mensch, den Gott aus Zehntausenden, die ihren Sinnen frönen und unter der bloßen Führung der Vernunft leben, ausgewählt hat, damit er ein Gottesmann sei, empor gehoben über die Vernunft und im Widerstreit mit den Sinnen, und die kraft eines Lebens und einer Erkenntnis aus dem reinsten Glauben und einer glühenden Kreuzesliebe“.
2034 Die mächtige Triebfeder seiner gesamten apostolischen Tätigkeit, sein großes Geheimnis, um die Seelen anzuziehen und sie Jesus zu schenken, das ist seine Verehrung zu Maria. Auf sie gründet er seine ganze Tätigkeit, in ihr ruht all seine Zuversicht. Und er hätte zu seiner Zeit keine wirksamere Waffe finden können. Der freudlosen Strenge, dem düsteren Grauen, der stolzen Schwermut des Jansenismus stellt er entgegen die kindlich vertrauende, die glühende, mitteilsame und tätige Liebe des frommen Dieners Mariens, die Liebe zu jener, die wir grüßen als „die Zuflucht der Sünder, die Mutter der göttlichen Gnade (Lauretanische Litanei), unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung“ (Salve Regina). Aber auch unsere Fürsprecherin, eine Fürsprecherin, die zwischen Gott und den Sünder gestellt, ganz darin aufgeht, die Milde des Richters anzurufen, um seine Gerechtigkeit zu besänftigen, damit das Herz des Schuldbeladenen gerührt und sein Starrsinn gebrochen werde. Kraft seiner Überzeugung und auf Grund seiner Erfahrung bezüglich dieser Sendung Marias erklärt unser Missionar in seiner anschaulichen und schlichten Art, „es habe ihm nie ein Sünder Widerstand geleistet, wenn er ihn einmal mit dem Rosenkranz in der Hand dingfest gemacht hatte“.
2035 Allerdings muss es sich um eine echte und ehrliche Frömmigkeit handeln. Und der Verfasser der „Abhandlung über die wahre Andacht zur seligsten Jungfrau“ unterscheidet diese sehr deutlich von einer falschen Andacht, die mehr oder weniger abergläubisch ist und sich auf irgendwelche äußere Andachtsübungen oder auf oberflächliche Gefühle beruft, damit man nach eigener Art weiter leben und in der Sünde verharren könne, weil man auf ein Gnadenwunder in der letzten Stunde zählt. (Vgl. L. M. Grignion von Montfort, Abhandlung über die wahre Andacht zur seligsten Jungfrau, Kap. 3)
Die wahre Andacht, jene der Überlieferung nämlich, jene der Kirche, sagen wir: die des guten Christen und Katholiken, zielt wesentlich nach der Vereinigung mit Jesus unter der Führung Marias. Form und Übung dieser Andacht können je nach Zeit, Ort oder persönlichen Neigungen ändern. Innerhalb der Grenzen der gesunden und sicheren Lehre, der Rechtgläubigkeit und der Würde des Kultes läßt die Kirche ihren Kindern den gebührenden freien Spielraum. Sie ist sich übrigens bewußt, daß die wahre und vollkommene Verehrung der seligsten Jungfrau nicht derart an diese Formen gebunden ist, daß eine von ihnen die Alleinberechtigung vor den andern beanspruchen könnte.
2036 Das ist der Grund, geliebte Söhne und Töchter, warum Wir sehnlichst wünschen, daß ihr alle, jenseits der mannigfachen Formen der Muttergottes-Verehrung, aus den kostbaren Schriften und dem Beispiel unseres Heiligen euch das aneignet, was den Kern seiner Marienverehrung ausmachte: seine feste Überzeugung von der machtvollen Fürbitte Marias, sein entschiedener Wille, die Tugenden der allerseligsten Jungfrau soweit nur möglich nachzuahmen, und der hinreißende Eifer seiner Marien- und Christusliebe.
Im innigsten Vertrauen darauf, daß Maria, die Königin der Herzen, euch vom Schöpfer alles Guten diese dreifache Gunst erlange, erteilen Wir euch und allen, die sich dem Schutz des heiligen Ludwig Maria Grignion von Montfort anempfehlen und ihn gemeinsam mit Uns anrufen, zum Unterpfand Unseren Apostolischen Segen.
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 1234-1238
Das gesamte Dokument: Soyez les bienvenues Audienzansprache Pius XII. zur Heiligsprechung L. M. Grignion von Montfort