Magdalena die Sünderin in der Stadt Jerusalem

Maria Magdalena die Sünderin in der Stadt Jerusalem

Mulier, quae erat in civitate peccatrix. Luc. 7,37
Ein Weib, das eine Sünderin in der Stadt war.

Das Weib, welches eine Sünderin in der Stadt war, ist also der Gegenstand unserer heutigen Rede. Sie war kein gemeines Weib, denn sie war aus einem der ältesten Häuser in Judäa entsprossen; es rollte ein Blut in ihren Adern, das sich von adeligen Ahnen herleitete; deswegen hatten sich die ansehnlichsten Familien aus Jerusalem bei der Beerdigung des verstorbenen Lazarus zu Bethanien im Schloß ihrer Schwester, der Martha, versammelt, die Gebeugten zu trösten. Lazarus, den der Herr so wunderbar vom Tode erweckt hatte, war ihr Bruder, und Martha, die den Herrn öfters so sorgfältig bewirtete, war ihre Schwester. Sie war eben so reich, als hinsichtlich ihres Adels angesehen; sie hatte in Galiläa ein Schloß, genannt Magdala, das vielleicht ihr Erbteil war, und wovon sie den Namen Magdalena trug; denn ihr Geburtsname war Maria. Sie hatte aber ihren Aufenthalt in der Stadt Jerusalem genommen, weil diese prächtige und volkreiche Stadt ein ihrer Eitelkeit und ihren bösen Absichten angemessener Schauplatz war.

Denn sie war eine Sünderin, und eine Sünderin der Stadt; so bezeugt es das heilige Evangelium, welches weder verkleinert, noch vergrößert; es nennt sie eine Sünderin, um uns die Schwere und Größe ihrer Ausschweifungen kennbar zu machen; es nennt sie eine Sünderin der Stadt, um uns einen Begriff von den Ärgernisse zu geben, wodurch sie die Augen der Hohen und Niederen der Stadt auf sich zog. Sie war in der Blüte der Jugend, schön von Gestalt, reizend im Umgang, aufgeklärten Verstandes und zärtlichen Herzens. Sie mißbrauchte aber ihre schönen Gaben, indem sie dieselben zu einem Götzenbild der Eitelkeit, der Liebe und Ausschweifungen machte; kurz, sie war üppig in ihrem Anzug, frech in den Gesellschaften, die sie an sich zog, und ausschweifend in ihren Handlungen.

Ist dies das ganze Gemälde dieser Sünderin der Stadt? – Dies ist das ganze Gemälde. – Warum fragt ihm mich um dieses? Glaubt ihr vielleicht, ich wolle den Sünden der Magdalena schmeicheln, um gewisser Weiber unserer Welt zu schonen, die unter dieser Maske ihre Laster verhüllen? – Vergebt mir, ich habe nichts mit der Welt und ihren Weibern zu tun; das Evangelium und ihre Ausleger sind meine Richtschnur auf der Kanzel. Das heilige Evangelium sagt: Sie war eine Sünderin; und ein gelehrter Ausleger (P. Lamy in h. 1.) sagt: „Das Wort Sünderin drückt hier in der Grundsprache ein frech geschmücktes Weib aus“; diesem hinzu fügend: „sie war ein Ärgernis der Stadt, weil sie die Jugend anreizte und den Sabbat mit ihrem Putz entheiligte.“ Öffentliche, verschrieene Sünderinnen, wie ihr meint, duldete das Gesetz Gottes gewiß in der heiligen Stadt Jerusalem nicht. Du sollst keine öffentliche Dirne unter den Töchtern Israels dulden (5. Mos. 23,17). Magdalena war eine Tochter Israels und eine von den Vornehmeren. Die Juden waren eifrig auf ihre Gesetze, wenigstens äußerlich. – „Du verringerst den Sieg der Gnade Jesu Christi“, wird mir ein Gelehrter einwenden (Cornel. A Lap. In h. 1.), „und schwächst den Wert der Buße dieser Heiligen, da du ihre Sünden verminderst“; allein dem Starken ist es gleich viel, ob er eine zehn oder hundert Pfund schwere Last aufhebt; und der mächtigen Gnade ist es ein Sieg, ob sie eine Sünderin vom Rande des Abgrundes hinweg reißt, oder aus dem Schlamm des Verderbens zieht; und die Buße einer gemeinen Sünderin, wenn sie strenger als die Buße einer ägyptischen Maria ist, macht sie nur glänzender in den Augen Gottes, der Engel und Menschen. Genug, Magdalena war nach dem Evangelium eine Sünderin, der wir nicht die Sünden anzudichten brauchen, die einst die Madianitin (4. Mos. 25) und Ehebrecherin (Joh. 8) auch dem Pöbel verabscheuungswürdig machten; denn auch ein frecher Putz, der zu Netzen für die Unschuld, zur Feilbietung der Tugend, zur Verletzung der Ehrbarkeit und zur Entheiligung des Sabbath mißbraucht wird, kann in keine andere Rechnung als in jene der Sünden gebracht werden.

Soll ich also jene Weiber, die der Magdalena gleichen, keine Sünderinnen nennen, weil sie nicht so genannt sein wollen? Was würde meine Schmeichelei nützen? Der Glaube nennt sie so, das Evangelium nennt sie so, ihr Gewissen nennt sie so, und sie selbst werden sich so nennen, wenn das Licht der Gnade in ihre Seelen wie in in die Seele der Magdalena fallen wird; denn bei diesem Licht des Glaubens werden sie sehen, daß es nicht mehr brauche, mit recht eine Sünderin und eine Sünderin in der Stadt vom Evangelium genannt zu werden, als wenn man wie Magdalena üppig und verführerisch im Putz, frech im Umgang und ausschweifend und Ärgernis gebend in den Sitten ist.

Es sei ferne von mir, von den Ausschweifungen Magdalena`s zu reden, damit ich eurem unschuldigen Antlitz keine Schamröte entlocke. Nur soviel will ich sagen, daß sie nicht zu jenen sittsamen Jungfrauen gehörte, die eine Ekel an der Kleiderpracht der Welt haben; sondern ihr ganzer äußerer Putz war höchst üppig. Sie liebte keine einfache und ärmliche Kleidung, sondern mit Seide und feiner Leinwand, mit Gold und Silber pflegte sie ihren Körper zu schmücken. Durch diesen hoffärtigen Schmuck warf sie Netze und Fallstricke aus, um unbehutsame Sinne und vorwitzige Augen zu fangen.

Sie war frei und frech in ihren äußeren Gebärden und Sitten. Jene Haare, womit sie später im Hause des Pharisäers die Füße des Herrn abtrocknete, dufteten von kostbaren Salben; ihre Stirne war nicht ein Spiegel der Einfalt und Unschuld, sondern der Freiheit und Frechheit; aus den Augen, aus welchen später heilsame Tränen der Buße flossen, strahlte jetzt noch das Feuer der Begierlichkeit; die Ohren, mit denen sie später ganz heilsbegierig das Wort des Herrn vernahm, waren jetzt noch geöffnet für eitle Gespräche und für unreine Zoten und Possen; der Mund, mit dem sie später ganz zerknirscht die Füße des Herrn küßte, strömte noch über von schamlosen Reden; ihre Füße, die später ganz eilig zum Hause des Pharisäers eilten, um den Seelenarzt Jesus aufzusuchen, wandelten noch auf der breiten Straße des Verderbens. Wir wird bei solcher Eitelkeit und Putzsucht ihre Gesellschaft beschaffen sein? Wir dürfen für gewiß annehmen, daß sie den Umgang mit ernsten, demütigen, keuschen und gerechten Seelen floh, weil sie bittere Vorwürfe hätte befürchten müssen; im Gegenteil wird sie gerne in der Gesellschaft einer ausgelassenen Jugend geweilt haben. Und worin bestand wohl ihre Beschäftigung? Etwa in Gebet und Arbeit? Gewiß wird sie als eine so gefallsüchtige Person wenig Freude am Gebet, Gottesdienst und an den Übungen der Frömmigkeit gefunden haben; – gewiß hat sie die Stunden des Tages in träger Ruhe, in Müßiggang und etwa am Putztisch zugebracht. Doch höre ich die Weltkinder einwenden: „Soll denn eine solche Lebensart so sündhaft sein, daß Magdalena eine Sünderin in der Stadt genannt werden kann? Soll sie denn dadurch ein so großes Ärgernis andern Menschen gegeben haben?“ Die Weltkinder, die so sprechen, muss ich leider bedauern; denn ihr Glaube ist erloschen, ihre Sitten sind allzu sehr verdorben.

Allein wir dürfen uns nicht nach den Grundsätzen der verblendeten Welt richten, sondern nach der Lehre der Wahrheit, die uns Jesus Christus gepredigt hat; das Evangelium sei unser Buch, auch welchem wir Licht und Wahrheit schöpfen wollen. –
aus: M.F. Jordan Simon, aus dem Eremitenorden des hl. Augustin, Die heilige Büßerin Magdalena In neun Reden, 1851, S. 9 – S. 14

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