Von der Undankbarkeit gegen die heiligen Schutzengel
Für das Fest der heiligen Schutzengel oder des heiligen Erzengels Michael
Predigt von P. Franz Hunolt,
der Gesellschaft Jesu Priester und Domprediger zu Trier
Auszüge
Angeli corum in coelis semper vident faciem Patris mei. (Matth. 18,10.)
„Ihre Engel im Himmel schauen immerfort das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist.“
Unser heiliger Schutzengel war es, welcher durch seine Fürsprache bei Gott uns zu Hilfe kam, und durch die Erlangung kräftiger, außerordentlicher Gnade uns wieder in die Freiheit der Kinder Gottes versetzte. Wie manchmal ist es geschehen, daß wir gleich jenem Bauern in den Händen des höllischen Drachen lagen, von welchem wir verschlungen worden wären, wenn nicht unser guter Engel ins Mittel getreten und nach erwirkter Frist zur Buße uns errettet hätte? Unzählbare andere Wohltaten sind es, die er uns bisher geleistet hat, und noch fortfährt zu leisten; wo bleibt aber die schuldige Vergeltung? Statt des Dankes betrüben und beleidigen wir ihn.
Dies geschieht immer, so oft wir vor seinem Angesicht, mit Verachtung und Verwerfung seiner guten Eingebungen, uns entschließen, eine schwere Sünde zu begehen. Denn gleichwie sich nach dem Zeugnisse Jesu Christi die Engel freuen, wenn ein verirrtes Schaf durch die Buße wieder zu Gott zurückkehrt: Ich sage euch, es wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen einzigen Sünder, welcher Buße tut: (Luk. 15, 10) also könnte ihnen, wenn sie je eines Leidens fähig wären, kein größerer Schmerz und Kummer verursacht werden, als wenn sie vor ihren Augen sehen müssen, daß ihr liebstes Pflegekind, welches sie mit täglicher und nächtlicher Sorgfalt sich so sehr bemühen, auf dem rechten Wege zu erhalten, ihrer innerlichen Ermahnungen ungeachtet, sich mutwillig ins Verderben stürzt. Die heilige Franziska Romana, welche eine stete Gemeinschaft mit ihrem heiligen Schutzengel pflog (*), sah, daß er immer, so oft sie den geringsten Fehler beging, sein Angesicht mit den Händen bedeckte. O mit welcher Betrübnis wird er nicht seine Augen voll Abscheu von uns wenden, wenn sein Gott durch eine schwere Sünde beleidiget und verachtet wird! Ich nehme zum Zeugen eine liebende Mutter, wie es dieser um das betrübte Herz sein müsste, wenn sie leiden und zusehen müsste, daß ihr einziges und liebstes Söhnlein, das sie eben an der Hand führt und sorgfältig leitet, daß es nicht falle, sich mit Gewalt aus ihren Händen risse, fortliefe und Arm und Bein bräche.
Solche Betrübnis verursachen ihrem heiligen Schutzengel für die empfangenen Wohltaten alle Sünder insgemein, besonders aber die ein unkeusches Leben führen. Die Keuschheit hat ihren Beinamen von den Engeln empfangen, da sie die englische Reinigkeit genannt wird, weil die Engel die allerreinsten, züchtigsten Geister sind, welche nichts mehr lieben als reine, keusche Herzen. Daher sind die Jungfrauen von dem heiligen Bernhard zur Familie der Engel gezählt worden, und das Fleisch, welches sich von jeder Unlauterkeit rein erhält, wird nach dem Ausspruch Tertullians gleichsam in eine englische Natur verwandelt. Niemals zeigen sich die Engel eifriger, ihren Schutzkindern zu Hilfe zu kommen, als wo diese Tugend Gefahr leidet. Agnes, Cäcilia, Lucia und mehrere andere heilige Jungfrauen, ihr habt es erfahren, da man euch dieses kostbare Kleinod mit Gewalt nehmen wollte, wie eure Engel auf sichtbare Weise euch verteidigt und die schamlosen Feinde eurer Reinigkeit in die Flucht getrieben haben.
Meiner Meinung nach – ich habe es erfahren – ist es eines der kräftigsten Mittel, wider die Anreizungen und Versuchungen des Fleisches zu siegen, wenn man alsbald mit kindlichem Vertrauen seinen heiligen Schutzengel mit jenen Worten anruft, welche der jüngere Tobias, als ihn der ungeheure Fisch fressen wollte, zu seinem Reisegefährten, dem Engel Raphael, sagte: „Herr, er fällt mich an. (Tob. 6, 3) Mein lieber Engel, siehe, da ist der Seelenfeind und will mich aufreiben: nimm dich meiner an und verteidige mich. Hieraus folgt nun, andächtige Zuhörer, daß im Gegenteil den Engeln nichts widerlicher sei als dieser unflätige Wust, wodurch die Reinigkeit besudelt wird; und wenn sie jemals ihre Pflegekinder verlassen könnten, so müssten sie notwendig dann von ihnen weichen, wenn dieses abscheuliche Laster begangen wird. O ihr unzüchtigen Begierden, Gespräche, Liebeslieder, unreine Blicke und Betastungen (von andern Schandtaten mag ich nicht einmal den Namen nennen), welche große Betrübnis und Unbild fügt ihr euern Engeln zu! Dies ist der Dank, mit welchem ihr ihnen die vielfältigen Wohltaten vergeltet!
Unter allen Sündern indessen ist keiner, von welchem die heiligen Engel unbilliger und undankbarer behandelt werden, als diejenigen, welche anderen Ärgernis geben, es geschehe dies, auf welche Art und Weise es immer wolle. Warum das? weil sie sich für die offenbaren Feinde derselben erklären. Wie so? Was die Engel in den ihnen anvertrauten Seelen Gutes auszubauen suchen, das bemühen sich jene wieder nieder zu reißen und alle ihre Anschläge und Absichten zu Schanden zu machen.
Denn erstens bemühen sich die Engel, ihre Pflegebefohlenen durch gute Eingebungen zur Tugend und zur wahren Liebe Gottes anzutreiben: gerade das Gegenteil aber tun diejenigen, welche Ärgernis geben, durch ihre verführerischen, ärgerlichen Worte, Werke, Sitten, Gebärden, Kleidungen in den Seelen nur böse Gedanken erregen und sie zur unreinen Liebe reizen. Und diese letzteren sind, weil sie in die äußeren Sinne fallen, bei schwachen, zu derlei Dingen ohnehin geneigten Menschen weit kräftiger, als die Eingebungen der Engel, welche nur in den inneren Sinnen ausgearbeitet werden.
Zweitens bemühen sich die heiligen Engel, ihren Pflegekindern jederzeit Abscheu, Furcht und Schrecken vor allen Sünden einzujagen: gerade das Gegenteil aber tun wieder diejenigen, welche Ärgernis geben, indem sie durch ihr böses Beispiel, welches viele Nachfolger an sich zieht, den Lastern alle Schande und Hässlichkeit benehmen, sie gleichsam ehrlich und zur allgemeinen Mode und zum Brauche machen.
Drittens bemühen sich die Engel, ihre Pflegekinder, wenn diese aus Schwachheit gefallen sind, und sich gröblich verfehlt haben, alsbald nach dem Falle wieder aufzurichten und vor dem Rückfall zu bewahren: gerade das Gegenteil tun wieder diejenigen, welche da Ärgernis geben, indem sie ihnen die reizenden Gegenstände und Gelegenheiten zu diesen Sünden immer vor die Augen und Gemüter stellen. Viertens, die Absicht der Engel bei ihren Bemühungen ist, das Reich, die Ehre und Herrlichkeit Gottes zu befördern und in die Welt auszubreiten: gerade das Gegenteil tun jene durch ihre gegebenen Ärgernisse, indem sie das eitle Reich der Welt, das lasterhafte Reich des Teufels vergrößern und ausbreiten. Kurz, die heiligen Engel finden unter den Menschen keine giftigeren Widersacher und ärgeren Feinde als diejenigen, welche, auf was für eine Weise es immer geschehe, Ärgernis, das ist, anderen Gelegenheit zur Sünde geben.
Andächtige Christen! es ist schon Undankbarkeit genug, wenn wir unsere heiligen Schutzengel, denen wir doch weit mehr, als ein Kind seiner liebenden Mutter, schuldig sind, nicht, wie es sich gebührt, lieben und ehren. Laßt uns doch vor allem hüten, daß wir dieselben auf keine Weise betrüben und uns zu Feinden machen. Wie würde es uns im Leben, unter so vielerlei großen Gefahren des Leibes und der Seele, ergehen, wenn wir uns ihrer Wohlgewogenheit und ihrem mütterlichen Schutze mutwillig entzögen; wie würde es uns im Tode ergehen, wenn sie unsere dahinfahrende, beängstete Seele zwischen den Klauen der sich heran drängenden Teufel hilflos sitzen sehen und jene Worte der Verzweiflung über uns aussprechen hören würden: Wir wollten Babylon heilen, aber sie ward nicht heil; so laßt uns sie verlassen. (Jerem. 51, 9) Wir wollten diese Seele in den Himmel bringen, und sie hat unsere Sorgfalt und unsere heilsamen Ermahnungen verachtet; nun stehen wir von ihr ab und überlassen sie den höllischen Raubvögeln.
Wie würde es uns am letzten Gerichtstag ergehen, wenn eben diese Engel als Zeugen und Ankläger wider uns auftreten würden, um den Ausspruch unserer ewigen Verdammnis zu beschleunigen? wenn sie zum Richter sagen müssten: wir haben allen Fleiß aufgeboten, um diesen Menschen zu deinem Dienste anzuhalten; wir haben ihm so manchmal durch unsere Zusprache, durch die Prediger und Beichtväter, denen wir die Worte auf die Zunge legten, zu Herzen geredet, ihn seiner Laster halbe väterlich bestraft und zur Besserung ermahnt; er hat aber weder uns noch sie hören und beachten wollen, sondern hat überdies durch seine bösen Beispiele und gegebenen Ärgernisse uns viele andere Seelen geraubt. Höchster Richter! Sprich du nun über ihn dein gerechtes Urteil.
Ach, liebster Engel! Ehe es so weit kommt, will ich mich besser mit dir stellen. Ich gestehe meine Schuld, ich bin bisher einer von jenen undankbaren Gesellen gewesen, welcher dir die Wohltaten mit Bösem vergolten hat, da ich in deiner Gegenwart so oft, so abscheulich sündigte und zu deiner größten Betrübnis auch anderen Seelen zu denselben Sünden Anlaß gab, da ich dir doch, wie ich wieder gestehen muss, wenn ich die Tage meines Lebens von Jugend an bis auf die gegenwärtige Stunde durchgehe, wegen der besonderen, unzählbaren, augenscheinlich erfahrenen Wohltaten, mehr als tausendmal mein Leben schuldig bin, und noch täglich deinen mehr als mütterlichen Beistand handgreiflich verspüre. Ich sage dir unendlich Dank und bereue zugleich von ganzem Herzen meine abscheuliche Undankbarkeit gegen dich. Es soll mit deiner Fürsorge und meines Gottes Hilfe fortan nicht mehr geschehen. Deine liebe Gegenwart soll mir einer der hauptsächlichsten Beweggründe sein, die Sünden zu meiden, und besonders keinem Menschen auch nur zur geringsten Sünde Gelegenheit zu geben, weil du Mißfallen daran hast. Nicht allein will ich dich nicht mehr betrüben, sondern dich alle Zeit meines künftigen Lebens, wie ein rechtschaffenes Kind seine liebste Mutter, ehren und lieben, alle Tage will ich dir für die empfangenen Wohltaten kindlichen Dank abstatten, alle Tage mich deinem Schutz und deiner väterlichen Fürsorge empfehlen; alle Tage will ich in allen Zweifeln, Versuchungen, Gefahren und Nöten des Leibes und der Seele, gleich einem Kinde in den Schoß seiner Mutter, mit Vertrauen zu dir fliehen; in allen Umständen will ich, wo ich nur kann, bei anderen deine Ehre fördern. Dann wirst du fortfahren, mich mit deinem besonderen Schutz im Leben zu begleiten, mich im Tode erretten, und nach dem Tode an jenen Ort hinführen, wo ich dich, meinen höchsten Wohltäter, und mit dir unseren Gott ewig loben und preisen werde. Amen. –
aus: P. Franz Hunolt, der Gesellschaft Jesu Priester und Domprediger zu Trier, Christliche Sittenlehre der evangelischen Wahrheiten Bd. 4, 1844: Von der Undankbarkeit, S. 32 ff.
Gesamte Predigt: P. Franz Hunolt SJ, Predigt für das Fest der heiligen Schutzengel
(*) siehe dazu auch die zwei Beiträge: