Pius XII. über verwegene Auslegung der heiligen Schrift
aus dem Rundschreiben Papst Pius XII. „Humani generis“
447 Um nun zu den oben erwähnten neuen Anschauungen zurück zu kehren, so wird von etlichen Leuten auch manches vorgetragen oder nahe gelegt, was der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift zum Schaden gereicht. Denn von gewisser Seite wird der Sinn der Definition des Vatikanischen Konzils über Gott als den Urheber der Heiligen Schrift in verwegener Weise verfälscht; und zwar nimmt man die schon mehrfach verworfene Ansicht wieder auf, wonach die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift sich lediglich auf das beziehen soll, was über Gott und über moralische und sittliche Belange mitgeteilt wird. Man spricht sogar von einem menschlichen Sinn der heiligen Bücher, unter dem ihr göttlicher Sinn verborgen liege, den man allein für unfehlbar erklärt. Bei der Auslegung der Heiligen Schrift will man die Analogie des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung nicht gelten lassen; mithin müsse die Lehre der Väter und des kirchlichen Lehramtes gleichsam auf die Waagschale der Heiligen Schrift gelegt werden, die aber von den Exegeten auf rein menschliche Weise erklärt wird, statt eben die Heilige Schrift nach der Auffassung der Kirche zu erläutern, die doch von Christus dem Herrn zur Hüterin und Auslegerin des gesamten von Gott geoffenbarten Wahrheitsschatzes bestellt worden ist.
Und außerdem soll der Wortsinn der heiligen Schrift und deren Auslegung, wie sie durch zahlreiche und bedeutende Exegeten unter dem wachsamen Auge der Kirche erarbeitet wurde, gemäß den verschrobenen Auffassungen dieser Leute einer neuen Exegese weichen, die sie symbolisch und geistig nennen; und dank dieser Schrifterklärung würden die Bücher des Alten Testamentes, die heute wie ein versiegelter Quell in der Kirche verborgen seien, endlich einmal jedermann zugänglich gemacht. Auf diesem Wege, versichern sie, ließen sich alle Schwierigkeiten beheben, die nur jene behindern, die die am Wortsinn der Schrift festhalten.
Es sieht wohl jedermann ein, wie unvereinbar das alles ist mit den Grundsätzen und Richtlinien der Schrifterklärung, die mit Fug und Recht festgelegt wurden von Unseren Vorgängern seligen Andenkens, Leo XIII. in der Enzyklika Providentissimus Deus und Benedikt XV. in der Enzyklika Spiritus Paraclitus, sowie von Uns selber in der Enzyklika Divino afflante Spiritu. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 264 – S. 265