Maria – Mutter des Erlösers Jesu
Die nächste und unmittelbare Vorbereitung auf die Ankunft des Erlösers war die Auserwählung, Erschaffung und Zubereitung der Mutter des Erlösers. Diese gebenedeite Mutter war Maria. Ihre Vorbereitung war wie bei Christus eine dreifache, und dieser dreifachen Vorbereitung entspricht ein dreifaches Leben Marias.
Das Leben der Mutter Jesu in der Ewigkeit
Das Leben Marias in der Ewigkeit besteht in ihrer ewigen Vorerwählung in den Gedanken und Ratschlägen Gottes. Die Vorerwählung überhaupt teilt zwar Maria mit allen Geschöpfen, aber nicht auf dieselbe Weise. Sie war nach Christus die erste in der Auserwählung Gottes, nicht der Zeit, sondern der Würde und Erhabenheit nach. Denn Gott erwählte sie von Ewigkeit her nicht bloß zur Gnade und Glorie, sondern auch zur Würde der Mutter Gottes, ja, wenn man so reden kann, eher zur Muttergottes-Würde als zur Gnade und Glorie, weil das Maß der Gnade und Glorie eben abhing von der Erhabenheit dieser Würde. So sagen die Gottesgelehrten, welche der Meinung sind, Christus sei voraus gesehen und voraus erwählt worden vor aller Kreatur und der Sünde, gleichfalls ein Ähnliches von seiner Mutter. Wie dem immer sei, wenigstens ist sie nach Christus die Erste der Würde nach. Sie und ihr göttlicher Sohn sind die vornehmsten und erhabensten Wesen der ganzen Schöpfung in den göttlichen Gedanken und Ratschlägen, ja, sie sind immer zusammen in den Gedanken Gottes. Sie bilden gleichsam eine Ordnung, laufen nebeneinander, verschlingen sich und haben daher auch die größte Ähnlichkeit in der Natur, in der Gnade, Glorie, in Lebensaufgabe und Lebensschicksalen. So gleich in der Vorauserwählung. Das ist der Grund, weshalb die Kirche die stellen der Heiligen Schrift, welche das vorweltliche Leben und Wirken des Gottmenschen als Sohn Gottes und ewige Weisheit schildern, auf Maria anwendet. „Der Herr besaß mich am Anfang seiner Wege, bevor er etwas bildete, von Anfang an. Von Ewigkeit her bin ich gesetzt und von der Urzeit an, bevor die Erde ward. Als er bereitete den Himmel, war ich dabei… alles ordnend, und ich freute mich an jedem Tage, spielend vor ihm alle Zeit“ (Sprichw. 8, 22f). „Ich bin aus dem Munde des Allerhöchsten hervor gegangen als die Erstgeborene vor jeder Schöpfung… Ich hatte Wohnung in den Höhen und meinen Thron auf einer Wolkensäule“ (Ekkli. 24, 5ff).
Es ist lieblich, die Mutter Gottes in den göttlichen Ideen zu betrachten, ganz gehüllt in die Herrlichkeit der Vorherbestimmung Jesu. Wie das Kind von Bethlehem eine Uridee Gottes ist und ihm stets gegenwärtig am Urquell aller Schöpfung stand, so auch seine jungfräuliche Mutter; und wie der Gottmensch die erste und herrlichste aller Ideen war, so nach ihm Maria, und wie sie das Lieblichste und Reinste und Heiligste war, was je dieses Erdenleben erfreute, so war auch der Gedanke und die Vorstellung der künftigen Gottesmutter die Freude der göttlichen schöpferischen Güte. Ihr schönes Leben hienieden und die Glorie des himmlischen Lebens sind nur der wirkliche Widerschein ihrer Herrlichkeit in den schöpferischen Gedanken Gottes.
Das vorbildliche Leben Mariä im Alten Bund
Wie der Heiland im Alten Bund vorbereitet und vorgebildet wurde, so auch seine Mutter.
Maria gehörte vor allem zum Glaubensinhalt des Alten Bundes infolge der Prophezeiungen. Schon den Stammeltern wurde sie verheißen als das Weib, dessen Sohn die Schlange überwinden werde (Gen. 3, 15). Besonders aber und ausdrücklich die jungfräuliche Geburt des Emmanuel Achaz und dem ganzen Volk verheißen als Wahrzeichen von der Befreiung und Rettung aus der Gefahr, die dem Hause Davids und Jerusalem bevorstand, aus dem Bunde des Königs von Israel mit dem assyrischen König. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sein Name wird Emmanuel sein“ (Is. 7, 14). Ungefähr dasselbe, wenn auch dunkler, verheißt Jeremias: „Ein Neues schafft der Herr auf Erden: ein Weib wird umschließen einen Mann“ (31, 22). Auch der Prophet Michäas bezeichnet die Niederkunft der „großen Gebärerin“ als das Ende der Unterdrückung und die Fülle des Heiles (Mich. 5, 3). Also als jungfräuliche Mutter des Messias war sie aufgenommen in die Offenbarung des Alten Bundes.
Ebenso war sie verflochten mit dessen Geschichte durch die zahlreichen Vorbilder, welche teils in Sachen, teils in Personen ihre Tugenden, Gnadenvorzüge, ihre Stellung und Aufgabe zum neuen Volk Gottes voraus verkündeten. So bildeten der brennende Dornbusch (Ex. 3, 2), das Vlies Gideons (Richt. 6, 37), die blühende Rute Aarons (Num. 17, 8) ihre unbefleckte Empfängnis vor; der siebenarmige Leuchter, die Stiftshütte den Reichtum ihrer Gnadenschätze und die Bundeslade ihren priesterlichen Beruf, die wahre Nähe Gottes in seinem Volk zu vermitteln. Ebenso glänzend offenbaren sich die Vorbilder in der Reihe der großen Frauen Israels, in Eva, Sara, Rachel, Judith, Esther, und offenbaren die Tugenden der Mutter Gottes und ihre Stellung zum Reiche Christi.
Endlich gehörte auch sie der Familie Davids an, und dadurch verknüpfte sie ein neues Band mit den glänzendsten Zeiten des Volkes Israel. Daß sie aus der Familie Davids stammte, bezeugen mehrere heilige Väter, wie der hl. Ignatius von Antiochien (Ad Eph. 18), der hl. Märtyrer Justinus (C. Tryph. 100). Der hl. Paulus sagt, „der Sohn Gottes sei geworden aus dem Samen Davids dem Fleische nach“ (Röm. 1, 3) und „aus dem Weibe“ (Gal. 4, 4); der hl. Petrus aber: „Gott habe David geschworen, von seiner Leibesfrucht zu setzen auf seinen Thron“ (Apg. 2, 30; Ps. 131, 11). Überdies sagen die heiligen Väter, Maria sei Erbtochter einer Linie Davids gewesen und habe dem Gesetz nach (Num. 36, 6) nicht außer der Verwandtschaft heiraten dürfen. Und das wird aus dem Umstand sehr wahrscheinlich, daß Maria bei ihrem Gelübde der Jungfräulichkeit (Luk. 1, 34) sich sonst wohl nie zu einer Verlobung herbei gelassen hätte. So wäre also der Stammbaum des hl. Joseph großenteils auch derjenige Marias und sie eine wahre Tochter Davids und Erbin der Herrlichkeit nicht bloß seiner Familie, sondern seines Stammes und des ganzen Volkes und des ganzen Bundes. (siehe den Beitrag: Unsere liebe Frau aus dem Hause David)
Wie eine Aloe in 100-jähriger Dauer ganze Geschlechter von Schößlingen und Blättern hervor treibt und abwirft, bis endlich die Blume sprießt, so sproßte und blühte auch der Alte Bund und trieb Blätter königlicher, priesterlicher und prophetischer Ehren. Sie alle waren da für Maria, in welcher die vielgestaltige Herrlichkeit der Vorbereitung ihren Höhepunkt und ihre Vollendung erreichte. Deshalb wendet die Kirche auf Maria auch die Worte an: „Da gebot mir der Schöpfer… In Jakob wohne, und in Israel habe Erbteil, und in meinen Auserwählten schlage Wurzeln… Und so gewann ich feste Stätte in Sion, und in der heiligen Stadt nahm ich gleicher Weise Ruheort, und in Jerusalem war meine Herrschaft. Und ich schlug Wurzeln in dem geehrten Volk, dessen Erbe auch im Anteil meines Gottes besteht, und in der Gemeinde der Heiligen ist mein Aufenthalt“ (Ekkli. 24, 12-16). So „hat Gott“, sagt der hl. Bernhard (Hom. 2 Miss.), „nicht eine Mutter angenommen von heute oder von ungefähr, sondern eine Mutter von Anbeginn erwählt, vom Allerhöchsten voraus gesehen, von den Engeln behütet, von den Propheten voraus gesagt und durch die Patriarchen vorgebildet, mit einem Wort, eine Mutter, von der Gott selbst vorher gesagt zu haben scheint: ‚Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe.’“
Das wirkliche Leben Marias
Endlich erschien Maria, das Segenskind der heiligen Joachim und Anna. Ihr wirkliches Leben war die nächste Vorbereitung auf Christus und ihm ähnlich. Christus wurde in ihr vorbereitet erstens ihrer natürlichen Anlage nach. Maria hatte einen edlen, sehr vollkommenen und wohl gestalteten Leib, so rein, daß Christus ihr Blut annehmen, so schön, daß er die Züge ihrer Anmut und Wohlgestalt tragen konnte und wollte. Wenn Gott den Leib Adams und Evas so vollkommen schuf, weil er an Christus dachte, der ihr Ebenbild sein sollte (Tertull., De carn. Chr. c. 6), um wie viel vollkommener und schöner musste der Leib Marias sein, aus welcher er nun wirklich geboren werden sollte! – Ihr Verstand und ihr Herz waren vortrefflich. Es hat wohl nach Christus keinen herrlicheren Verstand und kein bessere und harmonischer angelegtes Gemüt gegeben, als Maria sie besaß. Sie musste ja eine ebenbürtige Gefährtin des Heilandes sein. Maria war ein königliches Kind und auch der Natur nach das Meisterwerk Gottes.
Und nun der Gnade nach! Wie Christus stets sündlos war, wie er nie von der bösen Begierlichkeit angehaucht worden, wie er stets die Gnade besaß und zwar in einem alles übertreffenden Maße: so auch Maria, nur mit dem Unterschied, daß dieses alles Christus von Rechts wegen gebührte, während es Maria bloß Christi und seiner Verdienste wegen und stets in untergeordnetem Maßstab zu Teil wurde. Der Anfang und Grund dieser Heiligkeit wurde gelegt in ihrer unbefleckten Empfängnis, durch welche sie nicht bloß frei blieb von der Erbsünde, sondern auch die Fülle der heiligmachenden Gnade und alle Gaben der Gnade in einem Maße erhielt, wie es nie einem geschaffenen Wesen zu Teil geworden, nebst der Gabe der Beharrlichkeit und dem Freisein von aller Begierlichkeit. Diese unbefleckte Empfängnis ist die glorreichste Frucht der Erlösung Christi und ihr herrlichster Sieg, der erste vollständige Sieg über Satan. In dieser Empfängnis schon wurde ihm der Kopf zertreten. Maria war so die erste und herrlichste Schöpfung der neuen Ordnung, würdig ausgestattet zum Amt einer Gottesmutter, in Ansehung dessen ist alles dieses zu Teil wurde.
Auch ihr folgendes Leben bis zur Empfängnis des Herrn war eine würdige Vorbereitung auf Christus. Der Überlieferung nach verbrachte sie ihre Jugend im Tempel unter den Tempel-Jungfrauen in gottesdienstlicher Arbeit, in Gebet und Übung aller Tugenden. Es war dieses Leben eine wahre Schule des Heiligen Geistes. Er war ihr Lehrer und Erzieher; ihr Herz war sein reinster Tempel, und er wirkte darin wunderbare Aufstiege und bereitete sie meisterlich vor zur göttlichen Mutterschaft. So passen auf sie diese Worte der Weisheit: „Einer Zeder auf dem Libanon gleich ward ich erhöht und wie eine Zypresse auf dem Berg Sion; erhöht ward ich gleich einer Palme in Kades und gleich einem Rosenhag in Jericho, gleich einem schönen Ölbaum auf den Gefilden, und wie eine Platane wuchs auf neben dem Wasser an der Straße. Gleich wie Zimt und wohlriechender Balsam gab ich Duft, und wie köstliche Myrrhe spendete ich lieblichen Geruch… Wie Weihrauch durchduftete ich meine Wohnung… Gleich einem Weinstock brachte ich lieblichen Duft hervor, und meine Blüten sind Früchte des Ruhmes und der Ehre.“ (Ekkli. 24, 17-23) (siehe den Beitrag: Mariä Darbringung im Tempel)
Die letzte Vorbereitung Marias auf Christus war, daß sie dem hl. Joseph verlobt wurde vor der Verkündigung des Engels und der Menschwerdung (Luk. 1, 27). Es ist wohl anzunehmen, daß Maria, die von keinem Manne wissen wollte, (Luk. 1, 34), nicht durch eigene natürliche Neigung, sondern bloß durch den Willen Gottes vermocht wurde, eine Verlobung einzugehen. Dieser Wille Gottes wurde ihr wahrscheinlich geoffenbart durch die Priester und das Gesetz, nach dem sie sich mutmaßlich als Erbtochter einer Linie des Davidischen Hauses mit einem Manne aus derselben Familie verbinden musste. Diesem Willen Gottes beugte sie sich und folgte darin der Vorsehung Gottes, die durch diese Verlobung die letzte Vorbereitung zur Ankunft des Sohnes Gottes traf. (siehe den Beitrag: Verlobung Unserer lieben Frau mit Joseph)
Der Ort, wo Maria, dieses edle Reis der Wurzel Davids, stand und heranwuchs zu ihrem hohen und wichtigen Beruf für Israel und die ganze Welt, war Nazareth in Galiläa (Luk. 1, 26). Das Städtchen liegt still und friedlich, wie in der Höhlung einer Muschel geborgen, in der Mitte eines Hügelkranzes zwischen den Höhen, welche den Nordrand der Ebene Esdrelon begrenzen. Aus der Tiefe des länglichen Talbeckens erheben sich Reihe über Reihe die weißen Häuser des Städtchens bis zur halben Höhe des Berges, von dem man eine sehr schöne Aussicht über Galiläa bis an das Meer und über den See Genesareth hinaus genießt. Oliven, Granat- und Feigenbäume, hohe grüne Kaktusstauden und einzelne Dattelpalmen geben Nazareth und dem ganzen Landschaftsbild ein sehr anmutiges, liebliches und anheimelndes Aussehen. Deshalb heißt Nazareth auch die weiße Stadt und die Blume Galiläas.
Das ist das Leben Marias bis zur Menschwerdung. Wie schön, wie erhaben und lieblich ist es! Wirklich das Leben einer angehenden Gottesmutter, voll Reinheit und Tugend. Die Gottesgelehrten sagen auch, daß sie, wenn sie gleich die Würde einer Gottesmutter nicht verdienen konnte, doch würdig vorbereitet war, und daß sie diese Vorbereitung auch verdient hat durch ihre treue Mitwirkung mit den Gnaden und ihren Tugenden. So ist Christus und sein Reich schon in ihr begründet und bereitet. Was die Morgenröte der Sonne, das ist Maria Christus. Sie verkündet seine Ankunft und ist schon einigermaßen seine Ankunft, nämlich durch die Wirkungen seiner Gnaden und Verdienste, die in Maria sind und sie Christus verähnlichen. Alles teilt Christus mit ihr, sein vorweltliches Leben im Schoße des Vaters durch die ewige Vorerwählung, sein Dasein im Alten Bund und seine Vorzüge der Natur und Gnade. Welch liebliches Vorbild ist Maria für die Zeit des heiligen Adventes! Wie sie es tat, müssen auch wir nach unsern Kräften Christus vorbereiten für uns und für die Welt. –
aus: Moritz Meschler SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi des Sohnes Gottes, Bd. 1, 1912, S. 57 – S. 63