Über die Bedeutung des Apostelkonzils
Die Frage der Aufnahme der Heiden in die Kirche an und für sich konnte nicht zweifelhaft sein. Konnten die Heiden schon als Proselyten ins Judentum aufgenommen werden, so jedenfalls auch ins Christentum. Dahin lauteten ja auch die bestimmtesten Aufträge des Herrn an seine Apostel, in die ganze Welt zu gehen, das Evangelium allen Völkern, allen Geschöpfen zu predigen, ebenso bei der Bekehrung und Berufung des Saulus vorzugsweise für die Bekehrung der Heiden, und durch die Propheten war dies von Anfang an für die Zeit und das reich des Messias mit der größten Klarheit und Bestimmtheit vorausgesagt.
Aber wann sowie unter welchen Bedingungen die Heiden aufgenommen werden sollten, insbesondere, ob sie nicht vorher Juden werden und fortan auch als Christen das ganze jüdische Zeremonial-Gesetz beobachten müßten, das war jetzt die große Frage. Eigentlich war auch sie bereits gelöst. Dem hl. Petrus war durch die Erscheinung in Joppe das Zeichen zur Aufnahme der Heiden gegeben, und es war ihm zugleich damit angedeutet, daß die Verbindlichkeit des jüdischen Zeremonial-Gesetzes aufhöre. Gott bestätigte diese Weisung durch die Herabsendung des Heiligen Geistes auf die Erstlinge der Heidenwelt, selbst ehe sie noch die Taufe empfangen hatten, und setzte dadurch Petrus, das Oberhaupt seiner Kirche, in den Stand, die judaistisch gesinnten Christen gerade mit Berufung auf diese Tatsachen darüber zu beruhigen. Die Handlungsweise des hl. Paulus und Barnabas in Aufnahme der Heiden auf ihrer ersten Bekehrungsreise und die Wunder und Erfolge, womit Gott sie bestätigte, mussten völlig jeden Zweifel über den Willen und die Absichten Gottes in dieser Frage beseitigen.
Gleichwohl war die Sache noch nicht erledigt. Christen, die der Sekte der Pharisäer angehört hatten, formulierten ihre Forderung an die Heiden in einer Weise, die eine ebenso scharf formulierte Entscheidung der Kirche forderte, damit zweifellos ersichtlich sei, unter welchen Bedingungen die Heiden Mitglieder der Kirche werden könnten, und was man nicht von ihnen fordern dürfe. Es handelte sich um eine der wichtigsten Fragen, die je die Kirche zu entscheiden hatte; fast könnte man sagen, um die Existenz der Kirche selbst. Der Alte und der Neue Bund hingen auf das innigste zusammen; beide waren ja Offenbarungen des einen Gottes, Teile eines und desselben Gottesreiches, vereint in demselben Grund- und Eckstein Christus Jesus. Darum konnte es scheinen, daß die so heiligen Gebräuche des Alten Bundes fortbestehen müssten, um auch jeden Schein zu meiden, als ob der Neue Bund vom Alten Bund getrennt sei oder dessen Reinheit und Göttlichkeit bestreite.
Auf der andern Seite hatten diese Gebräuche ihren Zweck erfüllt; denn sofern sie das Volk Gottes gegen die Heiden abschließen sollten, mussten sie jetzt aufhören, weil das Christentum für alle Völker war; sofern sie Vorbilder gewesen, waren sie jetzt erfüllt durch die gnadenreiche Wirklichkeit, und sofern sie das Volk Gottes für Christus erziehen sollten, war dieser Zweck für die Juden erreicht, die dem Ruf der Gnade folgten; die Heiden aber waren auf einem ganz andern, ja scheinbar entgegen gesetzten Wege für Christus erzogen worden. Diese jüdischen Gebräuche hatten somit ihre Bedeutung verloren; ja sie fingen an, für die Kirche Christi bedenklich und gefährlich zu werden, indem pharisäisch gesinnte Judenchristen die Neubekehrten aus dem Heidentum nicht nur an das Joch dieses Gesetzes zu binden, sondern auch in alle pharisäischen Auslegungen desselben zu verwickeln drohten, so daß der Neuen Bund sich nie als das Reich der Wahrheit und Gnade entfalten und über die ganze Erde hätte verbreiten können.
Die größte Gefahr aber lag darin, daß die Behauptung aufgestellt wurde, die Beobachtung des jüdischen Zeremonial-Gesetzes sei zum Heile notwendig, wodurch geradezu der Wert des Erlösungstodes Christi in Frage gestellt, ja aufgegeben wurde. (Vgl. Gal. 5, 4 11) Was sollte nun geschehen? Gott hatte seinen Willen hinreichend kund gegeben, aber die Menschen wollten ihn noch nicht begreifen. Die höchste kirchliche Autorität musste eine jedes fernere Bedenken ausschließende, bestimmende Entscheidung geben.
In Antiochia wie in Jerusalem sah man hierin das rechte Mittel, diese so wichtige Frage zu entschieden. Der hl. Paulus selbst, obwohl seiner unmittelbaren göttlichen Berufung und seiner apostolischen Autorität sich wohl bewußt, war keinen Augenblick über die Richtigkeit dieses Mittel im Zweifel. Auf dem Apostelkonzil nun leitet Petrus, das Oberhaupt der Kirche, die Verhandlungen. Über die pharisäische Forderung werden viele gemeinschaftliche Untersuchungen gepflogen, was höchst bemerkenswert ist für die Art und Weise, wie die Kirche ihr unfehlbares Lehramt übt; stets werden erst alle menschlichen Mittel zur Klarstellung des Frage erschöpft; dann erfolgt unter dem Beistand des Heiligen Geistes die endgültige Entscheidung. So auch hier. –
Petrus erhebt sich; er erinnert daran, daß er von Gott eine besondere Berufung zur Aufnahme der Heiden erhalten, bemerkt, daß die Frage eigentlich schon von Gott selbst entschieden sei, da er ja den Heiden, die das Christentum angenommen, dieselben Gnaden wie den Juden verliehen, und erklärt schließlich, daß man den Heiden dieses Joch nicht auferlegen dürfe, indem nicht hierdurch, sondern durch die Gnade Christi Heiden und Juden die Seligkeit erlangten. Dadurch ward die Streitfrage entschieden, und die ganze Versammlung beugte sich ehrfurchtsvoll vor der Autorität des Oberhauptes der Kirche. –
Nun erzählten Paulus und Barnabas, wie Großes Gott durch sie unter den Heiden getan; diese großen Tatsachen mussten zur Bestätigung dessen dienen, was Petrus soeben gesagt hatte. – Zum Schluss erhob sich Jakobus der Jüngere. Als Bischof der Gemeinde von Jerusalem, die fast nur aus Judenchristen bestand, kam es auch ihm zu, noch über diese große Frage zu reden, um so mehr, da er, als überaus eifriger Beobachter des Gesetzes bekannt, selbst bei den Juden im höchsten Ansehen stand, und seine Worte nicht wenig dazu dienen konnten, die Gemüter der Judenchristen völlig zu beruhigen. Er bestätigte das, was Petrus gesagt, durch Hinweis auf die Prophezeiungen und stellte den Antrag, in diesem Sinne ein Schreiben an die Christen in Antiochia zu richten. – Das war das erste Konzil und das Vorbild und die Grundlage aller folgenden.
Trotz dieser Entscheidung harrte noch ein Punkt seiner klaren und bestimmten Lösung, nämlich die Frage, ob und wie weit auch den Judenchristen erlaubt sei, das jüdische Zeremonial-Gesetz nicht zu beobachten. Auch sie war eigentlich mitentschieden, namentlich in dem Schlusssatz des hl. Petrus, daß in der Gnade Jesu Christi, nicht aber in der Beobachtung des Gesetzes, für Judenchristen und Heidenchristen der einzige Weg des Heiles gegeben sei. Gleichwohl hatte die Sache noch ihre großen Schwierigkeiten. Den Juden war dies Gesetz so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie es nur schwer oder gar nicht über sich gewinnen konnten, mit dem einst von Gott den Vätern gegebenen Gesetze zu brechen; in Palästina war es überdies mit dem jüdischen Staats- und Volksleben so verwachsen, daß für die lebenden Juden es so gut wie unmöglich war, sich von der Beobachtung des Gesetzes loszumachen.
Diese Lostrennung konnte nur durch den Gang der Ereignisse und höheres Eingreifen bewirkt werden werden. Auf diese Weise wurde auch der Schein vermieden, als suchten sie neu bekehrten Christen aus dem Judentum nur das Joch des Gesetzes abzuschütteln; das Gesetz selbst wurde „ehrenvoll begraben“, wie der hl. Augustinus es ausdrückt (Epist. 82 n. 16), und endlich kam mit der Zerstörung Jerusalems und des jüdischen Staates die gänzliche Lostrennung der Christen von dem jüdischen Zeremonialgesetz. Für die Gemeinden außer Palästina stand aber die Sache wesentlich anders. Hier war die Mehrzahl der Christen aus dem Heidentum; und wie lieb auch den Judenchristen ihre väterlichen Satzungen sein mochten, so lag es ihnen näher, auf dieselben zu verzichten, weil nur so ein inniges Verschmelzen zu einer Gemeinde möglich war. Wollte man aber hier die Haltung des Gesetzes von Seiten der Judenchristen streng durchführen, so bestätigte man die Heiden, stellte die Entscheidung, die das Apostelkonzil zu ihren Gunsten gegeben, wieder in Frage und gefährdete sogar die christliche Wahrheit von der Erlösung durch Christus. Ein Vorfall sollte dies in das hellste Licht stellen und auch diese Gefahr für immer von der Kirche abwenden. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 710 – S. 712
Siehe den Beitrag: Der antiochenische Vorfall zwischen Petrus und Paulus
sowie: Der Legalienstreit – Zurechtweisung des Hl. Petrus durch den hl. Paulus