Pius XII. Bulle „Munificentissimus Deus“ Mariä Himmelfahrt
vom 1. November 1950
Auszug Teil II
Zeugnisse der Kirchenväter zu Mariä Himmelfahrt
565 Da nun aber die Liturgie der Kirche den katholischen Glauben nicht schafft, sondern ihn voraussetzt, und die gottesdienstlichen Übungen aus diesem Glauben, wie die Früchte vom Baum, stammen, so haben die heiligen Väter und die großen Lehrer in den Predigten und Ansprachen, die sie an diesem Feste an das christliche Volk hielten, die Lehre von der Aufnahme Marias in den Himmel nicht aus dieser Feier wie aus erster Quelle geschöpft, sondern sie sprachen darüber wie über eine Sache, die den Gläubigen bereits bekannt und von ihnen angenommen war; sie erklärten sie ausführlicher und vertieften sie nach Sinn und Inhalt, indem sie das, was die liturgischen Bücher oft nur knapp und kurz angedeutet hatten, genauer auslegten und zeigten, daß der Gegenstand dieses Festes nicht bloß die Bewahrung des toten Leibes der Gottesmutter vor der Verwesung sei, sondern auch der Sieg, den sie über den Tod errungen hat, und ihre Verherrlichung im Himmel nach dem Vorbild ihres Sohnes Jesus Christus.
566 So vergleicht der heilige Johannes von Damaskus, der mehr als alle anderen ein begeisterter Verkünder dieser Wahrheit war, die leibliche Aufnahme der Gottesmutter mit ihren anderen Gaben und Vorrechten und ruft mit kraftvoller Beredsamkeit aus: «Es musste die, welche in der Geburt die Jungfrauschaft unversehrt bewahrt hatte, auch nach dem Tode ihren Leib von aller Verwesung frei bewahren. Es musste die, welche den Schöpfer als Kind in ihrem Schoß getragen hatte, in den Zelten Gottes weilen. Es musste die Braut, die sich der Vater angelobt hatte, in dem himmlischen Brautgemach Wohnung nehmen. Es musste die, welche ihren Sohn am Kreuze geschaut hatte und damals ihr Herz durchbohrt fühlte vom Schwert der Schmerzen, die sie bei der Geburt nicht erduldet hatte, ihn jetzt an der Seite des Vaters sitzen sehen. Es musste die Mutter Gottes besitzen, was ihrem Sohne gehört, und von jeglicher Kreatur als Mutter Gottes und seine Magd verehrt werden» [Johannes Damsacenus, Encomium in Dormitionem Dei Genetricis semperque Virginis Mariae, hom. II, 14. PG 96, 742].
567 Diese Ausführungen des heiligen Johannes von Damaskus stimmen überein mit den Worten anderer, welche die gleiche Lehre vortragen. Finden sich doch ebenso klare und bestimmte Aussagen in den Predigten, die frühere oder spätere Väter, meist bei Gelegenheit dieses Festes, gehalten haben. So fand z. B. der heilige Germanus von Konstantinopel die leibliche Unverweslichkeit der Gottesmutter und Jungfrau Maria und ihre Aufnahme in den Himmel nicht nur ihrer Würde als Gottesmutter, sondern auch ihrer hervorragenden Heiligkeit entsprechend: «Du erscheinst, wie geschrieben steht, in Schönheit, und dein jungfräulicher Leib ist ganz heilig, ganz keusch, ganz Gottes Wohnzelt. Daher ist er fürderhin der Auflösung in Staub nicht verfallen; er ist, weil menschlich, umgewandelt zu einem hohen Leben der Unverweslichkeit. Er ist lebend und überglorreich, der Fülle des Lebens teilhaftig und unsterblich» [Germanus Constant., In sanctae Dei Genitricis Dormitionem, sermo I. PG 98, 345]. Ein anderer alter Schriftsteller bezeugt: «Die glorreiche Mutter Christi, unseres Erlösers, des Spenders von Leben und Unsterblichkeit, ist ihm ähnlich, der sie aus dem Grabe erweckt und zu sich aufgenommen hat in einer Art, die ihm allein bekannt ist». [Encomium in Dormitionem Sanctissimae Dominae nostrae Deiparae semperque Virginis Mariae (dem hl. Modestus von Jerusalem zugeschrieben), n. 14. PG 86, 3311]
Je mehr sich die kirchliche Feier dieses Festes ausbreitete und je andächtiger es begangen wurde, desto mehr hielten es die Bischöfe und Prediger in stets wachsender Zahl für ihre Pflicht, klar und lichtvoll das Festgeheimnis und seine enge Verbindung mit den anderen Offenbarungswahrheiten darzulegen. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 336 – S. 338