Zweite Betrachtung der Menschwerdung Christi

Das Jesukind steht auf einem Holzpodest, an dem ein Holzkreuz ist; das Christukinds hält die beiden Arme ausgebreitet am Kreuz

Neun Betrachtungen über das Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes

für die neuntägige Andacht vor Weihnachten

Zweite Betrachtung: Schlachtopfer und Gaben verlangst Du nicht, einen Leib hast Du mir zubereitet. (Hebr. 10,5)

Betrachte, geliebte Seele! wie groß die Bitterkeit sein musste, von der das Herz des Jesukindlein im Schoß Mariens betrübt und ergriffen ward, als Ihm im ersten Augenblick Seiner Empfängnis von Seinem ewigen Vater die ganze Reihe von Verachtungen, Schmerzen und Kämpfen vorgestellt wurde, die Es Sein ganzes Leben hindurch zu erdulden hatte, um die Menschen von ihrem Elend zu befreien: Des Morgens weckt mir der Herr das Ohr, und ich redete nicht dawider, meinen Leib gab ich den Schlagenden hin. (Isa. 50, 4-6) So sprach Jesus durch den Mund des Propheten: Des Morgens weckt er mir das Ohr; vom ersten Augenblick Meiner Empfängnis an ließ Mich nämlich der Vater erkennen, es sei Sein Wille, daß ich ein mühevolles Leben führen müsse, um am Ende auf einem Kreuz geopfert zu werden. Ich redete nicht dawider; meinen Leib gab ich den Schlagenden hin. Ich nahm Alles an für das Heil eurer Seelen, und schon damals überließ Ich Meinen Leib den Geißeln, den Nägeln und einem so bitteren Tod. Erwäge, geliebte Seele! wie Alles, was Jesus Christus in Seinem Leben und Leiden erduldet, Ihm schon im Schoß Seiner Mutter vorgestellt ward, und wie Er Alles so liebevoll annahm. Aber ach! Welche Angst und Qual hatte das unschuldige Herz Jesu nicht zu erdulden, um den natürlichen Widerstand der Empfindung zu besiegen, als Es alle diese Leiden annahm. Er wußte gar wohl, was Er neun Monate lang in einem finsteren Kerker, im Schoß Mariens zu erdulden habe, Er gedachte an die Schmach und das Leiden bei Seiner Geburt, da Er in einer kalten Höhle, welche den Tieren zu einem Stall diente, geboren werden sollte, wie Er hierauf dreißig Jahre lang in einer armen Handwerkerstätte leben musste. Er wußte es, daß die Menschen Ihn als einen Unwissenden, als einen Sklaven, als einen Verführer, als einen des Todes Schuldigen behandeln, ja, daß sie ihm den schmählichsten und schmerzhaftesten Tod auferlegen würden, und das Alles nahm unser liebevoller Heiland jeden Augenblick auf Sich, aber in jedem Augenblick, da Er diese Leiden auf Sich nahm, erduldete Er zu gleicher Zeit alle die Schmerzen und Erniedrigungen, die Er bis zu Seinem Tod zu leiden hatte. Ja, die Erkenntnis Seiner göttlichen Würde diente nur dazu, daß Er die Unbilden, welche Er von den Menschen zu erdulden hatte, noch tiefer empfand. Den ganzen Tag ist meine Schmach vor mir. (Ps. 43,16) Fortwährend hatte Er die Beschämung vor Augen, die Ihn besonders damals erwartete, als Er entblößt, gegeißelt und an drei eiserne Nägel aufgehangen ward, um so Sein Leben mitten unter Schmach und Verwünschungen zu enden, welche Er denselben Menschen zu erdulden hatte, für die Er starb: Er ist gehorsam geworden bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz. (Philipp. 2,8) Und warum das? Um uns elende und undankbare Sünder selig zu machen.

Anmutungen und Gebet

O geliebter Heiland, wie viel hat es Dich gekostet, schon vom ersten Augenblick an, daß Du in diese Welt gekommen bist, um mich aus dem Verderben zu retten, das ich mir durch meine Sünden zugezogen habe. Du hast gleichwie der niedrigste Sklave behandelt werden wollen, um mich aus der Gefangenschaft des Teufels zu erlösen, dem ich mich durch meine Sünden freiwillig verkauft hatte. Obgleich ich dies alles wußte, so habe ich es dennoch gewagt, Dein liebevolles Herz, das mich so innig liebte, so oft zu betrüben. Ach! nachdem Du, mein unschuldiger Heiland, der Du Gott und Mensch bist, aus Liebe zu mir, ein so schmerzvolles Leben und einen so bitteren Tod erduldet hast, so nehme auch ich, aus Liebe zu Dir alle Schmerzen an, die mir aus Deiner Hand zukommen werden, ich nehme sie an, und umfange sie, weil sie mir aus jene Händen kommen, die dereinst durchbohrt wurden, um mich von der Hölle, welche ich so oft verdient, zu befreien? Nur allzu sehr, o mein Heiland! verpflichtet mich jene Liebe, mit der Du Dich dargebracht, um so viel für mich zu erdulden, daß auch ich aus Liebe zu Dir geduldig alle Schmerzen und alle Verachtungen von Dir annehme. Um Deiner Verdienste willen, o Herr! verleihe mir Deine heilige Liebe; denn Deine Liebe wird mir alle Schmerzen und alle Beleidigungen süß und liebenswürdig machen. Ich liebe Dich über Alles; ich liebe Dich von ganzem Herzen; ich liebe Dich über mehr als mich selbst. Dein ganzes Leben hindurch hast du mir allzu große Beweise Deiner Liebe gegeben, und ach, ich Undankbarer, wie viele Jahre habe ich auf dieser Welt zugebracht, und welche Beweise von Liebe habe ich Dir bis jetzt gegeben? Mache denn also, o mein Gott! daß ich Dir wenigstens die noch übrigen Jahre meines Lebenseinen kleinen Beweis meiner Liebe geben möge. Ach, ich würde es nicht wagen, so arm, wie ich jetzt bin, am Tage des Gerichtes vor Dir zu erscheinen, ohne daß ich auch nur das Geringste aus Liebe zu Dir getan habe. Allein was kann ich nur tun ohne Deine Gnade? Ach, ich kann nichts anderes tun, als Dich bitten, daß Du mit beistehst, aber selbst diese Bitte ist eine Gnade. O mein Jesus, stehe mir, um der Verdienste Deiner Leiden und Deines für mich vergossenen Blutes Willen bei.

O allerheiligste Jungfrau Maria! Empfehle mich Deinem Sohne, um der Liebe willen, die Du zu Ihm trägst. Bedenke, daß auch ich eines von jenen Schäflein bin, für die Dein Sohn gestorben ist. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Die Menschwerdung und die Kindheit unsers Herrn Jesu Christi, Ein Gebets- und Betrachtungsbuch für die heilige Adventszeit, 1842, S. 67 – S. 70

Der hl. Alphons Maria von Liguori empfiehlt das folgende Gebet, das man vor einer jeden Betrachtung zum Kindlein Jesu verrichten kann.

Man kann täglich, wenn man dieses Gebet verrichtet, einen Ablass von 300 Tagen gewinnen.

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