Pius XI. über Ehescheidung und Lehre der Kirche
Auszug aus der Enzyklika „Casti connubii“ Pius XI.
Die Ehescheidung
1716 Ein Haupthindernis jedoch, ehrwürdige Brüder, gegen die von unserem Heiland Jesus Christus gewollte Wiederherstellung und Vollendung der Ehe bildet die von Tag zu Tag fortschreitende Erleichterung der Ehescheidung. Die Verfechter des Neuheidentums setzen trotz der traurigen Erfahrungen ihren von Tag zu Tag heftigeren Kampf gegen die gottgewollte Unauflöslichkeit der Ehe und die zu ihrem Schutz aufgestellten Gesetze fort. Ihr Ziel ist es, die Zulassung der Ehescheidung gesetzlich festgelegt zu sehen und jene veralteten Gesetze durch menschlichere zu ersetzen.
1717 Die Gründe, die sie zugunsten der Ehescheidung vorbringen, sind zahlreich und verschiedenartig; solche, die von persönlicher Schuld und Verfehlung herrühren, andere, die in der Sache selber liegen (die ersteren nennen sie subjektive, die letzteren objektive Gründe), dann auch all das, was irgendwie das Zusammenleben hart und widerwärtig macht.
Diese Gründe und angestrebten Gesetze suchen sie auf mannigfache Weise zu rechtfertigen. Zunächst mit dem Wohl beider Gatten: ist der andere Teil unschuldig, so stehe ihm das Recht zu, von dem schuldigen wegzugehen; ist er schwerer Vergehen schuldig, so müsse er aus der Gemeinschaft, die für den andern widerwärtig und erzwungen sei, ausgesondert werden. Einen weiteren Grund sieht man in dem Wohl der Nachkommenschaft, die der richtigen Erziehung entbehren müsse und infolge der Zwietracht und anderen üblen Verhaltens der Eltern nur allzu leicht Schaden leide und vom rechten Wege abgedrängt werde. Einen letzten Grund erblicken sie in dem Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft. Dieses verlange zunächst die völlige Tilgung all der Ehen, die doch nichts mehr taugen zur Erreichung dessen, was die Natur bezweckt. Sodann sei den Gatten die Trennung gesetzlich zu gestatten zur Vermeidung von Verbrechen, auf die man bei ihrem erzwungenen Beisammenbleiben nur zu sehr gefaßt sein müsse, und damit nicht die Gerichte und das Ansehen der Gesetze täglich mehr zum Gespött würden. Denn um das ersehnte Scheidungsurteil zu erreichen, begingen die Gatten entweder absichtlich Verbrechen, auf die hin der Richter kraft des Gesetzes das Eheband lösen kann, oder sie behaupten frech mit Lüge und Meineid vor dem Richter, auch wenn dieser den wahren Sachverhalt durchschaut, sie hätten sich solche Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Unter diesen Umständen müßten, so sagt man, die Gesetze solchen Notlagen, den veränderten Zeitumständen, der öffentlichen Meinung, den Verhältnissen und Gepflogenheiten moderner Staaten angepaßt werden. Diese Gründe, besonders aber alle zusammengenommen, seien ein augenscheinlicher Beweis für die Notwendigkeit, aus bestimmten Ursachen die Ehescheidung zu gestatten.
1718 Andere gehen in ihrer Verwegenheit noch weiter und wähnen: da die Ehe ein bloßer Privatvertrag sei, so sei es, gleich wie bei den übrigen Privatverträgen, dem Gutdünken und dem Einverständnis der beiden Vertragspartner völlig anheimzustellen, die Ehe aus jedem beliebigen Grunde wieder zu lösen.
Lehre der Kirche
1719 Allen diesen Torheiten steht, ehrwürdige Brüder, unbeugsam und unerschütterlich das eine göttliche Gesetz gegenüber, das Christus in seinem vollen Umfang bestätigt hat. Ein Gesetz, das durch keine Menschensatzungen und Volksbeschlüsse und kein Diktat der Gesetzgeber entkräftet werden kann: Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.“(Matth. 19,6) Trennt er gegen das Recht trotzdem, so bleibt sein Unterfangen wirkungslos. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, die Christus mit ausdrücklichen Worten bekräftigt: Ein jeder, der sein Weib entläßt und eine andere heiratet, der bricht die Ehe: und wer eine vom Manne Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe. (Luk. 16,18) Diese Worte Christi treffen auf jede Ehe zu, auch auf die bloß natürliche und rechtmäßige. Denn jede wahre Ehe besitzt die Eigenschaft der Unauflöslichkeit, wodurch die Lösung des Bandes dem Gutdünken der Partner und jeglicher weltlichen Gewalt entzogen ist.
1720 Hier ist auch die feierliche Entscheidung des Trienter Konzils ins Gedächtnis zurückzurufen, das unter Strafe des Bannes den Satz verwarf: „Wenn jemand behauptet, das Eheband könne gelöst werden wegen Abfalls vom wahren Glauben, oder weil das Zusammenleben zur Last geworden, oder wegen böswilligen Verlassens, so sei er im Banne.“ (Konzil von Trient, Sess. XXIV c.7. Denzinger Nr. 975) Und weiterhin: „Wenn jemand behauptet, die Kirche irre, wenn sie gelehrt hat und noch lehrt, gemäß der Lehre des Evangeliums und der Apostel könne das Eheband wegen Ehebruchs des einen Gatten nicht gelöst werden, und keiner von beiden, auch der Unschuldige nicht, der keine Ursache zum Ehebruch gegeben hat, könne zu Lebzeiten des andern Gatten eine neue Ehe eingehen, und es begehe Ehebruch sowohl der Mann, der nach Entlassung seines ehebrecherischen Weibes eine andere heiratet, wie auch das Weib, die nach Entlassung ihres Mannes einen anderen heiratet: so sei er im Banne.“ (ebd., Sess. XXIV c.7. Denzinger Nr. 977)
Wenn aber die Kirche nicht geirrt hat und nicht irrt, indem sie dies lehrte und lehrt, und wenn es darum sicher ist, daß das Eheband nicht einmal wegen Ehebruchs gelöst werden kann, dann ist es offenkundig, daß die übrigen schwächeren Gründe, die man zugunsten der Ehescheidung vorzubringen pflegt, noch viel weniger Beweiskraft haben und übergangen werden können.
1721 Übrigens lassen sich die oben erwähnten dreifachen Einwände gegen die Festigkeit des Ehebandes leicht widerlegen. Alle jene Nachteile und Gefahren sind unschwer zu beheben, wenn in den genannten äußersten Fällen den Gatten eine unvollkommene Trennung gestattet wird, jene nämlich, die bei Wahrung des Ehebandes das Kirchengesetz ausdrücklich in den Canones bezüglich der Trennung von Bett, Tisch und Hausgemeinschaft (Cod. Iur. Can., c. 1128-1132) gewährt. Über die Gründe, die Bedingungen, die Art und Weise einer solchen Trennung sowie über die Vorsichts-Maßregeln für die Erziehung der Kinder und das Wohl der Familie und zur Vermeidung aller Nachteile, die dem Gatten, den Kindern oder der staatlichen Gemeinschaft drohen, darüber Bestimmungen zu treffen, ist Sache der kirchlichen Gesetze und zum Teil auch der bürgerlichen, soweit es sich um bürgerliche Belange und Wirkungen handelt.
Segen der Unauflöslichkeit
1722 Dieselben Gründe aber, die zur Erhärtung der unauflöslichen Festigkeit der Ehe angeführt zu werden pflegen und die Wir oben bereits erwähnt haben, gelten offenbar mit dem gleichen Rechte, um sowohl Notwendigkeit und Möglichkeit der Ehescheidung auszuschließen, als auch um jedweder Obrigkeit die Macht, sie zu gewähren, abzustreiten. So viele herrliche Vorteile für die Unauflöslichkeit der Ehe sprechen, ebenso viele Nachteile zeigen sich auf der Seite der Ehescheidung, Nachteile, die sich zum größten Schaden der einzelnen wie der gesamten menschlichen Gesellschaft auswirken.
Um nochmals einen Ausspruch Unseres Vorgängers anzuführen, so läßt sich kaum in Worte fassen, wie groß der Segen ist, den die Unauflöslichkeit der Ehe in sich birgt, wie schlimm dagegen die Saat von Übeln und Schäden, welche die Ehescheidung mit sich bringt. Hier, wo das Eheband unangetastet bleibt, erblicken wir die Ehen in voller Sicherheit; dort, wo man Scheidung der Gatten vorschlägt oder diese der Gefahr der Ehescheidung aussetzt, wird der Ehebund unbeständig oder er wird jedenfalls quälenden Verdachtszweifeln ausgesetzt. Hier herrscht gegenseitiges Wohlwollen und eine wunderbar gefügte und gefestigte Gemeinschaft aller Güter; dort aber ist eben infolge der Möglichkeit der Scheidung diese Gemeinsamkeit in der traurigsten Weise geschwächt. Hier die trefflichsten Mittel zum Schutze der ehelichen Treue und Keuschheit, dort verderbliche Aufreize zur Untreue. Hier wird das Kind gern entgegengenommen, sein Schutz und seine Erziehung erfolgreich gefördert; dort wird es den größten Schädigungen ausgesetzt. Hier sind der Zwietracht zwischen Familien und Verwandten alle Zugänge verschlossen; dort ist dazu nur zu häufig Gelegenheit geboten. Hier werden Streitigkeiten leichter unterdrückt; dort wird der Same der Zwietracht weit und breit in reichster Fülle ausgestreut. Hier vor allem wird die Würde und Stellung der Frau in der häuslichen wie in der bürgerlichen Gesellschaft wieder voll zur Geltung gebracht, dort in unwürdiger Weise herabgemindert; denn die Gattinnen sind der Gefahr ausgesetzt, „verlassen zu werden, nachdem sie der Leidenschaft des Mannes gedient haben.“ (Leo XIII., Rundschreiben Arcanum divinae sapientiae vom 10. Februar 1880, ASS XII (1878-1880) 385)
1723 Da zum Verderben der Familien, um mit den tiefernsten Worten Leos XIII. zu schließen, „und zum Umsturz der Staaten nichts so sehr beiträgt wie die Sittenverderbnis, so ist leicht ersichtlich, daß die größte Feindin der Wohlfahrt von Familie und Staat die Ehescheidung ist, die aus der Sittenentartung der Völker entspringt und nach dem Zeugnis der Erfahrung den größten Lastern im öffentlichen und privaten Leben Tür und Tor öffnet. Noch viel schlimmer erscheinen diese Übel, wenn man bedenkt, daß in Zukunft keine Zügel stark genug sein werden, um die einmal gewährte Erlaubnis zur Ehescheidung innerhalb bestimmter oder absehbarer Grenzen zu halten. Groß ist wahrhaftig die Macht des Beispiels, aber größer noch die der Leidenschaft. Infolge dieser Anreizungen wird es dahin kommen, daß das Verlangen nach Ehescheidung täglich weiter um sich greift und in viele Herzen eindringt gleich einer ansteckenden Seuche oder einem mächtigen Strom, der die Dämme durchbricht und das Land überschwemmt.“ (Leo XIII., ebd.)
Wenn daher, wie es im gleichen Rundschreiben heißt, „die Menschen ihre Pläne und Entschlüsse nicht ändern, haben sowohl die Familie wie die menschliche Gesellschaft fortwährend zu gewärtigen, daß sie elendiglich in den Umsturz und die Auflösung aller Ordnung hineingeraten.“ (Leo XIII., ebd.) Wie richtig das alles vor fünfzig Jahren vorausverkündet wurde, beweist mehr als genug die täglich wachsende Sittenverderbnis und die unerhörte Entartung des Familienlebens in jenen Ländern, wo der Kommunismus zur vollen Herrschaft gelangt ist. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 1087 – S. 1088
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