Pius XI. über die Sendung des Priesters
Auszug aus dem Rundschreiben „Ad catholoci sacerdotii“ v. 20. Dezember 1935
Besondere Bedeutung
1219 So wollen Wir denn diese Enzyklika in die Reihe Unserer früherer Rundschreiben eingliedern, in denen Wir die schweren und drückenden Fragen des modernen Lebens durch das Licht katholischen Lehre zu erhellen suchten, und dadurch allen jenen Unsern feierlichen Unterweisungen eine zeitgemäße Ergänzung geben.
Der Priester ist nämlich durch den Beruf und göttlichen Auftrag der besondere Apostel und unermüdliche Förderer der christlichen Jungenderziehung (Vgl. Pius XI., Rundschreiben Divini illius Magistri vom 31. Dezember 1929. AAS XXII (1930) 49-86). Der Priester segnet im Namen Gottes die christliche Ehe und verteidigt ihre Heiligkeit und Unauflöslichkeit gegen die Angriffe und Irrungen, die herrühren von der Begierde und Sinnlichkeit (Vgl. Pius XI., Rundschreiben Casti connubii vom 31. Dezember 1930. AAS XXII (1930) 539-592. Vgl. HK Nrn. 1637-1752). Der Priester trägt am meisten zur Lösung oder wenigstens zur Linderung der sozialen Gegensätze bei: er predigt die christliche Bruderliebe; er erinnert an alle gegenseitigen Pflichten der Gerechtigkeit und evangelischen Liebe: er beruhigt die Gemüter, die durch sittliche und wirtschaftliche Mißstände erbittert sind; reich und arm weist er auf die einzig wahren Güter hin, die alle erstreben müssen und können (Vgl. Pius XI., Rundschreiben Quadragesimo anno vom 15. Mai 1931. AAS XXIII (1931) 177-228). Der Priester ist schließlich der wirksamste Bannerträger jenes Kreuzzuges der Sühne und Buße, zu dem Wir alle Guten aufgefordert haben, um die Gotteslästerungen, Schändlichkeiten und Verbrechen zu sühnen, die die Menschheit in der jetzigen Zeit entehren (Vgl. Pius XI., Rundschreiben Caritate Christi vom 3. Mai 1932. AAS XXIV (1932) 177-194. Vgl. HK Nrn. 987-1019), einer Zeit, die wie wenige andere in der Geschichte Gottes Barmherzigkeit und Verziehen nötig hat.
Die Feinde der Kirche kennen sehr wohl die lebenswichtige Bedeutung der Priestertums. Richten sie doch ihre Angriffe – wie Wir es schon für Unser liebes mexikanisches Volk beklagt haben (Vgl. Pius XI., Rundschreiben Acerba animi vom 29. September 1932. AAS XXIV (1932) 321-332) – vor allem gegen das Priestertum, um es zu beseitigen und sich dadurch den Weg zu bahnen zu der immer ersehnten, aber nie erreichten Vernichtung der Kirche selbst.
Einsetzung des heiligen Messopfers
1224 Zunächst also setzte, wie das Konzil von Trient lehrt (Sess. XXII, cap. 1. Denzinger Nr. 938), Jesus Christus beim letzten Abendmahle das Opfer und Priestertum des Neuen Bundes ein: „Zwar hat sich unser Herr und Gott nur einmal durch den Tod auf dem Altare des Kreuzes dem himmlischen Vater darbringen wollen, um dort unsere ewige Erlösung zu wirken. Es sollte aber sein Priestertum durch den Tod nicht ausgelöscht werden. (Vgl. Hebr. 7,24) Deshalb hat er beim letzten Abendmahle, in der Nacht, da er verraten wurde (vgl. 1. Kor. 11,23), seiner geliebten Braut, der Kirche, ein Opfer hinterlassen, ein sichtbares Opfer, wie es die menschliche Natur verlangt. Durch dieses Opfer sollte jenes einmalige blutige Kreuzesopfer dargestellt werden, und sein Gedächtnis sollte fortdauern bis zum Ende der Welt (vgl. 1. Kor. 11,24-25) und uns seine Kraft zur Tilgung all unserer täglichen Sünden zugewendet werden. Er erklärte sich als ewigen Priester nach der Ordnung des Melchisedech. (Vgl. Ps. 109,4) Seinen Leib und sein Blut brachte er unter den Gestalten von Brot und Wein dem göttlichen Vater dar. Unter den Sinnbildern der gleichen Gestalten reichte er sie seinen Aposteln zum Empfange dar, die er damals zu Priestern des Neuen Bundes einsetzte. Ihnen und ihren Nachfolgern im Priestertum befahl er zu opfern, indem er sprach: Tut dies zu meinem Andenken! (Luk. 22,19; 1 Kor. 11,24).“
Fortdauer durch alle Zeiten
1225 Von da an begannen die Apostel und ihre Nachfolger im Priesteramte jene eine Opfergabe zum Himmel zu erheben, durch die nach Weissagung des Malachias (1,11) der Name Gottes groß ist unter den Völkern und die, nunmehr dargebracht in allen Teilen der Erde und zu jeder Stunde des Tages und der Nacht, unaufhörlich bis zum Ende der Welt sich opfern wird.
Es ist dies eine wahre und nicht bloß symbolische Opferhandlung. Durch die Versöhnung des Sünders mit der göttlichen Majestät übt sie eine reale Wirksamkeit aus, „da Gott, durch diese Opfergabe versöhnt, die Gnade und die Gabe der Buße verleiht und dadurch Verbrechen und Sünden — auch die schwersten — nachläßt“ (Conc. Trid. sess. 22, cap. 2).
Den Grund hierfür gibt dasselbe Konzil von Trient mit den Worten an: „Es ist ein und dieselbe Opfergabe. Derselbe, der sich damals selbst am Kreuze geopfert hat, bringt jetzt durch den Dienst der Priester das Opfer dar. Nur die Art zu opfern ist verschieden“ (Conc. Trid. sess. 22, cap. 2). Daraus erhellt die unaussprechliche Größe des menschlichen Priesters, der Gewalt selbst über den Leib Jesu Christi hat. Er macht ihn auf unsern Altären gegenwärtig und bringt ihn, im Namen Christi selbst, als unendlich wohlgefällige Opfergabe der göttlichen Majestät dar. „Wunderbar ist das, wunderbar und staunenswert“, ruft da voller Berechtigung der hl. Johannes Chrysostomus aus (De sacerdotio III 4. Migne, P.G. 48, 642).
Verkündigung der Wahrheit
1230 Der katholische Priester ist ferner Diener Christi und Ausspender der Geheimnisse Gottes (1. Kor. 4,1) auch durch das Wort, durch jenen Dienst am Worte (Apg. 6,4) der ein unveräußerliches Recht ist und zugleich eine unverjährbare Pflicht, von Jesus Christus selbst ihm auferlegt: Gehet hin und lehret alle Völker …, lehret sie alles halten, was ich euch befohlen habe (Matth. 28, 19-20). Die Kirche Christi, die unfehlbare Verwalterin und Hüterin der göttlichen Offenbarung, teilt durch ihre Priester die Schätze der himmlischen Wahrheit aus. Sie predigt ihn, der da ist das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh. 1,9). Mit göttlicher Fülle streut sie jenen Samen aus, der in den Augen der Welt unbedeutend und verächtlich ist, der aber, dem Senfkörnlein des Evangeliums gleich (vgl. Matth. 13, 31-32), in sich die Kraft birgt, feste und tiefe Wurzeln in die aufrichtigen und nach Wahrheit dürstenden Seelen zu senken und sie starken Bäumen gleich auch in den heftigsten Stürmen unerschüttert dastehen zu lassen.
1231 Inmitten der Verirrungen des menschlichen Denkens, das gleichsam aufgebläht ist durch eine falsche Freiheit von jedem Gesetz und jeder Bindung, inmitten der erschreckenden Verderbnis menschlicher Schlechtigkeit, erhebt sich als heller Leuchtturm die Kirche. Sie verurteilt jede Abirrung von der Wahrheit nach rechts und nach links und weist allen und jedem den rechten Weg. Kraft der unfehlbaren Verheißungen, auf denen er steht, kann dieser Leuchtturm nie verlöschen. Aber wehe, wenn er daran gehindert wird, sein segenbringendes Licht in Fülle auszusenden! Wir sehen es ja mit eigenen Augen, wohin die Welt dadurch gekommen ist, dass sie in ihrem Stolz die göttliche Offenbarung verworfen hat und — wenn auch unter dem Scheintitel der Wissenschaft — falschen Theorien der Philosophie und Sittenlehre gefolgt ist. Wenn die Welt auf der abschüssigen Bahn des Irrtums und des Lasters nicht noch tiefer abgeglitten ist, dann schuldet sie das dem Licht der christlichen Wahrheit, das immer noch in die Welt hineinstrahlt. Nun wohl, diesen ihren „Dienst am Worte“ übt die Kirche durch die Priester aus. In weiser Ordnung sind diese von ihr auf die verschiedenen Stufen der heiligen Hierarchie verteilt und werden von ihr in alle Länder ausgesandt als unermüdliche Bannerträger der Frohbotschaft, die allein wahre Kultur erhalten, bringen oder neu erstehen lassen kann.
Das Wort des Priesters bringt in die Seelen und bringt ihnen Licht und Kraft. Auch mitten im Sturme der Leidenschaften ertönt es in unbeirrbarer Ruhe und verkündet unerschrocken die Wahrheit und fordert das Gute: jene Wahrheit, welche die schwersten Fragen des menschlichen Lebens aufklärt und löst; jenes Gute, das kein Unglück, nicht einmal der Tod, rauben kann, ja das der Tod sogar sicherstellt und unsterblich macht.
Sein versöhnendes Wirken
1232 Betrachtet man die einzelnen Wahrheiten in sich, die der Priester pflichtgemäß immer wieder einschärfen muss, und wägt man ihre innere Kraft, dann begreift man, wie groß und wohltuend der Einfluss des Priester für die sittliche Hebung und für die Versöhnung und die Ruhe der Völker sein muss. So wenn er z. B. vornehm und gering erinnert an die Vergänglichkeit des gegenwärtigen Lebens, an die Wertlosigkeit der irdischen Güter, an den Wert der geistigen Güter und der unsterblichen Seele, an die Strenge der göttlichen Gerichte, an die unbestechliche Heiligkeit des Auges Gottes, der die Herzen aller erforscht und einem jeden nach seinen Werken vergilt (Matth. 16,27). So gibt es kein besseres Mittel als alle diese und ähnliche Unterweisungen zur Beherrschung der fieberhaften Vergnügungssucht und ungezügelten Gier nach zeitlichen Gütern, die heute so viele Menschen entwürdigen und die verschiedenen Klassen der menschlichen Gesellschaft dazu treiben, sich als Feinde zu bekämpfen, statt einander in gegenseitiger Zusammenarbeit zu helfen. Inmitten sodann des Zusammenpralls so hemmungsloser egoistischer Wünsche, beim Auflodern so großen Hasses, bei so finsteren Racheplänen gibt es kein angebrachteres und wirksameres Mittel als die laute Verkündigung des neuen Gebotes Christi (Joh. 13,14) des Gebotes der Liebe, das sich auf alle Menschen erstreckt und keine Schranken und Grenzen kennt, ja selbst die Feinde nicht ausnimmt.
1233 Eine ruhmreiche Erfahrung von nunmehr zwanzig Jahrhunderten beweist die ganze segenbringende Wirksamkeit des priesterlichen Wortes. Denn da es ein treuer Widerhall des Wortes Gottes ist, das lebendig, wirksam und schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert, so dringt auch dieses vor bis zur Scheidung von Seele und Geist (Hebr. 4,12). Es erweckt Heldentum jeglicher Art, in jeder Menschenklasse und an allen Orten, und gibt selbstloses Wirken den ganz großmütigen Herzen ein.
Alle Wohltaten, welche die christliche Kultur in die Welt gebracht hat, sind wenigstens in ihrer Wurzel dem Wort und Wirken des katholischen Priester zu verdanken. Eine solche Vergangenheit würde aus sich schon eine Gewähr auch für die Zukunft bieten, hätten wir nicht in den unfehlbaren Verheißungen Christi ein noch zuverlässigeres Wort (2 Petr. 1,19).
1234 Auch das Missionswerk, das so klar die gottgegebene innere Kraft der Kirche zur Ausbreitung offenbart, wird hauptsächlich durch den Priester gefördert und getragen. Als Bahnbrecher des Glaubens und der Liebe breitet er unter zahllosen Opfern das Reich Gottes auf Erden immer weiter aus. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 807 – S. 814