Das Ringen um das Mysterium der Menschwerdung
Das Dogma über die Inkarnation fällt auf dem Konzil von Ephesus
Als erster traf auf dem Konzil Nestorius ein mit sechzehn befreundeten Bischöfen. Dann erschien Cyrillus mit fünfzig Bischöfen seiner nordafrikanischen Kirchenprovinz. Mit ihm kam auch der Bischof Juvenal von Jerusalem. Der Bischof Memnon von Ephesus erschien mit vierzig benachbarten Bischöfen. Da der Patriarch Johannes von Antiochien, ebenso die päpstlichen Legaten noch nicht anwesend waren, wartete man fünfzehn Tage. Als aber am 22. Juni die Erwarteten immer noch fehlten, eröffnete Cyrill unter dem Widerstand von achtundsechzig Bischöfen das Konzil in der Marienkirche von Ephesus in Anwesenheit von 198 Bischöfen und übernahm den Vorsitz. Das Evangelienbuch lag inmitten der Versammlung auf einem Thron aufgeschlagen. (siehe auch den Beitrag: Heiliger Cyrill und das Konzil von Ephesus)
Schon am ersten Tag wurde die wahre Lehre aus der Tradition der Kirche nachgewiesen und der zur Sitzung nicht erschienene Nestorius abgesetzt. Das Volk der Stadt stimmte in seiner innigen Marienverehrung dem Beschluss der Konzilsväter mit großer Begeisterung zu. Vier Tage später traf endlich der Patriarch von Antiochien mit siebenundzwanzig syrischen Bischöfen ein, nahm sofort in scharfer Weise Stellung gegen das Konzil und veranstaltete in Anwesenheit des auf seiner Seite stehenden kaiserlichen Kommissars eine eigene Versammlung von dreiundvierzig zu Nestorius haltenden Bischöfe, die den Patriarchen von Alexandrien für abgesetzt erklärte.
Inzwischen kamen auch die drei durch Meeresstürme aufgehaltenen päpstlichen Legaten, die Bischöfe Arkadius und Projektus und der Priester Philipp von Rom, an und nahmen an den folgenden Sitzungen des von Cyrillus geleiteten Konzils teil. Nach Verlesung des päpstlichen Schreibens wurden die Beschlüsse der ersten Sitzung bestätigt und am 17. Juli der Patriarch von Antiochien und sein Anhang exkommuniziert. Nach langem Hin und Her ließ sich der Kaiser, der von Anfang an dem Nestorius als dem Patriarchen seiner Hauptstadt Konstantinopel zugeneigt war, durch seine Schwester Pulcheria und andere Einflüsse bestimmen, sich auf Seite der Wahrheit zu stellen. Nestorius wurde in sein Kloster zurück verwiesen (1) und Maximian als sein Nachfolger auf den Patriarchenstuhl zu Konstantinopel eingesetzt. Am 31. Oktober jenes Jahres kam Cyrillus in seine Heimat Alexandrien zurück, umjubelt vom ganzen Volk.
Was Irenäus gegen die Gnostiker, Athanasius gegen die Arianer, bedeutet Cyrillus von Alexandrien gegen die Nestorianer. Gestützt auf die Überlieferung der Väter, hat er die für die Erlösungslehre so wichtige Wahrheit von der Einheit der Person Jesu Christi klarer, als es bis dahin geschehen war, heraus gestellt und bewiesen und dabei der alten Lehre in den meisten Fragen derart scharfe Begriffe und Formulierungen und eine so straffe Zusammenfassung gegeben, daß man ih als den „Hauptrepräsentanten der scholastischen Methode in der griechischen Patristik“ bezeichnen kann. (2) Er hat auch hinsichtlich der Einigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus die wahre Lehre vertreten, daß beide Naturen ohne Veränderung und Vermischung geeint seien. Doch fehlt seiner Ausdrucksweise hier die volle Klarheit; die Bezeichnung Natur gebraucht er auch im Sinne von Person.
So war es auch möglich, daß gerade von Alexandrien aus eine neue Irrlehre mit ungeheurer Energie vertreten wurde: der Monophysitismus, der die Einheit der Person wie auch die Einheit der Natur in Christus lehrte und behauptete, die menschliche Natur sei in Christus mit der göttlichen Natur zu einer Natur verschmolzen oder ganz in ihr aufgegangen. Der leidenschaftlichste Verteidiger dieser Irrlehre war der Nachfolger Cyrills, der Patriarch Dioskur von Alexandrien, ein, wie die Katen des Konzils von Chalcdon zeigten, in sittlicher Hinsicht scher belasteter Mann. Der Anlass zum Streit aber ging von den Mönchen in Konstantinopel aus, unter Leitung des Archimandriten Eutyches, eines frommen Mannes, der siebenzig Jahre im Kloster gelebt hatte, aber unklug und theologisch nicht hinreichend geschult war.
Diese Mönche waren in der Opposition gegen ihren früheren Patriarchen Nestorius in das dem Nestorianismus entgegen gesetzte Extrem geraten. Während Nestorius zwei Personen in Christus lehrte, verteidigten sie nicht nur eine Person, sondern auch nur eine Natur im Gottmenschen. Der Patriarch Flavian von Konstantinopel exkommunizierte den Eutyches; Dioskur von Alexandrien aber trat auf Seite des Irrlehrers. Eutyches wie Flavian wandten sich an Papst Leo I. (440 bis 461) nach Rom. Dieser erklärte in seinem Antwortschreiben klar und bestimmt, daß in Christus beide Naturen, die göttliche wie die menschliche, unverändert und unvermindert in einer Person vereinigt seien.
Eutyches wie Disokur trieben die Sache weiter, durch ihren gemeinsame Einfluss am kaiserlichen Hof zu Konstantinopel erreichten sie die Veranstaltung einer Synode zu Ephesus im Jahr 449. Auf ihr kam es zu schwersten Ausschreitungen seitens des gewalttätigen Dioskur, der den Vorsitz führte. Er scheute vor schweren Drohungen und selbst vor Misshandlungen nicht zurück, an deren Folgen der Hauptvertreter der kirchlichen Lehre, Flavian von Konstantinopel, wenige Tage darauf starb. Unter Gewaltanwendung – er ließ sogar Soldaten mit Schwertern in den Versammlungsraum eindringen – erzwang Dioskur die Unterschrift von 130 Bischöfen. Die päpstlichen Legaten verweigerten standhaft ihre Unterschrift und flohen heimlich von der Räubersynode zu Ephesus.
An den sich immer länger hinziehenden Unklarheiten und Spannungen trug die Haltung des oströmischen Kaisers Theodosius II. (408 bis 450) viel Schuld. Infolge eines Sturzes vom Pferd starb dieser Kaiser am 28. Juli 450. Die Erbin, seie schon oben erwähnte, streng kirchlich gesinnte Schwester Pulcheria, die zum Siege Cyrills über Nestorius viel beigetragen hatte, heiratete den gleich gesinnten General Marcian (450 bis 457) (3), der schon für den 17. Mai 451 ein Konzil nach Nicäa einberief, da aber erst vom 8. Oktober ab zustande kam, und zwar nicht in Nicäa, sondern in der Nähe des Kaisers, in der Kirche der heiligen Euphemia zu Chalcedon, einer Stadt, die nur durch den Bosporus von Konstantinopel getrennt ist. 630 Bischöfe nahmen an dieser Kirchenversammlung, dem vierten Allgemeinen Konzil, teil. Unter dem Vorsitz der Legaten Papst Leos I. wurde in der dritten Sitzung, am 13. Oktober, Dioskur von Alexandrien als Patriarch abgesetzt, aller seiner geistlichen Würden entkleidet und vom Kaiser bald darauf nach Gangra in Paphlagonien verbannt, wo er drei Jahre später starb.
In der sechsten Sitzung, am 25. Oktober, nahmen Kaiser und Kaiserin in der Mitte der Bischöfe den Ehrenvorsitz ein. Nach einer in lateinischer Sprache gehaltenen Rede des Kaisers wurde die in der fünften Sitzung beschlossene Glaubens-Entscheidung verkündet und angenommen:
„Wir erklären einstimmig, daß man einen und denselben Jesus Christus, unsern Herrn, bekennen muss, der ebenso vollkommener Mensch als Gott ist, wahrer Gott und wahrer Mensch; daß derselbe aus einer mit Vernunft begabten Seele und einem Leibe besteht, seiner Gottheit nach gleichen Wesens mit dem Vater, seiner Menschheit nach gleichen Wesens mit uns ist; daß er uns in allem, mit Ausnahme der Sünde, ähnlich ist, erzeugt vom Vater seiner Gottheit nach von Ewigkeit her, geboren in der Zeit seiner Menschheit nach von der Jungfrau und Mutter Gottes Maria für uns und unser Heil; daß man ein und denselben Jesus Christus, den eingeborenen Sohn und Herrn, bekennen muss als in zwei Naturen, die unvermischt (4) und unverwandelt (5), ungetrennt und ungesondert (6) sind; daß der Unterschied der Naturen durch die Einigung nicht aufgehoben, im Gegenteil die Eigentümlichkeit einer jeden der beiden Naturen erhalten ist und beide in einer Person und einer Hypostase vereinigt sind.“ (7)
Über die dogmengeschichtliche Bedeutung des Konzils von Chalcedon sagt Seeberg: „Man hat zu Chalcedon das Bewusstsein eines großen historischen Momentes gehabt, das Bewusstsein, die Lehrbildung von Nicäa-Konstantinopel und von Ephesus fixieren und zum Abschluss führen zu sollen. Und in der Tat ist die christologische Gedankenbildung in Chalcedon zum symbolischen Abschluss gebracht worden.“ (8) Trotzdem kam die häretische Bewegung des Monophysitismus nicht zur Ruhe.
(1) 435 verbannte der Kaiser ihn nach Arabien, dann nach Libyen und in die oberägyptische Wüste, wo er um 450 starb.
(2) A. Seider in LThK III (1931), 109/110. Obwohl der Nestorianismus als Bewegung zusammen brach, haben sich die Nestorianer in einigen kleineren Gruppen bis heute erhalten.
(3) In dem Schreiben, in dem Marcian dem Papst seine Wahl und Krönung anzeigt, heißt es: „Tuam Sanctitatem principatum in Episcopatu divinae fidei possidentem.“
(4) Gegen Eutyches.
(5) Gegen Dioskur.
(6) Gegen Nestorius.
(7) Denz., 148
(8) R. Seeberg, Handbuch der Dogmengeschichte II (1923), 262. –
aus: Konrad Algermissen, Konfessionskunde, 1939, S. 230 – S. 233