Allokution Magnificate Dominum
Papst Pius XII. – 1954
Ansprache Seiner Heiligkeit Papst Pius XII. an Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe über die katholische Kirche und ihre heiligenden und regierenden Kräfte, 2. November 1954
„Preiset den Herrn mit mir; lasst uns gemeinsam seinen Namen preisen“ (Ps. 33,4), denn durch eine neue Gunst des Himmels ist Unser Wunsch erfüllt worden, und zugleich freuen Wir Uns über den Anblick von euch, geliebte Söhne und ehrwürdige Brüder, die ihr in so großer Zahl vor Uns versammelt seid. Und der Gedanke an das neue liturgische Fest Mariens, der Mutter Gottes und Königin des Himmels und der Erde, das Wir erst kürzlich feierlich verkündet haben, steigert Unsere heilige Freude; denn es ist nur angemessen, dass ihre Kinder sich freuen, wenn sie sehen, dass ihrer Mutter eine größere Ehre zuteil wird.
Doch obwohl sie die Königin aller ist, herrscht die selige Jungfrau Maria über euch und eure Pläne und Unternehmungen mit einem besonderen Titel und auf eine intimere Weise, denn sie wird seit langem unter dem einzigartigen und glorreichen Titel der Königin der Apostel angerufen.
Denn da sie die Mutter der schönen Liebe, der Furcht, der Erkenntnis und der heiligen Hoffnung ist (vgl. Prediger 24, 24), was wünscht sie sehnlicher und strebt sie ernsthafter danach, als dass die echte Verehrung des wahren Gottes immer tiefer in die Seelen eingepflanzt werde, dass eine echtere Liebe in ihnen glühe, dass eine reine Gottesfurcht ihre Pläne beherrsche, dass eine Hoffnung, die sich fest auf die Verheißung der Unsterblichkeit stützt, ein Trost in diesem traurigen Exil auf Erden sei?
Alle diese Tugenden werden unter den Menschen durch die Mühen und Anstrengungen, die ihr für eure apostolischen Aufgaben aufwendet, gepflegt, damit sie, indem sie ihr irdisches Leben in Nüchternheit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit führen, im Himmel ewiges Glück erlangen können. Unter der Führung und dem Schutz Marias, der ewigen Jungfrau, Mutter und unserer Königin, haben Wir daher beschlossen, einige Punkte zu behandeln, die sich, wie Wir hoffen, als hilfreich für euch und für das Werk erweisen werden, mit dem ihr euch hingebungsvoll beschäftigt, um die Ernte des Herrn zu hüten.
Anfang Juni sprachen Wir anlässlich der Heiligsprechung des heiligen Pius X. zu der großen Gruppe von Bischöfen, die nach Rom gekommen waren, um den neuen Papst zu ehren [siehe Allokution Si Diligis]. Unser Thema war das Lehramt, das nach göttlicher Einsetzung und göttlichem Recht den Nachfolgern der Apostel unter der Autorität des römischen Papstes zusteht. Indem Wir diese Ansprache gleichsam fortsetzen, freuen Wir Uns nun, zu euch über zwei andere, eng miteinander verbundene Funktionen zu sprechen, die euch betreffen und eure Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordern: das Priestertum und die Leitung der Kirche. Lasst Uns Unsere Gedanken noch einmal auf den heiligen Pius X. richten.
Aus der Geschichte seines Lebens wissen wir, was der Altar und das Messopfer für ihn bedeuteten, von dem Tag an, an dem er als frisch geweihter Priester zum ersten Mal das heilige Opfer Gott darbrachte und mit zitternden Lippen „Introibo ad altare Dei“ aussprach.
So war es sein ganzes priesterliches Leben lang, als Pfarrer, als geistlicher Leiter eines Seminars, als Bischof, als Kardinal-Patriarch und schließlich als Papst. Der Altar und die Messe waren die Quelle und das Zentrum seiner Frömmigkeit, seine Ruhe und Kraft in Mühen und Schwierigkeiten, die Quelle des Lichts, des Mutes, des unermüdlichen Eifers für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen. So wie dieser Papst ein vorbildlicher Lehrer war und ist, war und ist er auch ein vorbildlicher Priester.
Die besondere und wichtigste Aufgabe des Priesters war es immer, „das Opfer darzubringen“; wo es keine wahre Macht gibt, das Opfer darzubringen, gibt es kein wahres Priestertum.
Das gilt auch vollkommen für den Priester des neuen Gesetzes. Seine Hauptbefugnis und -pflicht besteht darin, das einzigartige und göttliche Opfer des höchsten ewigen Priesters, Jesus Christus, unseres Herrn, darzubringen, das unser göttlicher Erlöser blutig am Kreuz dargebracht und unblutig beim letzten Abendmahl vorweggenommen hat. Er wollte, dass es ständig wiederholt wird, denn er befahl seinen Aposteln: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19).
Die Apostel also, und nicht alle Gläubigen, hat Christus zu Priestern geweiht und eingesetzt; ihnen gab er die Macht, Opfer darzubringen. Über diese edle Aufgabe, das Opfer des neuen Gesetzes darzubringen, lehrte das Konzil von Trient: „In diesem göttlichen Opfer, das in der Messe stattfindet, ist derselbe Christus gegenwärtig und wird unblutig geopfert, der sich einst am Kreuz blutig dargebracht hat. Denn das Opfer ist ein und dasselbe, das jetzt durch den Dienst der Priester dargebracht wird, der sich damals am Kreuz dargebracht hat; nur die Art der Darbringung ist eine andere“ (Sessio XXII, cap. 2 -Denzinger, Nr. 940).
So bringt der zelebrierende Priester, der die Person Christi anzieht, allein das Opfer dar, und nicht das Volk, nicht die Kleriker und auch nicht die Priester, die ehrfürchtig assistieren. Alle können und sollen jedoch aktiv am Opfer teilnehmen. „Das christliche Volk nimmt zwar am eucharistischen Opfer teil, besitzt aber dadurch keine priesterliche Vollmacht“, haben Wir in der Enzyklika Mediator Dei (A.A.S., Bd. 39, 1947, S. 553) festgestellt.
Wir wissen, ehrwürdige Brüder, dass das, was Wir soeben gesagt haben, euch recht vertraut ist; dennoch wollten Wir es in Erinnerung rufen, da es die Grundlage und das Motiv für das ist, was Wir nun sagen werden. Denn es gibt einige, die nicht aufgehört haben, von allen, auch von den Laien, die beim Messopfer fromm mitwirken, eine gewisse wahre Opfergewalt zu fordern. Wir müssen ihnen entgegentreten, die Wahrheit vom Irrtum unterscheiden und alle Verwirrung beseitigen.
Vor sieben Jahren haben Wir in derselben Enzyklika, die Wir soeben zitiert haben, den Irrtum derjenigen gerügt, die nicht zögern, zu behaupten, dass das Gebot Christi: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ sich unmittelbar auf die gesamte Versammlung der Gläubigen beziehe, und dass erst danach ein hierarchisches Priestertum entstehe. Daher besitze das Volk die wahre sakrale Macht, der Priester handle nur aufgrund einer von der Gemeinde übertragenen Autorität. Deshalb meinen sie, dass die ‚Konzelebration‘ das wahre eucharistische Opfer ist und dass es angemessener ist, wenn Priester und Volk gemeinsam ‚konzelebrieren‘, als wenn das Opfer privat, ohne die Gemeinde, dargebracht wird.“
Wir haben in jener Enzyklika auch daran erinnert, in welchem Sinne der zelebrierende Priester „an die Stelle des Volkes tritt“, nämlich „weil er die Person Jesu Christi, unseres Herrn, trägt, der das Haupt aller Glieder ist, und sich für sie aufopfert; so tritt der Priester als Diener Christi an den Altar, der Christus untergeordnet ist, aber über dem Volk steht. Das Volk aber kann, da es in keiner Weise die Person unseres göttlichen Erlösers trägt und nicht Mittler zwischen ihm und Gott ist, in keiner Weise an den sakralen Rechten teilhaben“ (A.A.S., 1947, S. 553, 554).
Bei der Betrachtung dieser Frage geht es nicht nur darum, die Früchte zu messen, die aus dem Hören oder der Darbringung des eucharistischen Opfers hervorgehen – es ist in der Tat möglich, dass man aus einer andächtig und religiös gehörten Messe mehr Früchte gewinnt als aus einer nachlässig zelebrierten Messe -, sondern es geht darum, das Wesen des Aktes des Hörens und der Feier der Messe zu bestimmen, aus dem die anderen Früchte des Opfers hervorgehen.
Ohne die Akte der Anbetung Gottes und der Danksagung an ihn zu erwähnen, verweisen Wir auf die Früchte der Versöhnung und der Sühne für diejenigen, für die das Opfer dargebracht wird, auch wenn sie nicht anwesend sind; ebenso auf die Früchte „für die Sünden, die Strafen, die Genugtuungen und die anderen Bedürfnisse der noch lebenden Gläubigen sowie für die in Christus Verstorbenen, die noch nicht völlig gereinigt sind“ (Konzil Trid. Sess. XXII cap. 2-Denzinger Nr. 940).
So gesehen ist eine Behauptung, die heute nicht nur von Laien, sondern zuweilen auch von bestimmten Theologen und Priestern aufgestellt und verbreitet wird, als Irrtum abzulehnen: nämlich, dass die Darbietung einer Messe, bei der hundert Priester mit religiöser Hingabe assistieren, dasselbe sei wie hundert Messen, die von hundert Priestern gefeiert werden.
Das ist nicht wahr. Was die Darbringung des eucharistischen Opfers betrifft, so sind die Handlungen Christi, des Hohenpriesters, so zahlreich wie die zelebrierenden Priester, nicht so zahlreich wie die Priester, die ehrfürchtig die Messe eines Bischofs oder Priesters hören; denn die bei der Messe Anwesenden tragen in keiner Weise die Person des opfernden Christus und handeln auch nicht in ihr, sondern sind mit den gläubigen Laien zu vergleichen, die bei der Messe anwesend sind.
Andererseits soll nicht geleugnet oder in Frage gestellt werden, dass die Gläubigen eine Art „Priestertum“ haben, und man darf es nicht abwerten oder herabsetzen. Denn der Apostelfürst wendet sich in seinem ersten Brief an die Gläubigen mit diesen Worten: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein erkauftes Volk“ (1. Petr. 2, 9); und kurz davor behauptet er, die Gläubigen besäßen ‚ein heiliges Priestertum, um geistige Opfer darzubringen, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus‘ (ebd. 2, 5).
Aber was auch immer die volle Bedeutung dieses ehrenvollen Titels und Anspruchs sein mag, so muss man doch festhalten, dass das allen Gläubigen gemeinsame „Priestertum“, so hoch und vorbehalten es auch sein mag, sich nicht nur dem Grade nach, sondern auch dem Wesen nach von dem Priestertum unterscheidet, das voll und ganz so genannt wird und das in der Befugnis besteht, das Opfer Christi selbst darzubringen, da er die Person Christi, des obersten Hohenpriesters, trägt.
Mit Freude stellen wir fest, dass in vielen Diözesen spezielle liturgische Institute entstanden sind, dass liturgische Gruppen gegründet wurden, dass Moderatoren zur Förderung des Interesses an der Liturgie ernannt wurden, dass diözesane oder interdiözesane Treffen zu liturgischen Fragen abgehalten wurden und dass Versammlungen auf internationaler Ebene stattgefunden haben oder noch stattfinden werden. Wir freuen uns zu hören, dass die Bischöfe an einigen Orten persönlich anwesend waren und den Vorsitz bei diesen Versammlungen führten.
Diese Treffen folgen manchmal einem bestimmten Programm, d. h. nur einer hält die Messe, und die anderen (alle oder die Mehrheit) assistieren bei dieser einen Messe und empfangen währenddessen die heilige Eucharistie aus den Händen des Zelebranten. Wenn dies aus einem guten und stichhaltigen Grund geschieht und der Bischof keine gegenteilige Entscheidung getroffen hat, um einen Skandal unter den Gläubigen zu verhindern, ist diese Praxis nicht zu beanstanden, solange ihr nicht der oben erwähnte Fehler zugrunde liegt.
Was die in diesen Versammlungen behandelten Themen anbelangt, so gibt es Diskussionen über Fragen der Geschichte, der Lehre und der Lebensführung; es wurden Schlussfolgerungen gezogen und Anträge gestellt, die notwendig erscheinen oder einem größeren Fortschritt in diesem Studium entsprechen, jedoch vorbehaltlich der Entscheidung der zuständigen kirchlichen Autorität. Aber diese Bewegung zum Studium der heiligen Liturgie bleibt nicht bei der Abhaltung dieser Versammlungen stehen; neben ihnen wachsen und entwickeln sich ständig Erfahrung und Praxis, so dass die Gläubigen in immer größerer Zahl zu einer aktiven Vereinigung und Gemeinschaft mit dem Priester, der das Opfer vollzieht, beeinflusst werden.
Aber, ehrwürdige Brüder, so sehr ihr auch die Praxis und die Entwicklung der heiligen Liturgie begünstigen mögt – und das mit Recht -, so dürft ihr doch nicht zulassen, dass diejenigen, die sich in euren Diözesen mit diesem Thema befassen, sich eurer Führung und eurer Wachsamkeit entziehen oder die heilige Liturgie nach eigenem Gutdünken anpassen und verändern, entgegen den klar erklärten Normen der Kirche:
„Es ist allein Aufgabe des Apostolischen Stuhls, die heilige Liturgie zu bestimmen und die liturgischen Bücher zu approbieren“ (can. 1257), und zwar insbesondere im Hinblick auf die Feier der Messe: „Unter Aufhebung aller gegenteiligen Gewohnheiten muss der zelebrierende Priester die Rubriken der Bücher seines eigenen Ritus genau und andächtig einhalten und sich hüten, nach eigenem Gutdünken andere Zeremonien oder Gebete hinzuzufügen“ (can. 818). Und gebt keine Zustimmung oder Erlaubnis zu Versuchen dieser Art oder zu Bewegungen, die kühner als klug sind.
„Ein Vorbild für die Herde sein“ (1. Petr. 5,3): Die Worte des heiligen Petrus beziehen sich besonders auf die Bischöfe, die das Amt des Hirten haben und ausüben. Die besondere und persönliche Note des Pontifikats von Pius X. war in der Tat dieser Aspekt und die Gewohnheit des „Hirten“.
Kurz gesagt, nachdem er das höchste Amt im apostolischen Dienst erreicht hatte, war es für alle klar, dass auf den Stuhl des Apostelfürsten ein Priester erhoben worden war, der in der Sorge um die Seelen aufgewachsen war, der von Anfang seines Priesteramtes an ein Seelenhirte gewesen war und es auch weiterhin blieb, bis er dazu bestimmt wurde, die ganze Herde Christi zu weiden. Der unabänderliche Grundsatz, den er in seinem Handeln beibehielt, das Lebensziel, das er sich setzte, war „das Heil der Seelen“.
Wenn er wünschte, „alle in Christus zu erneuern“, so geschah dies um des Heils der Seelen willen. Diesem Ziel und dieser Funktion ordnete er in gewisser Weise sein gesamtes Handeln unter. Er war der gute Hirte inmitten seiner Herde, besorgt um ihre Bedürfnisse, beunruhigt durch die Gefahren, die sie bedrohten, ganz der Führung und Leitung der Herde Christi auf dem Weg Christi gewidmet.
Aber es ist nicht unsere Absicht, ehrwürdige Brüder, während Wir zu euch, den Hirten eurer Herden, sprechen, erneut ein edles Bild und ein vollkommenes Muster des heiligen Papstes und Hirten zu entwerfen. Wir wollen vielmehr – wie Wir es mit dem Lehramt und dem Priestertum der Bischöfe getan haben – einige Punkte erwähnen, die besonders in Unserer Zeit das Interesse, die Stimme und die Tätigkeit eines hingebungsvollen Hirten erfordern.
Erstens sind einige Geisteshaltungen und -tendenzen zu beobachten, die sich anmaßen, die Macht der Bischöfe (den Papst nicht ausgenommen) als strenge Hirten der ihnen anvertrauten Herde zu kontrollieren und ihnen Grenzen zu setzen. Sie legen ihre Autorität, ihr Amt und ihre Wachsamkeit innerhalb bestimmter Grenzen fest, die sich auf rein religiöse Angelegenheiten beziehen, auf die Darlegung der Glaubenswahrheiten, die Regelung der Andachtsübungen, die Verwaltung der Sakramente der Kirche und die Durchführung der liturgischen Zeremonien.
Sie wollen die Kirche von allen Unternehmungen und Geschäften fernhalten, die das Leben betreffen, wie es wirklich geführt wird – „die Realitäten des Lebens“, wie sie sagen. Kurz gesagt, diese Denkweise zeigt sich in den offiziellen Äußerungen einiger katholischer Laien, sogar in hohen Positionen, wenn sie sagen:
„Wir sind durchaus bereit, Bischöfe und Priester in ihren Kirchen zu sehen, zu hören und auf sie zuzugehen, wenn es um Angelegenheiten geht, die in ihre Zuständigkeit fallen; aber an Orten offizieller und öffentlicher Geschäfte, wo Angelegenheiten dieses Lebens behandelt und entschieden werden, wollen wir sie nicht sehen und nicht hören, was sie sagen. Denn dort sind wir Laien und nicht der Klerus – gleich welchen Ranges oder welcher Qualifikation – die rechtmäßigen Richter.“
Gegen Irrtümer dieser Art müssen wir offen und entschieden vorgehen. Die Macht der Kirche ist nicht an die Grenzen der „rein religiösen Angelegenheiten“ gebunden, wie man sagt, sondern die gesamte Materie des Naturrechts, seine Grundlage, seine Auslegung, seine Anwendung, soweit sie sich auf die moralischen Aspekte erstrecken, liegen in der Macht der Kirche. Denn die Einhaltung des Naturgesetzes bezieht sich nach Gottes Willen auf den Weg, auf dem sich der Mensch seinem übernatürlichen Ziel nähern muss. Auf diesem Weg aber ist die Kirche die Führerin und Hüterin des Menschen in Bezug auf sein höchstes Ziel.
Die Apostel haben dies in früheren Zeiten beachtet, und danach hat sich die Kirche von den ersten Jahrhunderten an an diese Handlungsweise gehalten und hält sich auch heute daran, und zwar nicht wie irgendein privater Führer oder Berater, sondern kraft des Befehls und der Autorität des Herrn. Wenn es sich also um Anweisungen und Vorschläge handelt, die die rechtmäßig eingesetzten Hirten (d. h. der Papst für die ganze Kirche und die Bischöfe für die ihnen anvertrauten Gläubigen) zu Fragen des Naturrechts veröffentlichen, dürfen sich die Gläubigen nicht auf das Sprichwort berufen, das man in Bezug auf die Meinungen Einzelner zu verwenden pflegt: „Die Stärke der Autorität ist nicht mehr als die Stärke der Argumente“.
Auch wenn jemandem bestimmte Erklärungen der Kirche durch die vorgebrachten Argumente nicht bewiesen zu sein scheinen, bleibt seine Verpflichtung zum Gehorsam bestehen. Dies war der Geist, und dies sind die Worte des heiligen Pius X. in seiner Enzyklika Singulari Quadam vom 24. September 1912 (A.A.S., Bd. 4, 1912, S. 658):
„Was immer ein Christenmensch auch in den Angelegenheiten dieser Welt tun mag, er darf das Übernatürliche nicht ignorieren, ja, er muss alles auf das höchste Gut als sein letztes Ziel ausrichten, in Übereinstimmung mit den Geboten der christlichen Weisheit; aber alle seine Handlungen, soweit sie sittlich gut oder böse sind, das heißt, mit dem göttlichen und natürlichen Gesetz übereinstimmen oder ihm entgegenstehen, unterliegen dem Urteil und der Autorität der Kirche“.
Und er überträgt dieses Prinzip sofort auf den sozialen Bereich: „Die soziale Frage und die ihr zugrundeliegenden Kontroversen … sind nicht bloß wirtschaftlicher Natur und können daher unter Außerachtlassung der kirchlichen Autorität geregelt werden, sondern es ist im Gegenteil sehr sicher, dass sie (die soziale Frage) in erster Linie eine sittliche und religiöse ist und daher vor allem nach dem Sittengesetz und dem auf der Religion beruhenden Urteil geregelt werden muss“ (ebd., S. 658, 659).
Die Probleme im sozialen Bereich sind zahlreich und schwerwiegend – ob sie nun rein sozialer oder gesellschaftspolitischer Natur sind, sie gehören zur sittlichen Ordnung, betreffen das Gewissen und das Heil der Menschen und können daher nicht außerhalb der Autorität und der Fürsorge der Kirche erklärt werden. In der Tat gibt es außerhalb des sozialen Bereichs Probleme, die nicht streng „religiös“ sind, politische Probleme, die entweder einzelne oder alle Nationen betreffen, die zur sittlichen Ordnung gehören, die das Gewissen belasten und die die Verwirklichung des letzten Ziels des Menschen behindern können und dies auch sehr oft tun.
Es sind dies: der Zweck und die Grenzen der weltlichen Gewalt; die Beziehungen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, der sogenannte „totalitäre Staat“, auf welchem Prinzip er auch immer beruhen mag; die „völlige Laisierung des Staates“ und des öffentlichen Lebens; die völlige Laisierung der Schulen; der Krieg, seine Sittlichkeit, seine Legalität oder Nicht-Liquidität, wenn er so geführt wird, wie er heute geführt wird, und die Frage, ob ein Mensch aus Gewissensgründen seine Mitwirkung daran gewähren oder verweigern darf; die sittlichen Beziehungen, die die verschiedenen Nationen verbinden und beherrschen.
Dem gesunden Menschenverstand und auch der Wahrheit widerspricht, wer behauptet, diese und ähnliche Probleme lägen außerhalb des Bereichs der Moral und damit außerhalb des Einflusses jener Autorität, die von Gott eingesetzt wurde, um für eine gerechte Ordnung zu sorgen und das Gewissen und die Handlungen der Menschen auf den Weg zu ihrer wahren und endgültigen Bestimmung zu lenken, oder die es zumindest sein kann.
Dies soll sie freilich nicht nur „im Verborgenen“, innerhalb der Mauern der Kirche und der Sakristei tun, sondern auch im Freien, indem sie „von den Dächern“ (um die Worte des Herrn zu gebrauchen, Mt 10,27) schreit, an vorderster Front, inmitten des Kampfes, der zwischen Wahrheit und Irrtum, Tugend und Laster, zwischen der „Welt“ und dem Reich Gottes, zwischen dem Fürsten dieser Welt und Christus, ihrem Erlöser, tobt.
Wir müssen einige Bemerkungen zur kirchlichen Disziplin hinzufügen. Kleriker und Laien müssen sich bewusst sein, dass die Kirche und auch die Bischöfe für die ihnen anvertrauten Gläubigen gemäß dem Kirchenrecht dazu berufen und befugt sind, die kirchliche Disziplin zu fördern und für ihre Einhaltung zu sorgen, das heißt, eine äußere Handlungs- und Verhaltensnorm für die Angelegenheiten aufzustellen, die die öffentliche Ordnung betreffen und die ihren unmittelbaren Ursprung nicht im natürlichen oder göttlichen Recht haben.
Kleriker und Laien dürfen sich von dieser Disziplin nicht ausnehmen; vielmehr sollen alle darauf bedacht sein, sie zu befolgen, damit durch die treue Befolgung der kirchlichen Disziplin das Handeln des Hirten leichter und wirksamer und die Verbindung zwischen ihm und seiner Herde stärker werde; damit innerhalb der Herde Eintracht und Zusammenarbeit herrsche und jeder dem anderen ein Beispiel und eine Stütze sei.
Doch die Punkte, die Wir soeben im Zusammenhang mit der Jurisdiktion der Bischöfe erwähnt haben, die in allen Angelegenheiten, die mit der Religion, dem Sittengesetz und der kirchlichen Disziplin zu tun haben, Hirten der ihrer Obhut anvertrauten Seelen sind, sind der Kritik ausgesetzt, die oft nicht über ein Flüstern hinausgeht, und erhalten nicht die feste Zustimmung, die sie verdienen. So stiften einige stolze, moderne Geister eine ernste und gefährliche Verwirrung, deren Spuren in verschiedenen Regionen mehr oder weniger deutlich zu sehen sind. Das täglich stärker betonte Bewusstsein, reif zu sein, erzeugt in ihnen einen unruhigen und fiebrigen Geist.
Nicht wenige moderne Männer und Frauen sind der Meinung, dass die Leitung und die Wachsamkeit der Kirche nicht von einem Erwachsenen zu ertragen ist; sie sagen es nicht nur, sondern halten es für eine feste Überzeugung. Sie sind nicht bereit, wie Kinder „unter Vormündern und Verwaltern“ zu stehen (Gal. 4, 2). Sie wollen wie Erwachsene behandelt werden, die im Vollbesitz ihrer Rechte sind und selbst entscheiden können, was sie in einer bestimmten Situation tun oder nicht tun sollen.
Die Kirche – so zögern sie nicht zu sagen – soll ihre Lehre vorschlagen und ihre Gesetze als Normen für unser Handeln erlassen. Doch wenn es um die praktische Anwendung im Leben jedes Einzelnen geht, darf sich die Kirche nicht einmischen; sie sollte jeden Gläubigen seinem eigenen Gewissen und Urteil folgen lassen.
Sie erklären, dies sei um so notwendiger, als die Kirche und ihre Amtsträger bestimmte persönliche oder äußere Umstände nicht kennen, in die jeder Einzelne hineingestellt ist und in denen er sich selbst beraten und entscheiden muss, was er tun soll. Solche Menschen sind außerdem nicht bereit, in ihren endgültigen persönlichen Entscheidungen einen Vermittler oder Fürsprecher zwischen sich und Gott zu stellen, ganz gleich, welchen Rang oder Titel er hat. Vor zwei Jahren, in Unseren Ansprachen vom 23. März und 18. April 1952, sprachen Wir über diese verwerflichen Theorien und prüften ihre Argumente (Discorsi e Radio-messaggi, Bd. 14, 1952, S. 19 ff., S. 69 ff.).
Was die Bedeutung der Volljährigkeit anbelangt, so ist diese Aussage richtig: Es ist gerecht und richtig, dass Erwachsene nicht wie Kinder regiert werden. Der Apostel sagt von sich selbst: „Als ich ein Kind war, sprach ich wie ein Kind, fühlte ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind. Nun aber, da ich ein Mann geworden bin, habe ich das Kindliche abgelegt“ (1. Korinther 13, 11). Das ist keine wahre Erziehungskunst, die einem anderen Prinzip oder Verfahren folgt, noch ist er ein wahrer Seelenhirte, der ein anderes Ziel verfolgt, als die ihm anvertrauten Gläubigen „zum vollkommenen Mannesalter, zum reifen Maß der Fülle Christi“ (Eph. 4,13) zu erziehen.
Aber es ist eine Sache, erwachsen zu sein und die Dinge der Kindheit abgelegt zu haben, und eine ganz andere, erwachsen zu sein und nicht der Führung und Leitung einer legitimen Autorität unterworfen zu sein. Denn die Regierung ist nicht eine Art Kindergarten für Kinder, sondern die wirksame Leitung der Erwachsenen auf das Ziel hin, das dem Staat vorgegeben ist.
Da Wir aber zu euch, ehrwürdige Brüder, und nicht zu den Gläubigen sprechen, so erinnert die Gläubigen daran, wenn diese Ideen auftauchen und in euren Herden Fuß fassen:
(1) dass Gott Seelenhirten in die Kirche eingesetzt hat, nicht um der Herde eine Last aufzuerlegen, sondern um ihr zu helfen und sie zu schützen;
(2) dass die wahre Freiheit der Gläubigen durch die Führung und Wachsamkeit der Hirten geschützt wird; dass sie vor der Sklaverei des Lasters und des Irrtums geschützt werden, dass sie gegen die Versuchungen gestärkt werden, die aus dem schlechten Beispiel und aus den Gewohnheiten der bösen Menschen kommen, unter denen sie leben müssen;
(3) dass sie daher der Klugheit und der Nächstenliebe, die sie sich selbst schulden, zuwiderhandeln, wenn sie diesen Schutz Gottes und seine sicherste Hilfe verschmähen. Wenn du unter den Klerikern und Priestern einige findest, die von diesem falschen Eifer und dieser falschen Haltung angesteckt sind, so lege ihnen die ernsten Warnungen vor, die Unser Vorgänger Benedikt XV. ausgesprochen hat:
„Es gibt eine Sache, die nicht stillschweigend übergangen werden darf: Wir wollen alle Priester, die Unsere innig geliebten Söhne sind, warnen, wie unbedingt notwendig es nicht nur für ihr eigenes Heil, sondern auch für die Fruchtbarkeit ihres heiligen Dienstes ist, dass jeder seinem Bischof gegenüber äußerst ergeben und gehorsam ist. Wie Wir beiläufig beklagten, sind nicht alle Spender der heiligen Geheimnisse frei von jenem stolzen und hochmütigen Geist, der für unsere Zeit charakteristisch ist; und es kommt häufig vor, dass die Hirten der Kirche gekränkt und bekämpft werden, wo sie mit Recht Trost und Hilfe erwarten könnten (Enzyklika Ad Beatissimi Apostolorum Principis, 1. November 1914; A.A.S., Bd. 6, 1914, S. 579).“
Bis jetzt haben Wir von der Seelsorge gesprochen, von den Personen, zu deren Nutzen sie ausgeübt wird; es ist nicht richtig, Unsere Ausführungen zu beenden, ohne uns den Seelsorgern selbst zuzuwenden. Für Uns und für euch Hirten gelten die heiligen Worte des Ewigen Hirten: „Ich bin der gute Hirte. Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Johannes 10, 11, 10). Zu Petrus sagte der Herr: „Wenn du mich liebst, weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ (Johannes 21, 15, 17).
Diesen guten Hirten stellt er den Mietling gegenüber, der sich selbst und seine eigenen Interessen sucht und nicht bereit ist, sein Leben für seine Herde hinzugeben (vgl. Johannes 10, 12-13). Er stellt sie den Schriftgelehrten und Pharisäern gegenüber, die in ihrer Gier nach Macht und Herrschaft und in ihrem Streben nach eigenem Ruhm auf dem Stuhl des Mose saßen, schwere und drückende Lasten anhäuften und sie den Menschen aufbürdeten (vgl. Mt 23,1.4). Von seinem eigenen Joch sagte der Herr: „Nehmt mein Joch auf euch! Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“ (Mt 11,29-30).
Häufiger und gegenseitiger Austausch unter den Bischöfen ist für die fruchtbare und wirksame Ausübung des Hirtenamtes sehr hilfreich. Auf diese Weise vervollkommnet einer den anderen in der Auswertung der Erfahrungen der Vergangenheit; die Verwaltung wird einheitlicher, die Verwunderung der Gläubigen wird vermieden, die oft nicht verstehen, warum in einer Diözese eine bestimmte Politik verfolgt wird, während in einer anderen, vielleicht benachbarten Diözese eine andere oder sogar eine ganz gegenteilige Politik verfolgt wird. Zur Verwirklichung dieser Ziele sind die Generalversammlungen, die heute fast überall abgehalten werden, sehr hilfreich, ebenso wie die feierlich einberufenen Provinz- und Plenarkonzilien, die der Codex des kanonischen Rechts vorsieht und die durch bestimmte Gesetze geregelt sind.
Zu dieser Verbindung und dem Verkehr zwischen den Brüdern im Bischofsamt sollen eine enge Verbindung und ein häufiger Austausch mit dem Apostolischen Stuhl hinzukommen. Der Brauch, den Heiligen Stuhl nicht nur in Fragen der Lehre, sondern auch in Angelegenheiten der Regierung und der Disziplin zu konsultieren, hat sich seit den frühesten Tagen des Christentums entwickelt.
Viele Beweise und Beispiele finden sich in alten historischen Aufzeichnungen. Wenn die Päpste um ihre Entscheidung gebeten wurden, antworteten sie nicht als private Theologen, sondern kraft ihrer Autorität und im Bewusstsein der Macht, die sie von Christus erhalten hatten, um über die ganze Herde und jeden ihrer Teile zu herrschen. Dasselbe ergibt sich aus den Fällen, in denen die Päpste ungefragt entstandene Streitigkeiten schlichten oder anordneten, dass „Zweifel“ [dubia] zur Klärung an sie herangetragen werden. Diese Einheit und harmonische Kommunikation mit dem Heiligen Stuhl entspringt also nicht einer Art Wunsch, alles zu zentralisieren und zu vereinheitlichen, sondern mit göttlichem Recht und aufgrund eines wesentlichen Elements der Verfassung der Kirche Christi.
Das Ergebnis ist für die Bischöfe, denen die Leitung der einzelnen Herden anvertraut ist, nicht nachteilig, sondern vorteilhaft. Denn aus der Kommunikation mit dem Apostolischen Stuhl gewinnen sie Licht und Gewissheit „in Zweifeln“, Rat und Kraft in Schwierigkeiten, Beistand in Mühen, Trost und Trost in Bedrängnis. Andererseits erlangt der Apostolische Stuhl durch die „Berichte“ der Bischöfe an den Apostolischen Stuhl eine umfassendere Kenntnis vom Zustand der ganzen Herde, erfährt schneller und genauer, welche Gefahren drohen und welche Mittel zur Heilung der Übel angewandt werden können.
Ehrwürdige Brüder, am Tag, bevor Er litt, betete Christus zum Vater für die Apostel und zugleich für alle ihre Nachfolger im Apostolischen Amt: „Heiliger Vater, bewahre in deinem Namen die, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir es sind. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt … die Liebe, mit der du mich geliebt hast, sei in ihnen und ich in ihnen“ (Joh 17,11.18.26).
Und so haben Wir, auch ein Presbyter, der Stellvertreter des Ewigen Hirten auf Erden, zu euch, unseren Mitpresbytern (1 Petr 5,1) und Hirten eurer Herden, in der Nähe der Gräber des Apostelfürsten und des heiligen Pius X., des Papstes, gesprochen; und am Ende Unserer Ansprache wenden Wir Uns wieder der Messe „Si diligis“ zu, mit der Wir begonnen haben und in deren Präfation Wir beten: „Dass Du, Ewiger Hirte, Deine Herde nicht im Stich lässt, sondern durch Deine seligen Apostel ständig über sie wachst.“
Und im zweiten Nachkommuniongebet fügen wir hinzu: „Steigere, o Herr, in Deiner Kirche den Geist der Gnade, den Du ihr gegeben hast, damit auf die Fürsprache des seligen Pius, des Papstes, weder die Herde im Gehorsam gegenüber dem Hirten noch der Hirte in der Sorge für die Herde ermangelt.“
Möge Gott euch allen dieses Gebet nach dem Maß seiner göttlichen Freigebigkeit gewähren!
Quelle: Pope Pius XII, Allocution “Magnificate Dominum” (1954)
Bildquellen
- Pius_XII_with_tabard,_by_Michael_Pitcairn,_1951_(retouched): wikimedia