Die Mission – eine Arbeit im Weinberg des Herrn
Predigt zum Sonntag Septuagesima
„So geht auch ihr in meinen Weinberg.“ (Mt. 20, 7)
Das Arbeitsangebot des Heilandes
Andächtige Christen! Mit einem Arbeitsangebot naht sich euch heute der göttliche Heiland. Der jubelvolle Weihnachts-Festkreis des Kirchenjahres hat sich geschlossen. Wir beginnen bald die ernste Fastenzeit, jene Zeit, die ganz besonders unserer Heiligung gewidmet sein soll. Und da naht sich euch heute in dem Sonntags-Evangelium der göttliche Heiland und macht euch auf eine gute Arbeitsgelegenheit für das Heil eurer Seele, für die Ehre Gottes und für die Rettung vieler andern Menschen aufmerksam. Ja noch mehr, der göttliche Meister selbst will euch als Arbeiter für seinen Weinberg anwerben. Für einen jeden von uns gilt sein Arbeitsgebot: „Geht auch ihr in meinen Weinberg“.
Diese Worte des Herrn sind für uns alle eine Aufforderung zu ernster, eifriger Arbeit für das Reich Gottes, Ach, vielleicht haben wir schon lange müßig am Wege gestanden, unnütz auf dem Markt des Welttreibens. Ach, vielleicht ist es für uns schon die elfte Stunde und wir haben in all den langen Jahren unseres Lebens noch nichts getan für den Weinberg des Herrn, weder in der eigenen Seele noch in den Herzen der andern, und als berechtigter Vorwurf trifft uns heute das Wort des Hausvaters: „Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?“
Müßig den ganzen langen Tag des Lebens?! Wie wird es dann sein am Abend dieses verlorenen Tages?
Andächtige Christen! An Arbeitsgelegenheit im Weinberg des Herrn fehlt es nicht. Das heutige Evangelium enthält ein herrliches Arbeitsangebot: „Geht auch ihr in meinen Weinberg!“ In dem großen Weinberg, den der Herr sich gepflanzt hat, gibt es noch weite strecken, die an- und ausgebaut werden müssen. Noch große Weinbergarbeit muss getan werden, bevor der Lohnabend kommt. So vieles musste bisher wegen Mangel an Arbeitern und Hilfsmitteln liegen bleiben. Das soll jetzt in Arbeit genommen werden. So fordert es die zeit. Der göttliche Heiland geht zur elften Stunde aus und sucht und ruft nach Arbeitern für sein Missionsfeld. Unter dem Bild des Weinberges möchte ich euch heute, andächtige Christen, die Heidenmission vorführen und euch zeigen:
1. den Herrn des Weinberges,
2. die Arbeiter des Weinberges.
Der erste Weinberg des Herrn
Andächtige Christen! Wer ist der Hausvater, der am frühen Morgen, um die dritte, sechste, neunte und elfte Stunde in Sorge um seinen Weinberg ausgeht und Arbeiter sucht? Es ist Gott selbst. Gott ist der Hausvater, der Herr des Weinberges. Er hatte einst einen Weinberg angepflanzt und ihm alle Sorgfalt angedeihen lassen. Es war das israelitische Volk, das er selbst seinen „auserlesenen Weinberg“ nannte (Is. 5, 2; Ir. 2, 21). Wie eine edle Rebe hatte er dieses Volk in seinem Stammvater Abraham aus dem dürren, unfruchtbaren Erdreich des Heidentums heraus gehoben. Er hatte es zu bewahren gesucht vor den Sünden und Lastern seiner heidnischen Umgebung und es verpflanzt in das Land Palästina, daß er ihm zu Wohnsitz schenkte. In reichlicher Fülle hatte er den Segen der Heilsgnade über sein Volk ausgegossen. Er gab ihm als Leitstern auf seinem Lebenspfad die göttliche Offenbarung; ja er machte es sogar zum Träger dieser Offenbarung, denn von ihm sollten auch die entferntesten Geschlechter das Wort des Heils empfangen. In den Opfern und Gebeten der Priester öffnete er diesem Volk eine Quelle der göttlichen Gnade. Mit Recht durfte Gott durch den Mund des Propheten Isaias (5, 4) ausrufen: „Was ist es, was ich meinem Weinberg noch hätte tun sollen und nicht getan habe?“
In der Tat, was hätte Gott noch tun können für das Volk der Juden? Hatte er nicht zärtliche Sorgen getragen, um es gut und gottesfürchtig zu erhalten? Hatte er es nicht wie mit einem schützenden Zaun umgeben, indem er seine schirmende Hand über es ausstreckte, es gänzlich abschloss von den heidnischen Nachbar-Staaten und vor jeder verderblichen Ansteckung zu bewahren suchte? Durfte er nicht mit Recht edle Fürchte guter, heiliger Werke von ihm erwarten? Doch nur herbe, bittere Früchte brachte ihm sein Weinberg. Israel blieb seinem hohen Beruf nicht treu, es vergaß seines Gottes, fiel von ihm ab und sündigte schwer. Darum sprach Gott in seinem gerechten Zorn das Urteil: „Ich will euch nun verkündigen, was ich mit meinem Weinberg tun werde: Wegnehmen werde ich seinen Zaun, daß er verwüstet werde, niederreißen seine Mauer, daß er zertreten werde; ich will ihn wüst machen… Disteln und Dornen sollen darin wuchern, und den Wolken werde ich gebieten, daß sie keinen Regen über ihn fallen lassen“ (Is. 5, 5 u. 6). Gott hat das Volk Israel verworfen, den Feinden der Juden hat er diesen Weinberg zur Verwüstung überlassen, und sie haben ihn vernichtet, in die ganze Welt haben sie das Volk Israel zerstreut!
Ein neuer Weinberg des Heilandes
Andächtige Christen! Hierauf sandte Gott seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus als himmlischen Winzer in diese Welt, um einen neuen Weinberg anzupflanzen. Doch nicht mehr die Grenzen eines Landes sollten die Ausdehnung dieses neuen Weinberges beschränken, nein, bis an die Grenzen der Erde sollte er sich erstrecken. Denn so sprach der himmlische Vater zu seinem Sohn: „Ich will dir geben die Völker zu deinem Erbe und zu deinem Besitztum die Grenzen der Erde“ (Ps. 2, 8). Aber nicht ohne Gegengabe konnte Jesus Christus sich seinen Weinberg erwerben, um einen hohen Preis musste er ihn erkaufen, sein eigenes Blut musste er als Kaufpreis zahlen. Am Stamm des Kreuzes hat der göttliche Heiland sich seinen Weinberg erkauft.
Ihr erkennt alle, andächtige Christen, diesen Weinberg des Heilandes. Es ist seine heilige Kirche. Seine heilige Kirche hat ja der göttliche Heiland gegründet, um sich in ihrem Schoß ein heiliges, auserwähltes Volk zu schaffen, und alle Völker der Erde hat er berufen, Mitglieder dieses großen Gottesvolkes zu werden. Seht da den herrlichen Weinberg des Heilandes! Nicht mehr klein und eng umgrenzt ist er wie ehedem im Alten Bund, nein, so groß und weit soll er sein wie der Erdboden. Bis an die grenzen dieser Erde soll er seine Rebzweige ausbreiten. Nicht nur ein Volk soll er umfassen, nein, alle Völker sollen als lebendige Reben mit dem göttlichen Weinstock vereint werden. An alle Menschen richtet der göttliche Heiland unter Strafe der ewigen Verdammnis seine Worte: „Wenn jemand nicht bleibt in mir, wird er hinaus geworfen wie die Rebe und verdorrt; man sammelt sie und wirft sie in das Feuer, und sie brennt“ (Joh. 15, 6).
Der Zeiger der Weltuhr steht in der elften Stunde
Durch die Kraft des göttlichen Weinstockes sollen alle Völker der Erde ein heiliges Volk werden. Das ist die Weinbergarbeit, die durch die Missionstätigkeit zu geschehen hat. Der Arbeitstag ist die Weltzeit, in welcher der Weinberg des Herrn bestellt werden muss. Wenn wir auf die verflossenen Jahrhunderte zurück blicken, so müssen wir gestehen, daß bereits ein gewaltiges Stück Arbeit geleistet worden ist. Das christliche Europa, die zahlreichen Völker, die diesseits und jenseits der Weltmeere den wahren Glauben bekennen, was ist es anderes als Weinbergarbeit der katholischen Missionstätigkeit! Aber ist die Arbeit schon beendet, ist der Weinberg in allen seinen Teilen schon bestellt? Andächtige Christen! Ein Blick auf den Zustand der heutigen Heidenwelt zeigt, daß erst ein kleiner Teil des Weinberges angebaut werden konnte. Über drei Viertel der Menschheit leben noch im Wahn des finsteren Heidentums, sind ödes, wüstes, totes Land, über das die Leben spendende Sonne des Christentums noch aufgehen muss, das bearbeitet werden muss, umgestaltet durch die Missionsarbeit zu einem fruchtbaren Weinberg des Herrn.
Schon ist es hoch an der Zeit. Der Zeiger der Weltuhr steht in der elften Stunde. Wieder geht in unsern Tagen der göttliche Hausvater aus, um Arbeiter für seinen Weinberg zu suchen. Er schreitet, andächtige Christen, bei der gegenwärtigen Missionsbewegung mit der großen Sorge um den Weinberg in seinem Erlöserherzen durch unser Volk, durch unsere Reihen. Jesus Christus, der Gottmensch, deutet mit seinen durchbohrten Händen auf die Völker der Erde und ruft uns zu: Seht da meinen Weinberg! Diesen Weinberg hat er sich erworben. Angebaut soll er werden. W bleiben die Arbeiter? Im Reich Gottes darf keiner müßig sein. „Weshalb steht ihr müßig den ganzen Tag?“ Jesus Christus, der Gottmensch, ist der Eigentümer des Weinberges, der durch das Missionswerk bestellt werden soll. Kann und darf uns diese Weinbergarbeit gleichgültig sein? Jesus Christus der Gottmensch, ist der Hausvater, der auch uns als Arbeiter in seinen Weinberg ruft.
Der Hausherr sucht Arbeiter für seinen Weinberg
Andächtige Christen! Die Sorge um den Weinberg läßt dem Hausvater keine Ruhe. Das Evangelium erzählt uns, wie er immer wieder neue Arbeiter zu gewinnen sucht. Er kann sozusagen keinen müßig sehen, ohne nicht sofort an die dringenden Arbeiten in seinem Weinberg zu denken. Ach, da gäbe es so vieles, so Notwendiges zu tun. Alles muss liegen bleiben und verderben. Warum? Es fehlt an Arbeitskräften. Und da stehen die Müßiggänger und vertrödeln ihren Lebenstag. Da stehen sie auf dem Markt des Weltgetriebes und vergeuden die kostbare Arbeitszeit mit nichtigen, lächerlichen, wenn nicht sogar mit sündhaften Dingen. Da stehen sie müßig, und sie hätten doch, womit sie schaffen könnten. Sie verdienen nichts, und es gäbe doch eine Gelegenheit für großes verdienst. Der Hausvater eilt auf sie zu. Wie ein Vorwurf klingt sein Wort: „Was steht ihr hier müßig den ganzen Tag?“ Wohlan, hört sein Arbeitsangebot: „Geht auch ihr in meinen Weinberg!“
Apostel und Missionare in der Vergangenheit
Andächtige Christen! In unermüdlicher Sorge ist der göttliche Heiland um seinen Weinberg bemüht. Zu allen Zeiten ging er aus, um die notwendigen Arbeiter für sich zu gewinnen. So ging er einst in sichtbarer Gestalt durch Palästina, wo er sich die ersten Arbeiter auserwählte. Arme, einfache Fischer waren es, denen er zurief: Geht in meinen Weinberg. Die zwölf Apostel waren die ersten, die hinaus zogen in die weite Welt, um den Weinberg Christi anzupflanzen. Wir wissen, wie der Herr sie aussandte: arm, ohne irdische Hilfe, doch mit seiner felsenfesten Verheißung, daß er bei ihnen sein werde, sie unterstützen werde mit seiner Hilfe und seiner Gnade bei ihrer schweren Arbeit. Die Apostel haben des Tages Mühe und Last getragen, in alle Länder der damals bekannten Welt sind sie geeilt, mit ihrem Schweiß, ja selbst mit ihrem Blut haben sie den harten, dürren Boden fruchtbar gemacht. Sie sind die Vorbilder aller Arbeiter geworden, die in späteren Jahrhunderten in den Weinberg des Herrn gegangen sind.
Ein anderes Mal ging der Herr des Weinberges aus, um die dritte Stunde, und suchte noch Arbeiter für seinen Weinberg. Das war die Zeit nach der großen Völkerwanderung, als Gott die alten Mönchsorden zur Missionsarbeit berief und diese ihre Missionare nach dem nördlichen Europa aussandten; das war die zeit, wo auch zu unseren Vorfahren Christus den großen hl. Bonifatius sandte, der unser deutsches Vaterland umwandelte in einen leiblichen Weinberg des Herrn.
O Dank sei dem Herrn, daß er auch zu uns seine Glaubensboten gesandt, Dank sei ihm, daß er auch uns eingeführt hat in seine heilige Kirche! Doch auch eine innige Bitte muss an dieses Dankgebet sich anschließen: O möge unser deutsches Vaterland doch wieder jener herrliche Weinberg des Herrn werden, den der hl. Bonifatius aus ihm gemacht hatte, möge in ihm immer dar die Edelfrucht der Tugend, der Sittenreinheit und der unerschütterlichen Glaubensfestigkeit heran reifen!
Zu wiederholten Malen noch ging der Herr im Laufe des großen Welttages aus, und jedesmal sandte er neue Missionare in die Weinbergarbeit, jedesmal brach für die Heidenmissionen eine neue Zeit der Blüte und des Aufschwungs an.
Ruf zur Mitarbeit im Weinberg der Heidenmission
Und es will mir scheinen, andächtige Christen, als habe der göttliche Winzer auch in unseren Tagen wieder den Ruf zur Mitarbeit im Weinberg der Heidenmissionen erlassen. Doch nicht bloß an die Ordensleute und an die Priester wendet sich der göttliche Meister, nein, mit eindringlicher Stimme wendet er sich in unserer gegenwärtigen Missionsbewegung an das ganz katholische Volk: „Geht auch ihr in meinen Weinberg!“ Das ist der Missionsruf unserer Zeit. Mit dem Ernst einer heiligen, unabweisbaren Pflicht wendet er sich an alle Schichten der Bevölkerung…
Bedenkt es wohl, andächtige Christen, es ist der göttliche Heiland, der ruft! Wenn aber der Heiland ruft, wer wollte da wohl zurück bleiben? Der Heiland wünscht recht viele Arbeiter in seinen Weinberg zu senden, damit auch in jenen fernen Ländern möglichst bald die tröstlichen Früchte des Heiles reifen! O folgen wir doch seinem Ruf! Ach, so viele Katholiken gibt es noch, die müßig dastehen und keinen Sinn haben für die Missionsarbeit unserer heiligen Kirche. Und wenn auch du bisher unter diesen Gleichgültigen und Lauen warst, dann raffe dich heute auf, laß dich rühren und folge der Einladung des Heilandes; sei fortan ein eifriger Arbeiter in dem großen Weinberg der Heidenmission!
Die Stunde der Auslöhnung
Andächtige Christen! Als der Abend gekommen war, rief der Hausvater alle Arbeiter zur Löhnung und zahlte einem jeden den Lohn entsprechend seiner Freigebigkeit und Gerechtigkeit. – Einst geht auch dieser große Welttag zur Neige. Es kommt dann die Stunde, wo der himmlische Hausvater alle Arbeiter seines Weinberges zur Löhnung ruft, jene, die er in der ersten Stunde gesucht hatte, wie auch jene, die erst in der elften seinem Ruf gefolgt waren, angefangen von den Aposteln bis auf jene opferfreudigen Seelen, die erst seit kurzer Zeit dem Missionswerk ihre Kräfte geweiht und ihre wohltätige Hand ihm geöffnet hatten. – O glücklich dann derjenige, der dem Ruf des Hausvaters gefolgt war! Für sein Leben, das er vielleicht in apostolischer Arbeit geopfert hat in den fernen Heidenmissionen, dafür, daß er seine besten Kräfte hingegeben, empfängt er nun das ewige, glückliche Leben dort oben im Himmel! Und ein jeder, der mit seinen hilfsbereiten Spenden die Heidenmissionen unterstützt hat, wird aus Gottes Hand ewige, unvergängliche Güter empfangen! – Wollen wir deshalb, andächtige Christen, einst in der Stunde der großen Auslöhnung diesen herrlichen Lohn empfangen, dann gehen auch wir hin und seien wir fortan treue, eifrige Mitarbeiter im Weinberg der Heidenmission. Amen. (Steph. Dillmann O.M.I.) –
aus: Robert Streit O.M.I., Missionspredigten Zweiter Teil Der göttliche Wille, 1914, S. 1 – S. 9