Mystici corporis Christi
Die Kirche, der geheimnisvolle Leib Christi
Enzyklika von Papst Pius XII. v. 29. Juni 1943
Zweiter Teil: Die Verbindung der Gläubigen mit Christus
Dieses Band ist ein tiefes Geheimnis
810 Wir möchten jetzt, Ehrwürdige Brüder, in ganz besonderer Weise über unsere enge Verbindung mit Christus im Leib der Kirche sprechen. Ist diese – wie mit Recht der heilige Augustinus sagt (Vgl. Augustinus, Contra Faustum XXI, 8. PL 42, 392) – etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und Göttliches, so wird sie doch oft gerade aus diesem Grund von einigen falsch verstanden und dargestellt. Zunächst ist es klar, dass diese Verbindung mit Christus sehr innig ist. In der Heiligen Schrift wird sie dem Band einer keuschen Ehe, mit der lebensvollen Einheit von Weinstock und Rebzweigen und mit dem Organismus unseres Leibes verglichen (Vgl. Eph. 5,22f; Joh. 15,1- 5; Eph. 4,16). Sie wird als so tief innerlich dargestellt, daß es nach dem Wort des Völkerapostels: „Er (Christus) ist das Haupt des Leibes, der Kirche” (Kol. 1,18) die uralte, ständig von den Vätern weiter gegebene Lehre ist, der göttliche Erlöser bilde zusammen mit Seinem gesellschaftlichen Leib nur eine einzige mystische Person, oder, wie Augustinus sagt, ”den ganzen Christus” (Augustinus, Enarrationes in Psalm. XVII 51 et XC II, 1. PL 36, 154 und 37, 1159). Ja, unser Heiland selbst zögerte nicht, in seinem hohepriesterlichen Gebet diese Vereinigung mit jener wunderbaren Einheit zu vergleichen, durch die der Sohn im Vater ist, der Vater im Sohn (Vgl. Joh. 17,21-23).
I. Darlegung der richtigen Lehre:
1. Die christliche Gemeinschaft als vollkommener Gesellschaftskörper
811 Unsere Vereinigung in Christus und mit Christus aber ergibt sich zuallererst aus der Tatsache, daß die christliche Gemeinschaft nach dem Willen ihres Stifters einen vollkommenen Gesellschaftskörper bildet und infolgedessen an ihr alle Glieder vereint sein müssen durch das einheitliche Streben zum gleichen Ziel. Je edler aber das Ziel ist, auf das sich dieses Streben richtet, je göttlicher die Quelle ist, aus der es entspringt, umso erhabener gestaltet sich ohne Zweifel auch die Einheit. Nun ist aber sein Ziel das allerhöchste, nämlich die fortgesetzte Heiligung der Glieder dieses Leibes selbst zur Ehre Gottes und des Lammes, das geopfert ist (Offb. 5,12f). Seine Quelle aber ist ganz göttlich: der Ratschluss des Ewigen Vaters und der liebestarke Wille unseres Heilandes, aber auch die Erleuchtungen und Antriebe des Heiligen Geistes im Innersten unserer Seele. Wenn wir nicht den geringsten heilbringenden Akt setzen können, es sei denn im Heiligen Geist, wie könnten da ungezählte Scharen verschiedenster Volkszugehörigkeit und Abstammung in voller Eintracht die Ehre des Dreieinigen Gottes erstreben ohne die Kraft jenes Odems, der vom Vater und Sohn in einer einzigen, ewigen Liebe ausgeht?
812 Da nun aber dieser gesellschaftliche Leib Christi, wie Wir oben dargelegt haben, nach dem Willen Seines Stifters sichtbar sein muss, so folgt notwendig, daß auch jenes Zusammenwirken aller Glieder äußerlich in die Erscheinung treten muss, durch das Bekenntnis desselben Glaubens, durch die Gemeinschaft derselben Sakramente und die Teilnahme am selben Opfer, wie auch durch die tätige Beobachtung derselben Gebote. Zudem muss durchaus ein allen sichtbares Oberhaupt vorhanden sein, von dem die Tätigkeit und die Zusammenarbeit aller wirksam auf die Erreichung des vorgesteckten Zieles gerichtet wird: Wir meinen den Stellvertreter Jesu Christi auf Erden. Wie nämlich der göttliche Erlöser den Beistand, den Geist der Wahrheit gesandt hat, damit er an seiner Statt (Vgl. Joh. 14,16 und 26) die unsichtbare Leitung der Kirche übernehme, so hat er dem Petrus und seinen Nachfolgern aufgetragen, Ihn auf Erden zu vertreten und die sichtbare Leitung der christlichen Gemeinschaft zu übernehmen.
2. Der mystische Leib als Gesinnungs-Gemeinschaft
Die drei göttlichen Tugenden
813 Zu diesen rechtlichen Banden, die für sich allein schon die Bindungen jeder anderen, selbst der höchsten menschlichen Gesellschaft weit übertreffen, kommt notwendig noch eine andere Einheitsgrundlage: es sind jene drei Tugenden, durch die wir mit Gott und untereinander aufs engste verbunden werden, der christliche Glaube, die Hoffnung und die Liebe.
In der Tat, es ist nur ”ein Herr”, wie der Apostel mahnt, ”nur ein Glaube” (Eph. 4,5), jener Glaube nämlich, durch den wir dem einen Gott anhangen und ihm, den er gesandt hat, Jesus Christus (Vgl. Joh. 17,3). Wie stark wir durch diesen Glauben mit Gott verbunden werden, zeigen die Worte des Liebesjüngers Jesu: „Wer immer bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott” (1. Joh. 4,15). Ebenso innig werden wir aber durch diesen christlichen Glauben untereinander und mit unserem Haupt verbunden. Denn da wir alle, die wir gläubig sind, „denselben Geist des Glaubens haben” (2. Kor. 4,13), werden wir auch von demselben Licht Christi erleuchtet, durch dieselbe Speise Christi ernährt, durch dasselbe Lehramt und dieselbe Amtsvollmacht Christi geleitet. Wenn nun derselbe Glaubensgeist uns alle beseelt, leben wir auch alle dasselbe Leben „im Glauben an den Sohn Gottes, der uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat” (Gal 2,20), und wie Christus, unser Haupt, der Urheber unseres Glaubens ist, wenn er mit lebendigem Glauben aufgenommen, in unserem Herzen wohnt (Vgl. Eph 3,17), so wird er auch sein Vollender sein (Vgl. Hebr 12,2).
814 Wie wir aber durch den Glauben hier auf Erden Gott anhangen als der Quelle der Wahrheit, so erstreben wir Ihn durch die Tugend der christlichen Hoffnung als die Quelle der Seligkeit, „indem wir die selige Hoffnung und die herrliche Erscheinung des großen Gottes erwarten” (Tit. 2,13). Ob dieses gemeinsamen Verlangens nach dem Himmelreich, womit wir im Diesseits nicht unsere bleibende Heimat sehen, sondern die zukünftige suchen (Vgl. Hebr. 13,14) und die Glorie des Himmels ersehen, sagt der Völkerapostel ohne Bedenken: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung” (Eph. 4,4) ja, Christus selbst wohnt in uns gleichsam als die Hoffnung der Herrlichkeit. (Vgl. Kol. 1,27).
815 Die Bande des Glaubens und der Hoffnung, durch die wir mit unserem göttlichen Erlöser in seinem mystischen Leib verbunden werden, sind gewiß von großer Wichtigkeit und höchster Bedeutung. Aber sicher nicht weniger wichtig und wirksam sind die Bande der Liebe. Denn wenn schon im natürlichen Bereich die Liebe, aus der die wahre Freundschaft entspringt, etwas sehr Erhabenes ist, was muss man dann nicht von jener übernatürlichen Liebe sagen, die von Gott selbst in unsere Herzen ausgegossen wird? „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm” (1. Joh. 4,16). Diese Liebe hat, gleichsam nach einem von Gott selbst gegebenen Gesetz, die Wirkung, daß sie in unsere liebenden Herzen ihn selbst in Gegenliebe hinabsteigen läßt gemäß dem Wort: „Wenn jemand mich liebt …, wird auch mein Vater ihn lieben, und Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen” (Joh. 14,23). Die Liebe verbindet uns also enger mit Christus als jede andere Tugend. Von ihrer himmlischen Glut erfaßt haben so viele Kinder der Kirche freudig für ihn Schmach erlitten und bis zum letzten Atemzug und Blutstropfen jegliche, auch die schlimmsten Qualen und Prüfungen ausgestanden. Deshalb mahnt uns unser göttlicher Heiland so eindringlich: „Bleibt in meiner Liebe”. Und da ja eine Liebe schwächlich und völlig inhaltslos bleibt, wenn sie nicht in guten Werken sich entfaltet und Gestalt annimmt, fügt er sogleich hinzu: „Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, wie auch ich die Weisungen meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe verbleibe” (Joh. 15,9-10).
Die christliche Nächstenliebe
816 Aber dieser Liebe zu Gott und zu Christus muss die Liebe zum Nächsten entsprechen. Wie könnten wir denn auch behaupten, unsern göttlichen Erlöser zu lieben, wenn wir diejenigen hassten, die er selbst mit seinem kostbaren Blute erlöst hat, um sie zu Gliedern seines mystischen Leibes zu machen? Aus diesem Grund ermahnt uns auch der Liebesjünger Jesu mit den Worten: „Wenn einer sagt: Ich liebe Gott, dabei aber seinen Bruder hasst, so ist er ein Lügner. Denn wie kann einer Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er seinen Bruder nicht liebt, den er sieht? Wir haben dies Gebot von Gott: Wer Gott liebt, der muss auch seinen Bruder lieben” (1. Joh. 4, 20–21). Sogar dies ist Tatsache: Wir werden desto mehr mit Gott und Christus verbunden sein, je mehr wir einer des anderen Glieder sind (Röm. 12, 5), in einmütiger Sorge füreinander (1. Kor. 12, 25). Und wir selbst werden untereinander desto mehr in Liebe verbunden und zusammen geschlossen sein, je glühender die Liebe ist, womit wir Gott und unserem göttlichen Haupte anhangen.
Uns aber hat der eingeborene Sohn Gottes schon vor Grundlegung der Welt mit seiner anfanglosen, unendlichen Erkenntnis und seiner ewigen Liebe umfangen. Und um diese seine Liebe auf eine ganz augenscheinliche und wunderbare Weise zu offenbaren, erhob er unsere Menschennatur zu persönlicher Einigung mit sich selbst, so daß, wie Maximus von Turin mit schlichter Einfachheit bemerkt, „in Christus unser eigenes Fleisch uns liebt” (Maximus Taur., Sermo XXIX. PL 57, 594).
3. Liebesgemeinschaft mit Christus
Christi unendliche Liebe zu den Menschen
817 Jene liebevolle Erkenntnis aber, womit uns der göttliche Erlöser vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an entgegen kam, übertrifft alles menschliche Bemühen und Begreifen. Denn vermöge jener seligen Gottschau, deren er sich sogleich nach der Empfängnis im Schoß der Gottesmutter erfreute, sind ihm alle Glieder seines mystischen Leibes unablässig und jeden Augenblick gegenwärtig und er empfängt sie alle mit seiner heilbringenden Liebe. O wunderbare Herablassung der göttlichen Güte zu uns; o unbegreifliche Abfolge einer Liebe ohne Grenzen! In der Krippe, am Kreuz, in der ewigen Glorie des Vaters hat Christus immerdar alle Glieder der Kirche vor Augen und im Herzen, mit weit größerer Klarheit und Liebe als eine Mutter ihr Kind auf dem Schoß, als ein jeder sich selbst kennt und liebt.
Die Kirche als Lebensfülle Christi
818 Aus dem Gesagten wird ersichtlich, Ehrwürdige Brüder, warum der Apostel Paulus so häufig schreibt, Christus lebe in uns und wir in Christus. Dafür gibt es aber auch noch einen tieferen Grund: Nach unseren Ausführungen lebt Christus in uns durch seinen Geist, den er uns mitteilt, und durch den er so in uns tätig ist, daß alle übernatürlichen Wirkungen des Heiligen Geistes in den Seelen auch Christus zugeschrieben werden müssen (Vgl. Thom.as von Aquin, Comm. in Epist. ad Eph., c. II, lect. 5). „Wenn jemand den Geist Christi nicht hat, sagt der Apostel, gehört er ihm nicht an. Ist dagegen Christus in euch …, so lebt der Geist wegen der Rechtfertigung” (Röm. 8,9f).
Dieselbe Mitteilung des Geistes Christi, womit alle Gaben, Tugenden und Charismen, die im Haupt auf überragende, überreiche und wirksame Weise wohnen, in alle Glieder der Kirche übergeleitet und in ihnen, gemäß der Stellung, die sie im mystischen Leib Jesu Christi einnehmen, von Tag zu Tag vervollkommnet werden, hat auch zur Folge, daß die Kirche gleichsam die Fülle und Ergänzung des Erlösers ist und Christus in jeder Beziehung in der Kirche gleichsam Erfüllung findet (Vgl. Thomas von Aquin, Comm. in Epist. ad Eph., c. I, lect 8). Mit diesen Worten haben Wir den tiefsten Grund berührt, warum nach der Ansicht des heiligen Augustin, die Wir schon kurz erwähnten, das mystische Haupt, welches Christus ist, und die Kirche, die hier auf Erden wie ein zweiter Christus seine Stelle vertritt, den einen neuen Menschen darstellen, durch den bei der unaufhörlichen Fortsetzung des Heilswerkes am Kreuz Himmel und Erde verbunden werden: Wir meinen Christus als Haupt und Leib, den ganzen Christus. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 502 – S. 507