Die Abtötung wird Kreuzigung genannt
17. März
Qui sundt Christi, carnem suam crucifixerunt cum vitiis et concupiscentis.
„Die Christi sind, haben ihr Fleisch samt den Lastern und Begierlichkeiten gekreuzigt.“ ( Gal. 5, 14)
1. Betrachte, welches das Kennzeichen eines Gottes wohlgefälligen Menschen sei. Nicht daß er Wunder wirke, oder ein Prediger, ein Prophet oder Weltlehrer, sondern daß er sehr abgetötet sei. Und dazu können mit Gottes Beistand Alle gelangen, wenn sie nur wollen. Ersiehe daraus, wie hoch die Abtötung zu schätzen sei.
2. Betrachte, daß diese Abtötung Kreuzigung genannt wird: erstens, weil derjenige, der sich abtötet, dies aus Liebe zu Jesus Christus tun muss, um ihm, dem Gekreuzigten, ähnlich zu werden. Zweitens, weil die Abtötung beständig und ernstlich sein muss, nicht vorübergehend, wie bei Manchen der Fall ist. Wer gekreuzigt ist, bleibt unbeweglich am Kreuz, wie Jesus, der nicht herabstieg, bis er herab genommen ward. Drittens heißt die Abtötung Kreuzigung, weil sie schmerzlich ist gleich jener des Erlösers. Wer ans Kreuz genagelt ist, empfindet weit größeren Schmerz, als wer bloß daran gebunden ist. Schau, ob deine Abtötung der Art ist.
3. Betrachte, daß es nicht heißt: Sie haben ihre Laster und Begierlichkeiten gekreuzigt, sondern ihr Fleisch samt den Lastern und Begierlichkeiten, weil der kein guter Arzt ist, der das Übel nicht an der Wurzel angreift. Das Fleisch ist die Wurzel aller Übel, an denen die Seele leidet, und deshalb muss das Fleisch gebändigt werden, wollen wir anders gänzlich geheilt werden. Welche körperliche Abtötungen übst du? Suchst du das Fleisch zu bändigen, oder vielmehr ihm zu schmeicheln?
4. Erwäge, daß es nicht heißt, das Fleisch allein zu kreuzigen, sondern mit ihm die Laster und Begierlichkeiten, weil die äußere Abtötung wenig hilft, wenn sie nicht von den innerlichen begleitet ist; ja die erstere muss um dieser willen geübt werden. Was nützt es, die Ursache des Fiebers zu heben, wenn nicht das Fieber selbst gehoben wird, das sich schon in den Adern festgesetzt hat?
5. Betrachte, welches der Gegenstand der inneren Abtötung sei: die Laster und Begierlichkeiten. Die Laster sind die Sünden, die Begierlichkeiten die unordentlichen Neigungen. Denn verfolgst du bloß die Sünden allein, so tust du vergebliche Arbeit; du mußt auch die Neigungen verfolgen, obwohl du mit den Sünden, durch Reinigung der Seele, den Anfang machen mußt. Dann aber greife deine Neigungen an, indem du sie ordnest. Welche Neigungen aber herrschen in dir besonders vor? Suche sie zuerst zu erkennen, damit du sie kreuzigen kannst; so daß sie, wenn sie auch noch leben, doch wenigstens am Kreuz leben.
6. Erwäge, daß der Apostel nicht sagt: mit den Sünden und Begierlichkeiten, sondern mit den Lastern und Begehrlichkeiten, denn Sünde bezeichnet die Handlung, Laster aber die Gewohnheit. Es ist schwer, auch durch fortgesetzte Abtötung dahin zu kommen, daß man gar keine, auch nicht die kleinste Sünde begehe; leicht ist es aber, das Laster zu verbannen. Die Laster sind es also, die man mit besonderem Eifer abtöten muss, seien sie nun groß oder klein, und man darf nicht zugeben, daß sie wie die Neigungen am Kreuz leben, sondern sie müssen daran sterben. Mit der Gnade Gottes kannst du auch dies erlangen. –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. I, S. 211 – S. 213