Der Katechismus über den Modernismus
nach der Enzyklika Pascendi Dominici gregis des hl. Pius X.
Viertes Kapitel – Sprossen des Glaubens – Teil 2
§ 5. Kirche und Staat
„Doch nicht nur innerhalb der eigenen Mauern muss die Kirche friedlich sich abfinden, sondern auch mit dem, was außerhalb liegt. Sie existiert ja nicht allein auf der Welt, neben ihr existieren auch andere Gemeinschaften, mit denen sie notwendiger Weise Beziehungen und Verkehr hat.“
128. Welche Rechte und Pflichten hat die Kirche diesen Gemeinschaften gegenüber?
„Die Rechte und Pflichten, welche die Kirche den weltlichen Gemeinschaften gegenüber hat, sind also zu bestimmen und zwar nicht anders als aus dem Wesen der Kirche selbst, sowie es nämlich die Modernisten beschrieben haben.“
129. Welche Regeln wenden die Modernisten für diese Beziehungen an?
„Hierin wenden sie genau dieselben Regeln an, die oben für Glaube und Wissenschaft schon angegeben wurden. Dort handelte es sich um den Gegenstand, hier um den Zweck. Wie also dort Glaube und Wissenschaft wegen ihres Gegenstandes getrennt wurden, so sind hier Staat und Kirche voneinander getrennt wegen des Zweckes, den sie verfolgen, des zeitlichen für den Staat, des geistlichen für die Kirche.
130. Wie konnte man früher der Kirche eine Gewalt zuerkennen, die man ihr heute abstreitet?
„Früher durfte man das Zeitliche dem Geistlichen unterordnen; man durfte von gemischten Fragen reden, an denen die Kirche als Herrin und Königin teilnahm, weil man glaubte, die Kirche sei unmittelbar von Gott, als dem Urheber der übernatürlichen Ordnung, gegründet. Doch dies wird heute von den Philosophen und Historikern verworfen. Deshalb muss der Staat von der Kirche, wie auch der Katholik vom Staatsbürger geschieden werden.“
131. Wie soll sich demnach praktisch jeder Katholik als Staatsbürger verhalten?
„Deshalb jeder Katholik, weil er auch Staatsbürger ist das Recht und die Pflicht mit Hinansetzung der kirchlichen Autorität, ihrer Wünsche, Räte und Vorschriften, selbst ohne Rücksicht auf ihre Mahnungen, das anzustreben, was er zum Staatswohl erforderlich erachtet.“
132. Kann die Kirche dem katholischen Bürger Verhaltensmaßregeln vorschreiben?
„Es ist ein Missbrauch der kirchlichen Gewalt, der mit aller Entschiedenheit zurück gewiesen werden muss, wenn sie unter irgend einem Vorwand dem Bürger Verhaltensmaßregeln vorschreiben will.“
133. Sind solche Grundsätze nicht schon von der Kirche verurteilt?
„Jene Grundsätze, aus denen all dieses hervor geht, Ehrwürdige Brüder, sind genau dieselben, welche unser Vorgänger Pius VI. in der apostolischen Konstitution Auctorem fidei feierlich verurteilt hat.“ (*)
134. Begnügen sich die Modernisten damit, die Trennung von Kirche und Staat zu verlangen?
„Der modernistischen Schule ist es aber nicht genug, die Trennung von Kirche und Staat zu verlangen. Wie der Glaube in Bezug auf seine phänomenalen Elemente, nach ihrer Benennung, der Wissenschaft unterstehen muss, so auch in zeitlichen Dingen die Kirche dem Staat. Dieses behaupten sie vielleicht noch nicht offen, müssen es aber kraft ihrer Schlussfolgerung annehmen.“
135. Wie geht dies aus den modernistischen Grundsätzen hervor?
„Gesetzt der Staat allein habe in den zeitlichen Dingen zu bestimmen, dann müsse, wenn der Gläubige, mit den innerlichen Akten der Religion nicht zufrieden, auch nach außen hin dieselben betätigen will, wie z. B. bei Spendung oder Empfang der Sakramente, diese Akte notwendiger Weise unter die Staatsgewalt fallen. Was wird dann aus der kirchlichen Autorität? Da diese sich nur durch äußere Akte kundgeben kann, ist sie ganz und gar dem Staat unterworfen.“
136. Wenn demnach die Modernisten die Oberhand hätten, wären dann wohl der äußere Kult und irgend welche religiöse Gemeinschaft noch möglich?
„Durch diese Schlussfolgerung gezwungen bestreben sich denn auch viele liberale Protestanten, jeden äußeren Gottesdienst ja sogar jeden äußeren religiösen Verband zu beseitigen und die individuelle Religion, wie sie sagen, einzuführen. Wenn die Modernisten dies noch nicht öffentlich anstreben, so fordern sie inzwischen doch, daß die Kirche sich freiwillig ihren Bestrebungen zuneige und den bürgerlichen Formen anpasse. Das genüge über die Disziplinargewalt.“
„Über die dogmatische oder Lehrgewalt denken sie viel schlimmer und gefährlicher.“ –
aus: J.B. Lemius Obl. M. J., Der Modernismus Sr. H. Papst Pius X. Pascendi dominici gregis, 1908 S. 41 – S. 43
Fortsetzung des Beitrages: Modernisten über das Lehramt der Kirche
(*) 2. Proposition. „Der Satz, welcher behauptet, die Gewalt sei von Gott der Kirche gegeben, um sie den Hirten, die ihre Diener sind, für das Heil der Seelen, mitzuteilen, so verstanden, als ob die Gewalt des kirchlichen Amtes und der kirchlichen Regierung von der Gemeinschaft der Gläubigen den Hirten übertragen würde, ist häretisch.“ –
3. Proposition. „Ferner (der Satz), welcher behauptet, der römische Papst sei das ministerielle Haupt, so erklärt, daß der römische Papst nicht von Christus in der Person des heiligen Petrus die Amtsgewalt erhalte, sondern von der Kirche, die er als Nachfolger Petri, als wahrer Stellvertreter Christi und Oberhaupt der ganzen Kirche in der gesamten Kirche hat, ist häretisch.“