Mystici corporis Christi
Die Kirche, der geheimnisvolle Leib Christi
Enzyklika von Papst Pius XII. v. 29. Juni 1943
Zweiter Teil: Die Verbindung der Gläubigen mit Christus
II. Hinweise zur Vertiefung des Geheimnisses
1. Das richtige Verständnis von der Lehre über die Einwohnung des Heiligen Geistes
819 Wir wissen sehr gut, daß das Verständnis und die Erklärung dieser geheimnisvollen Lehre über unsere Verbindung mit dem göttlichen Heiland und zumal über das Wohnen des Heiligen Geistes in der Seele durch mannigfache Schleier gehindert wird und infolge der Schwäche des forschenden Menschengeistes in ein gewisses Dunkel gehüllt ist. Aber wir wissen auch, daß aus dem rechten und eifrigen Studium dieses Gegenstandes und aus dem Widerstreit und der Erörterung der verschiedenen Meinungen und Ansichten, sofern solches Forschen sich leiten läßt von der Liebe zur Wahrheit und von dem schuldigen Gehorsam gegenüber der Kirche, reiche und kostbare Erkenntnisse ersprießen, durch die auch in diesen heiligen Wissensgebieten ein wirklicher Fortschritt erzielt wird. Deshalb machen Wir denen keinen Vorwurf, die verschiedene Wege und Weisen aufsuchen, um dem erhabenen Geheimnis unserer wundervollen Verbindung mit Christus näher zu kommen und es nach Kräften aufzuhellen.
2. Vorstufe der ewigen Glückseligkeit
820 Um aber dabei nicht von der wahren Lehre und dem rechten Lehramt der Kirche abzuweichen, gelte für alle als gemeinsamer, unumstößlicher Grundsatz, jede Art von mystischer Vereinigung abzulehnen, wodurch die Gläubigen irgendwie die Grenzen des Geschöpfes überschreiten und so verwegen in den Bereich des Göttlichen einzudringen suchen, daß sie sich auch nur eine einzige Eigenschaft der ewigen Gottheit gleichsam selbst beilegen. Außerdem sollen alle ohne Schwanken daran festhalten, daß in diesen Dingen alles, was Gott als letzte Wirkursache betrifft, der ganzen Heiligsten Dreifaltigkeit zugeschrieben werden muss.
Ferner soll man wohl bedenken, daß es sich hier um ein verborgenes Geheimnis handelt, das wir während dieser irdischen Verbannung nie ganz enthüllt durchschauen und in menschlicher Sprache ausdrücken können. Man spricht von einer Einwohnung der göttlichen Personen, insofern sie in den geschaffenen, Vernunft begabten Lebewesen auf unerforschliche Weise zugegen sind und den Gegenstand ihrer Erkenntnis und Liebe bilden (Vgl. Thomas von Aquin, Sum. theol. I q. 43, a. 3), jedoch auf eine Weise, die alle geschöpfliche Fähigkeit übersteigt und tief innerlich und einzigartig ist. Wollen wir sie uns wenigstens in etwa nahe bringen, so dürfen wir die vom Vatikanischen Konzil (Vgl. Vatik. Konzil, Sess. III, c. 4. Denzinger Nr. 1795) für solche Dinge dringend empfohlene Anweisung nicht außer Acht lassen. Sie besteht darin, daß wir beim Bemühen um eine wenn auch noch so geringe Vermehrung unserer Erkenntnis göttlicher Geheimnisse, diese untereinander und mit dem höchsten Ziel, auf das sie hingeordnet sind, vergleichen sollen.
Mit Recht wendet also Unser weiser, unvergeßlicher Vorgänger Leo XIII., da er von unserer Verbindung mit Christus und über den uns inne wohnenden göttlichen Tröster spricht, die Augen zu jener beseligenden Schau, in der einst im Himmel diese mystische Verbindung ihren Abschluss und ihre Vollendung finden wird. „Diese wunderbare Vereinigung, sagt er, die man Einwohnung nennt, ist nur der Lage, d. h. dem Stande nach von jener verschieden, in der Gott die Himmelsbewohner beseligend umfängt” (Vgl. Leo XIII., Rundschreiben Divinum illud vom 9. Mai 1897. ASS XXIX (1897) 653). In jener Schau wird es uns auf ganz unsagbare Weise gestattet sein, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist mit den durch das Glorienlicht geschärften Augen des Geistes zu betrachten, die Ausgänge der göttlichen Personen durch alle Ewigkeit hindurch aus nächster Nähe mitzuerleben und ein Glück zu verkosten, jenem ähnlich, wodurch die Allerheiligste und ungeteilte Dreifaltigkeit selig ist.
3. Irdische Vollendung durch die Eucharistie
821 Was Wir bisher über die enge Verbindung des mystischen Leibes Jesu Christi mit seinem Haupt dargelegt haben, würde Uns indes unvollkommen erscheinen, wenn Wir hier nicht wenigstens einiges hinzufügten über die hochheilige Eucharistie, wodurch jene Vereinigung in diesem sterblichen Leben gleichsam zu ihrem Gipfelpunkt geführt wird.
Christus der Herr wollte nämlich, daß die wunderbare, nie genug gepriesene Verbindung zwischen uns und unserem göttlichen Haupt durch das eucharistische Opfer den Gläubigen in besonderer Weise offenbar werde. Dabei vertreten nämlich die Priester nicht nur die Stelle unseres Heilandes, sondern auch die des mystischen Leibes und der einzelnen Gläubigen. Ebenso bringen aber auch die Gläubigen selbst das unbefleckte Opfer, das einzig durch des Priesters Wort auf dem Altar zugegen ward, durch die Hände desselben Priesters in betender Gemeinschaft mit ihm dem Ewigen Vater dar als ein wohlgefälliges Lob- und Sühnopfer für die Anliegen der ganzen Kirche. Und so wie der göttliche Erlöser sterbend am Kreuze sich selbst als Haupt des ganzen Menschen-Geschlechtes dem Ewigen Vater zum Opfer brachte, so opfert er in dieser ”reinen Opfergabe” (Mal. 1,11) nicht nur sich selbst als Haupt der Kirche dem Himmlischen Vater, sondern in sich selbst auch seine mystischen Glieder, die er ja alle, mögen sie auch schwach und krank sein, liebevoll in sein Herz geschlossen hat.
4. Die Eucharistie als Abbild der Einheit der Kirche
822 Das Sakrament der Heiligen Eucharistie aber, das ein lebendiges und wunderbares Bild der Einheit der Kirche ist – da ja das zur Verwandlung bestimmte Brot aus vielen Körnern eins wird (vgl. Didache 9,4. Funk, Patres Apostolici I 20) – schenkt uns den Urheber der übernatürlichen Gnade selbst, damit wir aus ihm jenen Geist der Liebe schöpfen, der uns antreibt, nicht mehr unser eigenes, sondern Christi Leben zu führen, und in allen Gliedern Seines gesellschaftlichen Leibes den Erlöser selbst zu lieben.
823 Gibt es bei den traurigen Zeitverhältnissen, unter denen wir gegenwärtig leiden, viele die Christus dem Herrn, verborgen unter den Schleiern der Heiligen Eucharistie, derart anhangen, daß weder Trübsal noch Angst, weder Hunger noch Blöße, weder Gefahr noch Verfolgung und Schwert sie zu trennen vermöchten von seiner Liebe (Vgl. Röm. 8,35), so kann ohne Zweifel das Heilige Gastmahl, das nicht ohne göttliche Fügung in unserer Zeit von Kindheit auf wieder häufiger empfangen wird, die Quelle jener Seelenstärke werden, die nicht selten in der Christenheit auch Helden zu erwecken und zu erhalten vermag. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 507 – S. 510