Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Nepotismus
Nepotismus (von nepos) bezeichnet eine Begünstigung von Verwandten über das rechte Maß hinaus von Seiten kirchlicher oder staatlicher Behörden. Beim Nepotismus der Päpste unterscheidet man 3 Perioden. Die Anfänge reichen weit zurück; schon Hadrian I. (771-795) erhob seinen Neffen Paschalis zum Primicerius, der dann in Opposition zu Hadrians Nachfolger Leo III. trat. Im 10. und 11. Jahrhundert wendeten besonders Johann XII., Benedikt VIII., Johann XIX. und Benedikt XI. Ihren Verwandten kirchliche und städtische Ämter zu. Ausgedehnt taten dies im 13. Jahrhundert vor allem Nikolaus III. (Orsini) und Bonifaz VIII. (Gaetani). Von ihnen wird der Nepotismus im eigentlichen Sinn datiert. Während des Exils von Avignon waren Klemens V. und VI. sowie Innozenz VI., während des abendländischen Schismas Bonifaz IX. und Gregor XII., danach Martin V. davon nicht frei. Den Höhepunkt erstieg der Nepotismus im 15. und 16. Jahrhundert. Einzelne Päpste gaben nicht nur Gebiete des Kirchenstaates ihren Nepoten zu Lehen, sondern suchten daraus für sie selbständige Fürstentümer zu schaffen; durch gleichzeitige Übertragung von kirchlichen Würden entstanden geistliche Fürstentümer. Diesem politischen Nepotismus verfielen hauptsächlich Kalixt III. (Borja, die Katalanen), Pius II. (Piccolomini), Sixtus IV. (Rovere), Innozenz VIII. (Cibó), Alexander VI. (Borja), Leo X. und Klemens VII. (Medici), Paul III. (Farnese), Paul IV. (Carafa). Doch das schmähliche Verhalten der Nepoten Pauls IV. zwang den Nachfolger Pius IV. zum Einschreiten. Pius V. brach dann durch die Bulle Admonet nos vom 29.3.1567, die verbot, Landschaften und Burgen des Kirchenstaates für immer oder zeitweise als Lehen zu vergeben, und die bisherigen Lehen zurück forderte, den politischen Nepotismus vollständig; Gregor XIII., Sixtus V. und Innozenz IX. wiederholten bzw. erweiterten diese Vorschriften (vgl. Pastor VIII, 170f). Allerdings verblieb in dieser Zeit der Abnahme des Nepotismus mitunter das Streben, Verwandten kirchliche oder kirchenstaatliche Ämter zu verleihen, sie finanziell zu bereichern und ihre Familien den alten Adelsfamilien gleich zu stellen; so bei Klemens VIII. (Aldobrandini), Paul V. (Borghese), Gregor XV. (Ludovisi), Urban VIII. (Barberini), Innozenz X. (Schwägerin Olympia), Alexander VII. (Chigi), Klemens X. (Altieri), Alexander VIII. (Ottoboni). Allein Innozenz XII. machte auch dieser Form ein Ende. Seine Bulle Romanum decet pontificem vom 22.6.1692 untersagt den Päpsten, Verwandte mit Gütern der Kirche zu bereichern; bedürftige Verwandte sind wie andere Arme zu behandeln; mehrere Ämter, die bisher in Händen von Verwandten zu sein pflegten, wurden aufgehoben; verdiente Verwandte der Päpste sollten nicht mehr als 12000 Scudi Einnahmen haben (vgl. Pastor XIV 2, 1128f). Daraufhin kamen Fälle von Nepotismus nur noch vereinzelt vor, z.B. die Begünstigung des unwürdigen Coscia durch Benedikt XIII.
Der Nepotismus findet, abgesehen von der psychologisch begreiflichen Zuneigung zu Verwandten, seine Erklärung zeitweilig in geschichtlichen Verhältnissen. Inmitten neuer Umgebung, gegenüber dem wankelmütigen römischen Volk, der Übermacht des römischen Adels, den politischen Anhängern des Vorgängers, zuweilen dem Widerstand einer feindlichen Partei im Kardinals-Kollegium, den Angriffen einheimischer und fremder Fürsten suchten die Päpste eine Stütze naturgemäß in ihren Verwandten. Aber sieht man ab von einzelnen Fällen einer glücklichen Wahl (z.B. die Kardinals-Ernennung des hl. Borromäus durch seinen Onkel Pius IV.), so war der Nepotismus ein grober Mißstand, der dem Papsttum und der Kirche aufs schwerste schadete und deshalb schon von Zeitgenossen beklagt wurde. Ihn aber als Erbsünde des Papsttums zu bezeichnen, geht nicht an, da er erst spät, durch die erwähnten geschichtlichen Verhältnisse mit bedingt, auftritt,, bei der großen Zahl der Päpste verhältnismäßig wenige befleckte und durch das Papsttum selbst beseitigt ward.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VII, 1935, S. 486-487