Neun Betrachtungen über das Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes
für die neuntägige Andacht vor Weihnachten
Dritte Betrachtung: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. (Isa. 9,6)
Betrachte, geliebte Seele! wie endlich nach so vielen Jahrhunderten, nach so vielen Bitten und Seufzern, jener Messias, den zu erblicken die heil. Patriarchen und Propheten nicht einmal gewürdigt wurden – wie der Ersehnte der Völker, wie das Verlangen der ewigen Hügel, wie unser Heiland schon gekommen, schon geboren ist, wie Er Sich uns schon ganz geschenkt hat. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Um uns groß zu machen, ist der Sohn Gottes ein kleines Kind geworden, Er hat Sich uns geschenkt, damit auch wir uns Ihm bereitwillig schenken, Er ist gekommen, und hat uns so große Beweise Seiner Liebe gegeben, damit auch wir Ihm unsere Liebe beweisen. Nehmen wir Ihn also liebevoll auf, lieben wir Ihn, nehmen wir zu Ihm in all unserer Not unsere Zuflucht. Ein Kind gibt leicht, sagt der heilige Bernhard; die Kinder sind bereitwillig, einem das zu geben, um was man sie bittet. Jesus Christus ist als ein kleines Kind erschienen, damit wir Ihn ganz bereitwillig und geneigt erblicken, uns Seine Güter mitzuteilen: In dessen Hand alle Schätze sind. (Kol. 2,3) Der Vater hat Alles in Seine Hände gegeben. (Joh. 3,35) Wollen wir Erkenntnis? Jesus ist gekommen, um uns zu erleuchten; verlangen wir Stärke, um unseren Feinden zu widerstehen? Er ist gekommen, uns zu stärken; wollen wir Verzeihung unserer Sünden und unsere ewige Seligkeit? Gerade deshalb ist Jesus gekommen, um uns zu verzeihen, um uns selig zu machen; verlangen wir endlich die größte aller Gaben, Seine göttliche Liebe? Er ist gekommen, uns damit zu entflammen, und hat hauptsächlich deshalb als ein Kind auf Erden herabkommen wollen, damit Er uns, je ärmer und demütiger wir Ihn erblicken, nur um desto liebenswürdiger erscheine, damit er alle Furcht aus unseren Herzen verbanne, und unsere Liebe erwerbe. So musste Jener erscheinen, sagt der heil. Chrysologus, der die Furcht vertreiben, der die Liebe erwerben wollte. (Sermo 158) Aber auch deshalb wollte Jesus als ein kleines Kind geboren werden, damit wir Ihn nicht nur über Alles lieben möchten, sondern damit wir auch eine zarte Liebe zu Ihm tragen.
Die Kinder verstehen es, eine zarte Zuneigung in denen zu erwecken, die sie nur anblicken; sollte man da nicht mit aller Zärtlichkeit einen Gott leben, der ein kleines Kind hat werden wollen, das der Speise bedarf, das vor Kälte zittert, das ganz arm, verachtet und verlassen ist, und das in einer Krippe auf ein wenig Stroh liegt, und vor Schmerzen weint. Deshalb musste denn auch der von Liebe entzündete heil. Franziskus ausrufen: Lieben wir das Kind von Bethlehem! Kommt, o Seelen! und liebt meinen Gott, der ein Kind, und der ganz arm hat werden wollen, der so liebenswürdig ist, und der sogar vom Himmel herab kommt, um Sich euch ganz zu schenken.
Anmutungen und Gebet
O mein liebenswürdigster Jesus! den ich früher so sehr verachtet habe, um uns von der Hölle zu erlösen, um Dich uns Menschen ganz zu schenken, bist Du vom Himmel herabgekommen! Wie ist es nur möglich, daß ich Dich so oft verachtet, daß ich mich so oft von Dir abgewandt habe? Ach, mein Gott! Die Menschen sind so dankbar gegen die Geschöpfe, wenn Jemand ihnen z. B. ein Geschenk macht, oder sie von weit her besucht, oder ihnen sonst einen Beweis seiner Liebe gibt, so daß sie es gar nicht mehr vergessen können, und sich für verpflichtet halten, sich erkenntlich zu zeigen, und ach, gegen Dich, ihren Gott, sind sie so undankbar, da Du doch ihr Gott ist, der so liebenswürdig ist, und der Sein Blut und Sein Leben für sie zum Opfer dargebracht hat. Ach, mein Gott, ich bin noch undankbarer gegen Dich gewesen, als die anderen Menschen, denn obgleich Du mich weit mehr geliebt hast, bin ich dennoch weit undankbarer gegen Dich gewesen. Hättest Du die Gnaden, welche Du mir erwiesen, einem Ketzer oder einem Heiden zukommen lassen, ach derselbe wäre gewiß ein Heiliger geworden. Und ich, ich habe Dich nur immer von neuem beleidigt. Vergiß, o Herr, die Beleidigungen, die ich Dir zugefügt. Aber Du hast es selbst gesagt, daß, wenn ein Sünder seine Sünden bereut, Du alle Beleidigungen, die Du empfangen hast, vergessen wollest: Ich werde an seine Missetaten nicht mehr gedenken. Wenn ich Dich auch früher hin nicht geliebt habe, so will ich doch in der Folge nichts anderes mehr tun, als Dich lieben. Du hast Dich ganz mir geschenkt, siehe, auch ich schenke Dir meinen Willen ganz und gar; mit diesem Willen liebe ich Dich, ja will es immer wiederholen, ich liebe Dich, ich liebe Dich. Mit diesen Gesinnungen will ich leben und sterben, und im letzten Augenblick meines Lebens will ich noch die Worte aussprechen: Mein Gott, ich liebe Dich, damit, wenn ich in die Ewigkeit eingehe, ich sogleich damit beginne, Dich dort zu lieben, was alsdann ewig dauern wird, ohne daß ich je wieder aufhöre, Dich zu lieben. Einstweilen nehme ich mir vor, o mein Gott, mein einziges Gut, meine einzige Liebe! deinen Willen allen meinen Neigungen vorzuziehen. Möge die ganze Welt mich fesseln wollen, ich entsage ihr; nein, ich will nicht aufhören, den zu lieben, der mich so innig geliebt hat; ich will den nicht mehr beleidigen, der von mir eine unendliche Liebe verdient. Stehe Du mir bei, o mein Jesus, das wünsche ich mit dem Beistand Deiner Gnade.
O Maria, meine Königin! Deiner Vermittlung verdanke ich alle Gnaden, die mir Gott bisher erwiesen hat, o werde nicht müde, für mich zu beten. Erlange Du mir die Beharrlichkeit, o Maria, die Du eine Mutter der Beharrlichkeit bist. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Die Menschwerdung und die Kindheit unsers Herrn Jesu Christi, Ein Gebets- und Betrachtungsbuch für die heilige Adventszeit, 1842, S. 70 – S. 73
Der hl. Alphons Maria von Liguori empfiehlt das folgende
Gebet, das man vor einer jeden Betrachtung zum Kindlein Jesu verrichten kann.
Man kann täglich, wenn man dieses Gebet verrichtet, einen Ablaß von 300 Tagen gewinnen.