Heiligsprechung Klaus von Flüe 1947

Hut, bischöflicher Krummstab, Kleidungsstücke eines Papstes

Pius XII. – Mit tiefer Ergriffenheit

Deutsche Ansprache bei der Audienz der Schweizerpilger am Nachtag der Heiligsprechung.

vom 16. Mai 1947

Ansprache zur Heiligsprechung von Bruder Klaus

Einleitung: Heiligsprechung bedeutet höchste Ehrung

2073 Mit tiefer Ergriffenheit haben Wir gestern Nikolaus von Flüe der Schar der Heiligen beigesellt, und mit tiefer Ergriffenheit habt ihr, geliebte Söhne und Töchter, Landsleute des neuen Heiligen, der erhabenen Handlung beigewohnt. Mit ihr wurde der einzigartigen Gestalt aus dem 15. Jahrhundert, die ihr als die Verkörperung des Besten von dem empfindet, was an gesunder Natur und christlicher Frömmigkeit in eurem Wesen lebt, eine Ehrung zuteil, wie sie höher auf Erden und in der Kirche Christi niemandem widerfahren kann. Uns selbst war es eine große Genugtuung, eurem Volk, mit dem Uns so viele angenehme Beziehungen verknüpfen, die Freude der Heiligsprechung dieses echten Schweizers zu bereiten.

Bruder Klaus: ein heiliger Schweizer

2074 Wenn auch das Lob, ein echter Sohn des Schweizer Volks zu sein, im Vollsinn des Wortes ganz gewiß einer stattlichen Reihe eurer um das Vaterland verdienten Männer gebührt, so doch sicher keinem mehr als Nikolaus von Flüe.
Er stammt aus dem Herzen der Eidgenossenschaft, aus einem der Urkantone, einem „gläubigen und frommen Land“, wie seine Obwaldner Heimat noch in unserer Zeit ehrend genannt wurde. Den Ruf seines Geschlechts, rechtschaffen und gottesfürchtig zu sein, zurückhaltender Natur, mäßig, ganz dem Beruf, der Feldarbeit lebend, umgänglich und immer gewohnt, den Mitmenschen Gutes zu tun, eifrig im Gebet und in Einhaltung der kirchlichen Lebensordnung (1), diesen Ruf hat jedenfalls Nikolaus vollkommen wahr gemacht: „Einen züchtigen, gütigen, einen tugendhaften, frommen und wahrhaften Menschen“ nennt ihn ein Zeuge, der ihm von seiner Jugend bis zu seinem Abschied von der Welt immer sehr nahe stand. (2)

2075 Mit vierzehn Jahren nimmt Nikolaus an der Landsgemeinde teil. (3) Er ist Kriegsmann im Dienst des Vaterlandes und steigt zum Fähnrich, Rottmeister und Hauptmann auf. (4) In zwanzigjähriger Ehe mit Dorothea Wyß ersteht ihm eine blühende Familie von zehn Kindern. Heute, in dieser weihevollen Stunde, verdient auch der Name seiner Gattin in Ehren genannt zu werden. Sie hat durch den freiwilligen Verzicht auf den Gemahl, einen Verzicht, der ihr nicht leicht wurde, und durch ihre feinfühlige, echt christliche Haltung in den Jahren der Trennung mitgewirkt, um euch den Retter des Vaterlandes und den Heiligen zu schenken.
Mit Einsicht und Fleiß waltet Nikolaus des elterlichen Erbes. Er ist ein angesehener Bürger, Ratsherr, Richter und Tagsatzungs-Gesandter, und daß er nicht Landammann wurde, ist nur an seinem eigenen Widerstreben gescheitert. (5)

Der heilige Nikolaus von Flüe steht, die Hände ausgebreitet, in der Mitte zwischen den eidgenössischen Zwistparteien , die ihn bitten, den Bruderkrieg zu verhindern

2076 Erst fünfzigjährig zieht er sich zurück von der Welt, von der eigenen Familie und den öffentlichen Geschäften, um noch an die zwanzig Jahre der äußersten Entsagung, in strengster Buße nur dem Verkehr mit Gott zu leben.
Allein gerade in dieser Abgeschiedenheit wird Nikolaus zum großen Segen für sein Volk. Mehr und mehr kommen sie von nah und fern zu ihm, um sich seinem Gebet zu empfehlen, an seinem Beispiel aufzurichten, von ihm Trost und Rat zu holen. Bischöfe und Äbte, Erzherzöge und Grafen, Beauftragte in Sachen der Eidgenossenschaft wie Gesandte auswärtiger Städte und Mächte suchen bei ihm Antwort, Weisung oder Vermittlung in Fragen des öffentlichen Wohls, des inneren und äußeren Friedens (6) In jenen entscheidungsvollen Dezembertagen des Jahres 1481, da der Gegensatz politischer Interessen die Entfremdung zwischen den Land- und Stadtkantonen so sehr vertieft hatte, daß sie in offener Feindschaft und in Bruderkrieg zu enden drohte, in einem Bruderkrieg, der wohl den Untergang der Eidgenossenschaft bedeutet hätte, ist Nikolaus von Flüe, über die engen Grenzen der Kantone hinweg auf das Wohl des Ganzen schauend, durch seinen Rat und die damals schon überirdische Kraft seiner Persönlichkeit der Retter des Vaterlandes geworden. Sein Name wird mit dem Stanser Verkommnis, einem der Eckpfeiler und großen Marksteine in der Geschichte eurer Heimat, auf immer verbunden bleiben. Bruder Klaus ist nicht zu Unrecht als „der erste eidgenössische Patriot“ bezeichnet worden. (7) Er ist ganz einer von euch; er ist euer Heiliger.

Bruder Klaus: Vorbild der Vollkommenheit

2077 Das Vorbild christlicher Tugend und Vollkommenheit, das im heiligen Nikolaus aufleuchtet, ist so einfach natürlich, so entzückend schön, inhaltsvoll und vielgestaltig wie der Farbenreichtum einer in ihrer Blumenpracht daliegenden Alpenwiese. Aber nicht der Mannigfaltigkeit seines Vorbildes wollen Wir in dieser Stunde nachgehen. Was Wir aufzeigen möchten, sind bestimmte Brennpunkte im Strahlenfeld seiner Heiligkeit, und zwar jene Brennpunkte, die gleichzeitig die Kraftquellen angeben, aus denen euer Volk in der Vergangenheit seine Stärke geschöpft hat und deren es auch in der Zukunft nicht wird entbehren können. Solcher Brennpunkte glauben Wir drei nennen zu sollen: seine beherrschte Lebensweise, seine Gottesfurcht und sein Beten.

Der heilige Nikolaus von Flüe steht mit einem Stab in der linken und dem Segenszeichen der rechten Hand vor der Türe seiner Einsiedelei; er trägt lange Haare und einen Bart

2078 Die Lebensweise des Heiligen ist beherrscht, auf Verzicht und Abtötung eingestellt, nicht nur wenn wir sie mit unseren heutigen Daseins-Verhältnissen vergleichen, sondern schon für die viel einfacheren seiner Zeit und seiner Heimat, ganz abgesehen davon, daß man auch damals das Leben zu genießen wußte. Wo immer ihr Nikolaus betrachten möget, stets ist bei ihm der Geist Herr über den Leib. Diese Beherrschtheit gab auch seinem Äußeren jene Ehrfurcht weckende Würde und herbe Schönheit, die uns aus seinen Bildern so wohltuend ansprechen. Nikolaus hat früh, schon als Junge, sehr ernst damit begonnen, sich Opfer aufzuerlegen, und er ist darin beharrlich voran geschritten. (8) Durch sein überaus strenges Leben in der Klause gehört er zu den großen Büßer-Gestalten der katholischen Kirche, und wenn er in jenen zwanzig Jahren sich ausschließlich vom Brot der Engel nährte, so war dieses Charisma die Vollendung und der Lohn eines langen Lebens der Selbstbeherrschung und Abtötung aus Liebe zu Christus.

2079 Versteht ihr die Mahnung, die der Heilige durch sein Beispiel an unsere Zeit richtet? Ein wahrhaft christliches Leben ist undenkbar ohne Selbstbeherrschung und Entsagung; aber auch Volksgesundheit und Volkskraft können ihrer auf die Dauer nicht entbehren. In der Strenge der christlichen Lebensordnung liegen zugleich unersetzliche soziale Werte. Sie ist das wirksamste Gegengift gegen die Sittenverderbnis in allen ihren Erscheinungen.
Wenn – gewiß auch auf die Fürbitte des heiligen Nikolaus – Gottes barmherzige Vorsehung eure Heimat vor der Verelendung bewahrt hat, wie sie als Folge zweier Weltkriege in grauenvollen Formen über andere Länder gekommen ist, so stattet ihre euren Dank dafür durch großmütige Werke der Caritas ab; Wir benützen gerne auch diese Gelegenheit, um es anzuerkennen. Erweist euch jedoch darüber hinaus dankbar dadurch, daß ihr im Geist und in der Tat um Christi willen ein einfaches und beherrschtes Leben führt, auch in Wohlhabenheit und Reichtum.
Der Büßer vom Ranft mag einmalig sein. Auch Franz von Assisi war es; aber ganzen Schichten der Christenheit wurde sein heldenhaftes Beispiel zum Ansporn, ihr Erdendasein weniger auf Wohlleben und Macht, als vielmehr auf Sichbescheiden und auf die ewigen Güter auszurichten. Folgt ihr ebenso Nikolaus von Flüe nach! Dann erst könnt ihr in Wahrheit sagen, daß er euer Heiliger ist.

2080 Wo Nikolaus von Flüe uns entgegen tritt, ist er der gottesfürchtige Mensch. Auch als Kriegsmann, wie uns seine Kameraden eindrucksvoll Über sein Eheleben kann man die Eingangsworte der Ehe-Enzyklika Unseres hochseligen Vorgängers Pius XI. setzen: „Der reinen Ehe Hoheit und Würde“. Von seiner öffentlichen Tätigkeit konnte Nikolaus selbst bezeugen: „Ich war mächtig in Gericht und Rat und in den Regierungs-Geschäften meines Vaterlandes. Dennoch erinnere ich mich nicht, mich jemandes so angenommen zu haben, daß ich vom Pfad der Gerechtigkeit abgewichen wäre.“ (9) Wer Gott fürchtet, wird ganz groß sein, sagt die Schrift. (10). Das gilt von eurem Heiligen.

2081 Aufstieg und Niedergang der Völker entscheiden sich danach, ob ihr Eheleben und ihre öffentliche Sittlichkeit sich auf der Normallinie der Gottesgebote halten oder unter sie hinunter gleiten.
Klingt nicht auch diese Feststellung wie ein Notruf in unsere Zeit hinein? Die Zahl der guten Christen ist heute nicht gering, die der Helden und Heiligen in der Kirche vielleicht größer als zuvor. Aber die öffentlichen Verhältnisse sind weithin zerrüttet. Und das ist die Aufgabe der Kinder der Kirche, aller guten Christen, sich dieser Abwärts-Bewegung entgegen zu stemmen und durch Bekenntnis wie Tat, im Beruf wie in der Handhabung der Bürgerrechte, in Handel und Wandel des täglichen Daseins dem Gebot Gottes und Gesetz Christi wieder den Weg in alle Bereiche des menschlichen Lebens zu bahnen. Christliche, katholische Schweizer! Hier liegt auch eure Aufgabe für euer Vaterland. Führt sie durch im Geist und in der Kraft von Bruder Klaus! Dann erst könnt ihr in Wahrheit sagen, daß er euer Heiliger ist.

2082 Nikolaus von Flüe war endlich ein Mann des Gebetes, sein Leben ein Leben aus dem Glauben. Die Äußerung, die er in seinem Selbstbekenntnis über den Priester, den „Engel Gottes“, und das „heiligste Sakrament des Leibes und Blutes Jesu Christi“ (11) getan, würde genügen, um zu zeigen, wie erfüllt von katholischem Glauben er war. Es ist bezeichnend, wie gerne er schon seit den Knabenjahren sich zu stundenlanger Versenkung ins Gebet zurückzog. Sein Leben im Ranft war ein leben der Entsagung, um zur Vereinigung mit Gott zu kommen, das Ruhen in Gott der Sinn dieses Lebens. Auch seine Tat zur Rettung der Eidgenossenschaft an Weihnachten 1481 war der Sieg eines Titanen des Gebetes über den Ungeist der Selbstsucht und Zwietracht.

2083 Liegt nicht ein Fingerzeig Gottes darin, wenn er eurer Heimat einen Volksheiligen schenkt, der so ausgesprochen ein Mann des Gebetes war wie Bruder Klaus? Die Kurve der Zerrüttung des öffentlichen Lebens geht parallel mit der Kurve seiner Säkularisierung, seiner Loslösung vom Gottesglauben und Gottesdienst. Solcher Verweltlichung können aber – Land für Land und Volk für Volk – nur Menschen und Gemeinschaften, die glauben und beten, Einhalt tun. Deshalb rufen Wir euch zu: „Betet, freie Schweizer, betet!“, wie Nikolaus von Flüe gebetet hat. Dann könnt ihr mit Recht und in Wahrheit sagen, daß er euer Heiliger ist.
Schiller läßt im „Wilhelm Tell“ den alten Attinghausen ein Wort sprechen, das ihr in jungen Jahren mit Begeisterung aufgenommen habt, das Wort (12):

Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.

Wenn ihr aber nunmehr fragt, wo im Vaterland die starken Wurzeln eurer Kraft liegen, so lautet die Antwort: sie liegen – nicht allein, aber vor allem anderen – in dem christlichen Unterbau, der das Gemeinwesen, seine Verfassung, seine soziale Ordnung, sein Recht und seine gesamte Kultur trägt, und dieser christliche Unterbau ist durch nichts zu ersetzen, nicht durch Macht und nicht durch politische Höchstleistung. Die Stürme, die seit Jahren wie ein Weltgericht über die Kontingente dahin gehen, haben dies mit Donnerstimme kund getan. Auf Schweizer Boden hat jener christliche Unterbau in Nikolaus von Flüe Leben und Gestalt gewonnen wie wohl in keinem anderen eures Volkes. Schließt euch ihm an, dann wird es gut bestellt sein um das Schicksal eures Vaterlandes.

Schluss: Wahre Freiheit wurzelt in Gott

2084 Ihr seid stolz auf eure Freiheit. Überseht aber nicht, daß irdische Freiheit nur dann zum Guten ist, wenn sie aufgeht in einer höheren Freiheit, wenn ihr frei seid in Gott, frei euch selbst gegenüber, wenn ihr die Seele frei und offen bewahrt für das Einströmen der Liebe und Gnade Jesu Christi, des Ewigen Lebens, das er selber ist. Nikolaus von Flüe verkörpert in wundersamer Vollkommenheit den Einklang von irdischer und himmlischer Freiheit. Folgt ihm nach! Er sei euer Vorbild, euer Fürbitter, euer und eures ganzen Volkes hundert- und tausendfältiger Segen.

Anmerkungen:

(1) Vgl. Robert Durrer, Bruder Klaus, Die ältesten Quellen über den seligen Nikolaus von Flüe, sein Leben und seinen Einfluss (zwei Bände, Sarnen 1917-1921), Bd. 1, S. 671.
(2) Gemeint ist Erni Rorer; Durrer, Bd. 1, S. 462.
(3) Durrer, Bd. 1, S. XII.
(4) Vgl. Durrer, Bd. 1, S. 428.
(5) Vgl. Durrer, Bd. 1, S. 463; dazu S. XII.
(6) Vgl. Durrer, Bd. 1, SS. XXV-XXVI und 584-585.
(7) Durrer, Bd. 1, SS. XXIX und 115-170.
(8) Vgl. Durrer, Bd. 1, S. 462.
(9) Vgl Durrer, Bd. 1, S. 464.
(10) Durrer, Bd. 1, S. 39.
(11) Judith XVI 19.
(12) Durrer, Bd. 1, S. 39.
(13) Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, II. Aufz., 1. Sz.. v. 171-173. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 1265 – S. 1271 (AAS XXXIX 1947 364 – 369)

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