Erste Betrachtung der Menschwerdung Christi

Die Menschwerdung Christi: Das Jesuskind steht auf einem Holzpodest, an dem ein Holzkreuz ist; das Christuskind hält die beiden Arme ausgebreitet am Kreuz

Neun Betrachtungen über das Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Wortes

für die neuntägige Andacht vor Weihnachten

Erste Betrachtung: Ich mache dich zum Licht der Heiden, daß du mein Heil bis an der Erde Grenzen bringest. (Isa. 49,6)

Betrachte, wie der ewige Vater zum Kindlein Jesus in dem Augenblick Seiner Empfängnis diese Worte spricht: Ich mache dich zum Licht der Heiden, daß du mein Heil seiest. Ich habe Dich der Welt geschenkt, o mein Sohn, zu einem Licht und Leben der Völker, damit Du das Heil derselben bewirkst, welches Ich eben so hoch schätze, als mein eigenes. Du musst Dich aber ganz zum Heil der Menschen aufopfern. Du bist ganz den Menschen gegeben, Du musst Dich auch ganz zu ihrem Besten verwenden, deshalb musst Du bei Deiner Geburt die äußerste Armut erdulden, damit der Mensch reich werde, und Du ihn durch Deine Armut reich machst; Du musst als ein Sklave verkauft werden, damit Du dem Menschen die Freiheit erlangst, als ein Sklave musst Du gegeißelt und gekreuzigt werden, um Meiner Gerechtigkeit, für die Strafen, welche der Mensch verdient hatte, genugzutun, Du musst Dein Blut und Leben hingeben, um die Menschen vom ewigen Tod zu befreien. Wisse also, daß Du nicht mehr Dein eigen bist, sondern daß Du dem Menschen angehörst: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. (Isa. 9,6) Auf solche Weise, o Mein geliebter Sohn, wird auch der Mensch sich endlich ergeben, und Mich lieben und Mir angehören, wenn er nämlich sieht, daß Ich Dich ganz und gar ihm geschenkt, Dich, Meinen eingeborenen Sohn, und daß Mir nichts mehr übrig bleibt, das Ich ihm schenken könnte. O unendlich Liebe, die Du allein eines unendlichen Gottes würdig bist! Denn: also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab. (Joh. 3,16) Und das Kind Jesus wurde nicht traurig, als Ihm der ewige Vater dies vorstellte, nein. Es freute Sich darüber, nahm alles liebevoll an, und frohlockte deshalb: Er frohlockte, wie ein Riese, um zu laufen den Weg. (Ps. 18,6) Vom ersten Augenblick Seiner Menschwerdung an, schenkte Sich Jesus schon ganz und gar den Menschen, und umfing freudig alle Schmerzen und Schmach, die Er hier auf Erden aus Liebe zu den Menschen dulden sollte. Das waren, sagt der heilige Bernhard, die Berge und Hügel, welche Jesus mit so vieler Mühe übersteigen musste, damit Er die Menschen vom ewigen Verderben errette: Er kommt springend über die Berge, hüpfend über die Hügel. (Hohel. 2,8)

Erwäge hier, geliebte Seele! daß der göttliche Vater, da Er uns Seinen Sohn schenkte, damit Er unser Erlöser und Mittler zwischen Ihm und den Menschen werde, sich gewissermaßen verbunden hat, uns zu verzeihen, und zu lieben, und das um der Verpflichtung willen, die Er eingegangen, uns wiederum in Seine Gnade aufzunehmen, wenn Sein Sohn für uns Seiner göttlichen Gerechtigkeit genug tue. Aber das göttliche Wort hat, Es den Auftrag Seines Vaters angenommen, der Es uns zur Erlösung geschenkt hat, Sich ebenfalls verbunden, uns zu lieben, freilich nicht um unserer Verdienste willen, sondern damit es den Willen Seines ewigen Vaters vollziehe.

Anmutungen und Gebet

O mein geliebter Jesus! Wenn es wahr ist, daß, wie das Gesetz sagt, man durch die Schenkung das Eigentum erlange, o dann bist Du mein, denn Dein himmlischer Vater hat Dich mir geschenkt, und du bist um meinetwillen geboren: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. So kann ich also ausrufen: O mein Jesus, mein Alles! weil Du mein bist, so ist auch Alles, was Dein ist, mein. Davon versichert uns der Apostel da er sagt: Wie sollte er uns nicht Alles mit ihm geschenkt haben. (Röm. 8,32) Mein ist Dein Blut, mein sind Deine Verdienste, mein ist Deine Gnade, mein ist der Himmel; und wenn Du mein bist, wer kann Dich da von mir trennen? Jubelnd rief ein heil Antonius aus: Meinen Gott kann mir Niemand nehmen! So werde auch ich von heute an sprechen. Nur durch meine Schuld kann ich Dich verlieren, und mich von Dir trennen; aber ach, mein Jesus, wenn ich Dich früherhin verlassen, wenn ich Dich sogar ganz verloren habe, so bereue ich dies doch jetzt von ganzem Herzen, und bin fest entschlossen, lieber das Leben und Alles zu verlieren, als Dich, o unendliches Gut, o einzige Liebe meiner Seele.

Ich danke Dir, o ewiger Vater! daß Du mir Deinen Sohn geschenkt hast, und weil Du mir Alles geschenkt hast, so schenke auch ich armseliger Mensch mich ganz und gar Dir. Nimm mich, um der Liebe dieses Sohnes willen an, und knüpfe mich mit den Banden Deiner Liebe so eng an meinen Heiland, daß auch ich sagen könne: Wer wird mich von der Liebe Christi trennen? Welches Gut dieser Welt wird mich je wieder von meinem Jesus trennen können? Und du, o mein Heiland, der Du ganz mein bist, wisse, daß auch ich ganz Dein bin. Verfüge über mich, und über Alles, was mein ist, wie es Dir gefällt. Könnte ich auch nur meinem Gott etwas verweigern, der mir weder Sein Blut, noch Sein Leben verweigert hat?

O Maria, meine Mutter, bewahre Du mich unter Deinem Schutz. Ich will nicht mehr mir, sondern ganz und gar meinem Herrn angehören. Trage daher Sorge, daß ich meinem Vorsatz getreu bleibe, auf Dich setze ich mein Vertrauen. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Die Menschwerdung und die Kindheit unsers Herrn Jesu Christi, Ein Gebets- und Betrachtungsbuch für die heilige Adventszeit, 1842, S. 65 – S. 67

Der hl. Alphons Maria von Liguori empfiehlt das folgende

Gebet, das man vor einer jeden Betrachtung zum Kindlein Jesu verrichten kann.

Man kann täglich, wenn man dieses Gebet verrichtet, einen Ablass von 300 Tagen gewinnen.

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