Notwendigkeit der Andacht zu Maria
Zweites Kapitel – 2. Teil
Maria, die wahre Mutter des mystischen Leibes Christi
Die stets fruchtbare Braut des Heiligen Geistes
Maria, die immerwährende und stets fruchtbare Braut des Heiligen Geistes
34. Gott der Heilige Geist will sich in Ihr und durch Sie Auserwählte bilden und spricht zu Ihr: „In electis meis mitte radices.“ (Ekkl. 24,13) Laß, meine Vielgeliebte und Braut, alle deine Tugenden in meinen Auserwählten Wurzel schlagen, damit sie wachsen von Tugend zu Tugend, von Gnade zu Gnade. Ich fand solches Wohlgefallen an Dir, als Du unter Übung der erhabensten Tugenden auf Erden lebtest, daß ich wünsche, Dich noch auf Erden zu finden, ohne daß Du aufhörst, im Himmel zu sein. Bilde und gestalte Dich zu diesem Zweck in meinen Auserwählten, so daß Ich in Ihnen mit Wohlgefallen die Wurzeln deines unüberwindlichen Glaubens, deiner tiefen Demut, deiner allseitigen Abtötung, deines erhabenen Gebetes, deiner glühenden Liebe, deiner festen Hoffnung und aller deiner Tugenden sehe. Du bist immer meine Braut; ebenso getreu, rein und und so fruchtbar wie ehedem: so gebe mir denn dein Glaube meine Gläubigen, deine Reinheit gebe mir Jungfrauen, deine Fruchtbarkeit gebe mir Auserwählte und Tempel.
35. Wenn Maria in einer Seele Wurzel geschlagen, so bringt Sie in ihr Wunder der Gnade hervor, die Sie allein hervor bringen kann, weil Sie allein die fruchtbare Jungfrau ist, die an Reinheit und Fruchtbarkeit niemals ihresgleichen gehabt, noch haben wird.
Maria hat mit dem Heiligen Geist das Größte hervor gebracht, was jemals gewesen ist und sein wird, nämlich den Gottmenschen, und folglich wird Sie die großen Dinge hervor bringen, welche in den letzten Zeiten geschehen werden. Die Bildung und Erziehung der großen Heiligen, die gegen das Ende der Welt kommen werden, ist Ihr vorbehalten, denn nur diese einzigartige und wunderbare Jungfrau kann in Verbindung mit dem Heiligen Geist die einzigartigen und außerordentlichen Dinge hervor bringen.
36. Wenn der Heilige Geist, ihr Bräutigam, Maria in einer Seele gefunden hat, so fliegt Er hin zu ihr, zieht mit seiner ganzen Fülle in diese Seele ein und teilt sich ihr überreichlich mit, und zwar in dem Maße, als die Seele seiner Braut Raum gewährt. Und eine der Hauptursachen, warum der Heilige Geist gegenwärtig keine auffallenden Wunder in den Seelen wirkt, liegt darin, daß Er dieselben nicht innig genug mit seiner getreuen und unzertrennlichen Braut vereinigt findet. Ich sage „unzertrennliche Braut“, denn seitdem der Heilige Geist, die wesenhafte Liebe des Vaters und des Sohnes, sich mit Maria vermählt hat, um Jesus Christus in den Auserwählten hervor zu bringen, hat Er Sie niemals verstoßen, weil Sie immer getreu und fruchtbar geblieben ist.
Maria, die Königin der Herzen
37. Aus dem Gesagten geht aufs klarste hervor, daß Maria eine große Macht und Herrschaft über die Seelen von Gott empfangen hat. Denn unmöglich kann Sie ihre Wohnung in ihnen aufschlagen, wie es Ihr Gott der Vater doch befohlen hat; Sie kann sie nicht als Mutter heranbilden, nähren und zum ewigen Leben gebären, sie zum Erbteil besitzen, sie in Jesus Christus und Jesus Christus in ihnen gestalten; unmöglich kann Sie ihre Tugenden in den Herzen Wurzel schlagen lassen und in allen Gnadenwirkungen die unzertrennliche Gefährtin des Heiligen Geistes sein; dies alles, sage ich, kann Sie nicht vollbringen, wenn Sie nicht durch eine besondere Gnade des Allerhöchsten Recht und Gewalt über die Seelen hätte. Denn nachdem Ihr Gott Vater Gewalt gegeben über seinen eingeborenen und natürlichen Sohn, hat Er Ihr diese Gewalt auch über seine Adoptivkinder eingeräumt, und zwar nicht nur über deren Leib, was ja nur von geringer Bedeutung wäre, sondern auch über deren Seele.
38. Maria ist durch Gnade Königin des Himmels und der Erde, wie Jesus von Natur aus und kraft der Erlösung König derselben ist. Da nun aber das Reich Jesu Christi hauptsächlich im Herzen oder Inneren des Menschen besteht, gemäß dem Schriftwort: „Das Reich Gottes ist in eurem Inneren“ (Luk. 17,21), so ist auch das Reich der Mutter Gottes vorzüglich im Inneren des Menschen, d. h. in dessen Seele. Und hauptsächlich in den Seelen wird Maria mit ihrem Sohn mehr verherrlicht als in allen sichtbaren Geschöpfen. Deshalb können wir Sie mit den Heiligen „Königin der Herzen“ nennen.
Die Andacht zu Maria, notwendig zur Erlangung des ewigen Heiles
39. Aus der Tatsache, daß die heiligste Jungfrau Gott notwendig ist, und zwar mit jener Notwendigkeit, die man eine hypothetische nennt, weil sie von Gott gewollt ist, müssen wir zweitens schließen, daß Maria den Menschen noch viel notwendiger ist zur Erreichung ihres letzten Zieles. Wir dürfen deshalb die Andacht zur Mutter Gottes nicht auf die gleiche Stufe stellen mit der Andacht zu den übrigen Heiligen, als wäre sie nicht notwendig oder nur Sache der Übergebühr. (*)
(*) So nennt man in der Theologie jene religiösen Übungen, die nicht von irgendeiner Pflicht vorgeschrieben sind, sondern nur dem Eifer des einzelnen anheim gestellt bleiben.
40. Der gelehrte und fromme Suarez, aus der Gesellschaft Jesu, der hochgebildete und fromme Justus Lipsius, Doktor von Löwen, und mehrere andere, gestützt auf die Lehre der heiligen Väter, z.B. des hl. Augustin, des hl. Ephrem, Diakon von Edessa, des hl. Cyrillus von Jerusalem, des hl. Germanus von Konstantinopel, des hl. Johannes Damaszenus, des hl. Anselm, des hl. Bernhard, des hl. Bernhardin, des hl. Thomas und des hl. Bonaventura, haben unwiderleglich nachgewiesen, daß die Andacht zur Allerseligsten Jungfrau zum Heil notwendig und daß es ein untrügliches Zeichen der Verwerfung ist, wie selbst Ökolampadius und mehrere andere Ketzer bezeugen, gegen Maria keine Hochachtung und Liebe zu hegen, daß es hingegen ein untrügliches Zeichen der Vorherbestimmung ist, Ihr ganz und wahrhaftig in Andacht ergeben zu sein.
41. Die Vorbilder und Aussprüche des Alten und Neuen Testamentes beweisen das Gesagte, die Lehre und das Beispiel der Heiligen bekräftigen es, Vernunft und Erfahrung lehren und bezeugen es; selbst der Teufel und sein Anhang wurden oft von der Macht der Wahrheit gezwungen, diese Lehre wider Willen zu bekennen.
Ich habe eine große Sammlung von Aussprüchen der heiligen Väter und Kirchenlehrer zum Beweis dieser Lehre angelegt und will der Kürze halber nur einen davon anführen: „Dir in Andacht ergeben sein, o Maria, ist eine Waffe des Heiles, welche Gott denen gibt, die Er retten will.“ (Joh. Damaszenus)
42. Hier könnte ich mehrere Tatsachen aus der Geschichte anführen, die das gleiche beweisen, unter anderen:
– aus den Chroniken des hl. Franziskus. Dieser Heilige sah in einer Verzückung eine Leiter, die bis zum Himmel reichte. Oben an der Leiter stand die heiligste Jungfrau, und es wurde ihm gezeigt, daß man durch sie zum Himmel empor steigen müsse.
– aus den Chroniken des hl. Dominikus. In der Nähe von Carcassonne, wo dieser Heilige den Rosenkranz predigte, war die Seele eines unglücklichen Irrlehrers von fünfzehntausend Dämonen besessen. Auf Befehl der Gottesmutter wurden sie zu ihrer Beschämung gezwungen, mehrere große und tröstliche Wahrheiten über die Andacht zur Himmelskönigin mit solcher Kraft und Klarheit laut zu bekennen, daß man die Erzählung dieser ganz sicheren Tatsache und die Lobrede, welche der Teufel gegen seinen eigenen Willen auf die Andacht zur Allerseligsten Jungfrau hielt, nicht ohne Freudentränen lesen kann, sofern man nur ein wenig Andacht zu Maria hat.
Die Andacht zu Maria, noch notwendiger zur Erlangung der Vollkommenheit
43. Wenn die Andacht zu Maria schon allen Menschen zur Erlangung des ewigen Heiles notwendig ist, so ist sie es noch viel mehr jenen, die zu einer besonderen Vollkommenheit berufen sind. Ich glaube nicht, daß irgend jemand zu einer innigen Vereinigung mit Jesus Christus und zur vollkommenen Treue gegen den Heiligen Geist gelangen kann ohne sehr große Vereinigung mit Maria und ohne große Abhängigkeit von ihrem Beistand.
44. Maria allein hat ohne Vermittlung eines anderen bloßen Geschöpfes Gnade gefunden bei Gott. (Luk. 1,30) Durch Sie allein haben alle anderen Gnade bei Gott gefunden, welche nach Ihr Gnade fanden, und nur durch Sie können alle, die noch kommen werden, Gnade finden. Sie war voll der Gnade, als der Erzengel Gabriel Sie begrüßte. (Luk. 1,28) Sie wurde vom Heiligen Geist mit einer Überfülle von Gnaden bereichert, als Er Sie auf geheimnisvolle Weise überschattete.(Luk. 1,35) Und jeden Augenblick hat Sie diese doppelte Fülle so vermehrt, daß Sie einen unermeßlichen und unbegreiflichen Höhepunkt der Gnade erreichte. Darum hat der Allerhöchste Sie zur einzigen Schatzmeisterin seiner Reichtümer und zur einzigen Ausspenderin seiner Gnaden bestellt, damit Sie auszeichne, erhebe und bereichere, wen Sie will, damit Sie auf den schmalen Weg zum Himmel geleite, wen Sie will, und trotz aller Hindernisse die schmale Pforte des Lebens öffne und den Thron, das Zepter und die Königskrone verleihe, wem Sie will. Jesus ist immer und überall die Frucht und der Sohn Mariä, und Maria ist überall der wahre Baum, der die Frucht des Lebens trägt, und die wahre Mutter, die Jesus Christus hervor bringt.
45. Gott hat Maria allein die Schlüssel zu den Weinkellern der göttlichen Liebe (Hohel. 1,3) gegeben und Ihr die Macht verliehen, die erhabensten und verborgensten Wege der Vollkommenheit zu wandeln, und andere darauf zu geleiten. Maria allein verschafft den armen Kindern der untreuen Eva Zutritt zum irdischen Paradies, damit sie darin angenehm mit Gott lustwandeln, sich vor den Feinden in sicheren Schutz flüchten, sich in Wonne mit der Frucht vom Baum des Lebens und vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen nähren, ohne abermals den Tod zu fürchten, damit sie daselbst in langen Zügen die himmlischen Wasser aus dem schönen Quell trinken, der dort überreichlich hervor sprudelt. Oder vielmehr, da Sie selbst jenes irdische Paradies oder jenes heilige, jungfräuliche Land ist, aus dem die sündigen Stammeltern Adam und Eva vertrieben wurden, so gewährt Sie nach freiem Belieben nur jenen Zutritt, die Sie zur Heiligkeit führen will.
Maria wird besonders die großen Heiligen der letzten Zeiten heranbilden
46. Alle Reichen des Volkes, um mich mit dem heiligen Bernhard eines Ausspruches der Hl. Schrift zu bedienen, alle Reichen des Volkes werden von Jahrhundert zu Jahrhundert vor deinem Angesicht flehend niederfallen, besonders aber am Ende der Welt, d. h. die größten Heiligen, die an Gnade und Tugend reichsten Seelen werden am eifrigsten bemüht sein, zur Allerseligsten Jungfrau zu beten und in ihrer Gegenwart zu wandeln, um Ihr, als dem vollkommensten Vorbild nachzuahmen und ihrer mächtigen Hilfe teilhaftig zu werden.
47. Ich sagte, dies werde besonders am Ende der Welt geschehen, und zwar bald, denn der Allerhöchste muss im Verein mit seiner heiligsten Mutter große Heilige heranbilden, welche die Mehrzahl der anderen Heiligen ebenso sehr an Heiligkeit übertreffen werden, wie die Zedern des Libanon über das niedere Gesträuch empor ragen, wie es einer heiligen Seele (*) geoffenbart wurde, deren Leben Herr von Renty geschrieben hat.
(*) Gemeint ist Schwester Marie des Vallées von Coutances
48. Diese großen Seelen, voll Gnade und Eifer, werden dazu bestimmt sein, sich den Feinden Gottes entgegen zu stellen, die sich von allen Seiten mit Ingrimm erheben werden. Sie werden eine besondere Andacht zur Allerseligsten Jungfrau hegen und von ihrem Licht erleuchtet, mit ihrer Milch genährt, von ihrem Geist geleitet, von ihrem Arm gestützt und von ihrem Schutz umgeben sein, so daß sie mit der einen Hand kämpfen, mit der anderen aufbauen werden. (vgl. 2. Esdras 4,17) Mit der einen Hand werden sie die Ketzer samt ihren Ketzereien, die von der Kirche Getrennten samt ihren Afterkirchen, die Götzendiener samt ihrer Abgötterei und die Sünder samt ihren Gottlosigkeiten bekämpfen, nieder werfen und zermalmen; mit der anderen Hand werden sie den wahren Tempel Salomons und die geheimnisvolle Stadt Gottes aufbauen, nämlich die Allerseligste Jungfrau, welche von den heiligen Vätern der „Tempel Salomons“ und die „Stadt Gottes“ genannt wird. Sie werden durch Wort und Beispiel alle zur wahren Andacht zu Maria bewegen, was ihnen zwar viele Feinde zuziehen, aber auch viele Siege und großen Ruhm eintragen wird.
Dies hat Gott dem hl. Vinzenz von Ferrerius, dem großen Apostel seines Jahrhunderts, geoffenbart, wie es der Heilige in einer seiner Schriften deutlich genug erwähnt.
Dies scheint der Heilige Geist im 58. Psalm vorhergesagt zu haben. Die Stelle lautet: “Der Herr wird herrschen über Jakob und bis an die Enden der Erde. Gegen Abend werden sie sich bekehren und Hunger leiden wie die Hunde, und herum laufen um die Stadt, um Nahrung zu finden.“ (Ps. 58,14f.) Jene Stadt, welche die Menschen am Ende der Welt finden werden, um sich zu bekehren und ihren Hunger nach der Gerechtigkeit zu stillen, ist die Allerseligste Jungfrau, welche vom Heiligen Geist „Stadt Gottes“ genannt wird. (Ps. 86,3) –
aus: Ludwig Maria Grignion de Montfort, Gesammelte Werke, I. Band, 1925, S. 19 – S. 29
siehe auch:
Grignion de Montfort: Abhandlung über die vollkommene Andacht zu Maria,
Einleitung: Durch Maria will Christus in der Welt herrschen
Erstes Kapitel: Maria in der ersten Ankunft Jesu Christi
Zweites Kapitel – 1. Teil: Maria wahre Mutter des mystischen Leibes Christi
Drittes Kapitel: Maria in der letzten Ankunft Jesu Christi